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XV.

Ho! diese Schmach ist ein Jammer! – Geh, Du bist nur ein rohes Thier, und hast eine unsinnige Freude, indem Du denkst, daß ich meine Beute aufgeben werde. Wenn ich Dich barfuß an den Straßenecken aufsuchen müßte, so verborgen Du auch wärest, und so fern, – ich würde dennoch gehen, – Fürchte meine Liebe, Garuc, sie ist ungeheuer, wie das Meer.

Alfred de Mussy, Erzählungen aus Spanien und Italien.

Das namenlose Weib.

In einer bescheidenen Wohnung der rue de l'Arsenal erwartete Rita in Mannskleidern ihren Stallmeister.

Perez kam bald, hatte so eben den Bürger-Kanonier verlassen, und erzählte haarklein der Herzogin seine Unterhaltung, selbst auch die Geschichte des eingefrornen Schiffs, dieses Opfers des göttlichen Zornes.

Seine Erzählung machte auf die Herzogin einen gewaltigen Eindruck, und rasch aufstehend suchte sie José-Orté's Werk über die Gifte, und blätterte gierig darin.

Kaum hatte sie wenige Minuten gesucht, so winkte sie Perez, eine Stelle, die sie ihm mit dem Daumen bezeichnete, vorzulesen.

Diese Stelle lautete:

Und ihre Gesichter wurden bleich und ihr Schlaf beunruhigt von schrecklichen Träumen, und ihre Kraft und Heiterkeit wich von ihnen; aus Tapfern wurden sie jetzt Feiglinge, und ihre Jünglingshände zitterten wie die eines Greises, und sie wurden mager und Gespenstern ähnlich, und ihre Augen rollten stier in ihren Kreisen, und bald hauchten sie im schrecklichsten Wahnsinn den Geist aus.

Ja, beim Habb'ay, dies war dem so, Bruder, denn Lhop'ays hatte den Staub des Tschettik Der Upas Tinti, auf Java Tschettik genannt, wird in dem indischen Archipel gefunden. Dieses Gift hat das Ansehen eines gummiartigen Extrakts, und erzeugt in dem thierischen Körper jene Phänomene, welche oben angedeutet sind. von Java auf ihr Mahl gestreut, – und der todbringende Staub verwandelte, sobald er es berührte, das Freuden mahl in ein Trauermahl.

Da blickte Rita Perez fest an, und sprach zu ihm: »Ist Dein Amt, das Du an Bord hast, nicht das, den Proviant an die Mannschaft zu vertheilen, Perez?«

»Ja, edle Frau.«

»Nun denn, verstehst Du mich? Kannst nicht auch Du, Perez, Freudenmahle in Todtenmahle verwandeln, und diese Mannschaft, die so tapfer, stark und jugendlich ist, feig, schwach und zaghaft machen, – so daß sie, wenn sie auf den Feind trifft, den Kampf vermeidet und sich selbst entehrt, so daß, wenn sie ihren Capitän frei von dem Verderben sehen, jene abergläubischen Matrosen ihn für den Verfluchten halten, der des Himmels Rache über sie bringt? – Denn nach Allem, was Du mir gesagt hast, theilt er selbst nicht den Proviant seiner Mannschaft. – Kannst Du Dir wohl den schrecklichen Aufruhr vorstellen, den noch überdies unsere Erzählung von seinen mörderischen Duellen, seinen schändlichen Verführungen erregen wird? – Ha! ich sehe ihn schon durch eine schimpfliche Flucht entehrt, der Wuth der Matrosen ausgesetzt, und ich weiß nicht, ich kann nicht Alles vorhersehen, aber mir ahnet, er wird einen schauderhaften und langen Todeskampf zu kämpfen haben, Perez.«

»Dieser Plan ist unsinnig, edle Frau,« sprach Perez in strengem Ernst.

»Unsinnig, Perez?«

»Ja, edle Frau, unsinnig; denn dieser Plan gleicht dem, den Sie in Paris entwarfen, und den ein boshaftes Verhängniß so grausam vernichtete. – Unsinnig, wie jeder Plan, der dem Wahnsinn eines Hasses entspringt, welcher furchtbar wäre, wenn er sich mit der Möglichkeit begnügte, der aber ohnmächtig wird, weil er zu weit geht. Verzeihen Sie meinen Freimuth, edle Frau; aber Sie wissen es ja, mit Leib und Seele habe ich mich Ihnen und Ihrer Rache geweiht, weil meine Familie sich der Ihrigen schier seit drei Jahrhunderten geweiht hat, weil ich diese Treue erbte und in mir fühlte, ehe ich daran dachte; weil mir's unmöglich ist, mich von Ihren Leiden und Freuden zu trennen; weil jeder Schlag, jede Beleidigung, von denen Sie getroffen werden, auch mich trifft, denn die, welche sich zum Dienen hergeben, haben keine andere Ehre mehr, als die ihrer Gebieter, edle Frau, – und dann, weil ich Ihre Rache als die meinige ansehe, sage ich Ihnen hiermit, daß Sie diesen Menschen zu sehr schonen, denn, denken Sie nur, daß, während Sie ihn Ihre Rache recht vollkommen empfinden lassen wollen, er Ihnen vielleicht entrinnt! Bedenken Sie die Launen und Gefahren des Kriegs, welche dieser Rache vorgreifen können; und wenn Ihnen nun die Engländer den Grafen erschössen, edle Frau? Und wenn er einen glorreichen Tod in einem ehrenvollen Gefechte fände, bevor Sie Ihren Plan hätten ausführen können? Würde es Sie dann nicht schmerzen, so viel aufgeopfert zu haben, um so wenig zu erlangen; und würden Sie dann bei seinem Tode nicht eine Null sein, und sich bitterlich ärgern, ihn nicht selbst ermordet zu haben, und um so mehr, da das Leben diesem Menschen Alles gilt? Edle Frau, sein Sie versichert, er ist glücklich –«

»Aber Du begreifst gar nicht, Perez, daß ich eben darum, weil ich weiß, daß er unglücklich sein wird, ihm dies Leben lasse, und ist ein Leben voll Unglück wohl ein Gut, Perez? Wenn ich ihn heute noch ermorde, wird er kaum eine Secunde lang leiden, und dies wäre Alles; nein, im Gegentheil will ich ihm sein ganzes Dasein vergällen, und dies Leben, das ich ihm lasse, wird das schrecklichste Werkzeug seiner Marter sein.«

»Aber, beim Teufel, edle Frau, wenn er nun in einem Gefechte fällt! Wir haben jetzt Krieg!«

»Das ist nicht möglich, Perez; mir sagt eine Stimme, ein Bewußtsein, eine Ueberzeugung in meinem Innern, er wird nicht sterben, ich werde gerächt werden, wie ich gerächt sein will.«

»Höll' und Teufel! edle Frau; das heißt, sich den Kopf auf dem Pflaster zerstoßen, und die Basis, auf die Sie Ihre Rache zu gründen wagen, ist sehr zerbrechlich, – jetzt, wo Sie bloß ein Wort brauchen, um diesen Menschen morgen schon tobt – noch in dieser Stunde – ja in diesem Augenblicke noch todt zu sehen!«

»Diesen Menschen todt! Diesen Menschen todt! Schöne Rache! Beim Satan! Aber wenn nun dieser Mensch erst todt ist, was soll ich dann mit dem Leben machen? Ich Unglückliche? Ach, Du glaubtest, ich würde aus der Welt verschwinden, noch vor dem Tode ins Grab hinabsteigen, und alle Schmach und Verworfenheit eines Bösewichts zur Schau tragen, bloß darum, um diesen Menschen leiden zu sehen während der Paar Minuten, wo ich ihm einen Dolch in's Herz drücke? – Wahrlich, Du bist verrückt, Perez; Du dauerst mich.«

»Ha, verflucht sei der Tag, wo ich auf Ihre Bitten hörte, edle Frau! Verflucht der Tag, wo Sie sich auf ewig in einen Abgrund von Schmerz und Verzweiflung stürzten! Fluch über mich, daß ich diesen Menschen nicht ermordet habe! Fluch über mich, daß ich Ihnen nicht zurufen konnte: »Sie sind gerächt, Frau Herzogin!« Fluch, Fluch über mich, denn Ihr Haß wird sich nie kühlen, und jeder Rückweg zur Vergangenheit ist unmöglich.«

»Und das ist es eben, was ich gewollt, schwacher, feiger Mann, das eben wollte ich; jeder Rückweg zur Vergangenheit sollte unmöglich sein, und ist es auch; es kann nicht anders sein, Dank sei's dem Satan; denn ich fühle in mir einen Glauben, der mich stark macht, und eine Hoffnung, die mich leitet. Und wenn Dir, Perez, diese Rache thöricht scheint, so theile sie nicht mit mir, und die Herzogin von Almeda mag auch für Dich todt sein, wie für Alle. Kehre zurück nach Spanien, und in unserm Herzogthum wirst Du glücklich leben können, Perez; denn aus meinem letzten Willen wirst Du sehen, daß ich Deine treuen und guten Dienste nicht vergessen habe. Geh', Perez, geh', ohne Groll will ich Dich entlassen, denn Du hast viel für mich gelitten, und das ist edel und schön, Perez …«

»Ach! edle Frau, edle Frau, –« rief der Spanier im heftigsten Schmerze und Thränen rollten aus seinen Augen.

»Nun denn, nein! Vergieb, Perez, Du treue Seele. Nein, ich thue Dir Unrecht, Du wirst mich nicht verlassen, ich weiß es! Du wirst zu den Füßen Deiner Gebieterin sterben, ich weiß es; Dein Tod wird einem Leben von Treue und Aufopferung die Krone aufsetzen. Auch kann ich Deine Besorgnisse nicht schelten, denn ich kann Dir nicht ausdrücken, Dir nicht verdolmetschen, was ich im Innern fühle, und die Kraft und Macht der Offenbarung, auf die ich mich zwar nicht verlasse, die mich aber dennoch reizt und begeistert und mir die Gewißheit vom Gelingen meines Planes giebt. Das ist allerdings thöricht und übermenschlich; aber es ist einmal so. Auch giebt die Vergangenheit mir das Recht, der Zukunft zu vertrauen. Denn ist mir nicht im Ganzen Alles gelungen, Perez? Sieh', zwei Duelle, eins auf Tod und Leben, bedrohten ihn; beiden ist er entkommen. Sieh' ferner –, man hält uns auf, man nimmt uns unser Gold; aber ich kann meine Diamanten verbergen, und sie Dir geben; man sperrt uns ein, Du hast meine Fesseln zerbrochen; wir können Paris verlassen und kommen ungestört hieher. – Perez, ist das Alles nicht wunderbar? Siehst Du nicht daraus, daß das Geschick mir ihn erhält, mir ihn beschützt? Und sprich, ist's nicht jener feste Glaube, den ich in mir trage, der große Männer und Thaten erzeugt? Ist's nicht eben der Glaube, der die riesenhaftesten Pläne erzeugt und fördert? Und während der thörichte Haufe spöttelt und höhnt, Perez, folgen die, welche dieser Glaube begeistert, dem geheimnißvollen Zeichen, das sie führt, diesem Allen unsichtbaren, und nur für sie allein strahlenden Zeichen; – dieser Glaube war's, Perez, der einen Columbus so stark machte, als er, mitten im Gebrüll seiner wüthenden Matrosen, ruhig und heller zu ihnen sagte: Amerika liegt dort. – Wer hatte ihm dies offenbart, Perez? Wer gab ihm diese hohe Zuversicht? War's nicht jene innere, tiefe, unerklärbare Stimme, die, ich weiß es wohl, unerklärbarer ist als alle anderen Geheimnisse unserer Natur? Nein, glaube mir, Perez, mein Plan ist gut, und meine Rache sicher; aber beim Leben Deiner Mutter mußt Du mir schwören, mir das, warum ich Dich jetzt bitten werde, zu gewähren.«

»Edle Frau, Alles, was ein redlicher Diener zu sagen hatte, habe ich gesagt; da Ihr Glaube so fest steht, folgen Sie ihm. Ich werde Ihren' Befehlen gehorchen, ich schwöre es.«

»Nun denn, Perez, so versprich mir, sein Leben nicht, anzugreifen, ohne daß ich Dir sagte: Morde ihn. – Versprich mir, alle meine Befehle, wie sie auch sein mögen, zu vollziehen.«

»Ich schwöre es, edle Frau!«

»Beim Leben Deiner Mutter?«

»Beim Leben meiner Mutter, edle Frau!«

»Bald seh' ich Dich wieder, treffliche Seele,« rief Rita.

Und sie trennten sich.

 

Ende des zweiten Bandes.


Druck von Otto Wigand in Leipzig.

 


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