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5

Es stellte sich heraus, daß Rex musikalisch war.

Da stand in einem Zimmer ein mächtiges schwarzes Ding auf drei Beinen, das an seinem breiten Ende ein Gebiß von schwarzen und weißen Zähnen hatte, in dessen Innern aber eine schreckliche Art von Spektakel enthalten war, den es losließ, wenn man ihm ins Gebiß griff. Es war ein Durcheinander von Spitzem, Grellem und von Dumpfem, Brummigem, das Hohe durchstach Rex mit giftigem Gellen und das Tiefe schlug in seinem Innern mit dunkler Gewalt wie gegen ein ausgespanntes Fell, und alles zusammen war scheußlich und schmerzhaft.

Rexis Begabung wurde entdeckt, als Frau Hella den Feuerzauber spielte.

Sie ließ die Töne wogen und Mama Tröger, die zu Besuch bei ihr weilte und hinten auf dem Sofa saß, stopfte unter innerem Protest und mit beleidigter Miene Strümpfe. Da ging die Türe auf, und der Doktor trat ein, zugleich aber zwängte sich zwischen seinen Beinen die schwarzgelbe, vierbeinige Frechheit hindurch, lief auf Frau Hella zu und begann mit allen Anzeichen völliger Verstörtheit herzbrechend zu heulen.

»Da schau, der Rex singt,« sagte Schittelhelm, indem er sich vor Lachen bog.

Auch Hella schüttelte sich vor Lachen, sie konnte nicht weiter spielen und ließ die Hände von den Tasten sinken, worauf sich Rex an ihre Knie drängte und durch heftiges Brummen und Händeablecken bekundete, wie froh er sei, dem Feuerzauber entronnen zu sein.

»Vielleicht ist er kein Wagnerianer,« meinte der Doktor nachdenklich.

Frau Hella versuchte es mit einem leicht verständlichen, anmutigen Grieg, einem harmlosen Stück für Kindergemüter. Beim ersten Ton saß Rex wieder hingeschmettert auf den Hinterbeinen und erhob seine Stimme zu einem irren Gebell. Es war ein Prickeln und Zerren, ein Reißen und Stechen, ein grelles Hämmern, ein solch wüstes Toben in seinen Ohren, daß er vollkommen außer sich geriet. Und da er an sich empfand, wie weh das tat, glaubte er annehmen zu müssen, daß auch den Menschen ein ebensolches Leid bereitet wäre. Halb vom eigenen Schmerz, halb von der Angst um die Herrin verwirrt, saß er da und begleitete das Getöse mit seiner Stimme, wobei es ihm dunkel als eine Art Linderung vorkam, wenn er den Tönen ein wenig zu folgen suchte, ihnen nach in die Höhe kletterte oder den sinkenden ein grunzendes Bellen gesellte.

»Er hat oben eine ganze Koloratur,« jubelte Hella, die vor Lachen nicht mehr weiter konnte.

»Was das wohl sein mag,« sann der Doktor, »ob es Vergnügen ist oder Schmerz? Ob er damit sagen will: ›Spiel' weiter!›‹ oder ›Hör' auf!‹? Es sieht aus, als empfände er es unangenehm. Schau, wie er wedelt und sich verbiegt, weil du aufgehört hast. Und dennoch: die griechische Sage behauptet, daß selbst die wilden Tiere die Konzerte des Kammersängers Orpheus mit Beifall aufnahmen, ja daß sogar der Höllenhund Cerberus durch die Musik zahm wurde. Man würde, wenn man in die Seele des Hundes sich versetzen könnte, vielleicht damit das Rätsel der Musik lösen. Sein Heulen scheint eine Art Notwehr zu sein und vielleicht ist unsere Musik nichts weiter als dasselbe: eine Notwehr gegen ein Getöse, gegen die sogenannte Harmonie der Sphären, die beständig auf uns eindringt und die uns nur nicht zum Bewußtsein kommt, weil wir mitten drin stecken. Manchmal aber regt sich in unserem gemarterten Unterbewusstsein die Sehnsucht, mitzuheulen, und dann machen wir Musik.«

»Eine schöne Erklärung,« sagte Frau Hella, aber ohne eine Spur von gekränktem Künstlerstolz. Die Mama Tröger äußerte sich mit keinem Wort zu dieser Frage. Sie behielt die Miene einer beleidigten Königin bei, nur daß sie, so lange Rex mitsang, die Augenbrauen ganz hoch auf die Stirn hinaufrückte und einen Zug von Qual und Verdammnis um den Mund bekam, als sitze sie nicht auf dem Sofa, sondern in einem Kessel siedenden Öles. Ja sogar um die Ohren war deutlich allerheftigste Mißbilligung gelegt, und wie Mama Träger dies fertig brachte, war gewiß ein ehrfurchtgebietendes Geheimnis schwiegermütterlicher Mimik.

Erst als der Doktor wieder das Zimmer verlassen hatte, nahm sie das Wort: »Du verstehst dich ja jetzt ganz prächtig mit deinem Mann.«

»Mein Gott, was bleibt mir denn übrig,« sagte Hella entschuldigend, indem sie die Noten zusammenlegte und das Klavier schloß. Sie wurde sogar ein wenig rot dabei, als wäre sie auf etwas Unrechtem ertappt worden.

»Na ja. Ich meine nur ... ich glaube, er hätte allen Anlaß, dir mit mehr Achtung zu begegnen.« Frau Hella zog die bunte Decke über die Klavierplatte. »Wieso denn?« fragte sie nervös.

»Er behandelt dich in einer Art ... diese Witze, die er über dich macht. Du hast in Graz in Konzerten mitgewirkt vor einem Publikum, das etwas davon versteht. Jedenfalls mehr wie er. Und jetzt vergleicht er dein Spiel mit dem Geheul dieser Bestie ...«

»Man muß doch einen Scherz verstehen.«

Mama Tröger zeigte, daß sie fest entschlossen sei, solche Scherze nicht zu verstehen und daß, wenn schon ihre Tochter gegen das Unziemliche solchen Benehmens abgestumpft sei, doch sie selbst wenigstens keine Nachsicht zu üben gedenke. »Und überhaupt ... wie er dich behandelt! Du hast dich schon daran gewöhnt, du läßt es dir gefallen ... aber mir dreht sich das Herz um ... meine Tochter! Meine Tochter! Du hast dir zwar anderes verdient.« Sie warf den Strickstrumpf empört zurück auf das Sofa und erhob sich, groß, schwarz und hager, und wandelte wie ein rächender Schatten durch den Raum.

Rex, der die ganze Zeit über Kletterversuche an einem der altmodischen Plüschsessel gemacht hatte, ließ von ihm ab und wandte sich dem freigewordenen Sopha zu. Hier, wo es niedriger war, gelang es nach einigem Hopsen die Hinterbeine hinaufzubringen und nun stand er da und schnupperte an den von Mama Tröger im Stich gelassenen Dingen. Da war ein Nähkorb mit allerlei unverständlichem Kram, ein Strickstrumpf mit gefährlich blinkenden Nadeln, und ein Wollknäuel. Das einzige, mit dem sich etwas anfangen ließ, war das Stopfholz, ein hölzernes Gebilde in Form eines Pilzes. Rex lagerte sich, nahm das Stopfholz zwischen die Vorderpfoten und begann mit Eifer und Hingebung zu knabbern.

»Hat er dich schon überhaupt gefragt, was du anziehen sollst, wenn du heuer im Winter zu irgend einer Unterhaltung gehst, zu einem Konzert, einem Ball, ins Theater oder nächste Woche zur Eröffnung der Ausstellung des Herrn Förster. Am liebsten würde er dich in Sack und Asche gehen lassen, was?« Mama Tröger machte ein Gesicht, als sei durch irgend ein Versehen der ewigen Mächte bei der Seelenwanderung ein Irrtum unterlaufen und der Geist eines spanischen Großinquisitors in sie gefahren. Sie war ebenso groß, ebenso schlank und ebenso vornehm wie ihre Tochter, nur daß, was bei dieser im jugendlich Anmutigen sich überaus gefällig ausnahm, bei ihr durchaus streng und wie mit Galle getränkt erschien.

Hella wandte sich ab und nahm eine Vase vom Tisch, um sie auf das Klavier zu setzen, wohin sie gehörte. Sie war an einem empfindlichen Punkt getroffen und wollte es sich doch nicht merken lassen. »Weißt du, Mama ... man muß Geduld haben. Franz ist doch noch neu im Ort. Die Leute hier holen überhaupt nicht gern den Arzt und wenn sie jemanden holen müssen, dann ist es der alte Reumeier. Es dauert lange, bis sie sich an einen Neuen gewöhnen. Und dann die Schulden auf dem Haus. Wir haben doch alles Ersparte zugesetzt und noch ausborgen müssen. Es sind eine Menge Zinsen zu zahlen ... Wenn wir erst einmal darüber hinaus sind ... dann wird es ja gehen.«

»Man muß also Geduld haben, meinst du?« Mama Tröger hob den Blick zum Himmel, als erflehe sie von ihm Erleuchtung für ihr verblendetes Kind. »Du hast schon Recht. Hab nur Geduld. Bis deine Jugend vorbei ist. Du hast ihm ohnehin alles geopfert – und was hast du davon?«

»Du darfst nicht vergessen ...«, sagte Hella leise, indem sie die schief hängende Klavierdecke zurechtzupfte, »du darfst nicht vergessen, daß ich Franz aus Liebe geheiratet habe.«

»Ha ...«, schnaubte Mama Tröger, »aus Liebe! Diesen ... diesen ... das ist ja ein unmöglicher Mensch.« Sie fühlte den Zeitpunkt herannahen, in dem sie zerspringen würde, und in diesem Augenblick erblickte sie Rex, der seelenvergnügt und mit seinem Gott versöhnt auf dem Sofa lag und an dem Stopfholz nagte. Er hatte bereits den Rand des Pilzhutes rundherum bearbeitet, daß er ganz zerfranst und zerfasert war und nahm nun frohen Mutes und reinen Gewissens den Stiel in Angriff.

»Da schau, was das Mistvieh macht,« schrie Mama Tröger, indem sie auf Rex losstürzte und ihn mit einer gewaltigen Ohrfeige vom Sofa fegte. »Natürlich, wenn euch das Vieh solchen Schaden anrichtet, dann könnt ihr auf keinen grünen Zweig kommen. Kleider kauft er dir keine, aber der Hund darf das ganze Haus auffressen. So gescheit seid ihr gewesen, daß ihr euch keine Kinder anschafft. Aber dafür muß ein Hund da sein. Paß auf, das ist nur der Anfang, nächstens verlangt er auch noch Kinder von dir.«

»Aber Mama!« sagte Hella, »du übertreibst!«

Rex war nach seinem unfreiwilligen Luftsprung vom Sofa mit einem Quiecker unter Frau Hellas Röcke gefahren. Da stand er nun und drückte sich an das Bein seiner Herrin und leckte sich bisweilen mit der roten Zunge die Schnauze. Es kam ihm ganz so vor, als wackele der eine obere Beißzahn.

»Gut, ich übertreibe,« sagte Mama Tröger, »ich übertreibe. Ich sage lieber gar nichts mehr ... aber du wirst ja sehen ... du wirst dich meiner Worte erinnern, wenn es zu spät ist.«

Damit ging sie hinaus und schmetterte die Türe hinter sich zu, daß Rex zusammenfuhr.


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