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Die Marquise.
Das ist ein gefährlicher Posten, Marquis.
Der Marquis.
Wir haben Muth.
Goethe, Großcophta. A. II. Sc. 4.
»Sir Georges,« sagte St. Ouen, »erlauben Sie, daß ich Ihnen vor Ihrer Abreise einen meiner besten Freunde vorstelle, den Grafen von Vaudrey, königlichen Schiffs-Lieutenant; welcher Ihre Bekanntschaft sehnlichst wünscht.«
Hierauf empfahl er sich Sir Georges und ließ ihn mit dem Grafen allein.
Tief beugte sich der Engländer vor Heinrich, sah ihn trocken und frostig an, und sprach kein Wort.
» Pardieu … Sir Georges,« begann Heinrich mit seiner gewöhnlichen Gewandtheit, »es schmerzte mich tief, als der Marschall die Depeschen mit einer solchen Undelicatesse vorlas, aber, auf Ehre, Sie müssen uns solche Aeußerungen verzeihen, denn Ihre Gefangennehmung, theuerster Sir Georges, kam uns theuer genug zu stehen, da mein Freund, der Marquis von la Jaille, zwei schwere Kopfwunden mit einer Hellebarde davon trug, und fast drei Viertheile seiner Mannschaft verlor, um sich das glorreiche Vergnügen zu bereiten, das brittische Schiff, ich glaube es war der Triumph, zu erbeuten.«
»Der Triumph, Herr Graf,« erwiederte der wortkarge Engländer.
»Wie kalt Sie auch sein mögen, soll es mich doch nicht von der Behauptung abbringen, daß Sie der Held der großartigsten Waffenthaten dieses Krieges gewesen sind, Sir Georges.«
»Mag dem auch so sein, wie Sie sagen, Herr Graf; ich hatte in meiner Gefangenschaft genug Zeit, es zu vergessen.«
»Aber jetzt sind Sie ja frei, Sir Georges, und dennoch sehen Sie so traurig und leidvoll aus; was Teufel ist daran Schuld?«
»Herr Graf –,« sprach Sir Georges mit Würde.
»Verzeihen Sie, Sir Georges, aber ich spreche freimüthig, wie sich's unter Seesoldaten und jungen Leuten geziemt; wahrhaftig, ich muß es frei gestehen, ich würde entzückt sein, wenn Sie mir erlaubten, mich unter ihre Freunde zu zählen; denn, so wahr Gott lebt, Herr Capitän, es würde mir unendliches Vergnügen machen, wenn ich Ihnen einmal Mann gegen Mann begegnete, und wir mit gleichen Kräften, bei günstigem Winde, mit gehörigen Kanonenschiffen offen mit einander kosen könnten.«
»Sie erweisen mir zu viel Ehre, Herr Graf,« erwiederte ernst Sir Georges.
»Aber, mein Gott, nennen Sie mich doch nicht Herr Graf; nennen Sie mich einen Thoren, einen Narren, einen Schwätzer, wie Sie wollen. Seien Sie nur nicht so frostig, Sir Georges; was habe ich Ihnen denn gethan? Sie sind ein Gefangener, ein Fremder, ich sehe Sie im Augenblick, wo Sie fröhlich sein sollten, bekümmert. Sie sind von mir gleichen Alters, Standes, Ranges, und ohne Bedenken biete ich Ihnen, obgleich ich Sie zum ersten Male sehe, meine Dienste an; dies mag allerdings gegen das Herkommen verstoßen, ich gebe es zu; aber ich biete Ihnen ja meine Freundschaft als rechtlicher und freier Edelmann; nehmen Sie sie eben so an; denn, wahrhaftig, Sir Georges, deshalb können Sie mir nicht zürnen!« Dabei ergriff Heinrich herzlich seine Hand.
Sir Georges erwiederte den Druck und versetzte, immer noch kaltblütig, ohne jedoch eine leichte Rührung verbergen zu können: »Ich bin durchaus nicht gefühllos für die Theilnahme, die Sie an meinem Schicksale bezeugen, Herr Graf, und weiß Ihnen unendlichen Dank dafür; nur schmerzt es mich, daß ich nicht im Stande bin, meine Zuflucht zu Ihrer Freundschaft zu nehmen.« Hiermit grüßte er Heinrich ehrerbietigst und verließ den Saal.
»Aha! der ist ein Narr,« rief der Graf, »er hat so etwas Zweideutiges in seiner Physiognomie, und das interessirt mich jetzt wenigstens eben so sehr, als Frau von Cernan. Ich muß ihm nach – denn, bei Gott, erfahren muß ich, was er –«
Eilig folgte er Sir Georges, und fand ihn unten auf der Treppe der Fürstengallerie, im Augenblicke, wo er nach seinem Bedienten rief.
»Sir Georges,« sprach Heinrich, und faßte ihn beim Arm, »so dürfen Sie mir nicht entschlüpfen. Sie müssen mich hören; ich muß durchaus mit Ihnen sprechen; denn ich habe Ihnen zu sagen –«
»Was haben Sie mir zu sagen, Herr Graf?« fragte der Engländer mit seiner verteufelten Kaltblütigkeit.
»Alle Wetter, ich habe Ihnen zu sagen –«
»Nun, ich höre, mein Herr.«
Da sah Heinrich alle seine Angriffe zurückgeschlagen, und wußte kein Mittel mehr, um ihm das Geheimniß, worauf er sehr brannte, zu entlocken, als plötzlich, wie ein Blitz, ein trefflicher Gedanke durch den Geist von Suffren's Zögling fuhr.
»Ich habe Ihnen zu sagen,« fuhr Heinrich lebhaft fort, »daß ich wünsche, nähere Erklärungen über das Gefecht Ihres Schiffes zu erhalten. Doch verlassen wir diese Gallerie und gehen in jenen Garten.«
Sie gingen, und waren bald ganz allein auf der Esplanade, welche sich vor dem neuen Vorgebäude des Palastes ausbreitet.
Der Engländer wußte noch nicht, was Heinrich wollte.
»Ja, mein Herr,« wiederholte Heinrich, entzückt über seinen Einfall, »mein Freund, der Marquis von la Jaille, hat mir versichert, Sie hätten in demselben Augenblicke, wo er, sonder Argwohn, sich Ihrem Schiffe näherte, weil Sie Ihre Flagge eingezogen hatten, auf ihn schießen lassen, und nur diese erbärmliche Arglist hätte Ihnen den Vortheil verschafft.«
Da wurden die Wangen des Britten hochroth vor Zorn; sein Blick funkelte, doch noch immer sprach er mit scheinbarer Ruhe: »Der Herr Marquis von la Jaille hat gelogen, Herr Graf!«
»Gelogen!« – rief Heinrich, »gelogen! Wissen Sie auch, Herr, daß diese Beleidigung mich fast persönlich trifft, da ich der Busenfreund des Herrn von la Jaille bin?«
»Nehmen Sie das, wie Sie wollen, Herr Graf; Ihre Fragen waren mir schon lange unerträglich!«
»Herr!« rief Heinrich, »folgen Sie mir! – In den Baumgängen von St. Cloud muß herrlicher Mondschein sein; wir gehen erst zum Fürsten von Montbarrey und nehmen dort Secundanten mit.«
»Wie Sie wollen, Herr Graf,« sprach Georges, und verneigte sich gegen ihn. Darauf begleitete er Heinrich zum Fürsten von Montbarrey.
»Wahrlich, es würde mich sehr schmerzen, wenn ich ihm sein verfluchtes Geheimniß nicht ablocken könnte,« dachte Heinrich, »denn dieser Engländer interessirt mich in der That sehr, und ich habe nie eine lebhaftere Zuneigung zu Jemandem gefühlt.«
Als sie zu dem Fürsten kamen, fand Sir Georges dort den Lord Fellow, erklärte ihm mit einigen Worten die ganze Sache, und wenig Minuten darauf rollten zwei Kutschen durch die Straßen von Paris dahin, in der einen Lord Fellow und Sir Georges, in der andern Heinrich und Rullecour. Nahe bei Chenil-Neuf machten sie Halt.
»Wenn es Ihnen gefällig ist, Herr Graf,« sprach Sir Georges, und stellte sich Heinrich gegenüber. – Die Secundanten gaben das Zeichen und klirrend kreuzten sich die Klingen.
Sichtbar schonte Heinrich, ein Meister in der Fechtkunst, das Leben seines Gegners; denn er wollte ihn nur leicht verwunden. Aber in dem Augenblicke, wo er einen Stich des Sir Georges parirt hatte, blieb er in der Parade liegen; jener benutzte die Blöße, und brachte Heinrich einen so heftigen Stoß bei, daß er auf der Stelle niedersank.
»Genug, genug, meine Herren!« riefen die Secundanten.
»Ach! ja! genug –« rief Sir Georges, und blickte auf Heinrich, der halb knieend sich auf seinen Degen stützte. »Ach, Herr Graf! Herr Graf!« fuhr Sir Georges fort, »warum haben Sie mich so grundlos gefordert? Bei meiner Ehre schwöre ich es Ihnen, nicht das Gefühl des Hasses, nein, ein ganz anderes zog mich zu Ihnen.«
»Bei Gott, mich auch,« stöhnte Heinrich, »und gerade deshalb mußte ich –«
Er fiel in Ohnmacht.
Vier Stunden nachher befand er sich in Paris in seiner Wohnung, und um ihn herum standen ängstlich harrend die Wundärzte.