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Quod finxero, timent.
Lucan, I. 486.
O gesegnet seist du, wüthende, trunkene, wahnsinnige Verzweiflung! Du, die du, wie Roland, die hohen Fichten niederreißest und knickst, die du Felsen in Trümmer schlägst! – Du, die du den Ruf wilder Freude ausstößest, wenn du deine Brust, zerwühlt von deinen schmerzgekrümmten Nägeln, bluten siehst! Gesegnet seist du! – Denn deine Kräfte und deine Geister erschöpfend, erschöpfest du dich selbst, und Tod oder Beruhigung folgt deiner Raserei.
Du aber, du stille, schleichende Verzweiflung, die du tropfenweis und langsam, und doch ewig in bleiernen Thränen auf das Herz fällst; die du für jeden Pulsschlag eine kalte und schneidende Herzensangst hast; – du, o du seist verflucht!
Ja, wahrlich, traurig ist jener unheilbare Schmerz, aber noch hundert Mal trauriger die Wuth, die man fühlt, weil man nicht mit sich zugleich das ganze Weltall in jenes fahle Leichentuch einhüllen kann, worin der Geist erstarrte.
Wer vermöchte alle jene verruchten Gedanken zu nennen, die im Hirne eines leidenden und haßvollen Wesens, eines Weibes, wie Rita, keimen, aber glücklicherweise wieder verschwinden! Was mußte sie leiden, wenn der Strahl der Sonne in ihr Auge drang, wenn der freudige und tolle Lärm einer großen Stadt ihr Ohr erreichte, wenn sie jene prächtigen Equipagen, welche ihre Besitzer zu festlichen Freuden trugen, erblickte! Mein Gott! was mußte das arme Weib fühlen, wenn in der Abendluft die fernen Klänge eines Balles oder Concertes in ihrem Ohre verhallten.
Aber nichts kann schrecklicher sein, als der Gedanke, daß, während Andere lachen, singen, von Liebe und vergangenen oder noch zu hoffenden Vergnügungen sprechen, man allein traurig und trostlos ist.
In der That, bei solch einem Grade des Menschenhasses, würde man Nero's blutigen Fluch über die Welt begreifen, wenn man nicht dadurch seine Ernte im Keime verdürbe.
Rita wohnte stets in dem kleinen Zimmer, welches der Wohnung Vaudrey's gerade gegenüber lag.
Sie war diesen Abend ganz allein; denn Perez war im Hause des Grafen, und fragte, wie Heinrich sich befinde, denn Rita wußte schon den Ausgang jenes Duells.
»Perez kann kommen,« sprach sie, »ich erwarte ihn ohne Furcht. Meine Ahnungen täuschen mich niemals. Er sollte sterben können, bevor meine Rache vollkommen befriedigt wäre? Ist das möglich? Spricht nicht eine innere Stimme in mir: Nur deiner Rache gehört er an mit Leib und Seele? – Ist dieser Wille nicht so stark, so unbedingt, daß er gleichsam dem Schicksal gebieten könnte? Nein, das ist toller Wahn. Aber ich denke es doch; ja, ich denke, er könne nicht sterben, weil ich's nicht will, weil es noch nicht Zeit ist, daß er sterbe. Und dieser feste Glaube ist meine Macht, ist meine Kraft. Dieser feste Glaube hält mich aufrecht, und stählt meinen Arm; er nur giebt mir jenes wunderbare Vertrauen auf die Zukunft; er nur giebt mir die unermeßliche Macht, Alles zu sein, was meinem Zwecke mich näher bringt, wie –«
Da trat Perez ein.
»Gelobt sei Jesus Christ, Frau Herzogin, er ist gerettet, seine Wunde ist nicht gefährlich.«
»Ich wußte es,« erwiederte Rita ruhig und gelassen, »es mußte so sein. Jetzt aber, Perez, da sein Leben außer Gefahr ist, kommt es darauf an, unsre Pläne auszuführen. Alles ist schon vorbereitet, so daß wir des Erfolges sicher sein können; denn siehst Du, wohl ist's möglich, daß ein gerechter und strafender Gott da droben wohne, ich aber will hienieden seine Rolle übernehmen. Es ist sicherer, und bei meinem Hasse schwöre ich es, niemals soll ein Gott der Rache unerbittlicher gewesen sein. Höre mich, doch zittere nicht:
»Wenn ich mich schnell und unvollkommen hätte rächen wollen, so würde ich ihn gemordet haben. Doch das wollte ich nicht. Mir schien es besser, wenn geschähe, was ich Dir schon gesagt habe, wenn nämlich das Verhängniß unversöhnlich ihn überall verfolgte, und ihn in einen Kreis von Nichts und Schrecken einschlösse, daß Niemand sich erkühnen darf, diesem Verworfenen seine Hand als Freund zu reichen. – Leben soll er, Perez, er soll leben, doch verlassen, einsam und geächtet unter den Menschen. Denn wer wird, wenn er sieht, wie das Schicksal Alles unbarmherzig verfolgt, was sich jenem Verfluchten, dem Liebe und Freundschaft nur Wahn sind, zu nahen wagt, – sprich, Perez, – wer wird dann noch sich erfrechen, ihn mit einem einzigen Worte der Hoffnung oder des Trostes zu erfreuen?«
»Ha! diese Rache ist schauderhaft, edle Frau!«
»Ach ja, schauderhaft, so schauderhaft, wie gerecht. Aber sage mir, Perez, was würdest Du denken, wenn eine Stimme zu Dir spräche: In drei Tagen wird Dein Freund, Deine Geliebte, Dein einziger Verwandter, der Dir übrig bleibt, gestorben sein? – Gestorben, – weil sie Dich liebten, gestorben, weil sie Dir nahe standen, gestorben, weil ein finster waltendes Geschick Dich überall verfolgte und verfolgen wird, und durch Dich selbst alle die, welche Dich umgeben, ins Elend stürzt? – Du würdest lachen, nicht wahr Perez? Du würdest meinen, diese Stimme ist die eines Wahnsinnigen? Aber, wenn drei Tage nach dieser Weissagung Dir der Freund, die Geliebte und der Verwandte gestorben wären, – Perez, würdest Du dann noch lachen?«
»Was wollen Sie damit sagen, edle Frau!«
»Würdest Du lachen, wenn ein unerklärbarer und plötzlicher Tod eines unermeßlich reichen Ohms, dessen einziger Erbe Du würdest, schmählichen Argwohn auf Dich würfe? Würdest Du lachen, wenn durchaus nicht übelgemeinte Liebkosungen diesem Leumund immer mehr den Schein der Wahrheit liehen, wenn diese Scheinzeichen in boshafter Zusammenstellung mächtig genug wären, Dich in der Meinung des Volkes als den Mörder zu bezeichnen, ohne Dich laut anklagen und Dir dadurch Mittel zu Deiner Rechtfertigung an die Hand zu geben? Und wenn nun durch unerklärbaren Zufall Dein Freund und Deine Geliebte zur besagten Stunde stürben, und bloß darum, weil sie an Dir hingen! – Würdest Du lachen, wenn ein unter den Leuten schleichendes Gerücht Dich brandmarkte, daß man mit Schrecken auf Dich zeigte, im Wahne, daß Alles, was Du geliebt oder gehaßt, todt ist; – wenn Du, selbst nie zur Erkenntniß dieses höllischen Geheimnisses gelangend, durch so viele sich gegen Dich vereinigende Beweise gezwungen wärest, Dir selbst zu gestehen, daß das Urtheil der Welt, wie falsch und hart es auch immer sei, dennoch als logisch, natürlich und wahr sich darstellt; wenn Du Dich scheu und den Fluch Deines Namens wohl kennend, Dich selbst so jung, so schön, so reich, so berühmt, und dennoch so verlassen und fast von jener Welt, die Du einst vor Deinen Füßen liegen sahst, geächtet sähest? – Ha! dann, würdest Du dann nicht wahnsinnig werden, indem Du den unauflösbaren Knoten jenes Dich zerschmetternden Verhängnisses suchtest? Würde nicht jede Minute Dir Todesmarter, grausame, schmähliche Todesmarter sein?« –
»Ach! wohl grausam genug; doch, edle Frau, das ist nur ein Traum.«
»Nein! Perez, es wird kein Traum sein, Wirklichkeit soll's werden; aber eine furchtbare Wirklichkeit, wie jene schreckensvollen Träume, die jemals einen Menschen in des Fiebers heftigstem Wahnsinne quälten. Höre mich; nach Deinen Aussagen reitet sein vertrautester Freund, der Ritter von Lepine, täglich zur Frau von Valentinois nach Passy, und hat da bloß einen einzigen Reitknecht bei sich.«
»Täglich, edle Frau.«
»Du hast Dir eine Zusammenkunft mit dem Mädchen, jener Lelia, gesichert, welche auch dort war?«
»Ja, edle Frau.«
»Sein Oheim, der Bischof von Surville, muß seinen Neffen abholen, damit er einige Zeit bei ihm verweilen und die Heilung seiner Wunde abwarten kann?«
»Ja, edle Frau.«
»Die Fürstin von Vaudemont giebt übermorgen einen Ball in ihrem Garten?«
»Ja, edle Frau.
»Darauf gründet sich mein Plan. Der Graf von St. Germain hat die Zauberei auf's Tapet gebracht, und es vergeht kein Fest mehr, welches nicht seinen Zauberer hätte, um durch dessen Weissagungen die Gäste zu unterhalten.
»Nun geh' zum Verwalter der Fürstin, und sage ihm, es sei ein Italiener da, und erbiete sich, das Aemtchen zu übernehmen. Er verlange erst nach gethaner Arbeit seinen Lohn; wie viel? sei ihm gleichgültig, da er überhaupt sich durch seine Aussprüche vor einer so glänzenden Versammlung Ruf erwerben wolle.«
»Ja, edle Frau.«
»Dieser Italiener werde ich sein, meine Kleidung wird mich unkenntlich machen, der ganze Hof wird bei diesem Feste sein, und er, als Freund der Fürstin, wird sicher nicht fehlen. Ich zweifle keinen Augenblick, daß er nicht auch kommen sollte, mich über seine Zukunft zu befragen; – das ist jetzt Mode, und was Mode ist, das thut er – dann, siehst Du, Perez, dann will ich zu ihm sprechen:
» Dein Stern ist verderblich für die, welche du liebst, oder deren Glück du beneidest. Binnen drei Tagen werden dein Freund, deine Lelia, und der Bischof von Surville todt sein. Also hat auch dein Haß deinen Bruder gemordet; also hat auch deine Liebe die Herzogin gemordet.«
»Seinen Hohn und Spott über solche Worte kannst Du Dir denken. – Aber, wenn Du mir treu bist, o Perez, so wird binnen drei Tagen geschehen, was ich vorausgesagt.«
»Ich erwarte Ihre Befehle, edle Frau.«
»Nun wohl, höre mich. Der Ritter von Lepine, Du kennst ihn, Perez, sein Freund, der wackere Edelmann, der sich so großherzig zu jenem ehrenfesten Bunde gegen ein armes Weib schlug, jener Ritter muß, wenn er zur Frau von Valentinois nach Passy reitet, bei unermeßlich tiefen und ewig schweigenden Steinbrüchen vorbei, und er ist fast allein.«
»Wahr ist's, edle Frau,« antwortete Perez mit einem sonderbaren Lächeln, »er geht fast immer allein.
»Dann,« fuhr er fort, und streichelte mit seinen Händen den grauzottigen Kopf seiner großen Dogge, »dann habe ich hier den Etrik, der schon mehr als einen Stier bei der Kehle gefaßt hat, und der sich, Sie können's glauben, edle Frau, auf einen Wink von mir, als eine tüchtige Dogge an des Pferdes Hals werfen, und sich in seine Weichen und Bugen einhauen würde. Und wenn nun Roß und Mann in demselben Augenblick einen gefährlichen Weg am Rande einer steilen Steingrube passirten, meinen Sie nicht, edle Frau, daß die Gefahr groß genug und des Ritters Tod gewiß sein würde?«
»Ja, ja, ich kenne den Etrik als eine ächte Sierra-Dogge,« antwortete Rita dumpf. Dann fuhr sie nach einer Pause fort: »Aber jenes Mädchen, Perez, Lelia?«
»Sie hält mich für einen sehr reichen Peruvianer, und ich habe ihr so viel Geld gegeben und ihr noch so viel versprochen, daß sie mich morgen zu sich lassen will. Dann, edle Frau, kann ich mich auf das Jose-Ortes-Gift verlassen; das ist sicher, läßt keine Spur und wirkt nur in einer Zeit, die man selbst bestimmen kann, indem man die Dosis vermehrt oder vermindert.«
»Das ist gut,« rief Rita lebhaft. »Den Bischof aber« – da hielt sie inne, fuhr mit der Hand über die Stirn, und rief dann zitternd: »Ach, den Bischof zu morden, Perez, das ist schauderhaft, das ist entsetzlich! Jenes Mädchen war doch wenigstens Ursache; denn, um sie zu besitzen, hat er mich so schrecklich betrogen. Jener Ritter war auch Schuld daran, und als seine Schuldgenossen muß auch sie die Rache treffen. Tod und Rache über sie, über sie Beide, Jeden zu seiner Stunde! – Doch er, der arme Greis, .was hat er mir gethan? Warum soll er mein Opfer sein? Ha, dieser Gedanke, Perez, dieser Gedanke ist entsetzlich!« –
Und ihr Haupt in ihre Hände verbergend, stand Rita vernichtet da, in schrecklicher Höllenangst. Doch plötzlich erhob sie ihr Haupt wieder, ihre Augen funkelten, und mit mächtigen Schritten ging sie durch das Gemach.
»O, ich schwaches Herz,« rief sie, »ich kann noch von Mitleid sprechen? Von Mitleid! Hat man es gegen mich bewiesen, als man, die reinste und innigste Liebe verhöhnend, mir in's Gesicht spuckte und mich mit Füßen trat?
»Mitleid! Habe ich es gegen mich gefühlt, da ich mich dem Abscheu und dem vermeintlichen Tode preisgab? Und jetzt sollte ich Mitleid für einen Greis fühlen, dessen Tod so verhängnißvoll, so verderblich für ihn sein kann, weil er es bemerklich macht, wie schnell und passend gerade die sterben, deren Erbe er ist, weil man dann sich fragen wird, warum sein älterer Bruder gerade während der Zeit starb, als Heinrich in Frankreich war? – Nein, nein! und stellte sich mir die Hölle mit allen ihren Teufeln entgegen, ich muß meine Rache vollenden. – Wehe, wehe über den, der ihr in den Weg tritt!
»Also, sonder Zagen, Perez! Wir wollen dem Bischof von Surville in sein Gebiet folgen. Dort werden wir in dem Dorfe schon Mittel finden, uns ihm zu nähern, und dann, Perez!« –
Da klopfte man heftig an die Thür des Hauses, und herein tönte das Geklirr der Flintenkolben, die man niederstampfte, und eine wilde Stimme rief: »Im Namen des Königs, macht auf! –«