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3

Es bekam den Namen Rex.

Seine Erinnerungen reichten nicht bis zum mütterlichen Zwinger und jener ersten Fahrt ins Leben zurück. Sie begannen mit den frühesten Eindrücken von Haus und Garten, als sei er in dieser Welt geboren. Es war nicht leicht, sich in ihr zurechtzufinden, es waren eine ganze Menge mühsame und schmerzhafte Erfahrungen zu machen. Da gab es Räume, die zu betreten verboten waren und andere, die einem offen standen, da war besonders einer, in dem es immer überaus lieblich nach Eßbarem duftete und in dem zu gewissen Zeiten hinter einem eisernen Türchen etwas Rotes, Heißes, mit unaufhörlich wechselnden Zacken fächerte. Das war etwas im tiefsten Grunde Unheimliches und doch wieder unter Umständen Erfreuliches und Angenehmes. Es bestand gewissermaßen aus zwei Teilen: dem Roten, Flackernden selbst, dem man nicht nahe kommen durfte, gewarnt von einer dunklen Stimme in sich, die wie aus einem Abgrund heraufkam und der man sich blindlings anvertrauen konnte; und einem Unsichtbaren, Wohltuenden, das von dem Heißen ausging und einem den Pelz so behaglich warm machte wie die liebe Sonne selbst.

Rex genoß an kühlen Herbsttagen diese Gabe, ohne jemals die schuldige Scheu vor dem Flackernden außer Acht zu lassen. Es gehörte für ihn unter den vielen erstaunlichen Dingen, die von den Menschen zustande gebracht wurden, zu den allererstaunlichsten, daß sie auch dieses unheimliche Wesen beherrschten und es offenbar nach ihrem Willen hervorriefen und wieder verschwinden ließen.

Solcher Wunder gab es im Haus und Garten eine Menge, solcher feiner Unterschiede waren viele zu machen, wenn man sich zurechtfinden wollte. Da war zum Beispiel gleich das Geheimnis der Türen, das keineswegs so einfach war. Die Türen waren das, was einen Raum vom andern trennte, aber, wenn man wollte, auch mit ihm verband. Wenn der Mensch auf einen kurzen, glänzenden Griff etwa in der Mitte der Türe drückte, dann ging sie auf; aber es war im Anfang schwer, herauszubekommen, wie sie sich bewegen und um welche Kante sie sich drehen würde. Manchmal kamen die Türen einem entgegen in das Zimmer hinein, manchmal wichen sie von einem fort in den andern Raum hinaus. Auch mußte man, wenn man hinter jemanden drein durch die geöffnete Türe wischen wollte, sehr achtgeben, daß man nicht eingeklemmt wurde. Es kam anfangs vor, daß man an einer ganz unrechten Stelle auf das Aufgehen der Türe wartete und durch eine völlig andere und unvorhergesehene Wendung peinlich überrascht wurde.

Man versuchte auch, es den Menschen nachzutun und den blinkenden Griff in der Türmitte zu erreichen, um sich selbst zu öffnen. Aber so sehr man sich auch dehnte, man war zu klein dazu und mußte sich damit begnügen, bescheiden auf der Schwelle durch Kratzen oder Winseln darauf aufmerksam zu machen, daß man da war und hinein wollte.

Das Haus steckte voll Seltenheiten. War es nicht unbegreiflich, daß die großen, viereckigen Löcher in der Wand, durch die das Licht hereinkam, auch eine Art von Türen besaßen, nur mit dem Unterschied, daß man durch sie hindurchschauen konnte? Es war nichts da, wenn man aber mit dem Kopf oder den Pfoten dagegen stieß, merkte man doch einen Widerstand. Das Rätselhafte daran war, daß es also ein Nichts gab, das zugleich ein Etwas war.

Noch rätselhafter war ein Ding, das an der Wand hing, und in dem man, wenn man aufgehoben wurde, plötzlich alles noch einmal erblickte: das Zimmer mit allen Gegenständen, die Menschen darin, die Herrin, den Herrn und sich selbst. Das war überaus verwirrend, denn auch dies, was man da sah, war zugleich und war doch auch nicht. Es blieb unverständlich, was die Menschen daran fanden, sich alle Dinge um sich selbst auf so gespenstische Weise wiederholen zu lassen, da doch alles ohnehin schon einmal bestand. Man fürchtete sich nicht gerade vor dieser Erscheinung, aber man empfand sie äußerst peinlich, geriet, wenn man sich so selbst gegenübergestellt wurde, in Verlegenheit, weil man dies alles nicht recht verstand, und steckte lieber den Kopf weg.

Bei alledem war es nur ein Glück, daß man auf diesem Weg zur Erfahrung zwei zuverlässige Führer hatte: die dunkle Stimme aus der Tiefe und die Nase. Ihnen folgend, fand man sich in all dem Vielfältigen und Seltsamen zurecht, das einem zu erforschen aufgegeben war. Immerhin kam es vor, daß sich die Stimme zu dem Wunsch und Willen der Menschen in Widerspruch befand. Wenn man etwa, durch seine Nase geführt, irgendwo etwas Eßbares entdeckt hatte, dann sagte die Stimme: »Nimm und iß!« So war sie einmal die innere Stimme: sie kümmerte sich um nichts auf der Welt, als wie man auf ihr sein bestes Gedeihen finden und seinen Vorteil wahrnehmen könnte. Der Mensch aber war anderer Meinung und wollte es nicht zulassen, daß man immer tat, was die Stimme befahl. Er betrug sich geradezu, als wäre es etwas Schändliches und Verabscheuenswürdiges, seinen Hunger zu stillen und das Stück Fleisch oder Brot zu nehmen, das man erreichen konnte. Da war ein Wort, mit dem er strafte, wenn etwas gegen seine Gesetze verstoßen hatte, das kleine Wörtlein »Pfui!« und wenn er es aussprach, so recht spitz und schneidend, dann traf es einen wie ein heißer, brennender Hieb.

Demnach mußte in diesem Fall, wie bei vielen anderen Gelegenheiten, hinzugelernt werden, daß der dunkeln Stimme, die doch unbedingten Gehorsam verlangte, dann nicht gefolgt werden durfte, wenn sie einem Gebot des Menschen widersprach. Ein neues Rätsel also: ein Unbedingtes, von dem es Ausnahmen gab. Wort und Wille des Menschen standen höher und mächtiger da als all das heilig Dunkle der eigenen Wesenheit.

Zwei große Gattungen von Dingen begannen sich klarer voneinander zu scheiden: das Verbotene und das Erlaubte, und es war nicht immer einzusehen, warum etwas verboten und ein anderes erlaubt sei. Es war aber auch noch ein anderer Unterschied zu machen, und zwar unter den Menschen selbst: zwei waren es, denen man Gehorsam schuldete und deren Wille dem eigenen übergeordnet war, der Herr und die Herrin, oder wie Rex bald erfühlte, die Herrin und der Herr. Der dritte Mensch, der da im Haus herumging, nahm nur an der allgemeinen Erhöhung Kraft seiner Eigenschaft als Mensch seinen Teil, hatte indessen zum eigenen Schicksal keinen besonderen und eigentlichen Bezug. Man begegnete ihm freundlich als einem Hausgenossen, aber es war kein tief ins Wesen verflochtenes Gefühl für ihn da.

Es kamen aber auch Menschen von außerhalb ins Haus zu vorübergehendem Aufenthalt. Ihnen gegenüber war Vorsicht und Mißtrauen geboten, sie kamen aus dem Unbekannten, das man voll Bosheit und Gefahr wußte. Sie trugen allerlei fremde Gerüche an sich und aus ihnen bildete man sich sein Urteil, nach dem sich das Benehmen richtete.


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