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Sechzehntes Kapitel

Der Erfolg blieb dem Tempel der Gesundheit treu. Der Streit der Gelehrten und Ärzte, Schmähschriften und karikierende Broschüren vermehrten ihn noch. Schon nach einem Monat erhöhte Doktor Graham Emmas Honorar aus freien Stücken.

Sie schickte das Geld der Mutter, für sich nur das Notwendige zurückbehaltend. Es war ihr eine geheime Genugtuung, die Vorwürfe der alten Frau durch Wohltaten zu erwidern. Auch galt es, dem Kinde eine gute Erziehung zu verschaffen. So war das Geld der Schande doch zu etwas nutze.

In ihren Mußestunden ging sie niemals aus. Sie verabscheute die große, laute Stadt, in der so viel Glanz und Reichtum und gleichzeitig so viel Elend und Armut war. Abgeschmackt und verächtlich erschien ihr das Treiben der Menschen. Inmitten der Lustbarkeiten des Winters lebte sie einsam wie in einem Kloster.

Aber die Hoffnung auf eine große Zukunft als Schauspielerin erwachte in ihr aufs neue. Sie nahm das Rollenstudium wieder auf und ließ sich in Gesang und Harfenspiel unterrichten, seitdem Doktor Graham musikalisches Talent und eine schöne Stimme bei ihr entdeckt haben wollte.

Er trat ihr in dieser Zeit näher. Sein warmherziges Wesen, das zu seinem schlauen Geschäftsgebaren in so auffallendem Gegensatz stand, tat ihr wohl. Obgleich er der marktschreierischen Methode der Saint Germain, Cagliostro, Casanova folgte, schien er doch nicht nur Charlatan. In seiner Theorie erblickte er das einzige Heilmittel für das, was er das Übel der Zeit nannte.

Von dem verrotteten Frankreich ausgegangen hatte sich eine allgemeine Zerrüttung der Nerven über ganz Europa verbreitet. Auf fast allen Fürstenthronen saßen Geschlechter mit verdorbenem Blut und entartetem Hirn, die nur an die Befriedigung zügelloser Lüste und unsauberer Begierden dachten. Von ihnen sickerte das Gift in die unteren Schichten der Völker. Als dumm und witzlos galt, wer die Gebote einer Pflicht erfüllte, als genialer Ausnahmemensch, wer sie mit Füßen trat. Plumpe Roheit und süßliche Ziererei herrschten in den Unterhaltungen der Geschlechter; stumpf lebte man dahin, ohne ein großes Ziel. In einer niederen Dumpfheit, die dann wieder jählings von Handlungen eines rätselhaften Aberwitzes durchzuckt wurde. Wie von grell auflodernden Blitzen, die das schwüle Dunkel der Nacht nur noch schwärzer und unheimlicher malten.

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Vieles, was Emma erlebt und sich nicht zu erklären vermocht hatte, erschien ihr nun in einem überraschenden Lichte. König Georges III. Wahnsinnsanfälle; das sprunghafte, bald frivole, bald kindisch alberne Benehmen seines Sohnes; Miß Kellys Opiumsucht; die Ausschweifungen des Höllenfeuer-Klubs; die zahllosen, von den Zeitungen berichteten Fälle von Trunk- und Verschwendungssucht, Spielwut, entartetem Sport, Ehebruch, Verlästerung alles Hohen und Heiligen – waren das alles nicht Zeichen jener schrecklichen Krankheit?

Einer erstickenden Dunstwolke gleich schien die neue Pest sich über die Völker und Staaten Europas dahinzuwälzen, die Köpfe verwirrend, die Herzen vergiftend. Schwächliche Sklaven ungeregelter Triebe waren die Menschen, wurzellos und saftlos, umhergeworfen von den Erregungen flüchtiger Augenblicke.

Sie zu beherrschen konnte nicht schwer sein. Nur eines festen Willens bedurfte es. Kalt wägen, kühn wagen. Und eines starken Wissens.

Wissen aber bestand in der Kenntnis der menschlichen Seelenregungen. Diese wiederum waren Erzeugnisse des Nervenlebens. Wer diese Nervenströme kannte und zu lenken vermochte, war Herr der Zeit.

In diese Kenntnis führte Doktor Graham Emma ein. Ohne besondere Absicht, nur in der Leidenschaft des Fanatikers, Jünger seiner Überzeugung zu werben, Er zeigte ihr die verschiedenen Erscheinungsweisen der Nervenkrankheiten, lehrte sie die Unterschiede zwischen Veitstanz und Hysterie, Verrücktheit und Hypochondrie, Melancholie und Schwachsinn, Tobsucht und Epilepsie. Und dann brachte er ihr die Kunstgriffe des Magnetismus bei, mit denen er seine Kranken einschläferte, ihren Widerstand brach, ihren Willen zwang und führte.

Und eines Tages gab er ihr einen Fall zur Behandlung.

*

Schon als dreizehnjähriger Knabe hatte Horatio Nelson, ein Sohn des Pfarrers von Burnham-Thorpe, auf einer Nordpolfahrt sich den Ruf zäher Unerschrockenheit erworben. Der Krieg gegen das mit den Nordamerikanern verbündete Spanien hatte seinen Ruhm vermehrt. Ihm allein war die Eroberung der Festung San-Juan auf der Insel San-Bartolomeo zu danken. In einem mörderischen Klima, bei strömendem Tropenregen hatte der junge Postkapitän die Expedition siegreich zu Ende geführt. Mit zerrütteter Gesundheit in die Heimat zurückgekehrt und von den Ärzten fast aufgegeben, hatte er von Doktor Grahams Methode gehört. Bei ihm suchte er nun Hilfe; heimlich, gegen den Willen seiner Angehörigen.

Als Emma, von Doktor Graham gerufen, bei Nelson eintrat, erwartete sie einen derben, von Wind und Wetter gebräunten Seemann zu finden. Statt dessen sah sie einen Jüngling von kaum dreiundzwanzig Jahren mit schmalem, feinem Gesicht, das ungepuderte Haar in einen großen, steifen Militärzopf zusammengebunden, gekleidet in einen altmodischen Rock mit langen Schößen. Gelähmt, zum Skelett abgemagert saß er in seinem Krankenstuhl, unfähig, sich zu bewegen. Aber das Feuer der großen blauen Augen verriet den leidenschaftlichen Geist, der in dem schwächlichen Körper wohnte.

Ungeduldig, von Zorn erfüllt gegen die Krankheit, die ihn vom Kriege zurückhielt, ließ er sich von Doktor Graham untersuchen. Auf Emma, die abseits stand, achtete er nicht. Unter dem dichten Schleier, den sie stets in Gegenwart Fremder trug, konnte er ihr Gesicht nicht sehen. Aber als sie auf Doktor Grahams Wink näher trat, schrak er zusammen. Seine Augen öffneten sich weit und sein flammender Blick suchte die Hülle zu durchdringen.

»Wer ist die Frau?« rief er erregt. »Ein seltsamer Duft geht von ihr aus. Er betäubt mich. Ich will das nicht! Sie soll fortgehen!«

Er machte eine ungestüme Anstrengung, sich zu erheben. Aber die Lähmung hielt ihn fest. Und so sah er Emma nur starr an, mit einem aus Furcht und Widerwillen gemischten Ausdruck.

Emma sprach kein Wort. Wie sie es von Doktor Graham gelernt hatte, setzte sie sich Nelson gegenüber, Gesicht gegen Gesicht, und legte ihm mit festem Druck beide Hände auf die Schultern. Sofort zuckte sein ganzer Körper zusammen. Wie von einem jähen Schmerz gefoltert schrie er laut auf und suchte sich ihren Händen zu entziehen.

Sein Widerstand rief ihre ganze Willenskraft wach. Die Zähne zusammenbeißend, ihre Gedanken nur auf ihr Vorhaben richtend ließ sie ihre Hände langsam von Nelsons Schultern herabgleiten. An seinen Armen strich sie entlang bis zu den Spitzen seiner Finger und hielt seine Daumen ein paar Augenblicke fest. Zwei, dreimal wiederholte sie die Bewegung ...

Nun verebbten die heftigen Zuckungen zu einem leisen Vibrieren. Bis auch dieses verschwand. Die Muskeln des Gesichts glätteten sich, der Widerwille entwich aus den Augen.

Es war gelungen. Die Harmonie zwischen Nelson und Emma war hergestellt.

Sie sah es voll triumphierender Freude. Sie wußte nicht, warum, aber gleich bei ihrem Eintritt, da sie diesen knabenhaften Menschen erblickte, war die Lust in ihr aufgestiegen, an ihm ihre Kraft zu erproben, seinen Willen zu bannen.

Glühend vor Eifer fuhr sie fort. Sie breitete ihre Arme und Hände gegen Nelson aus, als wollte sie einen Halbkreis beschreiben, und legte ihre beiden Daumen auf die Mitte seiner Stirn, die Finger zu beiden Seiten seines Kopfes ausspreizend. Leise rieb sie mit den Daumen die Haut in kleinen Kreisen. Die Hände in weicher Berührung abwärts gleiten lassend wiederholte sie denselben Vorgang an Herzgrube und Leib. Mit beiden flachen Händen strich sie endlich bis über Nelsons Knie herunter. Sie mit sanftem Druck umspannend, hielt sie hier inne.

Langsam sank sein Kopf an die Lehne des Stuhls ... seine Augen schlossen sich ... er schlief.

»Sehen Sie mich?« fragte sie leise.

Sofort antwortete er. Flüsternd, dennoch jedes Wort deutlich hervorhebend.

»Ich sehe dich... Du bist sehr schön!... Wozu trägst du den Schleier? Er hindert mich nicht! ... Deine Augen sind wie das blaue Meer von Sizilien ... Deine Lippen glühen, wie indische Korallen ...«

Und er beschrieb ihr Gesicht und ihre Gestalt in Bildern, als besitze er die Augen eines Malers und die Seele eines Dichters. Und hatte sie doch nie zuvor gesehen ...

Aufmerksam hatte Doktor Graham den Vorgang verfolgt.

»Er ist vollständig in Ihrer Gewalt!« sagte er, als Nelson schwieg. »Wenn Sie es wollten, würden Sie ihn zwingen können, Sie zu lieben!«

Ängstlich sah Emma auf den Kranken.

»Wenn er Sie hörte!«

»Er hört nur, was Sie zu ihm sprechen. Für ihn bin ich gar nicht vorhanden. Fragen Sie ihn weiter! Um ihm helfen zu können, muß ich die Geschichte seiner Krankheit kennen!«

Emma fragte und Nelson antwortete. Er zählte die Fieberanfälle auf, an denen er schon als Knabe gelitten hatte, und beschrieb die krampfhaften Zuckungen, die ihn ohne äußere Veranlassung zuweilen überfielen. Auch von Lähmungen und Ohnmächten sprach er, die ihn betäubten. Er selbst wußte nichts von ihnen, aber andere hatten ihm darüber berichtet. Man hatte ihn am Boden liegend gefunden, Schaum vor dem Munde, die Zunge von den Zähnen blutig gebissen. Langanhaltende Ermattung war stets die Folge dieser Anfälle gewesen.

Als er geendet, sah Emma Doktor Graham fragend an. Bedauernd zuckte er die Achseln.

»Die Lähmung kann beseitigt werden, aber gegen das eigentliche Übel, Fallsucht, ist auch die neue Wissenschaft machtlos. Schade um den kraftvollen Geist! Er wird vielleicht großen Ruhm erwerben, aber immer ein unglücklicher Mensch sein. – Wecken Sie ihn auf! Sanft, ganz sanft!«

Erschüttert sah Emma auf das feine Knabengesicht. In weicher Bewegung streckte sie ihre Hände gegen ihn aus, als wollte sie ihm die Augenlider heben.

»Erwachen Sie! Und lächeln Sie mir zu!«

Sofort öffnete er die Augen. Mit einem stillen Lächeln, das sein abgezehrtes Gesicht seltsam verschönte.

Aber als Doktor Graham ihn fragte, was er während seines Schlummers empfunden habe, erinnerte er sich an nichts ...

– – – – – – – –

Am folgenden Tage konnte Emma die Stunde kaum erwarten, da der Diener Nelson wieder herbringen sollte. Noch immer sah sie im Geiste das Lächeln, mit dem Nelson beim Erwachen zu ihr aufgeblickt hatte. Um dieses reine, gute Lächeln war er ihr fast lieb. Auch der Macht freute sie sich, die sie über ihn hatte. Es war ihr, als gehöre dieser Mensch nun ihr; als sei er ein Geschöpf ihrer Kraft.

Aber Nelson kam nicht. Sein Vater, ein frommer Mann und leidenschaftlicher Gegner der neuen Wissenschaft, holte ihn aus London fort und brachte ihn in die Bäder von Bath. Emma hörte nichts mehr von ihm. Auch dieser Knabe verschwand aus ihrem Leben. Gleich Tom, Romney, Overton. Alles, was sie gern hatte, entglitt ihren Händen.

Sie hatte kein Glück ...

– – – – – – – –

Allabendlich, wenn sie auf dem »Göttlichen Bett des Apollo« lag, feierte ihre Schönheit einen neuen Triumph. Ganz London sprach von ihr, forschte nach ihrem Namen, ihrer Herkunft, ihrer Vergangenheit.

Ihr war das alles gleichgültig. Ohne durch eine Bewegung zu verraten, daß sie alles hörte, ließ sie die Bemerkungen der Beschauer über sich ergehen. Man glaubte sie durch Doktor Graham in magnetischen Schlaf versenkt und nahm keine Rücksicht.

Er hatte es ihr angeboten. Sie aber wollte nicht. In dem Gefühl jener großen Schmach empfand sie neue Kränkungen kaum noch. Die Leute schalten sie schamlos? Sie gab ihnen recht. Aber war es ihre Schuld, daß sie es geworden war?

Durch Schande, büßte sie eine gute Tat.

Mochte auch der Schleier fallen, der ihr Gesicht Vor den Augen der Neugierigen verbarg! Ihr war es gleich, ob man sie erkannte.

Aber Doktor Graham wünschte keine Änderung. Das Rätselhafte, Unbekannte stachelte die Neugier und fühlte den Vorlesungen stets neue Besucher zu.

Auch der Prinz George stattete dem Tempel der Ehe endlich den versprochenen Besuch ab. Er kam mit einem Gefolge von Kavalieren, Künstlern und Gelehrten, während das große Publikum ausgeschlossen blieb.

Man umdrängte das Bett, auf dem Emma wie schlummernd ruhte. Auf die Bitte des Prinzen nahm Sir Joshua Reynolds, der berühmte Maler, die genauen Maße ihrer Glieder, indem er die Zahlen einem anderen nannte, der sie mit lauter Stimme wiederholte und dann aufschrieb.

Diese Stimme des anderen ...

Wo hatte sie die weichen, wie von geheimer Traurigkeit durchzitterten Laute schon gehört? ...

Als die Messung beendet war, prüfte man die Zahlen. Ein Stimmengewirr entstand, ein Streit, dessen Ursache Emma nicht verstand. Zwei Parteien bildeten sich, die einander leidenschaftlich, bekämpften. Die eine hielt die Zahlen aufrecht, die andere bezweifelte sie. Man mußte abermals messen. Es geschah durch die Partei der Zweifler. Aber die Zahlen blieben dieselben.

Und nun brach ein Sturm der Begeisterung los. Die Maße stimmten genau mit denen überein, die von den Meistern der klassischen Kunst als Norm für vollkommene weibliche Schönheit aufgestellt waren. Alle die Einzelheiten, die Praxiteles von Hunderten von Frauen mühsam zusammengetragen hatte, um aus ihnen die Idealgestalt seiner Venus zu formen, waren hier in einer einzigen vereint. In der Hebe Vestina des Doktor Graham war der uralte Schönheitstraum der Menschheit Fleisch geworden.

Staunend drängten sich die Männer, das Wunder zu sehen. Mit flinken Händen suchten die Maler wenigstens in den Umrissen ein Bild dieser vollkommensten aller Frauengestalten festzuhalten. Prinz George setzte fünfzig Pfund als Preis für die beste Zeichnung aus.

Plötzlich übertönte eine laute, kühle Stimme den Tumult.

»Ist das alles nicht sehr voreilig? Zu einem vollkommenen Körper gehört nicht immer auch ein vollkommenes Gesicht. Wie kann man einen Schönheitspreis zuerkennen, ohne das Gesicht gesehen zu haben?«

Von neuem erhob sich das Stimmengewirr. Aus ihm drang der Name des Zweiflers in Emmas Ohr.

Thomas Gainsborough. Der Altmeister der Londoner Porträtisten.

Zorn gegen ihn ergriff sie. Trieb ihn Neid gegen seine jüngeren Rivalen, die den Ruhm der Hebe Vestina durch ganz London verkündet hatten? War er hergekommen, um ihr ihre Schönheit abzusprechen, das einzige, was sie aus dem Schiffbruch gerettet hatte?

Atemlos lauschte sie auf den Streit der Meinungen. Reynolds verhielt sich unbestimmt, Doktor Graham verteidigte seine Hebe leidenschaftlich, Gainsborough blieb hartnäckig bei seinem Mißtrauen.

»Frauen verstecken ihre Schönheiten nicht!« sagte er spöttisch. »Eine alte Erfahrung! Auch Ihre Hebe Vestina beweist nur ihre Richtigkeit. Alles zeigt sie, worauf sie stolz ist, nur das Gesicht nicht. Also ist das Gesicht häßlich!«

Doktor Graham stieß ein zorniges Lachen aus.

»Häßlich? Das schönste, regelmäßigste Gesicht, das je von der Sonne beschienen wurde!«

Plötzlich sprach jene weiche, dunkel gefärbte Stimme.

»Ihr Erfahrungssatz trifft nicht immer zu, Mr. Gainsborough! Seltsamerweise gibt es auch heute noch schamhafte Frauen. Ich selbst habe es erfahren. An der Küste von Wales sah ich ein junges Mädchen mit einem vollkommen schönen Gesicht. Sie hatte dieselben Hände wie diese Hebe. Auch die Linie ihres Halses verlief ähnlich. Leicht gekleidet, wie sie war, konnte ich wohl beurteilen, daß auch der Körper vollkommen sein müsse. Aber während sie ihr Gesicht von mir zeichnen ließ, verweigerte sie standhaft alles übrige. Kaum, daß sie sich das Kleid am Halse ein wenig öffnete. Dabei war sie so arm, daß die paar Pfund, die ich ihr bot, ein Vermögen für sie gewesen wären. Nein, Mr. Gainsborough, es ist nicht immer richtig, daß die Frauen alles Schöne zeigen, was sie haben!«

Gainsborough lachte spöttisch.

»Sie glauben, daß Hebe Vestina aus solchem Holze ist? Sie widersprechen sich ja, Mr. Romney! Diese Frau zeigt alles, was jenes Mädchen Ihnen verweigerte. Sie ist also nicht schamhaft!«

»Auch diese Schlußfolgerung ist ein wenig kühn, Mr. Gainsborough! Hebe Vestina zeigt, weil ihr gestattet ist, das Gesicht zu verhüllen. Frauen erröten nur dann, wenn sie dem Blick der Männer begegnen. Nicht die Entblößung an sich erzeugt Scham, sondern das Bewußtsein, nackt gesehen zu werden!«

»Mr. Romney hat recht!« rief Doktor Graham eifrig dazwischen. »Hebe Vestina verschleiert ihr Gesicht, weil sie nicht erkannt sein will. Sie will nachher nicht vor jedem Männerblick die Augen niederschlagen müssen!«

Wieder lachte Gainsborough.

»Das braucht sie ja gar nicht! Sie ist in magnetischen Schlaf versenkt, weiß also nicht, daß wir ihr Gesicht gesehen haben. Entschleiern Sie sie, wenn Ihre Weigerung nicht einen anderen Grund hat!«

Nun mischte sich auch Prinz George in den Streit.

»Ich fange an, Gainsboroughs Ansicht zu teilen!« rief er mit seinem leichtfertigen Lachen. »Wenn eine Frau sich versteckt, ist sie häßlich oder prüde. Also, mein lieber Doktor Graham, Ihre Hebe Vestina ist entweder ein Monstrum oder sie ist dumm. Damit ist die Sache erledigt. Gehen wir, meine Herren! Es wird langweilig!«

Doktor Graham erwiderte etwas, das Emma nicht verstand. Sie achtete auch nicht darauf. Eine heiße Begierde war in ihr erwacht, alle diese Zweifler zu demütigen.

Mit einer langsamen Bewegung richtete sie sich auf und zog sich den Schleier vom Gesicht. Einen Augenblick herrschte lautlose Stille.

»Emma Lyon!« rief der Prinz plötzlich. »Es ist Miß Kellys dumme Emma!«

Er brach in ein lautes Gelächter aus. Sie sah ihm gerade in die Augen und nickte ihm mit kühlem Spott zu.

»Emma Lyon, Königliche Hoheit, ja! Die dumme Emma, die lieber arm sein wollte, als die Mätresse eines hohen Herrn!« Und einen langen, am Fußende des Bettes lehnenden Stab ergreifend, verließ sie das Bett und ging zu Gainsborough. »Hier mein Gesicht, Mr. Gainsborough! Bin ich ein Monstrum?«

»Circe!« rief Reynolds entzückt. »Sie ist Circe! In dem Augenblick, da sie das Gefolge des Odysseus in Schweine verwandelt!«

Sie dankte ihm mit einem lächelnden Blick. Dann wandte sie sich wieder zu Gainsborough.

»Ich bitte um Ihr Urteil, Mr. Gainsborough! Fürchten Sie sich nicht vor meinem Zauberstabe!«

Mit einem etwas gezwungenen Lachen ging der Alte auf den Scherz ein.

»Sie haben mich schon verwandelt!« sagte er. »Ich bekenne mich geschlagen. Und wenn Sie einwilligen, sich von mir malen zu lassen, werden Sie mich sehr glücklich machen.«

Einen Augenblick genoß Emma ihren Triumph. Dann zuckte sie mit kühlem Bedauern die Achseln.

»Ich weiß die Ehre wohl zu schätzen, durch die Hand eines so großen Meisters auf die Nachwelt zu kommen. Dennoch kann es nicht sein. Jemand ist hier, der ältere Rechte auf mich hat!« Den Stab fallen lassend streckte sie Romney beide Hände entgegen. »Sie meinten es gut mit mir, Mr. Romney, als Sie mich vor London warnten. Dennoch bin ich gekommen. Damals, am Deegolf, wünschten Sie, mich zu malen. Wünschen Sie es noch? Hier bin ich!«

Sie lachte ihn an, wie einen guten, alten Freund und nickte ihm zu. Und er, wortlos vor Überraschung, preßte ihr die Hände und verschlang ihre Schönheit mit trunkenen Blicken. Als sähe er ein neues Werk vor sich heraufsteigen.

In seiner derben Art schlug Reynolds Romney lachend auf die Schulter.

»Sie sind ein Glückspilz, Romney! Wenn Sie eine Circe aus ihr machen, werden Sie mit dem Bild die Welt erobern!«

»Und ich kaufe das Bild, Romney, und sollte es mich die Hälfte meiner Apanage kosten!« setzte Prinz George hinzu, sprunghaft, wie er in allen seinen Handlungen war. »Circe, die Zauberin!«


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