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Drei Monate später führte er Emma und die Mutter in den Palazzo Sessa zurück. Viertausend Pfund hatte er ausgegeben, um Emmas Zimmer ihrer Schönheit würdig auszustatten. Das Beste hatte er kommen lassen, was die Magazine Londons boten: Seidenmöbel, Gobelins, durchwirkte Tapeten, echte Nippes, schwere Teppiche, wundervolle Holzschnitzereien. Die Rückwand des Eckzimmers, dessen Fenster auf den Golf hinausgingen, war mit großen, runden Spiegeln bedeckt. Eng aneinander gefügt gaben sie den herrlichen Rundblick mit seinen paradiesischen Schönheiten wieder. Ein Gemälde von so märchenhaftem Reiz, wie es nie die Hand eines Künstlers hervorgebracht.
Seltsam war ein großer fensterloser Raum, der von pompejanischen Kandelabern erleuchtet wurde. Hier war alles vereint, was Sir William bei den Ausgrabungen von Pompeji erbeutet hatte. Kostbare Vasen standen einzeln und in Gruppen umher; bunte Reliefs, in die Wände eingelassen, schilderten in lebhaften Szenen eine längst verrauschte Welt der Schönheit und des Genusses; geheimnisvolle Nischen aus aufeinandergetürmten Lavablöcken zeigten lebensgroße Statuen von Göttern und Göttinnen, deren weiße Leiber durch das Halbdunkel schimmerten. Über das alles breitete das ruhige Licht der Kandelaber einen feierlichen Ernst, in dem der Raum wie ein der Gottheit geweihter Tempel erschien.
Sir William zeigte und erklärte Emma alles eingehend. Hingerissen von dem Rausch des Besitzes pries er die Schönheit als die einzig wahre Religion der Menschheit.
Lächelnd hörte Emma ihm zu. Diese Religion war auch die ihre. In ihr war Emma Priesterin und Göttin zugleich.
Aber dann, da er sie um ihr Urteil befragte, vermochte sie eine Regung des Spottes nicht zu unterdrücken.
»Wen lieben Sie mehr, Sir William?« fragte sie zurück. »Mich oder Ihre schönen Zimmer?«
Statt der Antwort beugte er vor ihr das Knie. Und da sie ihm huldvoll die Hand reichte, ließ sie es geschehen, daß er den Ärmel ihres Kleides zurückschlug und die Stelle ihres Armes küßte, wo durch die seidig glänzende Haut des Ellbogengelenks das bläuliche Geflecht der Adern schimmerte.
Von der Hand zum Ellbogen ...
Der Weg, den Sir William in diesen Monaten des Werbens zurückgelegt hatte.
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Zur Einweihung der neuen Einrichtung veranstaltete er ein kleines Fest. Vertraute Freunde wurden geladen, höhere Beamte der Gesandtschaft, Würdenträger des Hofes, eine Schar von Künstlern. Bedingung war, daß die Verheirateten ihre Frauen mitbrachten.
Emma zweifelte an dem Erfolg. Aber Sir William beruhigte sie. Seine Beamten waren von ihm abhängig, die Künstler ohne Vorurteil, die Freunde hatten bereits zugesagt. Und die Würdenträger des Hofes ...
Er machte eine Handbewegung, die alles sagte. Das Gold Indiens hatte auch nach Neapel seinen Weg gefunden.
Sir William behielt recht. Man kam. Man staunte die neue Pracht an. Man bewunderte Emmas Schönheit. Sonst aber war man zurückhaltend. Erst als sie zur Laute jene wallisischen Lieder sang, durch die sie in Ranelagh Romney zu dem Bilde der Heiligen Cäcilia begeistert hatte, wurde man wärmer. Man lobte die schlichte Würde des Vortrags, den jugendlichen Schmelz der Stimme, den zarten Reiz des Spiels. Und wie in Ranelagh bat man auch hier um Zugaben.
Den Italienern zuliebe wählte Emma eine Arie von Paisiello und entschuldigte sich, daß sie die herrliche Sprache Dantes noch nicht beherrschte. Dann sang sie, schüchtern, wie vor dem Wagnis zitternd.
Der Erfolg wuchs. Die anfängliche Zurückhaltung schwand. Eine stolze, übermütige Schönheit hatte man zu finden erwartet, und sah ein junges, bescheidenes Mädchen, das sich vor dem lauten Beifall der Männer bescheiden erschreckt in die Arme ihrer Rivalinnen flüchtete.
Gegen Ende des Festes bat sie Sir William, seine Gäste nach einiger Zeit in den fensterlosen Raum zu führen. Eine kleine Überraschung galt es. Seinen neugierigen Fragen entschlüpfte sie mit einem Lächeln.
Als man eintrat, war der Raum in geheimnisvolles Halbdunkel gehüllt. Ein einziger Kandelaber brannte. Mattrötliches Licht streute er über den Marmor der Wände, die Statuen der Götter und den purpurfarbenen Vorhang, der den Eingang einer Grotte verdeckte.
Ein Diener in altrömischer Tunika empfing die Eintretenden und bat sie, sich der Grotte gegenüber aufzustellen. Dann schloß er die Tür.
Ein lautloses Schweigen der Erwartung herrschte.
Plötzlich flog der Vorhang auseinander.
Von dem schwarzen Hintergrunde der Grotte hob sich im ruhigen Lichte des Kandelabers die sitzende Gestalt eines Weibes. Faltenreiche Gewänder, wallende Tücher verliehen ihr einen feierlichen Ernst. Einen Griffel und eine Pergamentrolle umfassend hielt die Rechte eine Steintafel, deren Innenseite fremdartige Schriftzeichen bedeckten. Die Linke, zur Seite gestreckt, schien mit erhabener Geste einer schicksalsschweren Frage Kraft und Nachdruck zu verleihen. In blendender Weiße aber wuchs aus dem Ausschnitt des Gewandes über der vollen Brust der edel geschwungene Hals hervor. Große, blaue Augen richteten sich sinnend und fragend empor. Als throne dort in der Höhe eines unsichtbaren Himmels eine Gottheit, von der sie einen erkennenden Blick in die verschlossenen Fernen der Zukunft heischten.
»Die Sibylle von Cumä!« erklärte die Stimme des Dieners. »Von der Küste Campaniens ist sie zum Gipfel des Vesuv emporgestiegen, um von den Überirdischen Sprüche der Weisheit und Aufschlüsse über die Geschicke der Menschheit zu erhalten.«
Langsam schloß sich der Vorhang. Um sich gleich wieder zu öffnen, den schönheitsdurstigen Augen der Italiener das vaterländische Bild aufs neue zu zeigen.
Eine hellenische Flötenspielerin folgte, eine pompejanische Tänzerin, eine Winzerin aus den Weingärten des Posilipp. Alle weckten dieselbe Begeisterung.
Und als Emma dann im Gewande der Sibylle unter den Gästen erschien, ergriff ein Taumel des Entzückens die ganze Versammlung. Die Herren küßten ihr die Hände, die Frauen umarmten sie, neidlos, hingerissen von dem Enthusiasmus ihrer südlich-leidenschaftlichen Naturen.
Sir William allein hielt sich zurück. Die Rücksicht auf Emmas Ruf zwang ihn. Aber verstohlen folgten seine Augen jeder ihrer Bewegungen.
Nach dem Scheiden der Gäste dankte sie ihm. Das Fest hatte ihr den Weg in die Gesellschaft Neapels geöffnet. Aber Sir William hörte kaum zu. Wie von Sinnen bettelte er plötzlich um einen Kuß auf diese volle, in weichem Heben und Senken atmende Brust, die das Kleid seinen Augen neidisch verbarg.
Kühl wies Emma ihn zurück. Daß er ihr das Kopftuch abnehmen und sein Gesicht für ein paar Sekunden in den leuchtenden Strom ihres herabfließenden Haares tauchen durfte, war alles, was sie ihm erlaubte.
Tantalus war er. Über seinem Haupte breiteten sich Zweige voll goldener Früchte, zu seinen Füßen rieselte ein Quell. Er aber war verdammt, zu hungern und zu dursten ...
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An einem der ersten Tage des März kam Sir William erregt von einem Gange in die Stadt zurück. Er war Philipp Hackert begegnet, dem Hofmaler des Königs, der zwei Fremden die Sehenswürdigkeiten Neapels zeigte: Tischbein, dem berühmten, in Rom lebenden Maler, und Goethe, Geheimrat und Kammerpräsident des Herzogs von Weimar.
Von Tischbein hatte Emma durch die im Palazzo Sessa verkehrenden Künstler gehört, von Goethe aber wußte sie nichts. Eifrig suchte Sir William ihr die Bedeutung des Mannes zu erklären. Ein großer Dichter war er, der Verfasser der »Leiden des jungen Werther«. Sein Ruhm begann bereits über die engen Grenzen eines Vaterlandes hinauszuwachsen.
Auf seiner Wanderung durch Italien war er von der gebildeten Gesellschaft Roms mit offenen Armen aufgenommen worden. Tischbein hatte ihn gemalt und die berühmte Angelika Kauffmann ihm ihr Haus zur Verfügung gestellt. Nun besuchte er Neapel, auch hier durch seinen Ruhm, durch seine vergeistigte Schönheit und durch sein abgeklärtes Wesen Aufsehen erregend. Marchese Filangieri, der gefeierte Schriftsteller, hatte ihn mit Auszeichnung empfangen und verkehrte bereits freundschaftlich mit ihm. Der Fürst von Waldeck, der hier eine Reise nach Dalmatien und Griechenland vorbereitete, hatte ihn wiederholt zu sich eingeladen und ihm durch seinen Rang und Einfluß Zutritt zu Kreisen verschafft, die sich den Fremden sonst verschlossen. Ihm hatte Goethe auch den Inhalt einer neuen Dichtung »Iphigenie auf Tauris« erzählt, über die der feingebildete Fürst voll Bewunderung sprach.
Auch Sir William brannte darauf, Goethe im Palazzo Sessa zu empfangen. Der Dichter sollte Emma sehen, dem Zauber ihres Liebreizes, ihrer Grazie, ihres Gesanges huldigen. Der Menschenschilderer und Erforscher der Natur, der Verkünder des hellenischen Schönheitsideals sollte anerkennen, daß Sir William Hamilton das Kostbarste besaß, was die Erde zu bieten hatte.
So schwärmte Sir William.
Wie war er eitel! Mit Emma schmückte er sich, wie eine gefallsüchtige Frau mit der erborgten Schönheit von Federn, Blumen und Edelsteinen.
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Eine glänzende Gesellschaft füllte die weiten, von einem Lichtmeer durchfluteten Räume des Palazzo Sessa, als Sir William Goethe empfing.
Er führte ihn durch den Palast, ihm die kostbare Einrichtung zeigend. In dem Eckzimmer mit den Spiegeln stand der Dichter lange am geöffneten Fenster, das Bild der vom Monde durchstrahlten Landschaft voll Entzücken in sich aufnehmend »Die Zimmer, die er (Hamilton) sich in englischem Geschmack einrichtete, sind allerliebst und die Aussicht aus dem Eckzimmer vielleicht einzig. Unter uns das Meer im Angesicht Capri, rechts der Posilippo, näher der Spaziergang Villa reale, links ein altes Jesuitengebäude, weiterhin die Küste von Sorrento bis ans Kap Minerva. Dergleichen möchte es wohl in Europa schwerlich zum zweiten Male geben, wenigstens nicht im Mittelpunkte einer großen bevölkerten Stadt.« Goethe, Italienische Reise II 22. März 1787.
Dann bat der Wirt die Gesellschaft in einen großen halbdunklen Saal, in dessen Mitte aus einer altrömischen Räucherpfanne die bläulichen Flämmchen glühender Holzkohlen züngelten. Drei Diener hielten an langen Stäben brennende Kerzen. Zu ihnen trat Sir William mit einem vierten Stabe. Das Licht der Kerzen vereinigte sich mit dem der Kohlen zu einem seltsamen Schein, der einen flimmernden Kreis auf den Boden zeichnete.
Wie aus der Erde emporgestiegen erschien in diesem Kreise plötzlich eine weiße Gestalt. In dichte Schleier gehüllt, blieb sie einen Augenblick regungslos, unter den langwallenden Hüllen die Arme emporstreckend. Jählings ließ sie dann die Arme fallen. Mit ihnen glitt die oberste Hülle nieder.
In marmorner Unbeweglichkeit erschien in der Umrahmung der Schleier die Statue einer Bacchantin. Rotleuchtendes Haar ringelte sich unter dem Kopfbund hervor, große blaue Augen lächelten neckisch aus dem schönen, leicht zur Seite geneigten Gesicht, volle Lippen öffneten sich wie zum Kuß und zeigten das schimmernde Elfenbein der Zähne...
Eine schnelle Bewegung der Arme, ein leises Rascheln der emporflatternden Schleier ...
Kassandra, das über Ilion herannahende Unheil verkündend ... Maria Magdalena ... Diana ...
Plötzlich weicht die Göttin zur Seite, hinter ihr erscheint die Gestalt eines jungen Mädchens. Vor einer hellenischen Urne kniend streckt es die gefalteten Hände empor zum Gebet ...
Das Gesicht der Diana verändert sich. Wahnsinnige Rache in den Augen, stürzt sie sich auf das Mädchen und reißt ihm das Haupt zurück. In ihrer erhobenen Rechten blitzt die breite Klinge eines Messers ...
Medea, ihre Tochter tötend.
Das Messer fällt nieder, die zitternden Hände ziehen das Kind an die Brust der Mutter, breiten sich über das schuldlose Haupt, die Augen suchen mit stummem Flehen die Höhe des Himmels ...
Niobe, ihre Tochter gegen die Pfeile der Götter schützend.
Wieder flattern die Schleier. Hinter ihnen verschwindet die Gruppe. Einen Augenblick herrscht Stille. Dann ertönt wie aus weiter Ferne das rhythmische Geräusch einer baskischen Trommel. Näher kommt es und näher, klingende Schellen mischen sich ein, schneller und schneller.
Die Schleier fallen.
Das Tamburin in den Händen schwingend, umkreist von der zierlichen Gestalt eines Kindes, schwebt auf nackten Sohlen eine Tänzerin Pompejis. Unter dem langwallenden, leichten Gewande zeichnen sich die reinen Linien der Glieder, funkensprühend umwogt die Flut des Haares den weißen Nacken, die schwellenden Hüften. Lustatmend hebt und senkt sich die jungfräuliche Brust. Wie schimmernde Schlangen spielen, kaum den Boden berührend, die kleinen, rosigen Füße. Neckend lachen die Augen zu dem Kinde nieder, das mit emporgestreckten Händen nach der Trommel hascht ...
Plötzlich ein jauchzender Ruf. Einen Augenblick stehen Kind und Tänzerin regungslos, wie zu Stein erstarrt. Dann erlöscht der Lichtkreis. Dunkel breitet sich über den Saal.
In der Mitte nur noch das bläuliche Flimmern der Kohlen, aus denen ein zarter Duft empor; steigt »Der Ritter Hamilton, der noch immer als englischer Gesandter hier lebt, hat nun, nach so langer Kunstliebhaberei, nach so langem Naturstudium, den Gipfel aller Natur- und Kunstfreude in einem schönen Mädchen gefunden. Er hat ihr ein griechisches Gewand machen lassen, das sie trefflich kleidet; dazu löst sie ihre Haare auf, nimmt ein paar Schals und macht eine Abwechslung von Stellungen, Gebärden, Mienen usw., daß man zuletzt wirklich meint, man träume. Man schaut, was so viele tausend Künstler gerne geleistet hätten, hier ganz fertig, in Bewegung und überraschender Abwechslung. Stehend, kniend, sitzend, liegend, ernst, traurig, neckisch, ausschweifend, bußfertig, drohend, ängstlich usw. Eins folgt aufs andere und aus dem andren. Sie weiß zu jedem Ausdruck die Falten des Schleiers zu wählen, zu wechseln und macht sich hundert Arten von Kopfputz mit denselben Tüchern. Der alte Ritter hält das Licht dazu und hat mit ganzer Seele sich diesem Gegenstand ergeben. Er findet in ihr alle Antiken, alle schönen Profile der sizilianischen Münzen, ja den belvederischen Apoll selbst ...« Goethe, Italienische Reise II, 18. März 1787 ...