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Hermia.
Ich betheure Dir, daß ich Dich mehr liebe, als sie Dich lieben kann.
Lysander.
Sprichst Du so, dann komm bei Seite, und beweise es mir.
Shakespeare, Sommernachtstraum A. III. Sc. 1.
»Wie mir Ihre Frauen sagten, sind Sie unwohl gewesen,« sagte Herr von Cernan und küßte Cäciliens Hand, »aber ich sehe mit Vergnügen, daß es jetzt besser geht; doch sind Sie immer noch ein wenig blaß.« Darauf grüßte er Heinrich und fuhr fort: »Ich bin entzückt, Sie zu treffen, Herr Graf; denn ich komme so eben von Versailles, und der Marschall von Castries hat mich gebeten, Ihnen diese Depeschen einzuhändigen. Sie seien sehr pressant, meinte er, darum sehen Sie dieselben durch; Frau von Cernan erlaubt es Ihnen.«
»Ach, das ist der Befehl, mich schleunigst auf meinen Posten zu verfügen,« rief Heinrich, »wo möglich binnen zweimal vier und zwanzig Stunden abzureisen, und in Brest neue Befehle zu erwarten. Diese Abreise kommt mir sehr schnell,« fügte er hinzu, und sein Blick traf den der Baronin.
»Alle Teufel!« rief der Baron, »und ich, wie soll ich in zweimal vier und zwanzig Stunden schon reisefertig sein?«
»Ach, ich glaube kaum, daß wir Beide zugleich abreisen müssen, denn in einer hier beigefügten Note wünscht der Marschall von Castries mich nur deshalb so schnell nach Brest, um dort selbst die Ausrüstung meiner Fregatte leiten zu können. Es ist dies nämlich ein Versuch, ein neues Artillerie-System zu organisiren.«
»Ach, dann werde ich Zeit genug haben, mich vorzubereiten,« versetzte der Baron, »und ich will nicht auf mich warten lassen. Aber ich verlasse Sie, gnädige Frau,« sprach er zu seiner Gemahlin; »denn die Stunde des Condorcet-Klubbs naht.«
Der Baron ging.
»In zwei Tagen reisen Sie ab,« – sagte Cäcilie.
»Ja,« erwiederte Heinrich heiter, »und nehme Ihren Mann mit; dafür, das müssen Sie selbst gestehen, sind Sie mir eine Entschädigung schuldig; denn es ist von mir sehr edel, indem ich so vielleicht einen begünstigten Liebhaber glücklich mache.«
Während dieser Worte blickte Heinrich gedankenlos in das Kamin, und bemerkte den Brief des platonischen Hauptmanns. Sich bücken, ihn aufheben, ihn lesen, war das Werk eines Augenblicks.
»Ha, bei Gott! ich habe recht gerathen. Nun, gnädige Frau, hatte ich Unrecht, als ich Ihren Protestationen nicht glauben wollte?« rief Heinrich und zeigte ihr den Brief.
»Was aber, was sagt dieser Brief, dessen ich mich schämen dürfte, mein Herr?« erwiederte Cäcilie stolz.
»Er sagt mir, gnädige Frau, daß diese Scene schon lange genug gewährt hat, so daß ich fürchte, Ihnen kostbare Augenblicke zu rauben, und mich entferne –«
»Sie kommen nicht von der Stelle, mein Herr, bevor Sie nicht Alles gehört haben,« rief Cäcilie. »Ja, allerdings machte mir Herr von St. Cyr den Hof, bevor ich Sie kannte; er hat mir mehrmals geschrieben, ich ihm geantwortet; doch andre Beweise meiner Liebe empfing er nie von mir, glauben Sie es; – aber nein, Sie werden es nicht glauben, weil Sie nichts von mir glauben,« rief Cäcilie und weinte.
»Cäcilie, ich würde an Ihre Liebe glauben, wenn Sie mir einen unverwerflichen Beweis davon geben wollten. Sie lieben mich, sagen Sie; nun denn, beweisen Sie es mir. In zwei Tagen ziehe ich in einen gefährlichen Krieg; vielleicht sehe ich Sie nie wieder – o könnte ich doch, holde Cäcilie, mindestens die Erinnerung mit mir nehmen, daß ich ein Mal wenigstens überzeugt war, geliebt zu werden, innig geliebt zu werden! – Denn ich weiß es wohl, von Ihrer Seite würde es ein großes Opfer sein; aber welche unermeßliche Liebe würde dies beweisen, und wie edel würde es sein, so Kleines mit so Großem zu belohnen, und einen Menschen mit einem so unverhofften als unerhörten Glück zu überhäufen! Aber ach, ich bitte um Etwas, Cäcilie, ohne Hoffnung, es zu erhalten; ich weiß, daß solch' ein Opfer die Kräfte Ihres Geschlechtes übersteigt, und daß, seit es eine Liebe auf Erden giebt, nie solch' ein Beweis der Liebe gegeben worden ist; und also bitte ich Sie darum, Cäcilie, gleich dem Atheisten, der von Gott ein Wunder verlangt, um sich zu bekehren und ihn anzubeten.« Darauf küßte er Cäciliens Hände und weinte selbst, wie es schien.
»Ach, das ist unmöglich,« rief Cäcilie, fast bewußtlos, verloren in tausend und aber tausend Gefühlen, die so heftig sich in ihr regten. »Zudem halten auch die Vorbereitungen zur Reise meinen Gemahl mehr als je hier zurück, und Sie sehen selbst, daß es nicht möglich ist.«
»Das ist ein Vorwand,« rief Heinrich.
»Ein Vorwand, mein Gott! – ein Vorwand!« –
»Nun, Cäcilie, wenn es kein bloßer Vorwand ist, so weiß ich ein Mittel, das uns aus aller Noth hilft,« versetzte Heinrich nach kurzem Nachdenken. »Sie haben oft an Herrn von St. Cyr geschrieben?«
»Ich habe es Ihnen schon gesagt.«
»Er hat Ihre Briefe?«
»Ich denke es.«
»Sie haben die seinigen?«
»Ja.«
»Nichts darin kann Sie compromittiren?«
»Nein, bewahre Gott! da, hier sind sie, lesen Sie.«
»Nun denn, so nehmen Sie diese Briefe, und wenn Ihr Gemahl wieder kommt, werfen Sie sich ihm zu Füßen, gestehen Sie ihm diesen Briefwechsel, sagen Sie ihm, daß Sie, weil Sie ihn im Begriffe nach Amerika abzureisen sehen, ihm ein Geheimniß, das Sie drücke, offenbaren wollen; gestehen Sie ihm, daß Sie unklug gehandelt haben, doch, daß Sie am Rande des Abgrundes, im Augenblicke des Hinabstürzens, zurückgeschaudert seien, daß Ehre, daß Pflicht Sie zurückgehalten haben.
»Zum Beweis dafür übergeben Sie ihm die Briefe des Herrn von St. Cyr, und bitten ihn um die Erlaubniß, während seines Aufenthalts in Amerika in ein Kloster gehen zu dürfen.«
»Nun, was weiter? das klingt hübsch!«
»Oh, Sie unschuldige, kindliche Seele! – Darauf bitten Sie inständig ihren Gemahl, augenblicklich nach Nevers zu reisen, Ihre Briefe aus den Händen des Herrn von St. Cyr zurückzuholen und ihm die seinigen wieder zu überliefern. Ganz gewiß reist heut Abend oder morgen früh der Baron ab; so gewinnen wir vier und zwanzig Stunden ganz für uns, Cäcilie, und Sie gewinnen durch jenes großherzige Geständniß noch obendrein den Vortheil, daß Ihr Gemahl in Zukunft felsenfest an Ihre Treue glauben wird.«
»Ha! aus solchen Plänen,« rief Cäcilie, »spricht Ihr böser Geist, jener verruchte Dämon. Nie, nie kann ich darein willigen, lieber sterben, lieber Sie an meiner Liebe zweifeln sehen
– – – – – – – – – – –
Der grauende Morgen traf den Baron von Cernan schon auf der Straße nach Nevers, und er dachte bei sich – »Sicher kann ich in Amerika keine so tugendhafte Frau finden. Am Rande des Abgrundes zurückzuschaudern, mir so kühn ein solches Geständniß zu thun! Aber wahrlich, ich schätze mich sehr glücklich, mit einem so feinen Manne, wie Herr von St. Cyr ist, zu thun zu haben, denn wahrhaftig, nicht ohne Rührung kann ich jene Stelle seines letzten Briefes lesen.« Und der Baron las:
»Nein, gnädige Frau, nein, ich verlange nichts und werde nie etwas verlangen. Habe ich nicht schon Alles? Habe ich nicht schon Ihre Liebe? Lieber wollte ich einen hundertfachen Tod erleiden, als nur daran denken, Sie zum Hochverrath an den heiligsten Pflichten zu verführen, als Ihre Ruhe im mindesten zu gefährden, und die Ehre eines Biedermannes, der in jeder Hinsicht glücklich zu sein verdient, zu beflecken. – Lieben Sie ihn von Herzen, edle Frau, Sie haben keine Heuchelei zu befürchten, denn eine Liebe, wie die unsere, kann die Seele nicht entwürdigen, nur adeln; man wird deshalb nie schamroth, man ist stolz darauf, weil nur Reinheit und Unschuld in jener hehren Sympathie liegt, welche zwei Seelen, die, erhaben über die materiellen Leidenschaften dieser Welt, sich verstehen, zu erheben vermag.« –
»Es ist bewundernswürdig,« rief der Baron und legte die Briefe in ein Portefeuille, »der Herr von St. Cyr ist ein Mann von altem Schrot und Korn, und ich wage weder gegen ihn noch auch gegen meine Frau feindselig auftreten.«
Eben brach die Nacht an, als der Baron Nevers erreichte.