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Vierundzwanzigstes Kapitel

Der erste Sonnenstrahl weckte sie. Leise richtete sie sich auf und betrachtete Greville.

Er lag auf dem Rücken, lang ausgestreckt, einen Arm unter dem Kopfe. Sein Hemd war am Halse offen und zeigte die weiße Haut. Klar sprang das Profil des Gesichts hervor mit der hohen Stirn, dem edlen Schwung der Nase, der weichen Linie des Mundes. Die Hand, die auf der Bettdecke lag, hatte lange, schmale, fein gemeißelte Finger. Die Augenbrauen waren leicht zusammengezogen. Als denke er selbst im Schlaf.

Was mochte hinter dieser Stirn vorgehen! Welche Fülle des Wissens lag dort aufgespeichert!

Wie einer fremden, höheren Rasse entsprossen kam er ihr vor. Die Venus des Correggio wäre ein Weib für ihn gewesen. Mit ihrer natürlichen wilden Grazie, in der sich die elastische Kraft des Meeres mit der elementaren Fruchtbarkeit der Erde vereinte. Während Emma, mit ihrer bäuerischen Herkunft, ihrer trostlosen Unwissenheit, ihrem unsicheren Umherschwanken ...

Ja, sie mußte sich ändern, mußte ihm ähnlich werden!

Wenn sie ihm ein Kind gebar ... ein Kind, in freier Hingabe empfangen, mit einem Jubelschrei zur Welt gebracht ...

Nicht wie jenes andere Kind der rohen Gewalt, der Schande ...

Sie beugte sich über ihn, nahe, daß sie seinen Atem auf ihrem Gesicht verspürte. Unter ihrem Blick schlug er die Augen auf.

»Emily? Was ist?«

Mit beiden Armen umfing sie ihn. Legte ihre Wange an die seine. Flüsterte ihm ins Ohr.

»Wenn ich ein Kind von dir bekäme! Charles, ein Kind ...«

Er lächelte, träumerisch, noch im Schlaf befangen. Plötzlich aber machte er sich los, wie erschreckt. Seine Stimme klang hart und kalt.

»Ein Kind? Wünsche es dir nicht! Zwischen uns wäre alles zu Ende!«

– – – – – – – –

Zum Frühstück kam Romney. Bepackt mit Schachteln und Paketen. Er sah blaß und leidend aus, hatte den irrlichternden Ausdruck seiner trüben Stunden in den Augen.

Als er Emma erblickte, blieb er stehen und starrte sie an wie verzückt.

»Sie ist noch schöner geworden!« rief er dann und musterte sie von allen Seiten. Sein Gesicht strahlte, alles an ihm war in Bewegung. »Und wieder ganz verändert! Niemand würde glauben, daß sie einmal die Bacchantin oder auch die Sensibility war. Etwas Neues steckt in ihr, etwas Frauenhaftes, Schöpferisches. Warum haben Sie das Kind nicht mitgebracht? Ich würde Sie mit ihm malen. Als Natur! – Sagen Sie nichts, Greville! Ich weiß, ich bin ein taktloser Geselle! – Aber mit einem hübschen Tier wird es auch gehen. Ich werde Ihnen ein Hündchen schenken, gefleckt, mit zierlichem Kopf und guten, treuen Augen. Das nächste Mal, wenn ich komme, bringe ich es mit!«

Er sprudelte das alles heraus, während er um sie herumging. Sie ließ sich beschauen, glücklich, daß sie sein liebes Gesicht wiedersah und daß er sie noch gern hatte. Als er eine Pause machte, um Atem zu holen, streckte sie ihm lächelnd die Hand hin.

»Ist es nun erlaubt, Sie zu begrüßen, gestrenger Herr Kritiker?«

Er schlug sich vor der Stirn.

»Natürlich hab' ich's vergessen! Der Schädel wird immer leerer.« Zärtlich küßte er ihr die Hand. »Ach, es war eine schreckliche Zeit! Ich dachte, ich würde sterben. Gemalt hab' ich fast gar nichts. Der einzige würdige Gegenstand auf der Welt war ja nicht da.«

Seine Lippen zitterten. Er mußte sich setzen, so übermannte ihn die Bewegung. Dann machte ihn Emma mit der Mutter bekannt. Er begrüßte sie wie die Mutter einer Königin. Endlich packte er seine Pakete aus.

»Ich kenne Greville!« sagte er mit einem lächelnden Blick auf ihn. »Für ihn gibt's nur die strenge Wissenschaft und die hohe Kunst des Kothurns, Als eingefleischter Junggeselle hat er auch keine Ahnung, was schöne Frauen lieben. Darf ich versuchen, dem ein wenig abzuhelfen? Billiger Tand, in der Hoffnung auf freundliche Nachsicht zu den Füßen der Schönheit niedergelegt!«

Seidene Deckchen, Flakons mit wohlriechenden Wassern und ätherischen Ölen, Messer, Scheren, Fingerhüte, farbige Bänder, zierliche Nippesfiguren, Kästchen, Dosen – in buntem Durcheinander holte er seine kleinen Schätze hervor und breitete sie vor Emma aus. Und als sie jubelnd in die Hände klatschte, lachte er, glücklich über ihre Freude, und belud sich mit den Nichtigkeiten, um Emmas Zimmer gleich mit ihnen zu schmücken. Auch die Mutter hatte er nicht vergessen. Für sie war ein warmes Umschlagetuch und eine seidene Haube bestimmt. Greville erhielt einen silbernen Becher.

Oben war Emma einen Augenblick mit dem alten Freunde allein.

»Romney!« sagte sie schnell, halblaut. »Sagen Sie mir die Wahrheit! Warum haben Sie auf meinen Brief nicht geantwortet?«

Er wurde verlegen.

»Greville kam dazu, als ich die Antwort an Sie fertig machte. Er litt nicht, daß ich sie absandte. Er sagte, wenn Sie das Geld erhielten, würden sie nach London kommen und ihn dadurch zwingen, sofort mit Ihnen zu brechen. Er sah aus, als ob er sein Wort wahr machen würde. Und ich wußte, daß Sie dadurch unglücklich werden würden.«

»Sie wußten? Ich hatte Ihnen doch nie von ihm gesprochen!«

»Aber seinetwegen hatten Sie Sir Harry aufgegeben!«

Sie nickte. In ihren Augen brannte eine Flamme.

»Ja, ich liebe Greville. Und ich will ihn nicht verlieren. Aber ich kenne ihn nicht. Ich weiß von ihm nur, was er selbst mir sagt. Was muß ich tun, um ihn festzuhalten? Sagen Sie es mir, Romney! Helfen Sie mir, wenn Sie mich ein wenig liebhaben! Er ist so seltsam. Ich grüble und grüble ... Warum sollten Sie mir das Geld nicht schicken? Er wußte, daß ich in Verzweiflung war, dem Ende nahe. Wollte er mich demütigen, drücken? Daß ich tun mußte, was er wünschte? Daß ich ganz von ihm abhängig würde?«

Blaß vor Erregung hatte sie die Worte herausgestoßen. Romney betrachtete sie bestürzt.

»Was haben Sie denn? Ich bitte Sie, Miß Emma, dieses Mißtrauen ... Greville ist stolz und eifersüchtig. Und arm. Denken Sie sich in seine Lage! Ein Mann, der eine Frau liebt, muß doch wollen, daß sie nur aus seiner Hand etwas annimmt!«

»Glauben Sie, Romney? Ist das Ihre wahre Meinung?«

Traurig sah er sie an.

»Meine wahre Meinung, Miß Emma! Ach, was hat das Leben aus Ihnen gemacht! Zur Freude geschaffen, eine freie und offene Natur, quälen Sie sich mit schwarzseherischen Grübeleien! Und sind noch so jung!«

Sie lächelte trübe.

»Jung – ja! Aber was ich erlebte ... Und ich habe ein Gefühl, als stände mir noch Schwereres bevor. Ich muß immer an einen jungen Menschen denken, den ich einmal flüchtig sah. Nelson, glaub' ich, hieß er. Der würde nie glücklich werden, sagte Doktor Graham. Ich glaube, so wird es mir auch ergehen. Nie glücklich, nie glücklich!« Sie versank wieder in Grübeln. »Warum wollte Greville mich nicht in London haben? Bewirbt er sich doch noch um Lord Middletons Tochter? Oder ... Romney, haben Sie etwas von Sir Harry gehört? Auch er antwortete mir nicht!«

»Sir Harry wurde in Lechster krank, als Sie plötzlich verschwunden waren. Seine Verwandten werden ihm Ihre Briefe nicht gegeben haben.«

»Seine Verwandten? – Und ich dachte, Greville ... Wo ist Sir Harry jetzt? Haben Sie ihn wiedergesehen?«

Romney nickte. –

»Er ist seiner Gesundheit wegen nach Italien gegangen, wo er längere Zeit bleiben soll. Am Tage vor seiner Abreise besuchte er mich und erkundigte sich nach Ihnen. Ich habe ihm gesagt, ich hätte nichts von Ihnen gehört.«

Sie atmete auf, wie erleichtert.

»Und nun ist er fort und weiß nichts von Greville und mir?«

»Nichts. Als Sir Harry kam, war Greville bei mir. Eine peinliche Situation. Ich fürchtete, Greville würde sich verraten. Er blieb aber ruhig und kaltblütig.«

»Und wann war Sir Harry bei Ihnen?«

Er sah sie an, verwundert über ihre hastigen Fragen.

»Es muß ein paar Tage nach Neujahr gewesen sein. Er wünschte mir nachträglich Glück. Richtig! Am achten Januar!«

Sie fuhr zusammen.

Am achten Januar hatte Sir Harry sich von Romney verabschiedet, am neunten war er abgereist, und am zehnten hatte Greville Emma erlaubt, nach London zurückzukehren ...

Hatte er sich vor Sir Harry gefürchtet? ...

Ungeduldig über ihr langes Ausbleiben kam er in diesem Augenblick die Treppe herauf.

Blaß, mit zusammengepreßten Lippen sah sie ihm entgegen, wie er ins Zimmer trat und sich ihr näherte. Er lächelte ihr zu. Und unter diesem Lächeln löste sich ihre Starrheit. Sich an seinen Arm hängend, ihre Schritte den seinen anpassend, kehrte sie mit ihm und Romney zur Mutter zurück.

Es war ja nicht wahr, nicht möglich. Zufall war alles, eine Ausgeburt ihrer erhitzten Phantasie.

– – – – – – – –

Romney blieb den ganzen Tag in Edgware Row. Nach dem Mittagessen teilte ihm Greville den Plan mit, den er für Emma entworfen hatte.

Vormittags, während Greville auf dem Amt in London war würde sie von der Mutter im Haushalt unterwiesen werden und die Aufgaben lernen, die sie von Greville in Schreiben, Rechnen, Geographie, Geschichte, Englisch und Französisch erhielt. Zum Mittagessen um drei Uhr war er aus der Stadt zurück. Nachher arbeiteten sie gemeinschaftlich im Garten oder gingen spazieren. Um sechs Uhr begann der regelrechte Unterricht, der bis zum Abendbrot um neun Uhr dauerte. Dann plauderte man noch ein Stündchen. Um zehn Uhr begaben die Frauen sich zur Ruhe, während Greville noch im Laboratorium für sich arbeitete. Er war Nachtarbeiter, brauchte wenig Schlaf, ging nie vor zwei zu Bett und war schon um acht wieder auf. Emma dagegen war Frühaufsteherin. Der Gegensatz, sonst vielleicht lästig, war hier von Vorteil. Einer störte den anderen nicht, und es blieb doch genug Zeit für gemeinschaftliche Arbeit.

Aufmerksam hatte Romney zugehört.

»Ein ausgezeichneter Stundenplan!« sagte er nun mit leise durchklingendem Spott. »Miß Emma wird bald so gelehrt sein, daß ein armer, unwissender Maler ihren Ansprüchen nicht mehr genügt. Deshalb ist wohl auch nicht an ihn gedacht. So wird ihm nichts übrigbleiben, als das Malen aufzugeben und sich in den Straßen Londons nach einer Beschäftigung als Pflasterkehrer oder Laternenputzer umzusehen.«

Er schien erregt. Greville sah von dem Heft auf, in das er die Hausordnung für Emma eintrug.

»Sie sind in Edgware Row stets willkommen, Romney. Sie haben mir ja Ihr Wort gegeben, darüber zu schweigen, daß Emma hier ist!«

Emma wurde blaß.

»Daß ich hier bin?« wiederholte sie mit zitternder Stimme. »Bin ich denn so schlecht, daß man mich verstecken muß?«

Gereizt stand Greville auf.

»Davon ist keine Rede! Wenn du schlecht wärest, hätten wir uns nie zusammengefunden!«

Sie sah ihn an, ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Wie verschieden wir sind, Greville!« sagte sie tonlos. »Ich würde dich liebhaben, auch wenn du der größte Verbrecher der Welt wärest.«

Unwillig schüttelte er den Kopf.

»Immer geht mit euch Frauen das Gefühl durch! Ich habe dir doch gesagt, daß ich Rücksicht auf meine Stellung nehmen muß. Soll ich denn das alles immer aufs neue wiederholen?«

Ärgerlich wandte er sich ab.

Romney schien von dem scharfen Ton peinlich berührt. Hastig kam er zu Emma, nahm ihre beiden Hände und drückte sie zwischen den seinen.

»Wirklich, Miß Emma, Sie haben Greville falsch verstanden! Er wollte nichts gegen Sie sagen. Das Geschehene weicht doch nun einmal von der gewohnten bürgerlichen Ordnung ab, und man kann doch nicht jedem einzelnen erklären, wie es gekommen ist! Aber lassen wir das! Ich danke Ihnen, Greville, daß Sie einem alten Hypochonder in Edgware Row eine Zufluchtsstätte für trübe Stunden öffnen wollen. Aber Edgware Row ist nicht mein Atelier. Ist es wirklich unmöglich, daß Miß Emma zuweilen nach dem Cavendish Square kommt? Wollen Sie, daß ich mein bißchen Talent ganz über Bord werfe? Daß Miß Emmas seltene Schönheit der Kunst verloren geht?«

Greville antwortete nicht. Schweigend saß er, mit mürrischem Gesicht.

Etwas wie Zorn stieg in Emma auf.

»Ich werde Sie nicht im Stich lassen, Romney!« stieß sie heraus. »Ich habe es Ihnen doch schon früher versprochen! Und ich ...«

Verwirrt brach sie ab. Sie war Grevilles starrem Blick begegnet und wagte nicht, zu Ende zu reden.

Fürchtete sie sich vor ihm?

»Ich denke mir die Sache sehr einfach!« fuhr Romney in leichtem Tone fort. »Als Frühaufsteherin könnte Miß Emma schon um sieben Uhr morgens bei mir sein. Sie, Greville, würden ebenfalls zu mir heraufkommen, ehe Sie auf Ihr Amt gehen, damit Sie beruhigt sind, daß Miß Emma ungefährdet nach Edgware Row zurückgelangt. Auf die halbe Stunde, die Sie mir auf diese Weise schenken, hoffe ich ganz besonders. Schon immer wollte ich Sie gern malen. Während Miß Emma sich also für die Rückfahrt umzieht, wäre die Reihe des Sitzens an Ihnen. Und wenn das Bild fertig ist, so hoffe ich abermals, daß Sie es als ein Zeichen meiner Dankbarkeit und Achtung annehmen und über einen gewissen Schreibtisch hängen werden. Eine gewisse junge Dame wird aus einem Blick auf Ihre wohlgetroffenen Züge zweifellos stets neuen Mut schöpfen zu ihrem Wege durch das dornige Gestrüpp der Wissenschaften! – Ich bin fertig, meine Herrschaften! Habe ich nicht eine wunderschöne Rede geredet, Miß Emma? Und Sie, teurer Sir, Beneidenswertester aller Sterblichen, geben Sie Ihrem diplomatischen Gewissen einen Stoß und willigen Sie in die Alliance zur Rettung der Kunst!«

Lachend hielt er Greville die Hand hin. Auch Greville lachte und schlug ein. Zwei Tage in der Woche sollte Emma ins Atelier kommen, und alles sollte geschehen, wie Romney es gewünscht hatte.

– – – – – – – –

Am Abend war Emma noch einen Augenblick mit Romney allein. Greville war ins Haus gegangen, um eine Decke für den Maler zu holen, der, leichtsinnig wie immer, nicht an die kalte Witterung gedacht hätte. Sie standen vor der Haustür und warteten auf den Wagen, der Romney abholen sollte. Es fing schon an, dunkel zu werden. Ein starker Wind trieb graue Wolkenmassen über den Himmel.

»Ich wußte gar nicht, daß Sie ein Schelm sind, Romney,« unterbrach Emma plötzlich das Schweigen. »Wie geschickt Sie Greville die Erlaubnis für unsere Sitzungen abgelistet haben!«

Er lachte.

»Als ich mich erbot, ihn zu malen? Mein Gott, in uns Engländern, selbst in den Besten, steckt immer ein bißchen Handelsgeist. Und die jüngeren Söhne ... Man hat ihnen die fetten Bissen vorweggenommen. Sie müssen sehen, wie sich durchschlagen. Sie sind Gentlemen durch und durch, aber wenn es ein Geschäft gilt ... Wenn ich Greville die Anerkennung der Venus des Correggio verschaffte, ich glaube, er würde mir seine Seele verkaufen!«

Er sagte es ohne eine Spur von Spott. Er schien sich des Handelstalents zu freuen, das England groß gemacht hatte.

Emma erwiderte nichts. Fröstelnd zog sie ihr Tuch fester um die Schultern.


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