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Eine Frau ist ein Vogel.
Psychologische Studien.
Man stelle sich ein Boudoir vor, tapezirt mit weißem Atlas, welcher mit großen rosenfarbenen Blumen von Damast durchwebt und mit eben solchen Vorhängen verziert ist, an welchen sich ein Besatz großer Perlen hinzieht, die auf einer wundervollen Goldstickerei glänzen; dessen Fensterscheiben, nach Art der gothischen, geschliffen und hellroth gefärbt sind, und nur zur Hälfte das Tageslicht in das liebliche Gemach eindringen lassen, so daß der geheimnißvolle, zarte, rosige Schein dem der Dämmerung an einem schönen Sommerabende gleicht.
Dieses Kabinet war mit jenen ausländischen, alterthümlichen und jetzt wieder modischen Tändeleien im reichsten Maße versehen. Da standen japanische Vasen von grünem und goldenem Porzellan, voll von frischen, duftigen Blumen; japanische Glasuren, roth und schwarz; japanische Carricaturen, so abscheulich und brennend bunt gemalt, wie man sie sich nur vorstellen kann. Ferner standen da auf einem porphyrenen Kamine etliche chinesische Vasen von buntem Glase, wovon das Paar gegen hundert Louisd'or kostete. Diesen Schmuck des kostbaren Gemachs erhöhten noch die nützlicheren Gegenstände, nämlich ein prächtiges Klavier von Marchand, eine Harfe von Legris, die damals für eine Seltenheit galt, und auf einem kleinen, alterthümlichen Tischchen eine Schachtel mit Pastellfarben und weißem, aufgespannten Velinpapier.
Die Gottheit dieses Tempels lag nachlässig auf ein großes, tiefes, rundes Kanapee hingestreckt. – Es war die Baronin von Cernan.
Niemals hatte ihr anmuthiges, gewandtes und launisches Gesicht einen eigensinnigem und boshaftem Ausdruck gezeigt. Alle Nerven dieses empfindsamen Weibes waren gereizt und gespannt.
Ihr einfaches, weißes Kleid und ihr kunstloser Kopfputz stand ihr vortrefflich.
Sie las in einem kleinen, in rothem Maroquin gebundenen, stark mit Gold verzierten Buche.
Nach fünf Minuten warf sie das Buch weg. Es war » das Sopha« des jüngern Herrn von Crebillon.
Darauf stand Cäcilie auf, setzte sich schnell an ihr Klavier und fing an, eine neue Romanze des Herrn von Laborde zu singen, jenes berühmte: Lubin und Lubine oder der tyrannische Schäfer.
Schon nach wenigen Accorden schlug Cäcilie zornig das Klavier zu, denn sie konnte nicht singen. Ihre Stimme zitterte, und ihre Finger irrten unstät auf den Tasten umher. Jene Romanze zerriß sie, trat sie mit Füßen, zerstampfte sie, schlug mit ihren niedlichen Fäustchen aufs Klavier, und barg mit dem Ausrufe: »O, mein Gott, wie unglücklich bin ich!« ihr Gesicht in den Pfühlen des Sopha's.
Fünf Minuten nachher lachte Cäcilie wieder aus vollem Halse, und hielt auf ihren Knieen ihre wundernette Zerbine, den Spitz mit seinen langen, silberglänzenden, glatten, parfümirten Seidenhaaren.
Mit Hülfe eines rothen Bandes schmückte die Frau von Cerman ihre Zerbine, und obgleich Zerbine sonst sehr eigensinniger und tölpischer Art war, so ließ sie es sich doch ganz ruhig gefallen, als Cäcilie sich erzürnte, und mit ihrer kleinen Sammethand die arme Zerbine maulschellirte, sie von sich stieß, und sich an den Tisch setzte, auf welchem die Pastellfarben standen.
Damit war es freilich eine andere Sache. – Ich weiß nicht, welche Züge unter den Farbenstiften Cäciliens erschienen, aber nach einigen, wahrscheinlich fruchtlosen, Versuchen flog der Carton durch die Lüfte, mit ihm die Pastellfarbenschachtel, die im Wirbel auf eine von jenen schönen chinesischen Glasvasen stürzte, daß die Stücken auf einen türkischen Prachtteppich niederklirrten.
Als Cäcilie die kostbare Vase in Trümmern sah, da stieg ihr Zorn aufs Höchste und ward zu jener blinden Wuth, die verliebten Schwärmerinnen oder verzogenen Kindern so eigen ist, daß sie, wenn sie einen Gegenstand in ihrer Wuth zerbrochen haben, noch zehn, zwanzig und alles Uebrige zertrümmern könnten, worin ihnen nur das Schwinden ihrer Kraft Schranken setzt, so wie der bluttrunkene Soldat nicht eher aufhört zu schlachten, bis er seinen Arm nicht mehr heben kann.
Cäcilie gab sich so dem ganz unlogischen Gedanken, daß, wenn man Etwas zertrümmert hat, man alles Andere auch zertrümmern müsse, mit aller Kraft hin, und wie nun alles zerschlagen war, da konnte sie freilich nichts Besseres thun, als in Ohnmacht fallen.
Glücklicherweise hatten ihre Frauen den höllischen Lärm gehört, und kamen herbeigelaufen, lösten ihrer Gebieterin die Kleider, und besprengten sie mit ungarischem Königswasser. Da schlug Cäcilie die Augen auf und kam wieder zu sich.
Eine ihrer Frauen blieb bei der Baronin, und überreichte ihr, ehe sie wegging, geheimnißvoll einen Brief, den Cäcilie, als sie kaum Adresse und Siegel erblickte, ins Feuer warf. Darauf wollte sie ihn wieder sehen, und zog ihn, trotz der Gefahr, sich die Finger zu verbrennen, aus dem Kamine.
Dieser, obgleich erst so verachtete Brief, war dennoch ein Liebesbrief. Aber diese Liebe, wie glühend auch, war doch so rein, so uninteressirt und überspannt, daß nicht nur eine Mutter keinen Anstoß daran gefunden, sondern auch ein vernünftiger Ehemann sich dadurch sehr geschmeichelt gefühlt haben würde. Dieser platonische und seltene Liebhaber war trotz dessen Oberst-Lieutenant beim Infanterieregimente von Burgund, und stand jetzt eben zu Revers in Garnison. Er beklagte sich über Cäciliens langes Stillschweigen und schmachtete nach einem Briefe, der all' sein Hoffen und Trost war. Cäcilie zerzauste das Billet, und warf's wiederum in's Kamin.
»O, wie unglücklich bin ich doch!« rief sie. »Da ist nun der Herr von St. Cyr, der mich aus Herzensgrunde liebt. Es ist einer der beliebtesten und liebenswürdigsten Männer, den ich kenne. Nie habe ich ihm etwas zugestanden, nie hat er mich um Etwas gebeten und doch ist seine Liebe sonder Gleichen, und dennoch, warum? weiß ich selbst nicht, kann ich –«
Da trat der Kammerdiener ein. »Der Courier des Grafen von Vaudrey hat so eben diesen Brief an die Frau Baronin gebracht,« sprach er und übergab Cäcilien einen Brief.
»Laßt mich allein,« rief sie, griff gierig nach dem Briefe, las ihn, und – er war von Heinrich.
»Als ich beim Marschall von Castries die Ehre hatte, mit »Ihnen zu speisen, äußerten Sie: »»Was würde ich darum »»geben, wenn ich erfahren könnte, warum in dem Blicke jenes »»Engländers so viel Wehmuth liegt; – wie froh würde ich »»sein, wenn ich dieses Geheimniß wüßte!«« Diese Worte, »je unbedeutender für Sie, desto wichtiger für mich, da sie einen »Ihrer Wünsche betrafen, vergaß ich nie; das Geheimniß habe »ich erforscht; ich kenne es; wann aber werde ich es Ihnen »offenbaren können?« –.
»Das ist also die Ursache des Duells mit jenem Engländer!« rief die Baronin, – »und bloß für mich, für mich, die ich mich für verachtet hielt! – Ha, ich möchte rasend werden.«
Dann sprang sie an ihren Tisch, und schrieb in aller Eile das einzige Wort: »Augenblicklich,« klingelte und sagte zu ihrem Lakei: »An den Herrn von Vaudrey.«
Kaum war der Bediente fort, als Cäcilie über das Unschickliche in ihrer Antwort die sie Heinrich gegeben, sich bitter zu ärgern anfing. Das gefühlvolle und lebhafte Weib hatte sich durch das plötzliche Gefühl der Freude, des Erstaunens und des Glücks hinreißen lassen. Als sie wieder zur Besinnung kam, sah sie ein, wie zweideutig ihr Benehmen war.
Da weinte sie vor Wuth, und ließ, wie gewöhnlich, ihren ganzen Zorn an dem aus, der die Ursache zu diesem ihrem Benehmen gewesen war.
Denn, sich sonderbar genug widersprechend, liebte sie Heinrich als Liebhaber, haßte ihn aber als Menschen.
Deshalb, glaube ich, irrt man gar sehr, wenn man annimmt, daß die Weiber einen Mann bloß wegen der an andern Weibern begangenen Treulosigkeiten lieben.
Dafür haben sie, so zu sagen, zu viel Gemeingeist.
Es liegt, glaube ich, in ihrer Aufführung minder Liebe als Neugier, Frauenstolz und unstäte Hoffnung auf Rache, oder Vertrauen auf ihre Obermacht, die, ihrer Meinung nach, sie über das gewöhnliche Schicksal erhebt; und indem sie dem Treulosen Rechte zugestehen, wissen oder meinen sie vielmehr, einen vollständigen Einfluß über ihn zu erlangen, den sie später zu brauchen hoffen, um die gemeinschaftliche Sache zu rächen, und dieses Streben ist wunderbar genug. Dazu kommt unglücklicherweise, wenn, wie es oft der Fall ist, der Treulose zugleich liebenswürdig ist, noch der Egoismus, und das Weib, ohne auf gemeinschaftliche Rache zu denken, giebt sich ihrem Privatglück hin und läßt sich in süße Träume einlullen, so daß sie nicht glaubt, eben so, wie die andern, betrogen zu werden, weil sie schöner als Andere ist; bis sie dereinst aus ihrem Traume erwacht, und, ihr Geschlecht nicht verleugnend, Rache glüht.
Cäcilien quälte die schrecklichste Angst, und bald nahm sie sich vor, Heinrich mit Verachtung und Hohn zu empfangen und ihn sein zuversichtliches Zutrauen entgelten zu lassen; bald wollte sie sich gütig und zart zeigen, und ihm wenigstens für jene ritterliche Aufopferung, die ihn, bloß wegen eines von ihr zufällig hingeworfenen Wortes, in Lebensgefahr gebracht hatte, danken, aber ihm Alles, selbst die Hoffnung, verweigern.
Während so Stolz und Liebe in ihrem Busen kämpften, meldete man den Grafen von Vaudrey.