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Hättest Du diese wilde Lebensart gewählt, um Deinen Stolz zu züchtigen, so möchte es hingehen; aber Du thatest es nur aus Zwang. – Du würdest ein Höfling sein, wärest Du nicht ein Schelm.
Shakespeare, Timon von Athen. A. 4. Sc. 3.
Die Stadt Brest war damals und ist auch jetzt noch in zwei Viertel getheilt, die durch den Canal, der den Kriegshafen bildet und das Arsenal durchfließt, geschieden sind.
Recouvrance hieß das Viertel, welches gewöhnlich die Matrosen, Marine-Unterofficiere und Küstenschiffer bewohnten; es war eine Masse niedriger und düstrer Häuser, enger, schmutziger Gassen und elender Gäßchen.
Die Rue des Poutres war eine der bedeutendsten Gassen dieses erbärmlichen Viertels. Mitten auf derselben gewahrte man ein niedriges Häuschen, das mit seinen zierlich grünangestrichenen Fensterladen und Mauern, durch eine glänzende Reinlichkeit einen sonderbaren Contrast mit der schmutzigen Umgebung bildete.
Dieses Haus gehörte der Frau Thomas, welche die Witwe des Herrn Thomas, des ersten Bürgerkanoniermeisters, und die Mutter des Brander-Capitäns, blauen Offiziers und Lieutenants der Fregatte »Sylphide« war, die der Graf Heinrich von Vaudrey commandirte, des Herrn Jean Thomas. Es war ungefähr um 2 Uhr Nachmittags, als die Witwe Thomas, in einem großen und altväterischen Sessel von Utrechter grauem Sammet mit breiten wolligen Streifen sitzend, die Nachahmung Jesu Christi mit tiefer Empfindung las. Ihre Füße ruhten auf einem kleinen Schemel, der von gleichem Stoff wie der Sessel war. Ein Spinnrad und eine Kunkel, die neben ihr lagen, zeigten deutlich, daß die fromme Frau ihre Arbeit hatte ruhen lassen, um sich jener heiligen Lectüre zu weihen.
Die Wittwe Thomas war bereits siebzig Jahr alt. Nach der Bretagner Mode trug sie einen Rock von brauner Wolle und ein kleines Häubchen von weißer Leinwand, das sich eng an den Kopf schloß und nicht ein einziges ihrer Haare sehen ließ.
Ihr sanftes und ruhiges Gesicht verrieth eine zufriedene Seele, und das Tageslicht, das durch ein enges Fenster hereinfiel, dessen kleine Glasscheiben mit Blei umzogen waren, beleuchtete die ehrsame Gestalt in Rembrandts Manier. Die Wände des Zimmers waren kahl, aber reinlich. Der sorgsam gewaschene und gescheuerte Fußboden war so weiß, wie Schnee, und im Hintergrunde des Zimmers stand ein altväterisches, breites Bett, das einen Himmel und vier grau- und rothzeuchene Vorhänge hatte; endlich hing noch über einem großen Kamine, auf dem ein Tiegel stand, ein armseliges Portrait des seligen Herrn Thomas in Kanonier-Meister-Uniform, und unter diesem Gemälde ein gerader und kurzer Degen, mit einem breiten, kupfernen Griffe, auf dem zwei Anker und die königliche Krone eingestochen waren; – dies war der Degen des seligen Herrn.
Bald öffnete sich die Hausthür, Fußtritte hallten von der Treppe her, und der Sohn des seligen Jean Thomas trat keck herein. – Jean Thomas war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, mittler Statur und breiten und hohen Schultern. Sein Gesicht hatte nichts Merkwürdiges, außer einem widrigen Zusammenziehen der Augenbrauen; diese waren hell-blond; seine Augen grünlich-blau und sein Gesicht verkündete durch seine Farbe ein sanguinisches und heftiges Temperament.
Als Lieutenant der Fregatte Sylphide war Jean Thomas gepudert, und als Marine-Offizier trug er blauen Rock, Weste und Hosen, à la Bourgund galonirt, weiße Strümpfe und breite Schnallen auf den Schuhen.
Als er eintrat, warf er seinen Tressenhut auf einen Stuhl, schnallte sein Wehrgehänge los, legte den Degen ab, trat dann zu seiner Mutter hin und grüßte sie barsch: »Guten Morgen, Mutter!«
»Guten Morgen, Jean,« entgegnete die Witwe, und in der einen Hand ihr Buch, in der andern ihre Brille haltend, schien sie über das lange Stillschweigen, das ihr Sohn so eben gebrochen hatte, bekümmert zu sein.
»Guten Morgen, Jean,« erwiederte sie, »aber was hast Du denn noch? An Deinen Augenbrauen sehe ich es, daß Du noch Grillen hast.«
»Ja, ich habe welche, und das mit allem Rechte.«
»Ach, mein lieber Sohn,« sprach die Witwe, und schüttelte mit dem Ausdruck der Traurigkeit den Kopf, »mein lieber Sohn, Du wirst stets derselbe bleiben, nie zufrieden mit dem Loose, das Dir der liebe Gott beschieden hat.«
»Ach, geht mir mit Euerm lieben Gott! Wenn es ja einen giebt, so kümmert sich dieser liebe Gott weder um mich, noch um Euch.«
»Schweig, Jean, schweig!« sprach die Witwe und erhob ihre Hand mit gebieterischer Miene, – »höre auf, so zu lästern, Du, den Gott mit seinen Gaben so überhäuft hat, der Du durch seine Gnade an eine, für Leute unseres Standes so unverhoffte Stelle gekommen bist. Vergiß das nicht, Jean, und danke Gott.«
Mit geballten Fäusten und blutroth vor Zorn erhob sich Jean.
»Ha! Leute unseres Standes, – unseres Standes – was heißt denn das: unseres Standes? Ist ein Edelmann anders gemacht, als ich? Vermag seine Stimme den Wind besser zu bezaubern oder den Sturm zu beschwichtigen, als die meinige? Dringen, wenn ich meinen Kanonieren: Feuer! commandire, meine Kugeln nicht eben so kräftig in das feindliche Gezeug, als wenn ein Edelmann sie commandirt hätte? –«
»Wer sagt denn das, mein Sohn? Worüber beschwerst Du Dich denn?« Hast Du nicht selbst Edelleute unter Deinem Commando, seit Du durch Deinen Muth zu einem Range erhoben bist, der alle Deine Hoffnungen übersteigen muß?«
»Ja, das ist wahr, und, bei Gott, sie gehorchen und mucksen nicht.«
»Nun denn, Jean, was willst Du mehr?«
»Mutter, Du wirst mich noch toll machen; ich will, sie sollen mir gehorchen, ohne daß es aussteht, als gehorchten sie bloß meinem Range; nicht jene kalte, beleidigende Unterwürfigkeit verlange ich, die mir deutlich genug sagt, daß sie mich nur als einen Fremdling betrachten, der sich in ihr edles Corps eingeschlichen hat. Nein, ganz etwas Anderes will ich! –«
»Du sprichst von Tollheit, Jean!« sprach ernst die Witwe, »und Du hast Recht; Du bist ein armer Narr, ein unheilbarer Narr, ein von Neid und Stolz arg gequälter Narr, und dies, mein Sohn, ist die allerunglücklichste Narrheit; denn, setztest Du Dich auch darüber hinweg, Jean, und würdest Groß-Admiral von Frankreich, Du würdest doch nur der Sohn des Bürgerkanoniermeisters Thomas bleiben, und nie vergessen können, daß Dein Vater im Hafen Fische verkaufte.«
»Um Gottes willen, Mutter! um Gottes willen, sagt das nicht –«
»Und ich will Dir es sagen, gerade ich,« versetzte die Witwe mit festem Blicke, »und will Dich stets an Deine Abstammung, die so niedrig als ehrbar ist, erinnern, um Dir zu zeigen, wie eitel und thöricht der Kummer ist, der Dir den Genuß dessen, was Du hast, vergällt, und Dich das was Dir die ganze Welt nicht geben kann, nämlich, adelige Ahnen, beneiden läßt.«
»Ich, ich! ich sollte den Adel beneiden? Im Gegentheil, ich verachte den Adel von ganzem Herzen! Er ist ein leeres Wort, ein thörichtes Vorurtheil, das nur bei Thoren und Kindern etwas gelten kann. Bei Gott! sehr wünschenswerth, ein Titel, der der Niedrigkeit, der Beschimpfung oder der Ehrlosigkeit angehört.«
»Schweig, Jean, schweig!« rief lebhaft die Witwe.
»An Dir sieht man deutlich, daß der Neid die Wurzel aller Laster ist, weil er uns zur Undankbarkeit verleitet. Verdankst Du nicht Einem von den Gliedern jenes Adels, den Du angreifst, das, was Du bist? Verdankst Du nicht der Güte des seligen Herrn Marquis von Menneval, dessen Lehrer Dein Vater war, und dessen vertraute Dienerin ich war, Deine Erziehung und Deine Beförderung? Noch ein Mal, Jean, schweig, denn ich lese im Grunde Deines Herzens sehr traurige Wahrheiten, die Du vergebens zu verbergen suchst, und die Dir Dein Dasein vergiften,« sprach die Witwe, und heftete einen düstern und bangen Blick auf ihren Sohn.
»Nun denn! ja!« rief Jean heftig; »ja, ich hasse sie, ich verabscheue sie, ich verachte sie; ja, wenn mir etwas verhaßt sein kann, so ist es die Dankbarkeit, die ich einem von jenen adeligen Schuften schuldig bin, die Einem nur nützlich sind, um ihn zu erniedrigen und sagen zu können: das ist mein Geschöpf; – er schmachtete im Staube; ich nur habe ihn daraus hervorgezogen.«
»Unglücklicher! Du stößt schreckliche Reden aus; doch nur der elendeste Stolz und der bitterste Haß sind es, die Dich zu dieser Sprache des schwärzesten Undankes verleiten; aber noch ein Mal, bedenke, was Du, rücksichtlich Deiner Abkunft, sein würdest, und daß Dein ganzer Stolz bloß auf einem ehrlichen Tode als Kanonier-Meister, wie der Deines Vaters beruhen würde!«
»Nun denn, warum hat man mich aus dieser Lage gerissen? Fluch denen, die Leidenschaften in mir erweckten, welche ewig schlummern mußten! Fluch denen, die mich nicht unter den Leuten meines Standes ließen! Fluch denen, die in mir Bedürfnisse und Gedanken erregten, die ich jetzt und niemals befriedigen kann, und die, da hast Du ganz recht, mein Leben vergiften werden, wäre es auch großartig und glorreich, wie Jean-Bart's Leben! Ja, Fluch auch über Dich, o Mutter, die Du, statt in der Wiege mich zu erdrosseln, mich in ein kummer- und verzweiflungsvolles Leben hinausstießest!«
Wüthend und aufgebracht kannte Jean Thomas sich selbst nicht mehr, und maß das Zimmer mit gewaltigen Schritten.
Kaum hatte er diese harten Reden ausgestoßen, als das arme Weib ruhig und würdevoll ausstand, mit der einen Hand sich auf ihren Sessel stützte und mit der andern auf die Thür zeigte.
»Geh, Bursche,« sprach sie zu ihrem Sohne, »schwer wird Gottes Zorn dieses Haus treffen, wo ein Sohn seiner Mutter fluchte! – Seiner Mutter! –« wiederholte sie mit dem Ausdruck des tiefsten Schmerzes, und eine Thräne rollte über die hohlen Wangen der Witwe.
Jean hörte nicht darauf, und schritt noch immer heftig im Zimmer auf und nieder.
Da unterbrach eine dritte Person diese traurige und feierliche Scene.
Es war der Oberwundarzt der Sylphide, Doctor Gédeon, ein kleiner, dicker Mann, mit runden, rothen Vollmondsbacken, gepudert und bekleidet mit einem eisengrauen Rock, dessen Kragen und Aufschläge von karmoisinrothem Sammet waren, und einer Weste und Hosen von gleichfarbigem Sammet mit dem Rocke.
Beim Anblicke des Doctors setzte sich die Wittwe wieder und griff von Neuem nach ihrem Rocken, denn sie wollte einen Fremden nicht zum Augenzeugen jener häuslichen Zwiste machen.
Jean unterdrückte seinen Zorn im Entstehen, ging dem Doctor entgegen, und reichte ihm die Hand.
»Guten Morgen, Doctor, was giebt's Neues?«
»Weiter nichts, als die Ankunft unsers Ungethüms von Commandanten, der noch heute oder morgen hier eintreffen soll.«
Diese Neuigkeit schien auf Jean Thomas einen unangenehmen Eindruck zu machen.
»Herr Doctor, warum nennen Sie denn den Commandanten ein Ungethüm?« fragte die Wittwe hinter ihrem Rocken.
»Erstens darum, weil er Kommandant ist, ferner weil er von Adel ist, ein Freiherr, ein Taugenichts, wie die Philosophen zu sagen pflegen; weil er zu jenen Wichten gehört, die die Pfaffen unterstützen, und in mancher andern Hinsicht ein Ausbund ist.«
Bei diesen Worten stand die Witwe auf, legte ihre Kunkel bei Seite, und sprach zu ihrem Sohne:
»Ich verlasse Euch, Jean, ich habe hier nebenan zu thun.«
»Liebe Mutter! ich will mich sogleich mit dem Doctor entfernen,« erwiederte Jean, und griff nach Hut und Degen.
»Ach, Madame,« begann Gédeon von Neuem, und näherte sich mit einem gellenden, höhnischen Gelächter der Witwe, – »ach wahrlich, Mutter Thomas, wegen der Kaputzenträger werden wir uns ewig streiten; – ich bekämpfe den Fanatismus, wo ich ihn treffe.«
»Kommen Sie, Gédeon,« rief Jean und zog den Doctor beim Arme fort.– »Leben Sie wohl, Mutter,« fügte er hinzu und näherte sich seiner Mutter, sie zu umarmen.
Aber die Witwe wich mit strenger Miene zurück, und erwiederte ihm nur ein trocknes:
»Leb' wohl, mein Sohn.«
Jean und der Doctor gingen.
Es war Anfang Januars, eine strenge aber trockne Kälte und der Himmel wolkenleer.
»Was hat denn Deine Mutter?« rief Gédeon.
»Ach!« versetzte Jean, »die singt immer das alte Lied.
Nur dem Adel und den Pfaffen ist sie hold.«
»Welche Thorheit, Theuerster, statt daß sie diese Menschen mit Füßen treten sollte, wie ich es thue. – Aber sage einmal, Jean, willst Du mit auf die Pariser Straße spazieren gehen?«
»Meinetwegen,« erwiederte Jean, der indeß in tiefe Träumereien versunken war. Darauf wandten sie sich nach den Thoren von Brest.
Der Doctor Gédeon war ein schlechtes Seitenstück zu Jean Thomas unglücklichem Charakter, der doch wenigstens noch in seiner Rohheit und Freiheitsliebe, mit welcher er seinen bittern Haß gegen Jeden, der über ihm stand, an den Tag legte, etwas Originelles hatte. Aber der Doctor Gédeon gehörte zu jenen armseligen und gemeinen Menschen, die instinktmäßig jenen mürrischen und herzlosen Groll gegen Jeden, der über ihnen steht, nähren, gleich jener Hunderace, die gewöhnlich Mopse heißen.
Ich bitte um Verzeihung wegen der Trivialität, aber nur dieser Vergleich kann des Doctors beständiges Belfern gegen Alles, was seinen Horizont überstieg, würdig bezeichnen.
Das Wetter war schön, und unsre beiden Spaziergänger trafen, sobald sie die äußersten Boulevard's erreicht hatten, eine ziemliche Menge, vorzüglich Matrosen und Soldaten. Jean Thomas, der die Uniform seines Standes trug, warf seinen Adlerblick nach allen Seiten, um zu erspähen, ob jeder Soldat und jeder Matrose ihm den gebührenden Soldatengruß mache, den Doctor Gédeon auch zum Theil mit auf sich deutete, und sich so in jenen Zeichen der Subordination, die einzig und allein seinem Gefährten galten, täuschte.
Jean Thomas war in diesem Artikel der Disciplin unbeugsam, und hielt mehr als jeder Andere auf die Ehrenbezeugungen und Vorrechte, die seinem Stande gebühren.
Da kamen zwei betrunkene Matrosen, die sich, wie gewöhnlich, bei dem kleinen Finger einander hielten, und mit dem Arme balancirten, des Weges, und turkelten, unter wildem Gesange, in ihrer Seligkeit unsren beiden Spaziergängern entgegen.
Spaßhaft war der Anblick, den diese beiden armen Leutchen, denen der Wein und die Lust das Gesicht verkupfert und aufgetrieben hatten, gewährten, indem sie mit ihren breiten Schultern den Takt zu einem Schlumperliedchen schlugen.
Unempfindlich blieb Jean Thomas bei diesem rührenden Schauspiel, und als er sie kaum gewahrte und ihren Gesang hörte, begann er zu Gédeon:
»Die Schufte dort singen ja recht laut; sehen sie uns denn nicht?«
»Ich hoffe doch,« sprach der Doctor, und warf sich in die Brust, »sie werden das Maul halten und uns grüßen.«
»Du willst sagen, mich grüßen, denn Dir, lieber Doctor, gebührt der militärische Gruß nicht; das mußt Du Dir gefallen lassen. Weißt Du das?«
»Wir haben aber doch Officiersrang!« rief Gédeon.
Da unterbrachen ihn die Matrosen, die jetzt nahe vor ihm standen, und ihre kräftigen Lungen in brüllenden Melodien mächtig anstrengten.
Jean Thomas blieb ein wenig stehen, biß sich in die Lippen, und mit einem wüthenden Blicke auf die Sänger, wartete er, bis sie an ihm vorbeigehen würden.
Aber die Sänger waren allzuselig und beglückt in ihren Herzen, als daß sie den wüthenden Blick des Officiers hätten sehen können, und gingen mit wildem Jauchzen vorüber, ohne den Hut abzunehmen. –
»Ihr seht mich also nicht, Canaillen?« rief Jean Thomas wüthend, und schlug einem von den Dilettanten mit verwendeter Hand die Mütze vom Kopfe.
»Ihr seht uns nicht, Canaillen?« äffte der Doctor seinem Begleiter nach.
»Verzeihung, Entschuldigung, mein Herr Lieutenant,« – begann hierauf einer der Matrosen, und hob seine Mütze wieder auf, – wir hatten Sie nicht gesehen; aber meine Mütze hat mir so ein verdammter Wind vom Kopfe geschmissen.«
»Du hast Recht, der Wind war schuftig,« fuhr der Andere fort; »von einem Vorgesetzten ließe man sich's noch gefallen, aber so ein Pflasterschmierer, so ein »Ich kurire dich nicht mehr,« hat auch gegen mich sogar einen Sturm von Faustschlägen losgelassen; soll ich ihn nun nicht erwiedern, oder soll ich ihm gleich einen ordentlichen Orkan über den Hals schicken, der –«
»Was willst Du, Hund?« rief Jean Thomas, und fiel über den Matrosen her.
»Ich will ihm –«
Jean Thomas unterbrach ihn mit einer tüchtigen Ohrfeige. –
Schon bei den ersten Worten dieses Streites hatte sich ein Kreis von Zuschauern um die beiden Matrosen versammelt; der Tumult ward immer größer, die Menge wuchs, und einige liebreiche Seelen liefen nach dem wachthabenden Sergeant der Schiffsartillerie.
Da erschien ein Courier in grüner, reich mit Silber besetzter Uniform auf der Höhe der Straße, deren Ende man, da sie in der Mitte einen ziemlich steilen Abhang hatte, nicht übersehen konnte.
Der Courier mäßigte den Galopp seines Pferdes, und wollte Schritt für Schritt durch das Getümmel reiten.
»Ho, he! Ho, he!« – rief er. »Macht Platz – für den Herrn Grafen von Vaudrey, Fregattencapitain!« –
Bald darauf ward das Peitschengeknall der Postillons hörbar, die eine große, sechsspännige Berline fuhren, der das Gepäck und zwei Postkutschen mit Heinrich's Dienstleuten folgten.
Eben traf der Sergeant mit vier Soldaten ein, um die Delinquenten zu arretiren, als diese drei Wagen mitten in die dichte Menschenmasse eindrangen.
Jean Thomas war wüthender als je, und der Doctor möglichst zornig.
Als der Graf von Vaudrey den Lärm bemerkte, ließ er den Kutscher halten, bog sich zum Wagenschlage heraus, und fragte:
»Sergeant, was giebt's denn da?«
»Mein Officier,« erwiederte der Sergeant, und grüßte ihn militärisch, als er aus Heinrich's Brust das Ludwigs-Kreuz sah, – »es sind zwei betrunkene Matrosen, die sich gegen ihren Vorgesetzten vergangen haben.«
»Und dies geht nur ihren Vorgesetzten etwas an, mein Herr,« rief Thomas anmaßend und wandte sich zum Grafen, – »und dieser Vorgesetzte bin ich, der Premier-Lieutenant der Fregatte Sylphide, und somit können Sie sich Ihrer Wege scheren.«
»Nun denn, mein Herr,« rief Heinrich lächelnd, »so werden Sie mir erlauben, daß ich dieses Zusammentreffens mich freue, da es mir die Bekanntschaft meines Lieutenants verschafft, der, wie ich sehe, die Disciplin vollkommen versteht. Mein Herr, ich bin der Commandant der Sylphide, Graf Heinrich von Vaudrey.«
Da zwang Jean Thomas sein Gesicht zur Ruhe, grüßte Heinrich, und sprach darauf ganz kalt zum Sergeanten:
»Werft diese Menschen in Ketten –«
»Lieutenant!« – rief Heinrich freundlich, »verzeihen Sie diesen armen Teufeln; denn wenn ein Verurtheilter dem Wagen des Königs begegnet, wird er begnadigt. Ich bin, ich gestehe es Ihnen, auf meinem Schiffe ein wenig König, und möchte jetzt eines meiner kostbarsten Vorrechte anwenden, nämlich das, zu begnadigen!« –
»Wenn Sie, Commandant, diese Menschen deshalb, weil sie mich beleidigt haben, begnadigen wollen, so können Sie dies wohl; aber ich muß dazu einen schriftlichen Befehl haben,« – rief Thomas bitter.
»Ich gebe keine Befehle, mein Herr; ich bat Sie um eine Gefälligkeit. Kein Wort mehr davon! Fort! Schwager, fahr' zu!« rief Heinrich, und warf sich zurück aus seinen Sitz. Bald waren die Wagen verschwunden.
Zehn Minuten darauf, als der letzte Packknecht des Grafen vorüber war, erschien auf der Höhe des Abhanges eine Postkutsche, die den nämlichen Weg verfolgte.
In dieser Kutsche saßen Perez und Rita.