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14

Zu den vielen ungerechtfertigten Überheblichkeiten des Menschen gehört es, sich einzubilden, Gott habe die Einrichtung der Schutzengel eigens für ihn und nur für ihn getroffen. Es wäre aber ganz gegen die unendliche Güte der weltenlenkenden Allmacht, wenn alle übrigen lebenden Wesen dem blinden Walten des Ungefährs preisgegeben sein sollten, und so grausam uns die Natur ihre Geschöpfe ins Sein zu rufen und wieder zu vernichten scheint, so gewiß ist, daß auch das unscheinbarste von ihnen nicht ohne Wissen Gottes erhalten oder preisgegeben wird.

Rex wurde in einem Schubkarren nach Haus gebracht. Er war unterhalb eines überhängenden Felsens in einem dichten Schlehdornbusch hängen geblieben und dann noch einmal, aber mit nun verminderter Wucht auf eine tiefere Geröllhalde gestürzt, die als steinige Zunge zwischen zwei gezackten Graten sanfter in die Tiefe leckte. Von dort hatten ihn die Arbeiter herabgeholt, und da ihm bei dem ganzen mörderischen Sturze nicht mehr widerfahren war als der Bruch einer Rippe und der rechten Vorderpfote, so hatte ihn offensichtlich sein Hundeschutzengel behütet und ihm ein Wunder erwirkt.

Nun lag er in seiner überaus weich ausgepolsterten Kiste, die Pfote in Brettchen geschnürt, ließ sich verwöhnen und machte Augen wie ein krankes Kind, dem es im Bett ganz behaglich ist. Er ließ sich nicht ungern bedauern, und wenn man ihm die Hand auf den Kopf legte, grunzte er wonnig in den Tiefen der breiten Brust. Der Krankenkost, die er bekam, tat er solche Ehre an, wie wenn er völlig gesund tagsüber als ein Zughund von früh bis abends im Geschirr gelegen wäre. Seine feuchtglänzenden Blicke verfolgten sanftmütig und ein wenig wehleidig das Ab- und Zugehen seiner Herrin, ihre ungewöhnlichen Hantierungen in Küche und Haus. Er war mit seinem Geschick völlig zufrieden und nur in seinen Träumen kam manchmal die schreckliche Begebenheit zurück. Dann regten sich seine Füße schlafwandlerisch, er blaffte leise und zuletzt verlor er sich in das betäubende Gefühl des Fallens.

Frau Hella hatte ihn immer neben sich. Während des Kochens lag er in seinem warmen Küchenwinkel und sah, wie seine Herrin am Herd tätig war. Sie hatte – seltsam genug – sich dieser hausfraulichen Pflicht wieder entsonnen und regierte in einer großen Schürze über Kochen und Braten, während Mirzl, kleinlaut und gedrückten Gemütes, sich in den neuen Kurs schickte und mit der zweiten Rolle beschied. Zu den ungewöhnlichen Hantierungen Frau Hellas gehörte es jetzt auch, daß sie die Wäsche vornahm und auf ihre Schäden untersuchte, etwas, das sonst in Bausch und Bogen der Flickerin überlassen worden war. Es kam ihr anfänglich schwer an, die Nadel zu führen, aber schließlich fand sie einen gewissen Triumph darin, ihrer Hände Geschicklichkeit in den Dienst einer guten Sache zu stellen und scheinbar unheilbare Gebrechen mit Scharfsinn und Geduld zu beheben. Sie sagte sich, es sei jede Arbeit, selbst die unbedeutendste, durch Geist zu beleben, auch Kochen und Flicken, und darüber ging das Gefühl unwürdigen Tuns, das sie anfangs manchmal überkommen wollte, völlig verloren.

In solchen Flickstunden lag Rex auf dem Sofa neben seiner Herrin oder, wenn sie ihren Korbstuhl in die helle Gartensonne getragen hatte, auf einer weichen Decke zu ihren Füßen im Gras.

Einmal, als der Doktor in stiller, feierabendlicher Heiterkeit nicht ohne Seitenblicke auf Frau Hella der wuchernden Rankenüppigkeit der Gartenhäuschenrosen mit der Schere gärtnerisch zusetzte, sah er durchs Gebüsch einen Mann als Zaungast dastehen. Er hörte einen Gruß.

»Ich bin schon lange da,« sagte der Oberlehrer Bartosch, »und schaue Ihnen zu. Es ist immer hübsch, zu sehen, wenn sich der Mensch und die Natur gut miteinander vertragen.«

Der Doktor bog die Zweige auseinander: »Ich glaube kaum, daß die Rosen sich freuen, wenn meine Schere kommt.«

»Aber in den zurückgestutzten Ruten speichert sich um so kraftvollerer Drang des Wachstums auf. Er schießt nächstes Jahr in hellen, jungen, fast trotzenden Trieben empor und schenkt ihnen einen Märchenschatz von Rosen. An den Hemmungen, die uns werden, entfalten sich die geheimnisvollen Mächte unseres Innern. Es ist mit allem Lebenden genau so: ließe man den gelehrigsten aller Hunde nach seiner Hundenatur ungebändigt dahin leben, so würde ein elender, verworfener, nichtsnutziger Köter aus ihm. Er muß, obzwar des Menschen bester Freund, dennoch seine Hand als die des Herrn über sich fühlen.«

Während der Oberlehrer so sprach, war es dem Doktor, als sei es seinem Zaungast nicht allein um Rosen und Hunde zu tun, sondern als verberge er darunter gleichnismäßig noch andere, vielleicht menschliche Belange. Er warf einen Seitenblick nach dem Platz unter der Ulme, wo Frau Hella saß, rotgolden überflammt und über eine männliche Unterhose gebückt.

Rex hatte den Kopf gehoben und grollte nach dem Gespräch am Zaune hinüber; aber mit Freundschaftssignalen des Schwanzstummels.

»Und die Menschen ...« sagte Schittelhelm geradezu, da ihm die Worte des Oberlehrers eine Herausforderung zu dieser Frage zu enthalten schienen, »die Menschen? Wo ist die Hand, die unsere Verwilderungen eindämmt, unsere Üppigkeiten beschneidet und unsere Ungezügeltheiten dämpft?«

»Ja – wir?« sagte der Oberlehrer, indem er lächelnd dem Doktor ins Gesicht sah, »wir überschauen die Ebene der Pflanzen und die der Tiere, das heißt, wir glauben es zu tun, obzwar wir von ihren eigentlichen Geheimnissen auch nichts wissen. Aber auf unserer eigenen Ebene sind wir völlig blind. Man könnte höchstens sagen, daß sich die Hand, die uns beherrscht und zu unseren höheren Zwecken bildet, in den dunkeln und verworrenen Wendungen offenbart, die wir Schicksal nennen.«

»Aber da stehen wir am Zaun,« besann sich Schittelhelm plötzlich, »ich bitte Sie, doch herein zu kommen.« Und er schritt rasch auf dem Weg längs des Zaunes, der Gartentür zu, während der Oberlehrer außen mit ihm gleichen Schritt hielt.

Aber als er die Tür öffnete, weigerte sich der Gast ganz entschieden, einzutreten. Allem Drängen setzte er beharrlichen Widerstand entgegen und als ihn der Doktor am Arm faßte und einfach zwangsweise hereinziehen wollte, sagte er leise: »Ich bitte Sie, lassen Sie mich. Ich habe meine Gründe ... Aber Bimm ist da, Bimm möchte seinen Krankenbesuch machen, wenn Sie gestatten.«

Bimm stand neben dem Herrn, aus Leibeskräften wedelnd, und schien nur auf die Einladung zu warten.

»Geh nur, Bimm,« sagte Bartosch, »sag' deinem Freund guten Tag. Und komm nach einer Viertelstunde wieder, ich erwarte dich bei der Mühle.«

Damit ging er davon, Bimm aber lief in den Garten und trabte schnurstracks auf Rex zu, der sich zu einer Begrüßung erhoben hatte und nun dastand, strahlend und beglückt, aber mit hochgezogener Pfote, unfähig zu lebhafteren Freudenäußerungen. Bimm aber war ein vernünftiger und gesetzter Hund, er beschnupperte sachverständig den Verband, zog dann auch den übrigen Hund in den Bereich seiner Untersuchung, und da er einsah, daß er den Patienten in keine gewagten Unternehmungen verwickeln dürfe, legte er sich neben ihn in die Abendsonne, ließ die Zunge heraushängen und blinzelte vor sich hin.

Frau Hella ging ins Haus und kam nach einer Weile mit einer Schüssel voll köstlich duftendem Maisgrieß zurück, den sie beiden Hunden vorsetzte. Sie fraßen mit gieriger Begeisterung, aber ohne Neid in gegenseitiger Duldung, und es war ein platonisches Gastmahl, dem nur der Hundephilosoph fehlte, um aufzuzeichnen, was nach seiner Beendigung an guten und erhabenen Gedanken durch ihre Seelen ging.


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