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Siebzehntes Kapitel

Schon am frühen Morgen des nächsten Tages war sie bei Romney auf dem Cavendish Square. Als sie in das Atelier trat, fand sie den Maler in einem Winkel sitzend, das Gesicht in den Händen vergraben. Er schien sie nicht zu hören; erst, als sie ihm die Hand auf die Schulter legte, fuhr er auf und sah sie an. Wie geistesabwesend.

»Was ist Ihnen?« fragte sie besorgt. »Sind Sie krank?«

Ein heller Schein kam plötzlich in seine Augen, als erkenne er sie erst jetzt. Lebhaft sprang er auf und drückte ihr die Hände.

»Sie sind gekommen? Sie sind wirklich da?«

Sie betrachtete ihn erstaunt.

»Haben Sie vergessen, was wir gestern verabredet haben?«

»Vergessen?« Er lachte gezwungen, mit jener geheimen Traurigkeit, die den Ton seiner Stimme dunkel färbte. »Ich vergesse nichts. Immer überlege ich alles im voraus, glaube aber nie, daß es jemals zustande kommt. Eine schreckliche Eigenschaft, nicht wahr? So habe ich mich auch während dieser ganzen schlaflosen Nacht auf Ihr Kommen gefreut. Aber dann packte mich die Angst, daß Sie Ihr Versprechen nicht halten würden. Und da hab' ich mich in die Ecke gesetzt und Trübsal geblasen!« Er lächelte müde. »Ich bin ein großes Kind, nicht wahr? Aber nun sind Sie da, und ich bin wieder glücklich! Wollen wir anfangen?«

Er war plötzlich ganz verändert. Lebhaft lief er umher, schleppte ein kleines Podium herbei, auf dem sie stehen sollte, bedeckte es mit einem kostbaren Teppich und schloß altertümliche Truhen auf, aus denen er Frauengewänder allerart hervorholte. Dabei plauderte er mit einer fieberhaften Hast, als fürchte er, daß sie sich langweilen könne und fortgehen werde.

Endlich hatte er gefunden, was er brauchte. Ein langwallendes, weißes griechisches Gewand, das er sie anzulegen bat. Es paßte ihr, als sei es für sie gemacht. Dann gab er ihr einen Stab in die Hand und ließ sie auf das Podium treten.

»Wollen Sie versuchen, die Pose der Circe anzunehmen?«

Emma lachte.

»Erst müssen Sie mir sagen, wer Circe war. Zu meiner Schande muß ich gestehen, ich weiß es nicht. Ich habe so wenig gelernt.«

Verblüfft sah er sie an, als begriffe er nicht, daß sie nicht alles wußte. Dann holte er ein französisches Werk mit zahlreichen Illustrationen herbei, aus dem er ihr die Sage übersetzte.

In seinem Eifer sah er Emma nicht an. Aber als er fertig war und aufblickte, stieß er einen Ruf der Überraschung aus.

Emma stand auf dem Podium, den Stab in der Rechten, die Linke wie beschwörend erhoben. In den Augen einen seltsamen, halb drohenden, halb lockenden Ausdruck.

»Circe!« rief er entzückt. »Reynolds hat recht. Circe, wie Homer sie sich gedacht haben muß. Wie haben Sie das gemacht? Sie besitzen ja eine erstaunliche. Verwandlungsfähigkeit!«

Und fiebernd vor Leidenschaft stürzte er sich in die Arbeit.

Aber schon nach einer Stunde hörte er plötzlich auf.

»Ich kann nicht mehr!« stöhnte er, den Stift fortwerfend und vor der Staffelei zurückweichend, als fürchte er zu fallen. »Der Kopf platzt mir, die Linien fangen an zu tanzen, alles dreht sich. Ich glaube, ich werde noch einmal verrückt!«

Mit zitternden Händen nahm er von einem Tische einen Wasserkrug und trank in langen, durstigen Zügen. Dann ließ er sich auf einen Stuhl sinken. Seine Brust keuchte, seine Augen flackerten hin und her, an den Schläfen war die Haut wie ausgetrocknet.

Erschreckt eilte Emma zu ihm. Als sie ihm ins Gesicht sah, tauchte plötzlich eine Erinnerung in ihr auf. Der blasende Atem, die zuckenden Pupillen, das eingefallene Gesicht ... es war ihr, als sitze Nelson da vor ihr in seinem Krankenstuhl, wie er sich mit wildem Sträuben gegen ihre Berührung aufbäumte ...

War auch Romney ein Opfer jener schrecklichen Krankheit seiner Zeit?

Unwillkürlich legte sie ihm ihre Hände auf die Stirn und strich mit ihnen in weicher Bewegung über seine Schultern und Arme hinab bis zu seinen Händen, die sie ergriff und leise drückte.

Wie Nelson es getan hatte, schloß auch Romney die Augen und lehnte sich in den Stuhl zurück.

»Wie wohl das tut!« flüsterte er. »Welch eine gute, starke Hand Sie haben! Mehr, Miß Emma, mehr!«

Und er legte seine beiden Arme um sie und zog sie dicht an sich. Mit einer lechzenden Gier. Als ströme aus ihrem jungen Körper Leben und Kraft in den seinen hinüber.

– – – – – – – –

Sie ging nun jeden Morgen zu ihm. Sie fand ihn stets auf der Schwelle seines Ateliers, wie er ihr schon von weitem die Hände entgegenstreckte.

Der Fünfundvierzigjährige, der verhätschelte Liebling der Frauen behandelte Emma mit einer Rücksicht, die für ihr wundes, gedemütigtes Herz wie stärkender Balsam war. Nie hörte sie ein unzartes Wort aus seinem Munde, nie eine verletzende Schmeichelei. Er lag vor ihrer Schönheit auf den Knien, ohne sie zu begehren. Ein Gottesgeschenk war sie ihm, dem er nur in tiefster Andacht nahte.

Bald kannte sie sein ganzes Leben. Das Leben eines Künstlers, dem sein Beruf über alles ging, Als junger Anfänger hatte er sich verheiratet. Mit der Frau, die sein erstes Ideal gewesen war. In der Ehe hatte sie ihm mehrere Kinder geboren. Sie hatte ein gutes Herz, war aber nicht imstande, dem Fluge seiner Gedanken zu folgen. Durch ihre ewige Sorge um das tägliche Brot hatte sie ihm das Leben verbittert, bis er in der Enge fast zugrunde gegangen war. Nach langen Kämpfen hatte er sie verlassen. Sie lebte mit den Kindern in der Heimat, Romney aber hatte sie nie wiedergesehen. Er sprach ohne Bitterkeit von ihr und maß sich selbst alle Schuld zu. Er war, wie er mit einem trüben Lächeln sagte, ein Mensch, dem das Schicksal ein ruhiges Glück versagte. Darum war es gut, daß er gegangen war. Er würde die Seinen doch nur unglücklich gemacht haben.

Aber in der freien Ungebundenheit seines Londoner Künstlerlebens war er nicht glücklicher geworden. Nie war er mit sich zufrieden; je größere Erfolge er errang, um so niedriger schätzte er sich ein. Widersprach man ihm darin, so wurde er leidenschaftlich heftig. Mit allen seinen Freunden hatte er sich darum schon einmal überwerfen; auch seine Trennung von Miß Kelly rührte daher. Ihrer unaufhörlichen Schmeicheleien überdrüssig, hatte er ihr das im voraus für ein Porträt gezahlte Honorar zurückgegeben und das fast vollendete Bild vernichtet.

In solchen Zeiten der Mutlosigkeit schloß er sich wochenlang in seinem Atelier ein, und verbrachte seine Tage in einem Winkel hockend, in dumpfes Brüten versunken. Ein geheimer Druck lastete auf ihm, gegen den er vergebens ankämpfte.

Auch Emma erlebte heftige Auftritte zwischen ihm und den Besuchern, die das Atelier des berühmten Malers überschwemmten. Nie aber richtete sich seine Gereiztheit gegen Emma selbst. Wie einem Idol hatte er ihr einen Altar in seinem Herzen errichtet; ein erschreckter Blick aus ihren Augen genügte, um ihn sanft und gefügig zu machen.

Seine Freunde staunten über ihren Einfluß. Hayley, der Dichter, der fast täglich zu den Sitzungen kam, schrieb ihn dem Glück zu, das Romney über den Besitz des vollkommenen Modells empfand. Romney selbst aber widersprach mit jäh ausbrechender Heftigkeit.

»Modell? Unsinn! Sie ist mir tausendmal mehr!« rief er mit einem glühenden Blick auf Emma, die ihm auf dem Podium gegenüberstand. »Die junge Sonne ist sie, die zu dem alten Manne kommt! Sie wärmt ihm die morschen Knochen, jagt die Nebel aus seinem Hirn, macht ihm das Herz frisch!« Er lehnte an der Staffelei mit einem nach innen gerichteten Blick, als suche er in die geheimsten Winkel seines Herzens zu dringen. »Es ist, als ob etwas Weiches, Fließendes und doch Starkes, Festes von ihr zu mir herüberkäme! Es duftet wie eine Blume, klingt wie Musik. Es macht gesund. Das ist es. Sollte Graham doch mehr sein, als ein bloßer Charlatan?«

Hayley lachte hell auf.

»Läßt du dich auch von dem Betrüger einfangen? Ich wundere mich, daß die Polizei noch nicht eingegriffen hat. Der Schwindel wird gemeingefährlich. Kaum haben wir die Hexenprozesse des Mittelalters überwunden, da kommt die Wissenschaft mit einem neuen Aberglauben! Und dabei halten sich diese Leute für gebildet und aufgeklärt!«

Romney sah ihn ernst an.

»Du spottest; und doch hat schon Shakespeare gesagt, daß es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, von denen alle Schulweisheit sich nichts träumen läßt! Ich bin ein ungelehrter Mensch, ich verstehe nichts, als das bißchen Malen. Aber eins weiß ich: solange Miß Emma um mich ist, bleibe ich gesund und werde nicht verrückt!«

Er hatte es in einem seltsamen, zitternden Ton gesagt, als fürchte er sich vor etwas Schrecklichem, das er herannahen sah.

Hayley betrachtete ihn besorgt.

»Bist du wieder bei deiner Lieblingsidee?« rief er gezwungen scherzend. »Sehen Sie sich den Mann an, Miß Emma! Strotzt er nicht von Vernunft und Gesundheit? Er aber bildet sich ein, daß er eines Tages den Verstand verlieren wird. Weil ein Verwandter von ihm mal ein paar ungewöhnliche Ideen gehabt hat.«

Er stimmte von neuem sein unwahres Gelächter an. Romney zuckte die Achseln.

»Lach' nur! Wenn die Neunmalweisen etwas nicht verstehen, lachen sie. Damit glauben sie es abgetan. Mein Onkel war nicht exzentrisch, sondern krank. Jedesmal, wenn Neumond war, stieg ihm das Blut in den Kopf und machte ihn toll. Dann trank er. So hatte es übrigens sein Vater, mein Großvater, auch gemacht. Und wenn er sinnlos war, schrie er, ein Teufel sitze in seinem Schädel und flüstere ihm zu, er solle sich umbringen. Die Ärzte lachten. Wie du, Hayley, eben lachtest. Aber eines Tages tat er dem Teufel den Willen und hängte sich auf. Da lachten sie nicht mehr.«

Er sprach so traurig und dabei doch so ruhig, daß Emma etwas wie Grauen ergriff. Auch Hayley blickte ernst.

»Du bist doch ein ganz anderer Mensch als dein Onkel, Romney!« sagte er sanft, wie einem kranken Kinde zuredend. »Du lebst mäßig, trinkst nicht ...«

»Und tue dies nicht und tue jenes nicht! Als wenn es darauf ankäme! Was geschehen soll, geschieht! Stillhalten – das ist der Inhalt aller Weisheit. Genug davon! An die Arbeit! Betäuben wir uns, um nicht an den Unsinn zu denken, den wir Leben nennen!«

Er trieb Hayley hinaus und verschloß das Atelier hinter ihm. Langsam kehrte er zu seiner Staffelei zurück.

»Ich hab' ihn gern!« sagte er. »Er hat mir viel Gutes erwiesen. Aber er hat eine Art zu fragen und auszuhorchen ... Er will meine Biographie schreiben. Es ist nicht gerade angenehm, schon bei Lebzeiten fortwährend seinen Nekrolog um sich zu haben!«

Er lächelte selbst über den Scherz und machte sich wieder an seine Arbeit. Plötzlich aber ließ er Palette und Pinsel sinken, kam ganz nahe an Emma heran und sah sie mit einem seltsamen Blick an.

»Haben Sie mich ein wenig gern, Miß Emma?

Es ist so, wie ich vorhin sagte. Ich werde sicher einmal verrückt. Es ist da etwas in meinem Kopf... als wenn ich einen Knoten im Gehirn hätte. Da! hier oben! Ganz deutlich fühle ich, wie es sich immer fester schlingt. Nur wenn Ihre Hand mich berührt, läßt es nach. Als ob sich die Fäden ordneten. Wenn Sie mich gern haben, gehen Sie niemals von mir fort! Immer müssen Sie bei mir sein, immer! Ich weiß es, dann bleibe ich gesund!«

Er sah sie an. Mit einem flehenden Blicke, der ihr Tränen in die Augen trieb.

»Ich werde immer bei Ihnen sein, Romney!« sagte sie sanft. »Ich werde Sie nie verlassen, wenn Sie mich nicht selbst gehen heißen!«

Er schüttelte den Kopf.

»Wie sollte das geschehen? Ebensogut könnte ich das Schöne von mir stoßen. Das Schöne, das ich liebe und für das ich lebe!«

Mit einer leisen, zärtlichen, ehrfurchtsvollen Bewegung ließ er seine Hand über ihr weißes, wallendes Gewand gleiten. Als fürchte er, durch eine rauhe Berührung etwas unendlich Feines, Duftiges zu zerstören. Dann arbeitete er weiter, ein glückliches Lächeln um die Lippen.

– – – – – – – –

Er hatte etwas Trauriges, Schüchternes, Kindliches in seinem Wesen, das ihm ihr ganzes Herz gewann. Um alles in der Welt hätte sie diesem Menschen nicht wehtun mögen. Sie liebte ihn, wie sie sich vorstellte, daß eine Mutter ihr Kind lieben müsse. Und lächelte doch über sich selbst. Sie, kaum den Kinderschuhen entwachsen, ein unwissendes Geschöpf des Zufalls – einen Romney beschützen ...

Ach, sie hatte es nicht gedacht, aber es war so. Es war doch noch ein wenig Güte in ihrem Herzen ...


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