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»Sie haben sich sehr schnell entfernt,« sagte der Wirth zu seinem Gaste.
»Es war wohl Zeit dazu, weil der Teufel in unserer Mitte Platz nahm.«
Walter Scott, Kenilworth.
Sechs Tage nach des Grafen von Vaudrey Ankunft in Brest schwatzten zwei Kameraden ganz gemächlich mit einander in einem unbedeutenden Wirthshause der rue de la Souris in der Recouvrance.
Es war ein ziemlich weiter Saal, in welchem lange Tafeln und Bänke von Eichenholz standen, erleuchtet von eisernen, an der Mauer aufgehängten Lampen; geheizt aber ward er durch einen ungeheuern Kamin, der fast im Hintergrunde dieses Gemachs seine belebende Wärme und seine röthlichen Strahlen verbreitete.
Unsere beiden Leute hatten ihr Tischchen sich recht bequem zum Kamin gesetzt, und da saßen sie denn, die Füße auf dem Feuerbocke, die Arme auf dem Tische, und vor ihnen stand ein großer Zinnkrug mit einem, Gott weiß was für welchem, rauchenden Naß, welches ihnen ein sehr freundschaftliches Gespräch zu würzen schien.
Der Aeltere von ihnen schien fünfzig Jahre alt zu sein, aber sein mächtiger Wuchs, seine kräftigen Züge, sein heiteres, kerngesundes Gesicht, verriethen ein munteres Alter, voll Kraft und Stärke.
Dieser Mann war sorgfältig gepudert, und seine Haare, ohne Haarbeutel, wurden hinten von einem kleinen Lederbande zusammengehalten, auf dem zwei Kanonen, und ein Anker, und darüber die königliche Krone, in Kupfer geschlagen, sichtbar waren.
Außer diesem kleinen Militärabzeichen war seine Kleidung sehr einfach und bürgerlich, sein Rock von kastanienbraunem Tuche, die Weste leberfarben, Hosen und Strümpfe grau. Dazu kam eine hohe weiße Halsbinde, in die er bisweilen sein Gesicht bis zur Nase verbarg, so daß man dann nur seine beiden kleinen schwarzen Augen und seine runzliche und sinnige Stirn sah, deren Röthe der Puder nur noch mehr hervorhob.
In sittlicher Hinsicht schien dieser Mensch der größte Pedant von der Welt zu sein; seine Reden waren anmaßend und oft auch unverständlich, denn gewöhnlich staffirte er sie mit einer Masse von Worten aus, deren Bedeutung er selbst nicht kannte, und die ihm deshalb zur vornehmen Sprache zu gehören schienen. Denn vor allen Dingen scheute sich dieser Herr ganz entsetzlich davor, er möchte in seinen Reden, seiner Kleidung und seinen Manieren einem Matrosen gleichen.
Dieser Mann war Ivon Kergouët, aus Ploermel gebürtig, und Meister der Bürger-Kanoniere am Bord der Sylphide Diese Bürger-Kanoniere bildeten eine Korporation, welche ihre eigenen Freiheiten und Einrichtungen hatte. Sie dienten in diesem Corps vom Vater auf den Sohn, und obgleich sie der Disciplin am Bord unterworfen waren, pflegten die Offiziere sie doch nicht selbst zu bestrafen, sondern dies ihrem Kanoniermeister zu übertragen. Dieser hatte häufig über seine Leute eine solche moralische Gewalt, daß die Strafe für einen leichten Fehler z. B. darin bestand, acht Tage nicht mit dem Meister sprechen zu dürfen. Und bei dieser scheinbar so oberflächlichen Disciplin geschah der Dienst mit unbegreiflicher Pünktlichkeit und seltenem Eifer..
Sein Gefährte war Perez.
Perez war einfach grau gekleidet, aber sein hageres und braunes Gesicht verrieth noch seine letzten Leiden und die entsetzlichen Gefühle, die ihn bewegt hatten.
Meister Kergouët, der aus einer langen Pfeife rauchte, hatte sich in so dichte Dampfwolken gehüllt, daß er völlig hinter diesem Vorhänge verschwunden war, und daß man die Anwesenheit des Bürger-Kanoniers nur aus den pathetischen Worten errathen konnte, welche, einer unsichtbaren Orakelstimme gleich, aus jenem Gewölke hervorschallten.
»Ei, ei, daran thun Sie sehr Unrecht, daß Sie nicht rauchen, Herr Charles,« (denn diesen Namen hatte Perez angenommen); das ist eine falsche, zu ängstliche Delicatesse, denn in der Natur hat Alles Fug und Recht, zu rauchen, vom Vulkan bis zum Schnee, das habe ich bei meinem letzten Zuge an den Nordpol im Jahre 1768, am Bord der Folie, unter dem Capitän von Kerguelen, eingesehen. Denn, Herr Charles, da der Schnee raucht, er, der es doch weniger als jeder Andere thun sollte, denke ich, thun wir gar nicht übel daran, ihm nachzuahmen.«
Ein entsetzlicher Husten, woran Perez fast erstickt wäre, unterbrach den Kanonier in seiner Apologie.
»Sie haben Recht, Herr Kergouët,« versetzte Perez daraus. – »Aber mein Husten kommt nur daher, weil ich den Taback noch nicht gewohnt bin; doch unter Euch Soldaten werde ich mich schon daran gewöhnen.«
»Ich habe es Ihnen ja schon ein Mal gesagt, Herr Charles,« rief Kergouët, und ging zornig aus seinem Wolkenhimmel hervor, »ich bin kein Soldat, sondern ein Bürger-Kanonier, verstehen Sie, Bürger, Bürger, im wahren Sinne des Worts, Bürger, mit Leib und Seele Bürger.«
Leicht kann man sich die Erbitterung des Meisters Kergouët denken, wenn man überlegt, daß er das leibhaftige Conterfei seines Standes war, und daß dieser Stand nichts mehr fürchtete, als für Soldaten zu gelten; er schlug sich zwar deshalb nicht minder gut, hielt aber fest und steif auf seine Bürgerfreiheiten.
»Ich hatte es vergessen, Herr Kergouët.«
»Das mag sein. – Aber sehen Sie, wenn. man kein Soldat ist, will man auch nicht als Soldat behandelt sein. Nichts sieht übrigens dem Soldaten so unähnlich, als unser Stand! Denn was thun wir denn? An Bord fegen wir unser Geschütz, und das ist doch gewiß sehr bürgerlich; denn eine Kanone oder ein Comptoir fegen, ist einerlei! Giebt's ein Gefecht? Nun, dann schütten wir Pulver in unsere Kanonen, setzen eine Kugel darauf, wie ein Lebküchler Muscate und Pfeffer in ein Dütchen thut, dann bringen wir Feuer hinzu, – wie man eine Laterne anzündet, – und deshalb sollen wir uns doch nicht etwa Soldaten schimpfen lassen? Das ist nicht wahr; wir sind Bürger, denn wir gehen in keinem Gefechte weiter, als es dem Bürger geziemt.«
»Aber wenn Sie nun beim Entern mit zuhauen, Herr Kergouët?«
»Beim Entern, – beim Entern!« tief der Kanonier und drückte sein Gesicht zur Hälfte in seine Halsbinde, als wolle er darin ein Argument suchen, das er auch ohne Zweifel fand, denn er fuhr lebhafter als je in seinen Behauptungen über den Bürgerstand also fort: »Beim Entern! Nun, was beweist dies? Ein schlagendes Beispiel. Sie sind ruhig in Ihrem Hause, nehme ich an. Da kommen Räuber, Sie schmählich daraus zu verjagen; Sie nehmen einen Säbel, Spieß, Art, kurz, das erste Beste, was Ihnen unter die Hände kommt, und fallen über die Räuber her. – Nun, beim Entern ist's eben so. Das Schiff, das ist unser Haus, worin wir Bürger sind; daraus will man uns vertreiben, darin giebt es nichts Soldatenhaftes; Alles ist bürgerlich, denn es giebt wohl keinen Bürger, der sein Haus nicht vertheidigte. Ja, erst an Bord, sollen Sie schon andere Begriffe bekommen.«
»Gewiß, Herr Kergouët,« versetzte Perez, »aber sagen Sie mir einmal, ist denn Ihr Commandant, der Herr Graf von Vaudrey, ein guter Mensch, – ein braver Officier?«
»So viel ein Bürger, wie ich, urtheilen kann, Herr Charles, – ein guter Mensch? nein! Ein braver Officier? ja! Gott straf' mich, an Bord ist er ein Teufelskerl. Einst, habe ich mir sagen lassen, denn in der Nähe habe ich ihn selbst noch nicht gesehen, hat er einen Bürger-Kanonier, verstehen Sie, einen Bürger-Kanonier, an der Windspille nicht arbeiten lassen, – zur Schmach unsrer Rechte und Freiheiten, – und dies veranlaßte eine entsetzliche Aufregung unter den Kanonieren; sie empörten sich und gingen auf den Commandanten los; er aber tödtete einen mit eigener Hand, zwei andere verwundete er.«
»Und die Mannschaft blieb neutral, Herr Kergouët?«
»Ei freilich; denn wenn der Commandant auch hart wie eine Stückkugel ist, wenn er sie auch täglich prügeln und in Ketten werfen läßt, so ist ihm doch die Mannschaft ergeben, ob aus Furcht oder Liebe, weiß ich selbst nicht; kurz und gut, sie trat dem Commandanten zur Seite, und half ihm, die Bürger-Kanoniere bezwingen.«
»Und wie können Sie sich entschließen, da zu dienen, Herr Kergouët?«
»Ei, mein Herr, ob ich da oder wo anders diene! Auch ist die Fregatte gut, der Commandant tapfer, und außerdem giebt's doch im Kriege auch etwas Beute.«
»Wie? Sie haben Ansprüche auf einen Theil der Beute?«
»He, sind Sie närrisch! Ohne Zweifel, und Sie als Proviantmeister gleichfalls, Sie erhalten den 397sten Theil; aber nicht von diesem Antheil allein können Sie sich Gewinn versprechen; nein, mehr noch von unsrer Verpflegung.«
»Ich schwöre Ihnen, Herr Kergouët, ich suche dabei nicht Geldgewinn.«
»Aber das ist ja ganz natürlich, mein Bester; nehmen wir an, Sie haben den Proviantmeister aufgesucht, und ihn so angeredet: Herr Proviantmeister, ich wünschte eine Actie bei dem Proviant zu nehmen, unter der Bedingung, daß ich eine Commisstelle am Bord der Sylphide erhalte. Da hat denn der Proviantmeister gesagt: Nehmen Sie eine Actie von 10,000 Livres, und die Stelle ist Ihre. Topp, Proviantmeister, haben Sie gesagt, und sind so Proviantcommis geworden am Bord unsrer Fregatte, wo diese Stelle ganz hübsch ist, da der Commis in der Cajüte wohnt, und den Rang eines Marineofficiers hat. Für einen, der nicht Bürger ist, ist dies noch das Beste, denn manche Menschen haben sich ganz abergläubisch in den Soldatenstand verliebt!«
»Ja, da Sie auf Aberglauben kommen, Herr Kergouët; ist's denn wahr, daß die Matrosen immer noch in dem groben und dummen Irrthume sich befinden, und an Schicksal und Anzeichen glauben?«
Bei diesen Worten zog der Bürger-Kanonier sein Gesicht so heftig in die Halsbinde zurück, daß man kaum noch seine Augen sah, die, wir dürfen es frei gestehen, Blitze zu schleudern schienen.
»Was ist Ihnen, Herr Kergouët?«
Hohle, unarticulirte Töne, deren Ausdruck Zorn und Drohungen verrieth, schallten aus der Halsbinde hervor, in der das Gesicht des ehrenfesten Kanoniers verborgen war.
»Aber, nochmals, Herr Kergouët, sollte ich Sie etwa beleidigt haben?«
»Nun denn! ja,« rief der Kanonier, drückte seine Halsbinde derb nieder, und ließ sein von Zorn glühendes Gesicht sehen, »ja, beleidigt; denn das, was Sie grobe Irrthümer nennen, das ist auch meine Meinung! meine Meinung, weil ich Thatsachen und Beispiele dafür habe; und wenn ich einen Mann mit einem grauen Barte, der doch wahrlich gescheidter als ein Kind sein sollte, so fragen höre, bin ich gereizt, fühle ich mich sehr gereizt.«
»Aber, Herr Kergouët, beruhigen Sie sich doch.«
»Ruhig soll ich sein, wenn ich ehrwürdige Sachen, die ich selbst steif und fest glaube, Irrthümer schelten höre? Das böse Vorzeichen einer Abreise am Freitage, das ist wohl Irrthum? Das Vorzeichen des St. Elmfeuers, das ist wohl Irrthum? Irrthum soll wohl auch der Fluch Gottes sein, der, wenn er auf einem Menschen haftet, stark genug ist, die ganze Mannschaft zu verderben, wenn der Mensch sein Vergehen nicht durch eine exemplarische Strafe abbüßt?«
»Herr Kergouët!« –
»Ach, da ist nichts zu Herr Kergouëten!« rief der Kanonier außer sich, »Irrthümer! – Nun denn, ich, mein Herr, ich will Ihnen etwas erzählen, was Sie Irrthum nennen, einen Irrthum, den ich selbst gefühlt habe, verstehen Sie mich, selbst gefühlt. – Hören Sie, aber lassen Sie Ihre immerwährenden Widersprüche.
»Es war auf jener Reise nach dem Nordpole, am Bord der Folle, an einem schönen Augustabend, ungefähr im 77º der Breite, da stand unser Schiff, denn uns traf eine plötzliche Windstille, mitten in einer Art von Bassin, das eine Kette von Eisbergen umzog; und so weit mein Auge sah, war Alles voll von Eisbergen, die uns zuriefen, oder vielmehr die aussahen, als wollten sie uns zurufen: Unglückliche Schiffer, hier ist der Ocean längst schon gesperrt!«
»Es war nicht so viel Luftzug da, daß er die Schmetterlinge vom Kopfputz einer holden Dame hätte wegtreiben können, da faßte der Commandant den Entschluß, die Nacht in dieser Windstille zu verharren. Das ging noch an; aber um Mitternacht erhebt sich der Westwind, dreht sich, daß es schauderhaften Schnee giebt, und ein Gekrach, wogegen der Donner nichts ist, uns fürchterlich erschreckt; denn daraus ließ sich schließen, daß das Eis wanke, und jene ungeheuren Berge, vom Winde getrieben, zu gehen begannen, wie man von den Eisfahrten in Ihren Flüssen sagt. – Es war mörderisch kalt, unmöglich, aus diesem Trichter sich herauszulügen, und allaugenblicklich liefen wir Gefahr, zwischen zwei Eisbergen, wie ein Floh zwischen zwei Nägeln, zerquetscht zu werden.
»Die ganze Nacht herrschte Todesschrecken; bei jeder Erschütterung glaubten wir, verschlungen zu werden; glücklicherweise legte sich gegen Morgen der Wind, und bei Sonnenaufgang sahen diese Berge, die vorher sich an einander geschlossen hielten, aus, wie Neulinge am Tage ihres ersten Gefechts. Der Wind hatte sie aus einander gejagt, und sie bildeten nun eine Inselgruppe, durch die ein offener Kanal führte, der fast gänzlich vom Eise befreit war, und sich weit ausdehnte.
»Der Capitän ließ uns durch diesen Kanal hindurchrudern, und schon hatten wir fast drei Meilen zurückgelegt, als wir über einer von den Ungeheuern Eisschollen, die beide Seiten des Kanals füllten, die Spitzen der Masten eines Schiffs gewahrten, welches festsaß – festsaß.« –
Hier ward die Stimme des Kanoniers dumpfer; seine Züge drückten Schauder aus, und seine Sprache wurde demüthiger.
»Aber ach! mein Herr; nie hat ein Schiff solch' Mast- und Tauwerk gehabt; nie war das Segelzeug so gespannt. Einige Minuten lang sahen wir dieses Schiff vor dem Westwinde, der sich wieder erhoben hatte, fliehen; darauf stieß es plötzlich auf eine Eisbank und stand, wie angeleimt.
»Und unser Capitän, Herr, hatte die verfluchte Neugierde, es näher zu betrachten. Quer durch den Kanal hinein fuhr er, ließ eine Jolle zurecht machen, bestimmte mich zu seinem Begleiter, und so ging's fort.
»Als wir an Bord dieses seltsamen Schiffs stiegen, hatte ich keinen Tropfen Blut in meinen Adern. – Denken Sie nur, sein Deck war wie von der Zeit oder den Eisschollen, die es schadhaft gemacht hatten, benagt; Niemand ließ sich auf der Brücke sehen, die mit schrecklich hohem Schnee bedeckt war.
»Der Capitän rief einige Mal die Mannschaft. – Niemand antwortete.«
Und Kergouët schwieg, als wolle er seine Erzählung dadurch feierlicher machen.
Perez hatte an dieser so treuherzigen Erzählung besondern Antheil genommen; auch gewann diese geheimnißvolle Geschichte durch den Ort, wo sie erzählt ward; denn es war ein weiter, dunkler Saal, von dem sterbenden Schein der Lampen nur spärlich erhellt.
Colossalisch dehnte sich der Schalten der beiden Plauderer am Fußboden hin. Perez, obgleich als Spanier unempfindlich, konnte sich doch eines leichten Schauders nicht erwehren, der auch Kergouët, je weiter er in seiner Erzählung vorschritt, mit ergriff.
»Niemand antwortete,« nahm Kergouët nach ziemlich langem Schweigen wieder das Wort. »Der Capitän stieg auf die Brücke, da ließ ich mich gelüsten, durch das Schießloch eines Zimmers zu gucken; und ich sehe – ich sehe –«
Hier glitt Kergouëts Hand über seine blasse Stirn, und trocknete einige Schweißtropfen.
»Nun, was sahen Sie denn?« rief Perez, dessen Herz unwillkürlich pochte.
»Ich sehe, so, wie ich Sie sehe, einen Menschen vor einem Tischchen sitzen, auf dem ein Blatt Papier und Federn lagen.
»Ich rief ihm zu: »He! Kamerad …«
»Umsonst. – Er antwortet nicht – und bleibt unbeweglich …
»Da zauderte der Capitän nicht länger und stieg auf die Treppe: wir räumten den Schnee weg, der den Eingang des Zimmers sperrte, wo jener unbewegliche Mann saß, der nicht antworten wollte.
»Wir treten in sein Gemach; – er rührt sich nicht. Endlich nähere ich mich, – er war todt, mein Herr, er war todt; ein grünlicher Schimmel überzog seine Wangen, Stirn und Augen. – Der Unglückliche war in der mörderischen Kälte dieser Einöde erfroren; noch hielt er eine Feder in der Hand, und vor ihm lag sein Tagebuch ausgebreitet. Unvergeßlich bleiben mir die letzten Worte, die ich darin las: – »11. Novbr. – Heute sind's 70 Tage, daß wir von den Eisschollen eingeschlossen sind; gestern ist das Feuer erloschen, und unser Capitän, der an unserm ganzen Unglück Schuld ist, weil Gottes Fluch auf ihm ruht, hat es vergebens wieder anzuzünden versucht. Seine Gattin ist diesen Morgen verschieden – keine Hoff...«
»Weiter war nichts zu lesen, mein Herr,« rief Kergouët mit einem Gefühle des entsetzlichsten Schauders, »die Kälte hatte jenen Unglücklichen ergriffen; auf dem Platze vor der Brücke lagen die stummen, entseelten Körper der Matrosen, die aber der Tod nicht entstellt hatte, denn die strenge Kälte hatte sie erhalten; endlich fanden wir auch den Capitän, der neben dem Leichnam eines Weibes an der Erde saß, und in der einen Hand noch den Feuerstein, in der andern den Stahl hielt; ihm zur Seite lag Zunder.
»Leicht können Sie sich denken, daß ich mir einen Schrei ausstieß, um den Capitän zu bitten, nicht auf diesem verfluchten Schiffe zu bleiben. Wir kehrten auf das unsrige zurück. Nun, mein Herr, sehen Sie selbst, was der göttliche Fluch zu bedeuten hat; – selbst das letzte Mittel zur Rettung wird in den Händen so eines Verfluchten zu nichte: mit Stahl, Stein und Zunder kann jener Verfluchte nicht einen einzigen Funken Feuer hervorbringen. – Verflucht, – verflucht, – ha! daß man diesen Fluch nicht wußte, bevor man abreiste!«
»Und was würde man dann gethan haben?« fragte Perez.
»Das, was man vor zwanzig Jahren im Geschwader des Herrn Marschall von Constans that; es befand sich auch so ein verfluchter Capitän dabei; Niemand wollte mit ihm steuern, die Mannschaften empörten sich, und er mußte die Marine verlassen. Er hieß Marquis von Verriac, und war übrigens ein trefflicher Officier.«
»Das ist sonderbar,« rief Perez tiefsinnig; und er blieb eine Weile stumm.
»Meine Herrn Bürger,« begann darauf der Wirth, »es läutet zur Nacht, da muß ich mein Wirthshaus schließen.«
»Schon gut,« rief Kergouët, und bezahlte seinen Krug Wachholderschnaps. »Auf und fort, Herr Charles,« sprach er, und schüttelte Perez beim Arme.
»Ich folge Ihnen, Herr Kergouët «
»Und ich will Sie bis zu Ihrem Hause begleiten.«
»Nun denn, gute Nacht; träumen Sie nur nicht vom Manne mit dem grünen Gesichte. Ja, nicht wahr, das ist eine e schreckliche Geschichte?«
»Ja, schrecklich genug,« versetzte Perez.
Darauf drückte er herzlich die Hand des neuen Freundes, der ihm, während sie gingen, noch versprach, ihn morgen mit der Sylphide bekannt zu machen.
Und Perez eilte, Rita wieder aufzusuchen, die ihn ängstlich erwartete.