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Elftes Kapitel

Sie wollten dann nach Haus gehen, aber Mrs. Gibson ließ sie nicht fort. Es sollte noch getanzt werden, dabei durfte die Königin des Abends nicht fehlen.

Emma folgte willig. Sie war in einem Rausch des Entzückens. Das aufgeregte Blut sprengte ihr fast die Adern, ihr Mund sprudelte von Lachen und Scherzen. Menschen mußte sie um sich sehen, Schmeicheleien hören, den jungen Triumph durchkosten. Mit einem Gefühl der Abneigung dachte sie an die Einsamkeit des kleinen Zimmers, in dem sie die Nacht schlaflos verbringen würde.

Im Saale hatte man Tische und Stühle zur Seite gerückt, um Raum für den Tanz zu schaffen. Das Publikum füllte die beiden Seiten. In strenger Scheidung; rechts die Seeleute, links die Bürger mit ihren Frauen und Töchtern. Als Emma eintrat, brachte man drei Cheers auf sie aus und das Orchester spielte einen Tusch.

Mr. Gibson eröffnete den Tanz mit einem Hornpipe Übermütiger Matrosen- und Bauerntanz.. Er wirbelte einen Spazierstock um sich herum, warf ihn in die Luft und fing ihn wieder auf; gleichzeitig trug er auf dem Kopfe einen Käseteller, der trotz aller Sprünge und Gliederverrenkungen niemals herabfiel. Kontretänze folgten, an denen alles teilnahm. Die Damen hüpften in der Mitte des Saales auf und nieder, die Herren stampften den Boden, hielten krampfhaft brennende Pfeifen zwischen den Zähnen, schwenkten seidene Taschentücher, wirbelten Tänzerinnen im Kreise, stießen sich, stolperten, stürzten, bis sie schnaufend auf ihre Stühle fielen.

Aus den schwelenden Öllampen stieg ein betäubender Dunst auf und vermischte sich mit dem aufgerührten Staube, dem scharfen Geruch der Getränke, den feuchten Ausdünstungen der erhitzten Körper.

Etwas wie Ekel beschlich Emma. Unwillkürlich dachte sie an den Höllenfeuerklub; hier wie dort, bei den Hohen wie bei den Niederen dieselbe wilde Genußsucht, dieselbe Gier nach Taumel und Ausschweifung. Besonnenheit und Mäßigung war allein bei den stillen Leuten des Mittelstandes, wie den Thomas' in Hawarden, den Canes in der Fleet-Street zu London.

Dann aber kam der Rausch wieder über sie. Warum sollte sie immer nur abseits stehen und zusehen? War sie nicht jung und schön? Klopfte nicht auch in ihrer Brust ein Herz, das nach Freude schrie?

Es war, als habe Tom ihre Gedanken erraten.

»Wissen Sie noch, Fräulein Emma,« sagte er verlegen, leise Hoffnung in den Augen, »was ich Ihnen antwortete damals in Hawarden, als Sie mich fragten, ob ich zum Tanz gehen wolle?«

Sie lachte ihn an.

»Nur mit einer würdest du tanzen, sagtest du. Und nun willst du es mit mir wagen? Weißt du denn nicht, daß ich nicht tanzen kann? daß ich noch niemals getanzt habe?«

»Darf ich es Ihnen zeigen? Sie würden es bald lernen.«

»Aber dein Arm! Wenn du dich verrätst ...«

»Ich brauche nur den rechten. Wollen Sie mir Ihre Hand geben?«

Er lehrte sie die einfachen Schritte. Nach ein paar Versuchen schon hatte sie alles begriffen. Ihr Mut wuchs. Seine haltende Hand verlassend, bewegte sie sich frei um ihn auf leichten, schwebenden Füßen, eilte zu ihm hin, wie von Sehnsucht getrieben, wich in schamhafter Scheu vor ihm zurück, forderte mit schelmischer Neckerei sein Begehren heraus. Unaufhörlich erfand sie, wie einem inneren Triebe folgend, neue Wendungen, neue Stellungen, so daß Tom ihr trotz seiner Gewandtheit kaum zu folgen vermochte. Und während sie tanzte, hatte sie die sichere Empfindung, daß sie in diesem Augenblicke sehr schön war. Sie wußte, daß ihre Augen strahlten, daß auf ihren Wangen zarte Röte lag, daß zwischen ihren lächelnden Lippen das Weiß ihrer Zähne blendend hervorblitzte. Und sieghaft kam ein Gefühl unerschöpflicher Kraft über sie.

Die übrigen Paare hörten auf zu tanzen und sahen zu. Ausrufe der Bewunderung drangen an Emmas Ohr, Mr. Gibson pries ihre von ihm entdeckte Grazie, Mrs. Gibson nannte sie ihre Perle, ihr Kleinod, ihr Juwel.

Plötzlich sah sie, wie Tom von einem riesenhaften Seemanne beiseite gestoßen wurde.

»Scher' dich fort, Einarm!« brüllte eine heisere Stimme. »Schöne Mädchen sind nicht für Krüppel, wie du. Komm, Schätzchen, tanz mit mir! Mit mir sollst du tanzen! Hörst du? Mit mir!«

Zwei nervige Hände legten sich um ihre Hüften und hoben sie hoch empor. Mit einem Schrei des Schreckens und des Zornes stemmte sie sich gegen die Brust des Riesen.

»Lassen Sie mich! Ich will nicht mit Ihnen tanzen! Ich will nicht!«

Er lachte gurgelnd wie ein Trunkener.

»Du willst nicht? Wozu bist du denn hier? So wahr Sam Tugg Bootsmann auf Seiner Majestät Fregatte ›Theseus‹ ist, ich will mit dir tanzen und deinem Krüppel zum Trotz deinen kleinen Mund küssen!«

Seine branntweindunstenden Lippen beugten sich über sie.

»Tom!« schrie sie auf. »Tom!«

Gleich darauf war sie frei.

Von einem Stoße getroffen taumelte der Bootsmann zu Boden, und Tom, totenblaß, Flammen in den Augen, reckte beide Fäuste aus, um sich abermals auf jenen zu stürzen.

Tugg raffte sich auf und brach in ein lautes Hohngelächter aus.

»Ein Wunder, Maats, ein Wunder! Aus einem Einarm ist ein Zweiarm geworden! Haha, wie er dasteht und Trübsal bläst! Ja, ja, die Weiber! Haben schon verstecktere Geheimnisse ans Licht gebracht und schlauere Füchse ausgeräuchert!«

Er warf ein paar Matrosen in seiner Nähe aufmunternde Blicke zu und näherte sich Tom, seine Fäuste zum Schutze vorstreckend. Tom wich an die Wand des Saales zurück und zog sein Messer.

»Wenn dir dein Leben lieb ist, Preßmaat,« sagte er finster, »so bleibst du, wo du bist. Billig verkauf' ich dir meine Freiheit nicht!«

Preßmaat ...

Mit einem Schrei warf Emma sich vor Tom, ihn mit ihrem Körper zu schützen. Ein Murren lief durch die Reihen der Handwerker und Bürger, drohend drängten sie gegen den Bootsmann vor. Mrs. Gibson eilte herbei und redete auf Toms Gegner ein. Mr. Gibson stand ihr bei, laute Verwünschungen gegen ein Verfahren ausstoßend, das selbst die friedlichen Vergnügungen ruhiger Bürger störte.

Eine Weile überlegte Tugg. Dann warf er einen Blick auf die kleine Zahl seiner Helfer und den großen Haufen seiner Gegner und verließ, gefolgt von seinen Matrosen, den Saal.

– – – – – – – –

Um einem Hinterhalt zu entgehen, warteten sie längere Zeit, ehe sie sich auf den Heimweg machten. Fast laufend legten sie die Strecke zurück und kamen ungefährdet endlich in Emmas kleinem Zimmer an.

Sie trieb ihn zu schneller Flucht. Aber als er vor ihr stand und sie traurig ansah, fiel ihr die Trennung doch schwer aufs Herz. Sie neigte sich zu ihm vor und legte ihre Arme um seinen Hals. Sein Gesicht war ihr nun ganz nahe. Sie betrachtete es lange und aufmerksam, als wollte sie sich jede Linie, jeden kleinsten Zug einprägen.

Wenn sie ihn niemals wiedersah?

Er war gut. Und er liebte sie. So selbstlos und treu würde wohl kein anderer sie jemals lieben.

Ach, warum war er so demütig und verzagt! Hätte er sie jetzt in seine Arme genommen, mit jener herrischen Kraft, die er Tugg gegenüber gezeigt hatte, sie wäre die Seine geworden. Trotz allem, was sie von ihm trennte. Wäre mit ihm in die weite Welt hinausgegangen, ohne zu fragen, wohin. Zu lieben sehnte sie sich, sich unter eine starke Hand zu schmiegen, sich hinzugeben ...

Er aber zitterte, wenn sie ihn berührte.

Etwas Bitteres stieg in ihr auf. Mit einem müden Lächeln löste sie sich von ihm.

»Ein Narr bist du, Tom, daß du mich liebst! Ein armer Narr!« Wie spielend stieß sie ihn von sich. »Geh'! Leb' wohl!«

Er küßte die Hand, die ihn stieß, und ging.

Sie sah ihn aus dem Fenster nach, wie er dahinschritt. Schnell und doch vorsichtig, mit kurzen, elastischen Bewegungen. Wie ein Soldat, seiner Kraft bewußt.

Die Sonne war nun aufgegangen. Flüssiges Gold wob sie um die Masten und Segel, die aus dem Hafen hinter den niederen Häusern hervorragten. Rosige Wölkchen zogen durch die klare Luft, getrieben von dem leichten Winde des Morgens.

Aber in der engen Gasse lagen noch die Schatten der Nacht. Leises Raunen und Rascheln war in den dunkeln Winkeln, eine heimliche Bewegung, ein seltsam schleifendes Geräusch. Wie von gleitenden Schritten. Jähe Furcht kam über Emma. Schon wollte sie schreien ...

Gleich darauf lächelte sie über sich selbst. Eine Katze kam aus dem Dunkel der gegenüberliegenden Häuser. Mitten auf der Straße blieb sie stehen, mit gekrümmtem Rücken und emporgerecktem Schweif, und sah Tom nach. Nun wandte sie den gefleckten Kopf mit den grünlich schillernden Augen zu Emma empor, während ihr Rücken sich dehnte und ihr Schweif langsam herabsank.

Plötzlich aber stieß sie ein erschrecktes Pfauchen aus, jagte in wilden Sätzen davon.

Vom Ende der Gasse etwas wie ein unterdrückter Schrei ... ein dumpfer Fall ...

Weit beugte sich Emma aus dem Fenster ...

Sie sah es. Auf dem Pflaster lag Tom; dunkle Männergestalten beugten sich über ihn und hielten ihn. Ein wildes Ringen ... sie rissen ihn vom Boden auf ... schleppten ihn den Weg zurück, die Gasse hinab, dem Hafen zu ...

Männer, Weiber und Kinder waren aus den Häusern herbeigeströmt. Ihre aufgeregten Stimmen drangen zu Emma herauf. Aber als die Matrosen des Preßschiffes herankamen, traten sie zur Seite. Niemand wagte, Tom zu Hilfe zu kommen. Ein finsteres Schweigen herrschte. Nur eine alte Frau weinte laut. Der hatte man vor ein paar Wochen auf dieselbe Weise den Sohn genommen.

Noch immer stand Emma vom Schrecken gebannt, sich mit beiden zitternden Händen an das Fensterkreuz klammernd. Zwischen den Männern kam Tom die Gasse herauf. Sein Gesicht war totenblaß, wirr hing ihm das Haar in die Stirn, aus weitaufgerissenen Augen starrte er Emma an. Seine Lippen bewegten sich, als wollte er sprechen. Aber der Bootsmann stieß ihn vorwärts ...

Ach, warum hatte er nicht den Mut gefunden, sie zu nehmen! Dann wäre er bei ihr geblieben, in ihren Armen, in Sicherheit. Und wäre der Gefahr entgangen.

Aber er hatte ein zartes Herz. Er liebte die Tugend und achtete die Freiheit der anderen. Und daran ging er zugrunde.

Närrisch war das Leben, roh und gemein.

– – – – – – – –

Prinz George kostete es nur ein Wort, und Tom war frei. Wenn sie sich an ihn wandte?

Aber was dann folgen würde ...

Vergebens grübelte sie, es fiel ihr nichts Besseres ein. Einsam und freundlos war sie in der fremden Stadt. Niemand kümmerte sich um sie, niemand fragte, was aus ihr wurde.

Vielleicht wußte Mrs. Gibson Rat?

Als habe der Gedanke sie herbeigerufen, kam sie in diesem Augenblicke herein. Sie hatte schon gehört, was geschehen war, und war gekommen, um Emma zu trösten. Sie war empört über die Gewalttat, bekümmert über Toms hartes Los, sehr liebevoll zu Emma.

Aber für Tom konnte kaum etwas geschehen. Die Flotte brauchte Matrosen, und die Lords der Admiralität waren für Bitten und Vorstellungen unzugänglich. Mit welchem Rechte sollte sich Emma auch an sie wenden? Man würde sie kaum anhören.

Der einzige, der Hilfe schaffen konnte, war der Preßkapitän selbst. Mrs. Gibson kannte ihn nicht, aber die Seeleute, die im »Schwan« verkehrten, hatten von ihm erzählt. Im Dienst unerbittlich streng, ja grausam, war Sir Willet Payne sonst sehr gutmütig. Ein vollkommener Kavalier. Für das Theater hatte er eine offenkundige Schwäche; kaum ein Abend verging, an dem er nicht in einem der besseren Schauspielhäuser gesehen wurde.

»Wenn Sie bei ihm für Mr. Kidd bäten? Eine Frage kostet nichts, und der Erfolg ... Große Herren sind unberechenbar. Aber Sie müßten es tun, ehe Mr. Kidd in die Listen der Admiralität eingetragen wird. Nachher wäre alles vergebens.«

Entschlossen richtete Emma sich auf.

»Ich gehe!«

– – – – – – – –

Im Hafen nahm sie ein Boot, das sie zum »Theseus« hinüberbrachte. Als sie die Laufplanke des Schiffes betrat, sah sie Tom, wie er auf sie zustürzte.

»Fräulein Emma!« schrie er wie verzweifelt. »Was wollen Sie hier? Warum kommen Sie hierher? Gehen Sie fort, gehen Sie fort! Sie sind verloren, wenn Sie hierbleiben!«

Sechs, sieben Matrosen warfen sich auf ihn und brachten ihn fort, während Tugg Emma nach der Kapitänskajüte führte. Er schob Emma hinein und schloß hinter ihr die Tür.

Ein gelbweißes Windspiel sprang Emma entgegen. Sie fuhr zusammen. Aufblickend sah sie Sir John auf einem Ruhebett sitzen.

Plötzlich begriff sie alles.


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