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Egmont.
Nun?
Richard.
Ich bin bereit, und drei Boten warten.
Egmont.
Du findest vielleicht, daß ich zu lange blieb? – Du machst ein ellenlanges Gesicht.
Richard.
Eure Befehle zu vollziehen wagte ich schon sehr lange.
Goethe. Egmont, A. 2.
Schon war der Graf seit vier und zwanzig Stunden in Brest; die Glocke des Arsenals schlug drei Viertel auf zwölf Uhr, als der Lieutenant Jean Thomas, dem auch der Doctor Gédeon folgte, leicht an die Thür eines der schönsten Häuser des Place d'Armes anklopfte.
Der Lieutenant trug die Parade-Uniform der königlichen Marine, nämlich einen blauen Rock mit doppeltem Goldbesatz auf den Aermeln, scharlachne Weste, Hosen und Strümpfe und goldne Schnallen.
Die Uniform des Doctors war einfacher, und bestand aus einem grünlich-grauen Rocke, mit carmoisinrothen Sammetaufschlägen und Staffirung, aber bloß an den Knopflöchern besetzt, ferner aus carmoisinener Weste und Hosen, und blauen Strümpfen.
»Die Canaillen von Bedienten, die er mit sich herumschleppt, werden uns nicht gehört haben,« rief Lieutenant Thomas zornig, und klopfte noch ein Mal.
»Für so armselige Leute, wie wir sind, haben sie keine Ohren,« fügte Gédeon mit tückischem Lächeln hinzu, und pochte von Neuem.
Da öffnete sich die Thür, und der Lieutenant konnte seinen Unwillen nicht verbergen, als er vier bis fünf Bediente erblickte, die in ihrer Pracht-Livrée in einem Vorzimmer des Hauses standen, worin der Graf von Vaudrey, wenn er in Brest war, gewöhnlich wohnte, da es ihm bei seinem Vermögen ein Leichtes war, in jedem der drei Kriegshäfen, wohin ihn etwa sein Dienst rufen konnte, sich eine eigene Wohnung zu halten.
Einer von den Lakeien öffnete die Thür eines Vorsaals, wo sich zwei schwarzgekleidete Kammerdiener befanden, die Jean Thomas fragten, ob er nicht der Lieutenant des Grafen von Vaudrey wäre.
»Ich bin der Lieutenant der Fregatte Sylphide,« erwiederte Thomas bitter.
Auf diese Antwort ließ der Lakei ihn mit dem Doctor in einen ziemlich großen Saal eintreten, und versicherte ihnen, der Herr Graf werde, obgleich er für den Augenblick beschäftigt sei, bald erscheinen.
»Bei Gott,« rief Thomas höhnisch, »das ist ja schlimmer, wie bei einem Minister!«
»Und dies sind die, so des Volkes Schweiß trinken; als ob sie nicht selbst kommen und ihre Thüren öffnen könnten,« fügte Gédeon stoisch hinzu.
»Aber sehen Sie doch, Doctor,« begann Thomas wieder, und zeigte seinem Freunde ein Ameublement von einem in der Provinz unerhörten Reichthum, – »sehen Sie doch, welche Pracht! – und dies Alles bloß, um vierzehn Tage oder drei Wochen in einem Hafen zu verleben. Das ist wahrlich spaßhaft!«
»Erbärmlich ist's, entsetzlich,« antwortete Gédeon, »und wenn man nun noch bedenkt, daß er da sieben bis acht Laquais, die Muster des Müßiggangs, hat, und sie, anstatt aus ihnen Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft zu machen, so thöricht um nichts und wieder nichts füttert. Ja, wenn ich König wäre, so würde ich alle Vornehme meines Reiches verpflichten, ihre Bedienten zu einer Profession anzuhalten, ehrenwerthe Schlosser, würdige Maurer, tugendsame Schuster aus ihnen zu machen, die dann unentgeltlich für's Volk arbeiten müßten, und doch noch Zeit übrig behalten würden, ihren Gebietern in den Nebenstunden behülflich zu sein; überhaupt wäre mir die Livrée des Künstlers oder Handwerkers lieber, als die des Höflings,« rief der Doctor in einem Anfalle von Philanthropie.
Der Lieutenant schien nicht im geringsten auf die ökonomischen und philosophischen Systeme des Doctors zu hören; denn er stierte mit dem Ausdrucke tückischer Freude nach seiner Uhr.
»Gut! – Mittag,« – rief er, – »Mittag; – und ich hatte dem Stabe Befehl gegeben, Punkt zwölf Uhr beim Kommandanten zu sein, und die Officiere sind noch nicht R; – in Arrest – Ach! meine Herren Edelleute, Sie sollen mir Ihre insolente Unterwürfigkeit theuer bezahlen.«
»Haben Sie's auch dem Almosenier ansagen lassen, Lieutenant?« fragte der Doctor.
»Dem Abbé von Cilly? Allerdings.«
»Muß denn der nun auch in Arrest?«
»Mein Gott, sind die nicht vor unsern Angriffen sicher?«
»Lassen Sie mich sorgen, Lieutenant, ich werde Sie rächen,« – rief gravitätisch der Doctor, – »Sie sollen sehen, wir werden lachen; ich will ihn artig ängstigen, ich, der ich durch mein Studium der Anatomie zum Atheisten des Rechts geworden bin, ja, er mag nur kommen, und mir von seinen Religionsthorheiten die Ohren voll schwatzen; ich will ihm dann also antworten: Abbé, finden Sie mir also einmal im Körper Etwas auf, was man Hoffnung oder Liebe nennen könnte, – ach! witzig genug will ich dann sprechen: Wohl finde ich die Leber, aber nicht das Leben; – na, laßt mich nur machen, wir werden lachen, aber à propos, kennen Sie ihn, den schändlichen Heuchler?«
»Keineswegs! Ich habe ihn nie gesehen; er ist noch nicht lange hier, und geht nie aus, habe ich mir sagen lassen.«
»Also auch so ein Podagrist, wie der Andere?« fuhr der Doctor fort; – »auch so ein altes Deogratias-Vieh? Ha! er kann sich auf ein elendes Leben gefaßt machen, der Glatzkopf, da ja vor allen Dingen der Mensch frei ist, und sich durch solche Thoren seine Seele nicht verpfuschen zu lassen braucht.«
Da meldete der Kammerdiener:
»Der Herr Abbé von Cilly.«
»Das ist der Heuchler,« rief Gédeon mit schlauem Blicke, und stieß den Lieutenant in die Seite.
Aber als die beiden Gesellen den Mann erblickten, der jetzt hereintrat, da wich von ihren Gesichtern die stolze Freudigkeit, und tiefes Staunen trat an ihre Stelle.
Der Abbé von Cilly war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, hohem und edlen Wuchse; auf seinem blassen Antlitz thronte männliche Schönheit, und sein schwarzes Amtskleid stand ihm wohl.
Aber am meisten zeichnete sich dieser Mann durch das Feuer seines Blickes aus, der mit einer unwiderstehlichen Festigkeit bisweilen wie ein Blitz aus seinen beiden großen, halbgeschlossenen Augen unter den langen Wimpern hervorzuckte.
Aus seinem raschen und sichern Gange, aus der freien und stolzen Weise, womit er sein Haupt trug, sah man beim ersten Blick, daß er in keinem Seminare gelebt hatte, denn sein Aeußeres ließ jene kindische Scheu, jene fromme und rührende Steifheit vermissen, die jungen Priestern, welche stets in einem heiligen und keuschen Asyle gelebt haben, so eigen ist.
Auch herrschte in des Abbé's ganzem Aeußern vorzüglich der Ausdruck eines strengen Ernstes vor, zu dem noch Verachtung und Stolz hinzutraten, und dann auch der Blick der ihm selbst wohlbewußten Überlegenheit, der auf die, welche ihn sahen, einen unwillkürlichen Eindruck machte.
Dieses Aeußere machte, durch den Contrast mit Gédeon's vorgefaßter Meinung von dem Abbé, auf die beiden Seeleute einen sonderbaren Eindruck.
Der Priester schien sie gar nicht zu bemerken, setzte sich, und stützte seine Stirn auf die Hand, als wolle er tiefen Betrachtungen nachhängen.
Der Doctor stieß den Lieutenant in die Seite, als wollte er zu ihm sagen: »Sie mit Ihrer berühmten Courage, so reden Sie ihn doch an! –«
Da raffte sich denn der Lieutenant aus der Beklommenheit, worin ihn jene unvermuthete Erscheinung versetzt hatte, auf, und rief mit kurzer und barscher Stimme:
»Abbé, meinen Befehlen nach hatte man sich hier noch vor Mittag einzufinden, und schon ist es zwanzig Minuten darüber; in Zukunft sein Sie pünktlicher; verstehen Sie mich, Abbé?«
Der Abbé rührte sich nicht, und hielt immer noch den Kopf gestützt.
»Abbé, der Lieutenant spricht mit Ihnen,« rief der Doctor, durch einen Blick des Jean Thomas ermuthigt, und rüttelte den Abbé leise am Arme.
Dieser erhob nunmehr langsam sein Haupt, und warf auf den Doctor einen Blick, der die Seele dessen, den er traf, durchbohren zu wollen schien. Dann sprach er mit ruhiger Stimme:
»Was wollen Sie, mein Herr?«
»Der Herr will Ihnen nur bemerklich machen, daß ich Sie angeredet habe, weil ich, da doch mein Befehl der war, sich zu Mittag hier einzufinden, erstaunt bin – daß Sie zwanzig Minuten – später kommen,« rief Thomas.
Den Anfang dieser Rede hatte Thomas kurz und deutlich gesprochen, aber am Ende wirkte der feste Blick des Abbé's wie gewöhnlich, und der Lieutenant mußte, trotz seines Aergers und seiner Sicherheit, dennoch die Augen niederschlagen, und fing bei den letzten Worten an zu stottern.
»Nun, mein Herr?« begann der Abbé wieder.
»Nun, Abbé! « rief der Lieutenant, und schöpfte frische Kräfte, »ich meine, daß dies hinfort nicht mehr vorkommen darf. –«
Sanft antwortete der Abbé: »Ich schloß einem Sterbenden die Augen, mein Herr.«
Darauf stützte er von Neuem seinen Kopf auf seinen Arm, und schien sich seinen Träumereien wieder zu überlassen.
Da tönten wirre Fußtritte vor der Thür, und der Kammerdiener meldete gleich hinter einander:
»Der Herr Marquis von Miran.«
»Der Herr Ritter von Monval.«
»Der Herr Baron von St. Sauveur.«
»Meiner Treu, verzeihen Sie, Lieutenant,« rief der Marquis von Miran, »wir kommen aus dem Wirthshause, wo wir so eben den Offizieren des Brillant, der mit der Ebbe unter Segel geht, unser Lebewohl gebracht haben.«
»Sie haben vier und zwanzig Stunden Arrest, meine Herren,« rief Thomas, in meinem Befehle stand 12 Uhr.«
Der Marquis von Miran gab seinen Kameraden ein Zeichen, worauf alle drei dem Lieutenant ihre Honneurs machten, und, ohne weiter ein Wort an ihn zu verlieren, unter einander schwatzten.
Als es der Lieutenant halb ein Uhr schlagen hörte, riß seine Geduld; er öffnete die Thür des vordem Saals ein wenig, und rief dem Kammerdiener stolz zu:
»Wird denn der Commandant heute nicht sichtbar werden?«
»Der Herr Graf sind beschäftigt!« rief der Lakei.
Heftig warf der Lieutenant die Thür wieder zu und murmelte
»Er ist da, hat sich mit einem Mädchen, oder mit seinem Schneider, oder seinem Koche hier eingeschlossen, während brave und freie Seeleute hier im Vorzimmer lauern müssen, wie Laquais. So weit führt der Stolz auf Rang und Titel.«
In diesen Aeußerungen seiner Wuth ward Thomas durch die Ankunft des Grafen gestört.
Wie Heinrich eingetreten war, standen alle Officiere auf, und zugleich zeigten sieh auch zwei neue Gestalten, die sich an den Stab der Fregatte anschlossen, nämlich Rumphius und sein Bruder Sulpizius.
Rumphius, wie gewöhnlich mit Leib und Seele in seine Berechnungen vergraben, warf sich in einen Armsessel; der arme Sulpizius aber, dem die Scham und Bestürzung, sich in solcher Gesellschaft zu befinden, und seinen Bruder so zerstreut zu sehen, die Glut auf die Wangen trieb, zupfte ihn vergebens beim Aermel und flüsterte ihm zu: »Mein Bruder, der Herr Graf von Baudrey ist da; mein Bruder, – steh' doch auf;« – – aber da war Alles verloren. – Sulpizius entschloß sich daher, bei Rumphius zu bleiben, während die Offiziere einen Kreis um Heinrich bildeten.
»Meine Herren,« sprach der Graf mit großer Freundlichkeit, »ich bitte tausend Mal um Verzeihung, daß ich Sie warten ließ; aber ich mußte erst einige Geschäfte besorgen, und Sie können leicht denken, wie wichtig diese gewesen sein müssen, da sie mir auf einige Augenblicke die Ehre, Sie eher zu empfangen, entziehen konnten.«
»In der That, Commandant, wir warten hier seit einer halben Stunde,« sprach Thomas mit trocknem Tone.
»Ach! mein Herr!« rief Heinrich lächelnd, »noch weit mehr, das versichere ich Ihnen, sind die zu beklagen, welche warten lassen, als die, welche warten; nicht wahr, meine Herren?« fugte er scherzhaft hinzu.
»Bei Gott! das glaube ich auch, Commandant,« rief vorschnell St. Sauveur, »Sie predigen vor schon Bekehrten, denn wir selbst haben Arrest bekommen, weil wir auf uns haben warten lassen.«
»Ach, mein Herr!« begann nun Heinrich zum Lieutenant, mit dem Blicke eines freundschaftlichen Vorwurfs, »ich hoffe diesmal glücklicher als das erste Mal zu sein, und von Ihnen keine abschlägige Antwort zu empfangen, wenn ich Sie um Verzeihung für diese Herren bitte.«
»Alle Menschen sind einander gleich, Commandant; ich sehe nicht ein, weshalb man gegen einen adeligen Offizier nachsichtiger sein sollte, als gegen einen armen Matrosen.«
»Er behandelt sie auch artig, die armen Matrosen,« murmelte ganz leise St. Sauveur.
»Genug, mein Herr,« nahm Heinrich mit kalter, rauher Stimme wieder das Wort. – »Wollen Sie mir diese Herren namentlich vorstellen?«
Der Lieutenant grüßte und begann:
»Herr von Miran, Schiffsfähnrich.«
Miran grüßte.
»Es ist ein glückliches Vorzeichen für mich, Herr von Miran,« rief Heinrich, »daß ich einen von den Offizieren an Bord besitze, die so brav den Krieg mit dem unsterblichen Gefechte der la Belle-Poule eröffnet haben; und ich bin jetzt überzeugt, Herr von Miran, daß die Sylphide ihrer glorreichen Nebenbuhlerin nichts zu beneiden haben, und den Krieg so enden wird, wie die la Belle-Poule ihn angefangen.«
»Herr von Monval, Schiffsfähnrich.«
»Wir sind alte Bekannte, obgleich wir uns niemals gesehen haben, Herr von Monval,« sagte Heinrich, »und doch würde ich Sie am Bord jedes Schiffs am Blitze Ihrer Batterie wiedererkennen; denn bei dem Gefechte am 17. April sagte der Admiral von Guichen, dessen Adjudant ich war, zu mir, indem er auf das Feuer der Unterbatterie des Robustus zeigte, welches so trefflich unterhalten ward, daß es einem Flammenkranze glich: »»Sehen Sie die Batterie dort, Vaudrey? Ich wette, die commandirt der Ritter von Monval. – Nur er commandirt so vorzüglich.«« Dies waren Sie, nicht wahr?«
»Ja, Kommandant.«
»Ich war davon überzeugt, und Ihre Gegenwart an meinem Bord, Herr von Monval, wird mir viel Neider machen; aber ich kann es ihnen nicht verhehlen, daß mich dies entzücken wird, denn Sie, mein Herr, lehren mich den Egoismus kennen.«
Monval grüßte und ging.
»Herr von St. Sauveur, Flaggenwächter.«
»Ich hatte die Ehre, Ihren Vater, den Herrn Vicomte von St. Sauveur, in Versailles zu sehen, der Sie mir empfehlen wollte, aber ich sage es Ihnen frei, daß seine Empfehlungen unglücklicherweise unnütz waren, da die glänzende That, die Sie im Gefecht des l'Aigle gegen den Sandwick vollbrachten, Sie in meinen Augen schön als einen jungen Marineoffizier des Königs bezeichnet hatte, der zu der besten Hoffnungen berechtigt.«
Herr von St. Sauveur grüßte und ging.
»Der Herr Doctor Gédeon, Stabschirurgus, sagte der Lieutenant ferner.
»Herr Doctor,« sprach Vaudrey, »ich rechne sehr auf Sie im Frieden so wie im Kriege; Sie sind unser Schirm, und werden, ich bitte Sie darum, über mich verfügen, sobald das Wohlbefinden der Matrosen befördert werden kann.«
Der Doctor Gédeon grüßte scheinheilig, und machte sich mit seinem Degen eilig hinter die Offiziere.
»Der Herr Abbé von Cilly, Schiffsalmosenier,« schloß der Lieutenant seine Liste.
Beim Anblick des Abbé's konnte Heinrich sich eines Staunens nicht erwehren, denn gewöhnlich wurden die Amtsverrichtungen des Schiffspredigers von Mitgliedern des niedern Clerus vollzogen, deren Haltung und Benehmen bisweilen mit den ehrwürdigen Verrichtungen, die sie an Bord besorgten, schrecklich disharmonirten.
Vermöge seiner Gewandtheit konnte Heinrich einen Menschen nach seinem Gruße, Gange und seiner Haltung auf der Stelle beurtheilen. Doch bei dem Anblick dieses so neumodischen Schiffspredigers stutzte er, und als er sich zu ihm wandte, lag in seiner Stimme der Ausdruck ehrfurchtsvoller Bewunderung, den sie bisher hatte vermissen lassen.
»Herr Abbé« – begann Heinrich, und grüßte ihn – »stets bewunderte ich die erhabene Resignation, mit der die Diener der Kirche sonder Furcht und Scheu unsere Gefahren theilen, und demselben Mißgeschick, wie wir, trotzen, in dem hehren Streben, uns die Todesstunden zu erleichtern. Sie erlauben mir also, daß ich Sie der innigsten Achtung und Ehrfurcht versichere, die ich für das heilige Amt, das Sie zu uns führte, empfinde.«
Der Abbé grüßte leicht, und antwortete: »Meine Zeit gehört nicht mir, Herr Graf; Sie entschuldigen daher, wenn ich Sie verlasse.«
»Ein für alle Mal, Herr Abbé« – sprach Heinrich – »wissen Sie, daß, meinem Willen zufolge, kein Mensch, das Recht haben soll, Sie wegen eines einzigen Augenblicks in einem so edel angewandten Leben zur Rechenschaft zu ziehen.«
Und der Graf geleitete den Schiffsprediger ehrerbietig bis an die Thür des Vorzimmers.
Als Heinrich in den Saal zurückkehrte, sah er, wie seine Offiziere sich in einen Kreis um den unglücklichen Sulpizius gestellt hatten, der, todtenbleich, roth, grün, alle Farben wechselnd, wie ein Braten schwitzte, und nicht wußte, wie er sich verhalten sollte, da er sich als das Ziel der Blicke so vieler Leute sah.
»Wie, Du bist's, Sulpizius?« – rief Heinrich sanft,–, »mein Gott, ich hatte Dich gar nicht gesehen! – und da bist Du ja auch, Rumphius, – Rumphius!«
Nur der fremde Klang dieser Worte, aus Heinrichs Munde, konnte den Astronomen, auf dessen Zwerchfell die Stimme seines Bruders gar keinen Eindruck mehr zu machen schien, zu sich selbst bringen. Er stand auf, und blickte mit ungewöhnlicher Kalte die Anwesenden an.
»I, guten Tag, Herr Graf, ich conjecturirte so eben approximativ über die Krümmung des kleinen Bären, der bei den Hindus die Mahniwahperle heißt.« – Darauf wandte er sich zu seinem Bruder: – »Sulpizius, Du mußt sehr dumm sein, daß Du mir nichts von der Gegenwart des Grafen gesagt hast.«
»Er hat's Dir gesagt,« – fiel Heinrich ihm in's Wort, – »er hat's Dir gesagt, alter, treuer Freund, aber die Approximation machte Dich taub.«
»Wahr ist's, es geht mir manchmal so,« erwiederte Rumphius, »und auch hier bin ich mitten unter den Menschen allein, wie der Bramah Kidday.«
»Meine Herren!« rief Heinrich, – »ich stelle Ihnen hier Herrn Bernhard Rumphius vor, einen unserer gelehrtesten Astronomen, der unsre Reise mitmachen wird. Jetzt, meine Herren, kennen wir uns Alle, Sie haben zum Lieutenant einen der bravsten Offiziere unsrer Marine. Ja, Herr Thomas, ich kenne alle Ihre Gefechte von jenem des Cerf an, womit Sie Ihre große Carriere zur See eröffneten, bis zu dem, das Sie gegen die Brigg Alacrity aushielten, und durch das Sie sich den Rang eines Branderkapitäns erwarben. Ich bin jetzt sicher überzeugt, meine Herren, der Name unsrer Fregatte wird eine Zierde unserer Marine sein, und Frankreichs Flagge konnte nie braveren Offizieren anvertraut werden. Diese Ueberzeugung macht mich nicht minder froh, als stolz, denn die Befugniß, Sie zu commandiren, meine Herren, ist mehr als Rang – ist Ehre.«
»Wir werden Alle unsere Schuldigkeit thun, Commandant, denn Gesetz, Belohnung und Erhöhung ist oder soll doch für Alle gleich sein, Strafe und Belohnung Jedem nach Verdienst und Würden,« versetzte Thomas trocken.
»Dies höre ich gern, mein Herr,« – rief der Graf lächelnd – »und um es Ihnen zu beweisen, will ich Sie noch ein Mal um Verzeihung für diese Herren bitten; denn auch ich habe Sie auf mich warten lassen, und doch trifft mich die Strafe nicht; somit verlange ich die von Ihnen gerühmte Gleichheit für Alle.«
»Der Herr Commandant wissen wohl, daß ich durchaus kein Recht habe, Sie zu bestrafen, wenn Sie mich auch sechs Stunden lang vor Ihrer Thür warten ließen; ich stehe unter Ihren Befehlen, sowie diese Herren unter den meinigen; die ihnen auferlegte Strafe ist gerecht, und sie werden sie leiden, außerdem, der Herr Commandant gäbe mir förmliche Ordre, ihren Arrest aufzuheben; dann würde ich diesen Befehl vollstrecken.«
»Nun, mein Herr,« rief Heinrich ungeduldig, – »weil Sie denn durchaus einen Befehl wollen, so gebe ich Ihnen denselben.« Darauf wandte er sich zu den jungen Männern: »Darf ich hoffen, meine Herren, daß Sie mir die Ehre geben werden, heute Abend bei mir zu speisen, da Ihr Arrest nunmehr aufgehoben ist?«
Die Jünglinge verneigten sich.
»Ich rechne noch auf Sie, mein Herr,« sprach Heinrich zu Thomas, den er vorläufig eingeladen hatte.
»Ich werde diese Ehre nicht haben können, Commandant, ich esse alltäglich mit meiner Mutter.«
»Desto besser,« riefen ganz leise die Offiziere.
»Das ist ein sehr achtungswerther Grund, den ich annehmen muß; doch thut mir's leid, Sie sonach heute in unserer Gesellschaft entbehren zu müssen.«
»Und Sie, Doctor?«
»Ich werde diese Ehre nicht haben können, Commandant,« wiederholte der Doctor, als Echo des Jean Thomas, »ich esse täglich mit, – bei, – bei meinem Clarinettenlehrer,« sprach geistreich der Doctor Gédeon, nachdem er lange eine wahrscheinliche Entschuldigung gesucht hatte.
»Ach, mein Gott! « rief Heinrich mit erschrockenem Blick, »Doctor, Sie blasen Klarinette?«
»Ich halte es für ein unschuldiges Vergnügen, das jeder Mensch sich machen darf, insofern man die Gleichheit der Menschen berücksichtigt, sich – sich auf der Clarinette zu amüsiren.«
»Das ist eine unverwerfliche Wahrheit, Doctor; aber leider ist es nicht für jeden Menschen ein unschuldiges Vergnügen, darauf blasen zu hören, und darin ist die Natur ungerecht, Herr Doctor; ich bedaure Sie deshalb recht herzlich. – Für diesen Abend, meine Herren.«
Heinrich entließ seinen Stab, und ging in sein Zimmer zurück.