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Zweiundzwanzigstes Kapitel

In London besorgte Smith alles für die Fahrt nach Hawarden Notwendige. Emma kümmerte sich um nichts. Wenn er sie fragte, antwortete sie, hatte aber im nächsten Augenblick alles schon wieder vergessen. Es war ihr, als sei ihr Hirn leer und ihre Adern ohne Blut. In der schwülen Hitze der Stadt fror sie, saß im Gasthof vor den aufgetragenen Speisen, ohne sie anzurühren; schleppte sich durch die Straßen, als seien ihr die Glieder gelähmt. Elender noch fühlte sie sich als damals, da sie diese selben Wege gewandert war, der Begierde der Männer ein schimpfliches Stückchen Brot abzuringen. Ehrlos war sie, heute wie damals. Greville verachtete sie.

Romney... Sollte sie zu Romney gehen? ...

Sie stand vor seinem Hause auf dem Cavendish Square. Romney würde sie mit offenen Armen aufnehmen, ihre Schönheit mit seinen Künstleraugen verschlingen. In ihrer Verstörtheit würde er vielleicht einen neuen Reiz entdecken. Hatte er sie nicht heimlich als Maria Magdalena gezeichnet, als sie enttäuscht, niedergebrochen von Sheridan heimgekehrt war? Aus allem, was ihr das Herz bewegte, schöpfte er Motive für seine Kunst. Ein Modell war sie ihm, nicht mehr. Wie sehr er auch das Gegenteil behauptete.

Und er würde fragen ... in ihrer Wunde wühlen...

Fröstelnd ging sie weiter. Planlos, ziellos.

Plötzlich sah sie, daß sie auf dem Portman Square war...

Wie war sie hergekommen? Was wollte sie hier?

Dort in dem Hause wohnte Greville...

Ein vornehmes Hans war es. In einem Garten. Zarten Duft wehte der Abendwind herüber ... von Rosen und Reseden...

Noch eine Nacht. Dann kam die Heimat. Dann Sir Harry. Dann...

Es war Zeit, in den Gasthof zurückzukehren. Smiths gleichgültige Worte zu hören. Zu schlafen ...

Da! Er!

Er war zurückgekehrt...

Er stand im offenen Fenster. Einen Augenblick sah er auf die Straße hinab. Dann trat er zurück. Im Zimmer flammte ein Lichtschein auf...

– – – – – – – –

Jemand öffnete ihr, wies sie zurecht. Ein Diener oder eine Frau. Sie wußte es nicht. Sie dachte nur daran, daß sie bei ihm sein würde.

Bei ihm ...

– – – – – – – –

Er hatte ihren Eintritt überhört. Lesend saß er am Tisch. Der Schein der Lampe fiel hell auf sein vorgeneigtes, schönes Gesicht.

Sie starrte hin wie gebannt. Sich an den Türpfosten klammernd, mit wankenden Knien, keuchend vom schnellen Gehen.

Hatte sie sich bewegt?

Er wandte sich nach ihr um, erschrak, sprang auf.

»Miß Hart?! Was ist geschehen? Wie kommen Sie hierher?«

Was hatte sie doch sagen wollen? Unten auf der Straße hatte sie es noch gewußt ... nun erinnerte sie sich an nichts mehr ...

Nur ansehen konnte sie ihn ... »

Wie schön war er! Wie liebte sie ihn!

Aber in seinen Augen blitzte es auf, wie Zorn. Wenn er sie fortwies ... hinausjagte ...

Todesangst überfiel sie. Plötzlich warf sie sich vor ihm nieder, umklammerte seine Knie ...

»Warum hassen Sie mich? Warum denken Sie schlecht von mir? Ihnen hab' ich doch nie Böses getan! An Sie hab' ich immer gedacht wie an etwas Hohes, Heiliges! Wenn Sie mir nicht verzeihen, wenn Sie mich von sich stoßen ... Ich kann nicht leben, wenn Sie mich verachten!«

Erstaunt, bestürzt wich er vor ihr zurück.

»Verzeihen? Ich verstehe Sie nicht! Was soll ich Ihnen verzeihen? Vor allen Dingen, stehen Sie auf! Sie knien ja vor mir, wie Maria Magdalena vor Jesus! Ich bin kein Heiland!«

Unter dem strengen Ton seiner Stimme ließ sie die Hände sinken. Aber sie blieb auf den Knien liegen.

»Mir waren Sie ein Heiland!« murmelte sie dumpf. »Auf Sie gewartet habe ich, gehofft! Täglich dachte ich, daß Sie nun kommen würden. Und träumte, was dann geschehen würde ... Aber Sie kamen nicht! ... Dann nahm mich jene Frau. Sie beherrschte mich, machte mit mir, was sie wollte. Als ich ihr von Ihnen sprach, lachte sie mich aus ... Hätten Sie mir Ihren wahren Namen genannt ... ich hätte mich zu Ihnen durchgebettelt... Nein, werden Sie nicht zornig! Ich mache Ihnen keinen Vorwurf. Alle Schuld liegt bei mir. Warum ging ich mit ihr, warum glaubte ich nicht mehr an Siel Kleinmütig war ich, zweifelte. Und das war meine Schuld! Durch die alles andere entstand.«

Sie verstummte. Aber ihre Augen sprachen weiter. Diese Augen, die durch Tränen zu ihm flehten.

Sein Gesicht wurde milder.

»Wie konnten Sie solche Hoffnungen auf mich setzen? Sie hatten mich doch nur ein einziges Mal gesehen, nur ein paar oberflächliche Worte mit mir gesprochen!«

Lebhaft hob sie den Kopf. Aber als sie seinem Blick begegnete, errötete sie und wandte sich ab.

»Es ist wahr,« murmelte sie. »Ich wußte nichts von Ihnen. Nur ... Sie hatten mich geküßt ...«

Erstaunt, verwirrt starrte er sie an.

»Sie wollen doch nicht sagen, daß dieser eine, unüberlegte Kuß ...?«

»Mich hatte noch kein Mann geküßt ... ich war unerfahren ... ich glaubte, es wäre Liebe ...«

Sie nickte vor sich hin, mit einem müden Lächeln, Langsam stand sie auf. »Nun will ich wieder gehen. Verzeihen Sie, daß ich bei Ihnen eindrang. Und wenn Sie sich meiner einmal erinnern, dann tun Sie es mit ein wenig Güte. Um Sie hab' ich es verdient.«

Sie sagte es leise, mit zitternder Stimme, und sah ihn mit einem langen, abschiednehmenden Blicke an. Dann wandte sie sich zum Gehen.

Mit ein paar schnellen Schritten war er bei ihr.

»Miß Emma! Nachdem Sie mir das gesagt haben – glauben Sie, daß ich Sie nun so ohne weiteres fortlasse?«

Seine Augen flammten und sein Mund bebte. Sein ganzes Gesicht war plötzlich voll Leidenschaft.

Erschreckt wich sie vor ihm zurück.

»Nicht so, Sir Greville! Lassen Sie uns in Ruhe voneinander gehen! – Ich weiß ja, Sie glauben, mich nehmen zu können. Wie eine, die von der Straße heraufkommt. Ich beklage mich nicht darüber, ich hab' es verdient. Aber bei allem, was mir heilig ist ... als ich zu Ihnen kam ... ich wußte nicht, was ich tat! Ich war elend ... wie in einem Taumel ... ich wollte Sie sehen .. noch einmal, ehe ich...«

Sie verstummte. Sie sah sein Gesicht ganz nahe vor sich. Das Gesicht, nach dem sie sich sehnte...

Ach, Lüge war alles gewesen, was sie da eben gesagt hatte! Phrase, feiger Selbstbetrug!

»Ehe Sie...« drängte er. »Ehe Sie...?«

»Ich will nicht daran denken!« schrie sie. auf. Und den Kopf auf die Brust sinken lassend, stammelte sie tonlos, atemlos: »Warum habe ich Sie lieb! Warum habe ich Sie lieb!«

– – – – – – – –

Er küßte sie wie toll.

Ihren Mund, ihre Äugen, ihre Hände, ihr Haar bedeckte er mit gierigen Küssen, die ihr das Blut in Flammen setzten. Heiße Schauer rannen durch ihren Leib. Willenlos lag sie in seinen Armen, bereit, sich ihm hinzugeben.

Aber mitten im Sturm der Leidenschaft ließ er sie plötzlich los.

»Das Fenster!« rief er erschreckt. »Das offene Fenster! Wenn man uns von der Straße sieht ... ich habe Rücksichten zu nehmen ... auf meinen Ruf, meine Stellung ...« Eilig schloß er das Fenster, zog die Vorhänge zu und spähte vorsichtig durch einen schmalen Spalt auf die Straße hinab. Dann kam er beruhigt zurück. »Auch Sie müssen klug sein, Emily! Dieser Kammerdiener ... wenn er Ihnen gefolgt ist, um Sie in Sir Harrys Auftrage zu beobachten ...« Er lachte gezwungen. »Ich wenigstens würde mißtrauisch sein, wenn ich eine so schöne Geliebte hätte.«

Sie sah ihn mit leiser Verwunderung an. Er war so kühl, so überlegend ...

»Mag er mich überwachen! Mich kümmert's nicht.«

»Das ist nicht Ihr Ernst, Emily. Wenn Sir Harry erfährt, daß Sie bei mir waren ...« Er stockte und errötete. Hastig fuhr er dann fort. »Ich sage es nicht meinetwegen! Ich fürchte mich nicht vor ihm! Aber Sie ... Sie setzen Ihre Zukunft aufs Spiel. Er will Sie doch heiraten!«

Sie nickte.

»Ja, er will mich zu seiner Frau machen!« sagte sie, froh, ihm beweisen zu können, daß sie doch nicht ganz verachtet war. »Er hat mir sogar ein schriftliches Eheversprechen gegeben!«

Sich abwendend und ihr Kleid auf der Brust öffnend, zog sie das Dokument hervor und gab es ihm.

Er las es.

»Welch ein Leichtsinn!« rief er dann erstaunt. »Er hat sich Ihnen ja mit gebundenen Händen überliefert. Nun begreife ich, daß Sie sich nicht vor ihm fürchten. Er ist Ihnen sicher!«

War das alles seine wahre Meinung? Etwas wie Bangen ergriff sie.

»Was wollen Sie damit sagen? Sie glauben doch nicht, daß ich nun noch seine Frau werden kann?«

»Warum denn nicht?«

»Nach dem, was zwischen uns vorgegangen ist...«

»Was denn? Was ist denn geschehen? Nichts! Nicht das Geringste!«

Sie sah ihn traurig an.

»Es ist wahr! Ich könnte von hier fortgehen, vor der Welt ohne Vorwurf. Aber vor mir selbst... Als Sir Harry mir seine Hand anbot, antwortete ich ihm, daß ich frei sei, durch nichts gebunden. Ich log nicht; ich glaubte es. Aber nun ... jetzt, da ich es besser weiß ... ich würde schlecht werden, ganz schlecht...«

Sie schlug die Hände vors Gesicht... schluchzte leise...

Unruhig ging er durch das Zimmer hin und her. Er schien zu überlegen. Dann kam er zu ihr, löste ihr die Hände, sah ihr schweigend, lange, mit forschendem Blick in die Augen.

»Wir wollen vernünftig sein, Emily!« sagte er dann ruhig und führte sie zu einem Sofa, auf das er sie niederdrückte, sich neben sie setzend. »Vor allem muß ich Ihnen eines sagen: ich kann Sie nicht heiraten. Niemals! Hören Sie? Niemals!«

Erschreckt über den scharfen Ton seiner Stimme sah sie zu ihm auf. Dann lächelte sie vor sich hin, strich mit scheuer Hand ein paarmal wie liebkosend über seinen Arm.

»Wenn ich Sie nur ein wenig lieb haben darf...«

»Ja, aber ... wie denken Sie sich das? Ich bin arm. Kaum das Nötige zum Leben würde ich Ihnen bieten können. Keine schönen Kleider, keine Equipage, keine kostbaren Juwelen, keine üppigen Feste ...«

Wieder lächelte sie. Jenes versonnene Lächeln.

»Wenn ich nur bei Ihnen sein kann ...«

»Und dann ... ich liebe die Wissenschaften, ich kann nicht ohne geistige Beschäftigung sein. Wenn Sie neben mir dahinlebten, ohne Teilnahme für das, was mich bewegt, ohne innere Berührung mit mir ... Sie können ja nichts dafür, Emily, aber es ist doch so: Sie haben nicht viel gelernt, Sie müßten sich Mühe geben, mich zu verstehen, mir nachzukommen! Und Ihr Charakter ... Sie scheinen leidenschaftlich zu sein, unüberlegt, aufbrausend. Wenn Sie so blieben – immer würde ich mich um Sie sorgen müssen, nie aus der Unruhe herauskommen. Ich müßte Vertrauen zu Ihnen haben können. Sie müßten an sich arbeiten, Emily, unausgesetzt arbeiten!«

Er hob ihr das gesenkte Gesicht empor und sah sie forschend an. In ihren Äugen standen Tränen.

Wie hatte sie ihn eben noch mißverstanden, ihm Häßliches zugetraut! Und nun – wie war er gut! Wie gut!

»Tun Sie mit mir, was Sie wollen... was Sie wollen...«

Schüchtern schmiegte sie sich an ihn. Träumend sah sie ihn an. Nun würde er sie in seine Arme nehmen ... küssen würde er sie, wie vorhin ...

Er beugte sich über sie. Seine Lippen näherten sich den ihren. Plötzlich aber stand er auf.

»Also wir sind einig, Emily? Dann ... verzeihen Sie, aber ... es ist schon spät ... Sie müssen ... der Diener wird auf Sie warten...«

Erschreckt fuhr sie auf.

»Ich soll ... dahin soll ich zurück? Das ist Unmöglich! Das können Sie nicht wollen!«

Ungeduldig zog er die Augenbrauen zusammen.

»Wie Sie gleich wieder aufbrausen! Sie können doch nicht hier bleiben! Ich sagte doch schon, daß ich Rücksichten zu nehmen habe!«

Erregt ging sie hin und her. Unmöglich erschien es ihr, Smiths forschenden Blicken jetzt noch einmal zu begegnen. Aber da sie etwas erwidern wollte, fiel ihr Greville ins Wort.

Mit festem Griff ihre Hand fassend, zwang er Emma, stehenzubleiben. Und in kurzen, hartklingenden Worten setzte er ihr auseinander, wie er sich die nächste Zukunft dachte.

An Emmas Fahrt nach Hawarden sollte nichts geändert werden. Von dort aus sollte sie Sir Fetherstonehaugh das Schriftstück zurücksenden und ihn bitten, sie freizugeben, Mochte sie ihm auch kein bindendes Versprechen gegeben haben, so hatte sie doch eine innere Verpflichtung gegen ihn übernommen. Solange diese auf ihr lastete, war an ein Zusammenleben mit einem anderen nicht zu denken. Ein Greville wenigstens streckte seine Hand nicht nach fremdem Gute aus.

Gründe für den Bruch anzugeben, blieb ihr überlassen. Nur durfte Greville nicht genannt werden. Ein Skandal mußte unter allen Umständen vermieden werden.

Darum mußte sie auch vorläufig in Hawarden bleiben und ihren früheren Namen wieder annehmen. Ein Angestellter des Auswärtigen Amtes, ein Abkömmling der Warwicks, ein Verwandter der Hamiltons durfte sich seine Geliebte nicht aus dem Tempel der Gesundheit des Doktor Graham holen, Erst wenn alles in Vergessenheit geraten war, durfte sie nach London zurückkehren. Greville würde ihr den Zeitpunkt mitteilen. In dem wechselvollen Getriebe der Weltstadt vergaß man schnell, die Verbannung würde also nur kurze Zeit währen. Aber sie mußte vollständig sein. Mit keinem ihrer bisherigen Freunde durfte Emma in Verbindung bleiben. Auch mit Romney nicht. Und von niemand durfte sie Geld annehmen. Greville würde sie nicht darben lassen.

Seine kurzen Sätze wären auf sie eingedrungen wie Hammerschläge. Wie betäubt starrte sie ihn an, unfähig, ein Wort zu erwidern. Aber als er geendet, bäumte sich ihr ganzer Stolz gegen ihn auf. Hastig machte sie sich von ihm los.

»Nach Hawarden? Wo das Kind ist? Wo jeder meine Schande kennt? Ja, wenn ich hinkäme als Sir Harrys Braut – alles würde dadurch ausgetilgt sein! Aber wie eine Ausgestoßene Unter diesen Menschen leben, meiner Mutter zur Last ... wenn Sie das von mir verlangen ... grausam sind Sie, unmenschlich hart! Gleichgültig ist Ihnen, was aus mir wird! Sie lieben mich nicht! Ich sehe es! Sie lieben mich nicht!«

»Und doch verlange ich es! Gerade weil ich Sie liebe! Ich will es, Emily! Hören Sie? Ich will es!«

Er ging auf sie zu, mit langen, festen Schritten. Seine Augen leuchteten unter den dichten Brauen hervor wie Stahl, aus dem Funken sprühten. Zwingend bohrten sie sich in die ihren.

Sie wollte sich abwenden. Aber sie vermochte es nicht. Hinsehen mußte sie, den bannenden Blick aushalten.

So standen sie sich gegenüber.

Plötzlich fühlte sie, daß sie schwach wurde. Gleich würde sie hinsinken ...

Einen leisen, schluchzenden Ton stieß sie aus ... griff mit den Händen ins Leere ...

Aber schon war er bei ihr. Hielt sie in seinen Armen.

»Wirst du es tun, Emily?« fragte er sanft, während er sich lächelnd über sie beugte. »Wirst du es tun?«

Wie zärtlich klang seine Stimme! Wie rot waren seine Lippen!

Alles in ihr wurde still, demütig.

»Ich werde es tun, Charles. Ich werde es tun ...«

»Und nicht eher zurückkehren, als bis ich dich rufe?«

»Und nicht eher zurückkehren, als bis du mich rufst ...«

Er nickte zufrieden.

»Ich danke dir, Emily! Und nun – nun darfst du mich küssen!«

Wie stark er war! Ach, und süß war es, ihm zu gehorchen...

– – – – – – – –

Von Hawarden aus schickte sie Sir Harry das Dokument zurück. Als sie seinen Antrag annahm, schrieb sie ihm, hatte sie sich durch die glänzende Zukunft an seiner Seite bestechen lassen. Nun aber hatte sie über sich selbst nachgedacht. Sie schätzte ihn hoch als Mann und Freund, empfand aber nicht genug Liebe für ihn, um seine Frau werden zu können. Er möge sie von ihrer Verpflichtung gegen ihn lösen und ihr nicht zürnen. Sehnlichst hoffte sie auf ein paar Zeilen der Verzeihung und Zustimmung. In Dankbarkeit und freundschaftlicher Zuneigung werde sie seiner immer gedenken...

Sie wartete nun auf Sir Harrys Antwort. Nach zwei Wochen wiederholte sie den Brief, nach weiteren acht Tagen schrieb sie zum dritten Male. Sie machte eine Pause ... wandte sich nach Up-Park ... dann abermals nach Lechster...

Kein Brief von Sir Harry.

Ihre Unruhe wuchs. Wenn Sir Harry sie nicht freigab und Greville bei seinem Entschluß blieb, ihre Vereinigung mit ihm hiervon abhängig zu machen, so würden sie niemals zusammenkommen.

Auch Greville schrieb nicht oft. Eigentlich nur, um auf ihre Briefe zu antworten. Niemals aus freien Stücken.

Er mahnte sie zur Geduld, erinnerte sie an ihr früheres regelloses Leben, hielt ihr ihre Fehler vor. Von Grund auf mußte sie anders werden. Besonders sich vor Übertreibung hüten, durch die leicht der Schein von Unwahrhaftigkeit erweckt wurde. Ihr Verhältnis zu Sir Harry war doch wohl nicht ganz so gewesen, wie sie es ihm dargestellt hatte. Daß jener ihr nicht antwortete, bewies doch, daß seine Leidenschaft für sie nicht sonderlich tief war. Am Ende war er froh gewesen, als er sie auf billige Weise los wurde ...

Nach solchen Briefen war Emma tagelang wie verstört. War es möglich, daß Greville sie liebte? Daß er sich nach ihr sehnte wie sie nach ihm?

Kamen dann ein paar freundliche Zeilen, so atmete sie auf. Eine Törin schalt sie sich, daß sie an ihm gezweifelt. Hatte er ihr nicht vorhergesagt, daß sie hart an sich arbeiten mußte? Nun erzog er sie nach rauher Mannesart. Weil er sie dem Ideal, das er sich von der Frau seines Herzens gebildet hatte, ähnlich machen wollte. Weil er sie liebte. Anders liebte als jene Gewissenlosen, die in Emmas Schönheit nur ein Instrument der Lust gesehen hatten ...

Auch die Anforderungen des täglichen Lebens machten ihr Sorge.

Um keinen Verdacht zu erregen, hatte sie das Kammermädchen mitnehmen müssen, das Smith in London für sie gemietet hatte. Ebenso hatte sie das Geld annehmen müssen, das er ihr in Sir Harrys Auftrage einhändigte.

Nun aber begann sich Mangel fühlbar zu machen. Auch das Geld wurde verbraucht, das Emma früher der Mutter als Notpfennig geschickt hatte. Damals hatte sie darauf gedrungen, daß die Mutter ihren schweren Dienst verließ und eine Wohnung bezog, in der sie mit dem Kinde und der Großmutter sorgenlos leben sollte.

Sorgenlos ...

Hatte Emma bei Graham und Romney nicht verdient? Hatte Sir Harry es ihr je an etwas fehlen lassen? Ihrer Zukunft ganz sicher hatte sie sich damals gefühlt.

Alles hatte sie um Greville aufgegeben ...

Sie bereute es nicht. Sie liebte ihn. Eines Tages würde sie namenlos glücklich mit ihm sein.

Aber der Hauswirt mahnte um die Miete, das Kammermädchen fragte nach dem Lohn, trotz aller Einschränkung wurde die Lebensführung täglich dürftiger ... Sie konnte nicht länger untätig zusehen, wie die Ihrigen darbten. Angst um das Morgen packte sie. Grevilles Verbot entgegen schrieb sie an Romney, teilte ihm ihre Not mit. Immer war er gut zu ihr gewesen, hatte ihr hundertmal seine Börse angeboten. Sicherlich würde er ihr helfen.

Kurz vor Weihnachten schickte sie den Brief ab. Gleichzeitig schrieb sie nochmals an Sir Harry. Das Fest der Liebe würde ihre Herzen weich stimmen.

Am Neujahrstage war noch keine Antwort da ...

– – – – – – – –

Hawarden, 3. Januar 1782.

Greville! Geliebter!

Ich bin in Verzweiflung. Von Sir Harry habe ich noch immer keine Nachricht. Ich bin überzeugt, er ist nicht mehr in Lechster.

Was soll ich tun? Was soll ich tun?

Sieben Briefe habe ich geschrieben! Und keine Antwort! Nach London kann ich nicht zurück, ich habe kein Geld mehr. Nicht einen Penny besitze ich. Ach, meine Freunde behandeln mich schlecht. Verzeih! Aber muß ich es nicht glauben?

Was soll ich tun? Was soll ich tun?

Wie hat Dein Brief mich gerührt, in dem Du mir Glück zum Neuen Jahre wünschtest! Ach, Greville, wenn ich in Deiner oder in Sir Harrys Lage wäre – welch ein glückliches Mädchen würde ich sein! So aber bin ich ein Mädchen im Elend...

Um der Liebe Gottes willen, Greville, schreibe mir gleich, sobald Du diesen Brief erhältst! Rate mir, was ich tun soll. Was Du bestimmst, wird geschehen.

Ich bin schon fast von Sinnen. Was soll aus mir werden? Schreibe! Greville, schreibe!

Lebe wohl, Geliebter!

Ewig Deine Emily Hart Nach dem Original der Morrison-Manuskriptensammlung Nr. 112.

– – – – – – – –

Nach neun Tagen kam die Antwort.

Ein langer Brief. Vorwürfe, Ermahnungen, Lehren.

Und dann ...

»Wenn Du Sir Harry liebst, darfst Du nicht mit ihm brechen...«

Das konnte er schreiben? War es Hohn? Eifersucht? Hatte er es mißdeutet, daß sie so oft an Sir Harry geschrieben? Glaubte er vielleicht, daß sie mit jenem wieder anknüpfen wollte?

Aber nun...

»Meiner süßen Emily Tränen kann Ich jetzt trocknen, kann ihr Trost geben. Wenn sie mein Vertrauen nicht täuscht, wird meine Emily vielleicht glücklich werden!

»Du weißt, daß ich mich unter keinen Umständen über Undank oder Launenhaftigkeit zu ärgern wünsche. Nur Dein Brief und Dein Klagen bewegt mich, mein System zu ändern. Denke aber daran, daß ich Ruhe haben will. Wird mein Vertrauen getäuscht, so werde Ich unsere Beziehungen nicht einen Augenblick länger fortsetzen. Wenn Du nach London kommst und meinem Rate folgst, entläßt Du Dein Kammermädchen und nimmst einen anderen Namen an, damit ich Dir mit der Zeit einen neuen Freundeskreis verschaffen kann. Wahre also Dein Geheimnis, daß niemand es errät! Dann rechne Ich darauf, Dich bewundert zu sehen.

»Soviel über Dich. Was die Kleine angeht, so kann seine Mutter auf mein Wohlwollen für ihr Kind rechnen. Es soll keinen Mangel leiden.

»Ich lege etwas Geld bei. Gib es nicht unbesonnen aus. Ein paar Geschenke kannst Du machen, wenn Du in London angekommen bist ...« Nach dem Original der Morrison-Manuskriptensammlung Nr. 114, 10. Januar 1782. Das gesperrt Gedruckte ist unterstrichen.

– – – – – – – –

Wenn Du in London angekommen bist ... Sie las nicht weiter.

Er rief sie! Sie durfte zu ihm! Alles, alles war gut!


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