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Das Unerwartete.
Montaigne.
»Das also war das Geheimniß des Sir Georges?« sprach Cäcilie zu Heinrich, der an ihrer Seite saß, – »jenes Geheimniß, für dessen Entdeckung Sie so kühn Ihr Leben wagten, und bloß für eine elende Laune, bloß für mich?«
»Ja, für Sie allein, für Sie, Cäcilie! – Ha, Verzeihung! Doch gönnen Sie mir die Freiheit, Sie Cäcilie nennen zu dürfen; das ›gnädige Frau‹ klingt so frostig,« erwiederte Heinrich mit süßer und schmachtender Stimme, und mußte dafür das Erstaunen der Baronin bemerken, die mit trockner Miene ihm antwortete:
»Sie vergessen sich, Herr Graf.«
»Ach, nein, ich vergesse mich nicht, denn es ist mir zur Gewohnheit geworden, die ich, bei Gott, nicht lassen kann, weil sie erstens so süß, und zweitens schon so lange mir eigen ist.«
»Wie?«
»In der That, sie währt schon, seit ich Sie sah, seit mein Herz für Sie schlug. Denn augenblicklich, wenn die Erinnerung an Sie mich entzückt, wenn ich, allein mit meinen Gedanken, mit Ihnen rede, Sie anbete – glauben Sie wohl, daß ich dann: ›gnädige Frau‹ sage? Nein, dann spreche ich: Cäcilie; Cäcilie! Cäcilie, glauben Sie einer innigen und wahren Liebe und beurtheilen Sie dieselbe nicht nach den schwachen Beweisen, die ich Ihnen gegeben. Ohne Hoffnung, eines Blicks von Ihnen gewürdigt zu werden, wagte ich mein Leben für Sie. Doch das war Kleinigkeit! Für Ihre Liebe würde ich so gern mehr als mein Leben, meine Freuden, meine Leidenschaften, meine Hoffnungen opfern; aber ach, ich liebe Dich so sehr, ich liebe Dich so sehr, daß es ein Glück für mich sein würde, Deinen kleinsten Launen zu gehorchen; ich liebe Dich so sehr, Cäcilie, daß ich von Dir eine Gelegenheit mir erflehen würde, Dir mein Alles zu opfern!«
»Herr Graf!« rief ernst Cäcilie und entwand Heinrich's Händen die ihrige.
»Ja, so spreche ich zu mir, wenn ich nicht bei Dir bin, Cäcilie. Warum wehren Sie mir es, dies hier vor Ihnen offen zu denken? Ha, wenn Sie wüßten, wie sehr Ihre Kälte mich kränkte, wie tief ihr verächtlicher Blick mich traf, als Sie mich, der ich mich schon glücklich wähnte, um einen geringen Dienst von Ihnen ersucht zu werden, mit einer so frostigen Artigkeit empfingen? Da, o Cäcilie, da verwünschte ich jenen Vorfall, der mich so beneidenswerth macht, jenen Ruf, dessen verderbliche Größe vielleicht den Argwohn in Ihr Herz pflanzte. – Vielleicht, sprach ich zu mir, wird sie nur eine gemeine Liebe in jener brennenden Leidenschaft, die mich verzehrt, erblicken, während es die erste, die einzige wahre Liebe ist, die ich je fühlte. Ja, Cäcilie, glauben Sie –«
Da unterbrach ein gellendes Gelächter der Baronin den Grafen, der auf einem kleinen Schemel zu Cäciliens Füßen saß, in seinen Liebesphantasien.
Trotz des unmäßigen fortwährenden Lachens, verrieth Heinrich 's Miene dennoch weniger Aerger als Erstaunen. Er raffte sich auf, warf sich in das Sopha, und nachlässig seinen Kopf schüttelnd, sprach er:
»So wahr Gott lebt, Frau Baronin, solch' ein Gelächter könnte einen gewöhnlichen Liebhaber aus der Fassung bringen; aber, auf Ehre, Sie sind ungerecht, denn niemals habe ich mit mehr Recht: ›erste Liebe‹ sagen können, außer einmal bei der Frau eines Quäkers in Amerika, und später bei einer Bürgermeisterstochter. Aber, entdecken Sie mir doch, ich bitte, die Ursache Ihrer Heiterkeit!«
Da zwang sich Cäcilie zu einem noch heftigern Gelächter und versetzte:
»Wie, Herr Graf, Sie finden es nicht äußerst spaßhaft, daß Sie, der Mann mit dem verderblichen Rufe, Sie, das beneidete Muster aller Fante des Hofes, thöricht gewesen sind, Ihr Leben auf's Spiel zu setzen, auf das bloße Wort eines Weibes, das nie an Sie dachte, denkt, noch denken wird?«
»Ich versichere Ihnen, gnädige Frau,« sprach Heinrich mit bewundernswerther Kaltblütigkeit, »daß, wenn ja unser Verhältniß für Jemand spaßhaft sein kann, es dies nur für mich ist.«
»Wahrhaftig, Sie spielen den Phlegmatiker meisterhaft!« erwiederte die Baronin, doch ärgerte sie sich heimlich über Heinrich's Ruhe.
»Es ist, bei Gott, kein Spiel, und warum, das will ich Ihnen sagen. Erstens, sagen Sie, habe ich mein Leben auf's Spiel gesetzt; mein Ruf, glaube ich, ist wohl werth, daß ich mir mit Fug und Recht alle Entwürdigung verbitten darf; somit ist davon gar keine Rede mehr. Ferner habe ich gehofft, meine Dienste Ihnen nicht umsonst angeboten zu haben; Sie nehmen sie nicht an, – das ist ganz natürlich; ich lache darüber, – das ist noch natürlicher, weil, meiner Ansicht nach, nur ein einziger Mann in der Welt sich, ohne ein Tropf zu sein, darüber ärgern konnte, daß ein Weib ihn verschmähte oder verabschiedete.«
»Und wer war denn das, mein Herr?« fragte hastig die Baronin.
»Das war Adam; denn dieser war im Paradiese mit unserer gemeinschaftlichen Mutter allein. Jetzt zu dem, was ich Lächerliches in jener Scene finde; nämlich, als ich Sie jüngst beim Marschall von Castries den Wunsch, das Geheimniß jenes Engländers zu wissen, äußern hörte, begleitete ich, meinerseits, meine schöne Nachbarin, die Marquise von Vaillé, die ganz unwillkürlich den nämlichen Wunsch aussprach, und dem gemäß vor wenig Tagen eben so wie Sie den verbindlichen Brief erhalten hat:
»Als ich die Ehre hatte, mit Ihnen beim Herrn von Castries »zu speisen, äußerten Sie u. s. w.‹
»Aber minder undankbar als Sie, gnädige Frau, hat sie mir eine süße Belohnung versprochen. Hatte ich doch schon Ansprüche auf die Erkenntlichkeit eines artigen Weibes, dem ich einen Dienst geleistet. – Sie sehen also, daß eine für mich ganz gleichgültige Sache mir die Freundschaft eines braven Edelmannes, die Hoffnung auf die Liebe einer wunderlieblichen Marquise und den Haß eines schönen Weibes eingetragen hat; denn das sehe ich gar wohl, gnädige Frau, meine Kälte kommt Ihnen unerwartet und bringt Sie in Zorn. Gestehen Sie also, daß ich mich gar nicht zu beklagen habe, indem ich für einen unbedeutenden, längst geheilten Degenstich zugleich Freundschaft, Liebe und Haß ernte. Denn ich bin stolz und thöricht genug, mir einzubilden, daß Sie, gnädige Frau, mir die Ehre erzeigen werden, mich zu hassen.«
Cäcilie stand vernichtet. Sie rechnete bei dem Grafen auf Aerger und Zorn, und fand nur unreizbares Phlegma, kalten Spott und Ruhe. Die Gefühle folgten sich so lebhaft in ihrem kleinen, hitzigen, launischen Köpfchen, daß sie, trotz ihrer uns hinlänglich bekannten Liebe für Heinrich, ihn lieber hätte martern und quälen wollen. Vielleicht rechnete sie auch auf Verlegenheit seinerseits, um ihn dann nach Belieben begnadigen oder verdammen zu können; unglücklicherweise geschah nichts von alle dem, die Ueberraschung vernichtete alle jene schönen Pläne, und als Heinrich sich ihr nahte, ihr die Hand zu küssen und sich zu empfehlen, da rief sie:
»Bleiben Sie, mein Herr, bleiben Sie, ich muß durchaus mit Ihnen sprechen. Bleiben Sie, ich will –«
Und Cäciliens Stimme zitterte und verrieth ihre Bewegung.
»Wie glücklich würde ich gewesen sein, wenn ich solch' einen Befehl vor wenig Augenblicken erhalten hätte,« – antwortete Heinrich – »aber jetzt –«
»Nun! jetzt?«
»Ach, jetzt sehe ich wohl, daß Sie nur Ihr Spiel und Ihren boshaften Scherz mit mir treiben; daß Sie mich mißbrauchen, mich zu Ihren Füßen sehen und mich da, wie vorhin, verhöhnen wollen; aber Ihre Lehre ist gut, ich will sie benutzen.«
»Ach, ich bin sehr unglücklich!« rief Cäcilie, und Thränen stürzten aus ihren Augen.
»Wissen Sie, gnädige Frau,« versetzte Heinrich, immer noch mit gefühlloser Kälte, »daß ein Anderer, als ich, sich durch diese Thränen täuschen lassen könnte?«
»Aber wenn ich Ihnen sage, daß ich unglücklich bin,« rief Cäcilie, »daß ich weine, weil ich weinen muß, ja weinen, denn ich hasse und verachte mich eben so sehr, wie ich Sie hasse und verachte; ich verachte mich, weil ich, die ich so stark mich wähnte, so schwach vor Ihnen mich fand; so schwach, daß ich Sie die Ursache errathen ließ, warum – Mein Gott, das ist schrecklich!«
»Bravo, Frau Baronin, bravo! Mademoiselle Raucourt könnte nicht schöner sprechen, und wenn ich nun denke, daß ich ganz allein hier bin, um eine so schöne Scene zu genießen, um einem Talent, das sich so plötzlich, so tief und so glänzend entfaltet, zu huldigen!« sagte Heinrich, immer noch mit kaltem Spott.
»Ach, das ist zum Rasendwerden!« rief Cäcilie außer sich. »Er prahlt mit seiner Weiberkenntniß, und kann keine wahre Thräne von einer falschen unterscheiden; er hat nicht einsehen können, daß unter jenem Lächeln tiefer Kummer verborgen war, nicht einsehen können, was ich leiden mußte, um so zu lachen. Doch ja, waren nicht die Frauen, deren Bekanntschaft Sie machten, leichtfertige, herzlose Schauspielerinnen? Oder ist Ihr Mißtrauen, mein Herr, so groß und so blind, daß Thränen, wie diese, Ihnen nichts sagen?« Sie legte Heinrich's Hand an ihre glühende und thränenfeuchte Wange. »Sagen diese nichts? Beweisen diese nichts? – Nun denn, mein Herr, so gehen Sie, – gehen Sie, denn Sie flößen mir Abscheu und Mitleid ein.«
»Das ›Gehen Sie‹ macht sich wunderschön,« erwiederte Heinrich, »und der Gedanke, mit meiner Hand die Thränen zu trocknen, würde auf dem Theater erschrecklichen Effect machen. Schade, daß Sie nur für mich allein spielen, gnädige Frau, und daß ich das ganze Stück voraus weiß.«
Welchen Eindruck diese Antwort auf ein so leidenschaftliches und eigensinniges Weib machen mußte, wie Cäcilie war, laßt sich leicht denken. – Sie sprach kein Wort, wurde todtenbleich, trocknete ihre Augen, nahm Heinrich's Hand in die ihrigen und begann, zitternd wie Espenlaub, mit dumpfer, schluchzender Stimme:
»Herr von Vaudrey, ich muß Ihnen, ohne zu erröthen, ein Geständniß thun, welches mich vor Schaam umbringen könnte; von jenem Tage an, wo ich Sie sah, machten Sie auf mich einen lebhaften Eindruck, den Ihre Kälte noch vermehrte. Das Billet, das Sie mir schrieben, machte mich wonnetrunken. Wenn ich Ihnen sagen wollte, warum ich Sie mit Freude und Verdruß erwartete, warum ich lachte und warum ich weinte, so würde ich Ihnen Aufschluß über das geben, was ich selbst nicht begreife; und wenn ich Ihnen endlich sage, daß ich Sie dennoch liebe, ja, innig liebe, wenn ich Ihnen solch ein Geständniß thue, wenn ich mich so erniedrige und wegwerfe, ist das noch nicht genug? Herr von Vaudrey, ist das noch nicht genug, um einen Augenblick Thorheit und Uebermuth zu sühnen? Nun, glauben Sie mir jetzt? Ach, so reden Sie doch, Herr von Vaudrey, nicht wahr, Sie glauben mir? – Reden Sie doch! – Barmherziger Gott, warum sollte ich denn lügen?«
»Doch vielleicht, um eine jener Wetten zu gewinnen, die man mit sich selbst eingeht,« erwiederte Heinrich, »vielleicht auch dachten Sie an einen glücklichen Liebhaber, den ich nicht kenne, und meinten: wenn Herr von Vaudrey zu meinen Füßen lag, wird mein Geliebter mir treu sein, oder wohl auch, wird er dann nicht mehr zweifeln, daß ich ihm untreu werden konnte, wenn ich sonst wollte, oder sonst etwas – und so suchen Sie, wie Jean-Jacques, die Segel klug auszuspannen. Das ist ganz natürlich!«
»O mein Gott!« rief die Baronin mit einem Ausdrucke des Schreckens, der Heinrich rührte; denn im Grunde hatte er ein gutes Herz, und so fügte er auch die Worte hinzu:
»Doch, Cäcilie, ein Mittel giebt's noch, mich von Ihrer Liebe zu überzeugen: Seien Sie heute die Meinige!« –
Da trat der Kammerdiener ein, und meldete – den Herrn Baron.