Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Zeigte ich einige Grobheit, so entlehnte ich sie von meiner Rolle.
Shakespeare, 12te Nacht. Act I. Sc. 5.
Den Tag nach seinem Duell schlummerte der Graf von Vaudrey in jenem großen, mit rothem Damast ausgeschlagenen Zimmer, in welchem er den Astronomen so freundlich ausgenommen hatte.
Noch war Rumphius zugegen, und las, den Kopf auf den Arm gestützt, aufmerksam in einem ungeheuren Folianten, wobei er zugleich mit einem Löffel in einer neben ihm stehenden Tasse rührte. Aber in dieser Beschäftigung entwickelte der würdige Herr eine so automatische Bewegung, daß selbst Vaucanson hätte staunen müssen.
Die Hand bewegte den Löffel, der Arm die Hand, und Alles griff magisch in einander, wodurch auf dem Boden der Tasse, die Wunderdinge bewirken sollte, ein beständiges Drehen erzeugt wurde.
»Ach, lieber Gott im Himmel! was haben Sie denn da gemacht, Herr Rumphius?« rief bestürzt der alte Kammerdiener Grosbois, und faßte den Gelehrten beim Aermel.
»He, was giebt's, was beliebt? Ich steh' zu Diensten, bin gleich fertig, will nur hier in dem ehrwürdigen Vater Hortius über Brama nachsehen, was er über den Traktat des Guru denkt. Tarpa Gamana, der die Frage stellt, spricht davon, ob man mit der Frau seines Guru oder seines Vorgesetzten Umgang hegen dürfe,« – sprach der Astronom, Grosbois stier anblickend und hartnäckig genug mit seinem Löffel immer wieder in die Tasse fahrend.
»Aber, Herr Rumphius,« rief der Diener, »was tatschen Sie denn mit Ihrem Löffel in diese Tasse? Sie haben doch gar nichts darin umzurühren. Sehen Sie nur, Sie haben ja Saft und Tränkchen daneben gegossen; sehen Sie, der ganze Marmor schwimmt und der Teppich auch dazu! So geht mir's allemal; es ist mir aber schon recht; warum gebe ich Ihnen auch etwas zu thun?«
»Ja, wahrlich, es ist so, wie er sagt, wahrhaftig!« rief Rumphius, und überzeugte sich mit unglaublichem Ernste von der That. »Ich habe Alles daneben gegossen; ja, Grosbois, in der Veikula findet sich ein ganz ähnliches Symbol. – Die Palmensuppe fällt neben das Becken, spricht das große Ceremoniengesetz des Brama, das Nittia-Carma: die Palmensuppe fällt neben –«
»Aber hier ist ja gar nicht von einer Palmensuppe die Rede, Herr Rumphius. Schon seit einer Stunde sollte der Herr Graf den Trank genommen haben. Aber, wie schon gesagt, es ist mir schon recht, so geht mir's allemal, wenn ich Sie allein lasse!«
»Allein, Grosbois, allein! das ist auch der wahre Guru; allein muß man sein, wenn man den Wischnu mit würdigem Blicke betrachten will und –«
Eben wachte Heinrich auf, und weckte den Astronomen aus seinen Zerstreuungen. »Wo bin ich? wie viel Uhr ist es? Ist es Nacht oder Tag?« fragte Heinrich.
»Endlich redet er wieder,« rief eine Stimme, und Sir Georges näherte sich dem Verwundeten.
»So wahr Gott lebt, Sir Georges, Ihr Anblick thut mir wohl. Aber, alle Wetter, Sie haben eine kräftige Faust; doch bald, hoffe ich, wird Alles wieder gut sein.«
»Nein, Herr Graf, nein, es hat keine Gefahr,« sagte Sir Georges, »die Wundärzte haben keinen Augenblick an Ihrem Wiederaufkommen gezweifelt. Nur ein einziger Theil war schwer verletzt. Daher sein Sie ohne Sorgen, leben Sie wohl, Herr Graf; ich wollte Sie vor meiner Abreise noch ein Mal sehen. Jetzt befürchte ich nichts mehr für Ihr Leben; leben Sie wohl.«
»Sie reisen nach England?« fragte Heinrich.
»Nach England?« wiederholte Sir Georges, und düstrer ward sein Blick. »Ja, nach England,« erwiederte er darauf.
»Laßt uns allein,« sprach Heinrich zu Rumphius und zum Kammerdiener. Darauf wandte er sich zum Capitän: »Hören Sie mich, Sir Georges. Als ich Sie zum ersten Male sah, war mir Ihr Ruf als unerschrockener Seeheld wohl bekannt, und ich fühlte Bewunderung für Ihren Muth und Ihr glänzendes Gefecht; diesem Umstande schreibe ich das besondere Interesse zu, das Sie mir von allem Anfange einflößten. Ohne ein großer Menschenkenner zu sein, Sir Georges, las ich doch gleich in ihrem Aeußern, daß ein schwerer Kummer auf Ihrem Herzen lastete.
»In der Hoffnung, mir Ihr Zutrauen zu erwerben, und so Ihnen vielleicht durch tröstenden Zuspruch nützlich werden zu können, versuchte ich einige Wege und Mittel, welche aber mit Fug und Recht von Ihnen abgewiesen wurden, da Sie mich noch nicht genug kannten, um mir Ihr Geheimniß anvertrauen zu können. Darauf mußte ich ein anderes Mittel versuchen, und durch eine unverschämte Verläumdung meines armen Freundes la Jaille, der Sie gewiß so bewundert, wie nur Jemand Sie bewundern kann, fand ich Gelegenheit, mich mit Ihnen zu schlagen; doch nahm ich mir vor, Sie nicht zu verwunden, und mich nur defensiv zu verhalten. Bei dieser Spielerei konnte ich um's Leben kommen, es ist wahr, aber daran denke ich bei solchen Dingen sehr wenig. Jetzt werden Sie mich fragen, wie jenes Duell und das Interesse, welches Sie mir einflößten, zusammenhängt? Ich will es Ihnen erklären, Sir Georges. In Frankreich, Herr Capitän, sind zwei Edelleute, sobald sie sich, ohne die Gesetze der Ehre zu verletzen, einer Lumperei wegen geschlagen haben, Freunde auf Leben und Tod, als wären sie schon zwanzig Jahre lang die innigsten Freunde gewesen.
»Jetzt,« fügte der Graf lächelnd hinzu, »jetzt, Sir Georges, da wir schon zwanzig Jahre lang die innigsten Freunde sind, werden sie mich wohl würdig finden, Ihr Geheimniß zu theilen; denn Sie haben eines, und leiden, davon bin ich überzeugt, vielleicht nur deshalb, weil Ihnen ein Freund fehlt, dem Sie sich anvertrauen können.«
Sir Georges ward einen Augenblick durch solchen Edelmuth und so viel Zartgefühl innigst gerührt. Heinrichs Hände schloß er in die seinigen und blickte ihn, keines Wortes fähig, wehmüthig an.
»Demnach, Sir Georges,« begann Heinrich von Neuem, »wenn Sie, ohne die Ehre zu verletzen, oder ein heiliges Gelübde zu brechen, mir Ihr Herz öffnen können, so thun Sie es im Namen der Freundschaft; denn mein sonderbares Streben, mich Ihres Vertrauens würdig zu machen, entsprang aus einer geheimen Ahnung, daß ich Ihnen in etwas behilflich sein könnte. Darum frei heraus damit! Ist's ein Weib, das Sie verlassen müssen, wir wollen sie entführen. Ist's ein Ehemann, der Ihnen im Wege steht? wir wollen ihm Zerstreuung machen. – Ist's –«
»So viel Edelsinn kann nicht unvergolten bleiben, Herr Graf,« unterbrach Sir Georges Heinrich; »weil Sie dieses Geheimniß, das mit mir zu Grabe gehen sollte, zu wissen wünschen, so sollen Sie es erfahren. Herr, gespielt habe ich, gespielt, auf Ehre, und eine beträchtliche Summe verloren, 4000 Louisd'or! Lord Gordon, mein Vater, ist Gouverneur in Indien. Nun aber ist es mir unmöglich, die Summen, deren ich bedarf, um diese heilige Schuld vor meiner Abreise zu bezahlen, aufzubringen; denn ich muß mit einem auf Frist gestellten Passe nach England zurückkehren, und fürchte den Ruf eines Schuftes mit mir nehmen zu müssen. Die Hoffnung, unsern Gesandten zu treffen, trieb mich zum Marschall von Castries. Unglücklicherweise war er eben nicht in Versailles. Ihm allein konnte ich mich, unsern Familienverhältnissen gemäß, anvertrauen. Dies, mein Herr, ist das ganze Geheimniß; daß ich morgen schon bezahlen und abreisen soll, und daß ich's morgen noch nicht kann, das brennt mir auf dem Herzen. Jetzt, mein Freund, wissen Sie Alles. Dank für Ihre Theilnahme, leben Sie wohl! Zufrieden, daß ein Freund mehr mich bedauert, werde ich zu sterben wissen.«
»Höll' und Teufel!« rief Heinrich, »dacht' ich's doch, daß Ihr Vertrauen zu Etwas gut sein würde; wenn auch nicht für Sie, doch für mich!«
Staunend blickte Sir Georges Heinrich an.
»Sonder Zweifel – aber still – unter Freunden muß man behutsam reden. Hören Sie mich, Sir Georges, ich habe 50,000 Thlr. Einkünfte und einen rechtschaffenen Verwalter, der mir das meinige schier verdoppelt. In zwei Jahren bin ich kaum sechs Monate lang zu Lande, und kann daher das Geld zum Fenster hinauswerfen; denn ich weiß, hol' mich der Teufel, nicht, wie es zugeht, daß ich immer einige tausend Louisd'or übrig behalte, ohne noch in Anschlag zu bringen, daß mir für plötzliche Unfälle ein Onkel, der Bischof von Surville, übrig bleibt, welcher unermeßlich reich ist, und sich stets gegen mich beklagt, daß seine Stelle eine wahre sinecura ist; nun können Sie sich sehr verdient um mich machen, Sir Georges; die Gelder stehen in Frankreich eben nicht sicher, daher habe ich schon lange Zeit Lust gehabt, mehrere Summen der indisch-englischen Compagnie anzuvertrauen, und da nun Ihr Vater Gouverneur jener Besitzungen ist, so würden Sie wohl die Güte haben, mir Actien zu verschaffen. Da diese baar bezahlt werden müssen, so werde ich Ihnen einige 100,000 Livres bei Sicht auf Bourette, den Oberpächter, ausstellen, dem Sie dann von England aus die Actienscheine zuschicken würden, wenn Sie die große Gefälligkeit gegen mich haben, meine Commission beim Comptoir der Compagnie zu übernehmen.«
Sir Georges machte eine Bewegung, als wenn –
»Schlagen Sie mir's nicht ab,« sagte Heinrich sanft. »Könnte ich nicht dereinst auch englischer Gefangener werden? Also seien Sie nicht egoistisch, Sir Georges! Zaudern Sie, mir diesen Dienst zu erweisen? Auf Ehre, ich werde nicht undankbar sein, wenn ich jemals Gelegenheit finde, Ihnen wieder nützlich zu werden.«
Er hatte dieses Anerbieten mit so viel Zartgefühl gethan, daß Sir Georges es nicht abschlagen konnte. Er fiel Heinrich um den Hals, und die beiden Jünglinge schwärmten in gleichen Gefühlen. Ihre schönen Seelen verstanden sich, und Georges nahm es an; denn bei solchen Herzen giebt es weder Wohlthat noch Verpflichtung; Empfänger und Geber sind gleich glücklich.
Sir Georges bezahlte seine Schuld und reiste am nämlichen Tage noch nach England ab. –
Als Heinrich allein war, rieb er sich entzückt die Hände.
»Ich wußte es wohl,« rief er, »daß ich das Geheimniß erfahren würde. – Jetzt ist Cäcilie mein.«