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Viertes Buch.


X.

Der Mensch erhebt sich auf zwei Flügeln über die Erde: Einfalt und Reinheit. – Die Einfalt muß in der Absicht liegen, die Reinheit in der Zuneigung.

Nachahm. Jes. Chr. B. II. Ges. 4.

Die beiden Brüder.

In dem kleinen Hause zu St. Rénan war noch nichts verändert; es war immer noch der stille und ruhige Sitz der beiden Brüder, die alte Einsamkeit und Ruhe. Sulpizius hatte, den häuslichen Sorgen überlassen, seinen knechtischen Sinn während der Abwesenheit des Rumphius etwas vergessen, denn während des Aufenthaltes des Astronomen zu Paris war der Arme in einem ungewohnten Zustande von Gleichgültigkeit und Stumpfsinn geblieben.

Jene kleinlichen Wirthschaftssorgen, in denen er sich so glücklich fühlte, in der Hoffnung, seinem Bruder nützlich zu sein, setzte er bei Seite, seit Rumphius nicht mehr dabei betheiligt war. Von einigen Früchten lebend, brachte er den Tag größtentheils weinend im Zimmer des Astronomen zu, und schleppte während seiner Trennung von Rumphius sein Leben so kümmerlich hin, daß diese vierzehn Tage eigentlich gar nicht zu seinem Leben zu rechnen waren; denn, wie schon gesagt, ging der stete Zweck, den Sulpizius immer vor Augen hatte, allein dahin, seinem Bruder auch die kleinste Mühe zu ersparen. Dieser Zweck war es gewissermaßen, der den Geist, den Körper dieses guten Bruders beseelte, und wenn dieser Zweck verloren ging, blieb der Körper träg und wie leblos zurück. Doch welch' Entzücken, welche Freude war es für ihn, als Rumphius zwei Tage später wieder nach St. Rénan zurückkehrte. Man mußte es sehen, wie Sulpizius seinen Bruder so zärtlich, so verwunderungsvoll anblickte, und kaum wagte ihn anzureden, weil er zu gut wußte, wie weit des Astronomen Strenge ging; sondern wie er ihn bloß mit den Augen schmeichelnd ansah, und in seinen Zügen zu lesen strebte, ob diese Reise ihn ermüdet hätte, und ob der Erfolg ihm günstig gewesen wäre.

Rumphius sah, mit welchem innigen und wahren Glücke Sulpizius das erste Mahl für ihn bereitete, wie emsig, wie eilfertig er diesen Dienst vollzog.

Und sonderbar genug schien Rumphius zum ersten Male Alles zu bemerken, was sein Bruder für ihn that, und, noch sonderbarer, Rumphius versuchte, gegen seine Gewohnheit, nicht den geringsten Widerspruch, und ließ den ganzen Abend nach seiner Ankunft vergehen, ohne Sulpizius auszuschelten.

Sulpizius nahm diese Ruhe und ungewöhnliche Gelassenheit für Folge der Ermüdung von der Reise, und wunderte sich nur wenig darüber. Aber als auch am folgenden Tage der Astronom immer noch so freundlich war, und ihn mit keinem bittern oder unangenehmen Worte kränkte, ihm auch keine zweideutige und verfängliche Frage in den Weg legte, da glaubte Sulpizius, Rumphius sei in allem Ernste krank, und war darüber besorgt.

Er nahm sich deshalb vor, seinen Bruder nach seiner Gesundheit zu fragen, sobald sich am dritten Tage die nämlichen Symptome zeigen würden. Und sie zeigten sich.

So sind wir denn bei jenem dritten Tage angelangt.

Nach dem frugalen Mahle der beiden Brüder schien Rumphius tiefsinniger als je zu sein, als er auf einmal aus seiner Träumerei sich aufraffte, und zu Sulpizius sagte:

»So sind wir denn wieder vereinigt!«

»Ach ja, mein Bruder, so glücklich vereinigt, vereinigt, um uns nie mehr zu trennen, nicht wahr, mein Bruder?« antwortete Sulpizius. »Denn wenn Du wüßtest, wie unglücklich ich ohne Dich war! Und dennoch ertrug ich es so gern, weil diese Reise Dir Freude machte, mein Bruder; doch, verzeih' mir meinen Egoismus, es that mir wider Willen wehe. Ach! wahrhaftig, Bruder, Du mußt mir verzeihen; denn ich habe viel gelitten, weil Du fern warst, und ich würde längst zu Dir gekommen sein, wenn Du mir nicht befohlen hättest, hier zu bleiben, – ganz allein.

Nach diesen Worten füllten sich die Augen des armen, guten Geschöpfs noch mit Thränen, bei der bloßen Erinnerung an die langen, reizlosen Tage, die er verlebt hatte.

»Mein guter Sulpizius!« rief Rumphius gerührt. Denn selbst für eine durch Zerstreuung vertrocknete Seele, wie die des Rumphius, war diese Lage peinlich.

Der Astronom hatte dem Grafen versprochen, mit ihm nach Indien zu reisen; aber für nichts auf der Welt hätte er ein Opfer, wie diese Reise war, gebracht. Dennoch fand er sich, trotz seines Egoismus und seiner philosophischen Verachtung der beschränkten Natur des Sulpizius, innig gerührt, als er, im Begriff, jenem so elenden und tiefgestellten Wesen dies anzuvertrauen, sah, daß er dennoch über all' sein Wissen und Erkennen herrschte.

Und diese Furcht war sehr natürlich, denn niemals wird das Wissen eines Newton, der Geist eines Bonaparte, die Macht eines Ludwig XIV., einen Menschen bewegen, der sicher vor jener Verwirrung und Bewunderung ist, welche der holde Abglanz einer reinen und lautern Seele, einer Kinderseele, gewährt, die in ihrer Entsagung so mächtige Waffen und in ihrem offenen Geständniß eine so gewaltige Uebermacht findet.

»Mein guter Sulpizius! so sind wir denn wieder vereinigt; laß uns Alles vergessen, was vorgegangen ist,« wiederholte Rumphius unwillkürlich, ohne noch seinem Bruder die schreckliche Nachricht zu offenbaren.

»Ach, Bruder, all' mein Kummer ist jetzt vergessen; ich spreche nicht mehr davon, weil ich glücklich bin,« erwiederte Sulpizius, – »ach, sehr glücklich, denn nun wirst Du mich in langer Zeit nicht mehr verlassen, weil der Herr Graf von Vaudrey, Dein Beschützer, sich in Brest einschiffen will, und gewiß lange Zeit fort bleibt, bevor er zurückkehrt. So werden auch wir lange Zeit bei einander sein können, nicht wahr, Bruder?« –

»Ja, gewiß, Sulpizius; er reist nach Indien. Ach! das ist eine schöne Reise!«

»Ja, gewiß eine schöne Reise,« wiederholte Sulpizius mit seiner gewöhnlichen Unterwürfigkeit.

»Eine Reise, die ich selbst mitzumachen gewünscht hätte, wenn ich jünger wäre. Aber in meinem Alter darf man leider nicht mehr daran denken,« sagte Rumphius, der in der Kunst, durch passende Einleitungen zum Zweck zu gelangen, eben nicht sehr glänzte.

»Ach gewiß, Bruder, Du thust wohl, nicht mehr daran zu denken.«

»Ich denke auch nicht mehr daran, Sulpizius, und will nur damit sagen, daß es eine schöne Reise ist. – Denke Dir, wenn man mit eigenen Augen das sieht, was Bücher so unvollkommen uns erzählen; wenn man die Braminen sieht und mit ihnen über den Nity-Hocas oder den moralischen Gehalt der Hindusreligion spricht; wenn man die Opfer der Brama-Vanaprasty sieht, wovon wir eine so unvollständige Idee haben, und das Ekiams-Opfer, den kleinen Ekiam und den großen Ekiam, und die Sanscrit-Legenden und die hünenartigen Feinde der Vanaprasty's!«

Bei der Erwähnung dieser Gegenstände wurde Rumphius allmälig lebhafter. Nach und nach erwachte sein Eifer für die Wissenschaft, und machte ihn immer mehr und mehr unempfänglich für die Furcht, seinen Bruder durch eine so unerwartete Enthüllung seiner Pläne im Herzen zu verwunden.

»Wenn man,« begann Rumphius mit steigendem Feuer von Neuem, »wenn man mit seinen eigenen zwei Augen, so wie ich Dich sehe, Sulpizius, einen wirklichen Brama sieht und hört, einen Brama mit Fleisch und Bein, der den Sandia vollzieht; wenn man ihn mit dem Daumen und Zeigefinger die beiden Nasenlöcher zudrücken sieht, und ihn sechs Mal mit angehaltenem Odem das Wort » Ron« aussprechen hört, indem er an das Feuer denkt, und so symbolisch am ganzen Körper brennt! – Wie, Sulpizius, Du beneidest mich nicht? – Du faßt die Größe meines Glückes nicht? – Im Talmud werde ich lesen, eindringen in die Mythe der Symbole; erfahren werde ich den allegorischen Sinn, der unter Andern auch jene Dichtung vom Riesen Ravana verbirgt, welcher Haare an seinem Leibe hatte, die hochstämmigen Bäumen glichen, und wenn er in den Krieg gegen einige Götter zog, an jedes dieser Haare ein großes Felsstück band, daß, wenn er in solcher Richtung in das Herz des feindlichen Heeres eindrang, er nur so – brrr – leichthin sich schüttelte, und durch diese Bewegung rechts und links alle jene Felsen hinfliegen ließ, die dicht wie Hagel fielen, und die Feinde bis auf den letzten Mann zerschmetterten! – Doch was ist das Alles gegen die Hoffnung, in das Symbol des Rama einzudringen, der zehn Köpfe und drei hundert fünf und sechszig Arme hatte? – Wenn ich denke, daß ich dies und noch vieles Andere erforschen werde! – Das entzückt Dich nicht? Du zitterst nicht vor Freuden? Der Gedanke an meine Reise erhebt Dich nicht bis zum Himmel?« –

»Aber ich verstehe Dich nicht, Bruder,« erwiederte Sulpizius. –

»Ei ja, es ist wahr. Nun denn, weil ich denn doch einmal zu Ende kommen muß,« rief Rumphius mit dem Blicke der verzweifelten Entschlossenheit: »der Graf von Vaudrey hat mir vorgeschlagen, ihn nach Indien zu begleiten; ich habe es angenommen, und in acht Tagen will ich in Brest wieder bei ihm eintreffen, und mit ihm absegeln. –«

Bei dieser so unerwarteten, so schrecklichen Nachricht stockte das Blut in Sulpizius Adern; er ward blaß wie der Tod, zitterte, und mit thränenfeuchten Augen, mit dem Ausdrucke des wildesten Schmerzes rief er aus:

»Abreisen willst Du? Mein Gott, abreisen! Mein Gott! und ich, Bruder? –«

Hiermit warf er sich Rumphius zu Füßen, und preßte dessen Hände in die seinigen.

»Du? Nun Du,« murmelte Rumphius, »Du wirst hier meiner harren; Du hast jetzt ja schon vierzehn Tage auf mich gewartet, und bist nicht umgekommen –«

»Ach, das ist unmöglich! Das ist unmöglich! Allein willst Du reisen? Das ist nicht möglich!« rief Sulpizius, und rang die Hände.

»Das ist möglich, denn es wird so sein, und wird so sein, weil ich Dir es befehlen werde! Kurz, ich brauche Dich nicht,« rief Rumphius mit einem Tone, der hart klingen sollte, den aber seine Rührung Lügen strafte.

Bei diesen harten Worten stand Sulpizius würdevoll auf, edel und ruhig, trocknete seine Thränen, und sprach zum ersten Male in seinem Leben mit einer Festigkeit, die man von einem stets so furchtsamen und unterwürfigen Menschen kaum erwarten konnte:

»Du magst es nun wollen oder nicht, Bruder, aber gehst Du nach Indien, so werde ich Dir dahin folgen.«

»Welche Thorheit!« rief der Astronom.

»Das ist keine Thorheit zu nennen, Bruder,« und Sulpizius Stimme ward fast drohend. »Es ist keine Thorheit; es ist ein Recht, das ich mir durch zwanzigjährige Liebe erworben habe; es ist ein Recht, das ich auch erlangt habe, als ich unserm Vater auf dem Todtenbette versprach, Dich nicht zu verlassen; und ich bin entschlossen, dieses Recht zu gebrauchen; hörst Du es, Bruder?«

Rumphius schwieg, denn er konnte den durchbohrenden Blick, der ein inneres Feuer verrieth, nicht ertragen. Sulpizius fuhr hierauf mit steigender Heftigkeit fort:

»Wie, mein Bruder, Du konntest glauben, ich könnte Dich mitten unter Tausenden von Gefahren wissen, und hier bleiben, und leere Gebete für Dich plappern? Du konntest glauben, weil Dich hier in dieser Einsamkeit keine Entsagung, keine Unvorsichtigkeit auf's Krankenbette wirft oder Dich in Deinen Arbeiten stört, deshalb konntest Du glauben, würde ich Dich allein ziehen lassen auf einem Schiffe, fremde Länder zu durchirren, Dich in Dinge, wovon Du keine Idee hast, zu mischen? – Und wer sollte für Dich sorgen, Bruder, und wer sollte Dich begleiten, und wer sollte Dir das Brot in die Hand und den Wein in den Mund geben; und wer sollte Dich während jener Nächte, wo Du oft halb nackt bleibst, um die Sterne zu beobachten, wer sollte Dich dann vor Erkältung schützen? Wie, das konntest Du glauben, Bruder? Du konntest glauben, daß ich Dich in einem für Dich so neuen Leben von Gefahren umdroht wissen und allein lassen könnte? Nein, nein, noch ein Mal, Du magst darin willigen oder nicht: Ich folge Dir. Höre mich, Bruder; ich habe mein Leben nicht an das Deinige gekettet, um in einem einzigen Tage die Früchte einer zwanzigjährigen Bruderliebe in Nichts verschwinden zu sehen; ich werde Dir folgen; noch ein Mal, Du magst es wollen oder nicht, Bruder, aber ich folge Dir!«

Diese aufrichtige, feste und edle Sprache beschämte Rumphius. Der Weise war erschüttert. Er gewährte einen beklagenswerthen Anblick und zitterte wie ein Schüler, der auf einem Fehler ertappt wurde.

Keiner Antwort mächtig, dachte er daran, Heinrich's Vermittelung in Anspruch zu nehmen, und erwiederte deshalb mit schwacher Stimme:

»Aber ich weiß nicht, ob der Herr von Vaudrey in Deinen Wunsch, mir zu folgen, einwilligen wird, Sulpizius!«

»Ob er einwilligen wird, Bruder? Du zweifelst daran? Da thust Du diesem Herrn Unrecht. Ach, ich verspreche es Dir, er wird gewiß einwilligen, wenn ich zu ihm spreche: Herr Graf, mein Bruder kann sich nicht weiter von mir entfernen, als man mit den Händen greifen und mit den Augen sehen kann. Während mein Bruder denkt, handle ich für ihn. Er ist ein für das Land sehr schätzbarer Gelehrter, Herr Graf, und um sich den Wissenschaften, die ihn rufen, mit ganzer Seele widmen zu können, muß sein Leben von jenen kleinlichen Sorgen, die ihn in seinen Arbeiten stören würden, frei sein, und wer würde dann besser als ich diese Pflicht bei ihm erfüllen können, wer würde es wagen, mir dieses Amt streitig zu machen? – Kurz, Herr Graf, ich verlange, bei meinem Bruder zu sein, das ist Alles; auf dem nämlichen Schiffe mit ihm. Sie können mich mit Ihren Matrosen in gleichen Stand stellen, Sie können mich behandeln, wie Jene, nur will ich, Herr Graf, bei meinem Bruder sein, und das können und werden Sie mir nicht abschlagen.«

»Nun, so magst Du es selbst übernehmen, ihn zu fragen, Sulpizius,« antwortete Rumphius. »Ich wenigstens menge mich nicht darin.«

»O, laß mich nur sorgen, Bruder, mein Wunsch war ja nur Deine Genehmigung,« erwiederte Sulpizius, und ward, glücklich über die Einwilligung des Astronomen, wieder unterthänig und ehrerbietig.

Denn in Folge eines sonderbaren psychologischen Phänomens verschwand jenes flüchtige Feuer, dem Sulpizius seine Beredsamkeit verdankt hatte, sobald er seinen Zweck erreicht sah.

Ja, es war eine jener plötzlichen und unbegreiflichen Enthüllungen des Geistes, der Seele oder des Gottes, die in uns wohnen, und uns als ein untrügliches Mittel zur Erreichung des Zwecks das offenbare Gegentheil und den schroffsten Contrast des gewöhnlichen Charakters und der gewöhnlichen Handlungsweise zeigen.

Dieser höhere und verborgene Einfluß ist gewaltig genug, dem Menschen nicht nur den Gedanken, sondern auch Kraft und Macht zu Erreichung seiner Zwecke zu verleihen; doch, sobald der Wunsch erfüllt ist, nimmt die Kraft ab, verschwindet und wird fast zum Traume, selbst für den, der ihre Wirkung innig und deutlich gefühlt hat.

Wenn man in dieses Geheimniß eindringen, und die Quelle solcher Gedanken aufsuchen wollte, würde man sich in das Labyrinth der verwickelten Metaphysik verirren. Genug sei es, wenn wir sagen, daß der gute Sulpizius nach jener Scene wieder ruhig, duldsam und kalt wurde, wie er es immer gewesen war; daß Rumphius, jenes drückenden Geheimnisses entledigt, wieder zu träumen anfing, zu belfern und zu zanken, wie gewöhnlich, und daß das regelmäßige Leben der beiden Brüder nur durch die Vorbereitungen zur Reise, die Sulpizius mit Geduld, Emsigkeit und gewohnter Sorgfalt traf, etwas verändert fand.

Drei Tage darauf erhielt Rumphius einen Brief von Paris, folgenden Inhalts:

Mein Herr!

»Der Herr Graf, mein Gebieter, trägt mir auf, die Ehre zu haben, Ihnen vorläufig zu melden, daß er den zweiten Tag, nachdem Sie diesen Brief empfangen haben werden, in Brest zu sein gedenkt, und daß er wünscht, Sie möchten Ihre Vorbereitungen baldmöglichst enden; denn der Herr Graf will spätestens Anfang Januars von Brest unter Segel geben.

Ich verbleibe in schuldigster Ehrerbietung u. s. w.

Im December 1780.

Germeau, Kammerdiener.«

Unten am Briefe hatte Heinrich selbst noch folgende Worte in aller Eile beigefügt:

»Eile zu mir, mein guter Rumphius, denn eine verteufelte Begebenheit zwingt mich, über Hals und Kopf abzureisen.«

»Eine verteufelte Begebenheit!« rief Rumphius gedankenvoll. »Ach, ich errathe, das wird sein Duell mit dem Baron von Cernan sein; sie sollten sich ja am Tage nach meiner Abreise schlagen; und ich habe mich in meiner Vergeßlichkeit nicht einmal darüber beunruhigt.«

»Sich schlagen, Bruder! Ach, mein Gott, wenn er fallen sollte!«

In diesem unwillkürlichen Ausrufe des sanften Sulpizius lag zugleich aber der Keim zu dem blutgierigen Gedanken: Und wenn er fiele, so bliebe mein Bruder mir, und könnte nicht in die Gefahren gerathen, die ihn vielleicht späterhin treffen möchten.

Da rief Rumphius unaufhörlich vor sich hin: »Verwundet, ja, das könnte wohl sein; denn der Baron war wüthend.«

»Warum denn dies, mein Bruder?« fragte Sulpizius.

»Ach, aus Ursachen, die Du nicht wissen darfst,« erwiederte Rumphius mit geheimnißvollem Stolze, wie ihn ein Kind von fünfzehn Jahren annimmt, wenn es einem zwölfjährigen neugierigen auf eine unbescheidene Frage über das schöne Geschlecht antwortet.

Zwei Tage darauf kamen die beiden Brüder sammt ihrem wenigen Gepäcke in Brest an, und das kleine Haus zu St. Rénan blieb der Obhut einer Matrone überlassen.

Wohl weinte Sulpizius im Geheimen einige Thränen, erpreßt von der Erinnerung an jene Tage, die er in dieser stillen Stätte verlebt hatte. Aber seinem Bruder verschwieg er seinen Harm und zwang sich, wider Gewohnheit, heiter zu erscheinen.


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