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In jenen ersten unruhigen Monaten nach dem Zusammenbruch konnte man fast jede Nacht Schüsse hören, die draußen auf den Feldern fielen. Die Grundbesitzer verteidigten ihr Eigentum gegen Gesindel, das die republikanische Freiheit so verstand, als sei nun die Kriegsgewohnheit des Plünderns eine staatsgrundgesetzlich gewährleistete Einrichtung geworden.

In dieser aus den Fugen geratenen Welt lief allerlei übles Volk herum, das zu Zeiten der Ordnung behutsam im Dunkeln geblieben war, und berief sich auf neue Lehren, laut denen jedes Gelüste nach fremdem Eigentum aus höheren Gesichtspunkten heraus gerechtfertigt war.

Vom Haus des Doktors Franz Schittelhelm aus, das am äußeren Umkreis des Ortes stand, konnte man diese nächtlichen Auseinandersetzungen über das Wesen des Eigentums sehr deutlich hören. Manchmal steigerte sich das Knallen zu einem regelrechten Feuergefecht. Es befand sich nämlich auch ein Militärmagazin in der Nähe, das, noch vom Krieg her mit Vorräten aller Art angefüllt, eine besondere Anziehung für die Bekenner jener neuen Lehren hatte. Die Wache, die darin lag, verteidigte es nach Kräften, weniger des Staates und der öffentlichen Ordnung wegen, als weil sie selbst im Stehlen nicht beeinträchtigt werden wollte.

Eines Morgens kam der Doktor von seiner ersten Krankenrunde mit der Nachricht heim, daß beim Nachbarn Kerschbaum eingebrochen worden war. Man hatte das Schwein, das er hinten im Stall mästete, mit Chloroform betäubt, gleich in aller Gemütlichkeit an Ort und Stelle geschlachtet, und war bei dem ganzen nächtlichen Fest völlig ungestört geblieben.

»Das haben gewiß die aus Wöllersdorf getan,« sagte Frau Hella.

Etliche Tage vorher hatte sich zum Entsetzen der Bevölkerung die Nachricht verbreitet, daß etwa zwei Dutzend der gefährlichsten Verbrecher aus der Strafanstalt Wöllersdorf ausgebrochen seien, und wenn auch die Gendarmerie nach einem heftigen Waldgefecht einen Teil wieder eingebracht hatte, so trieben sich doch noch immer etliche Kerle frei umher.

»Nächstens kommen wir daran,« meinte der Doktor.

»Mir wird manchmal ganz unheimlich,« sagte Frau Hella mit einem etwas ängstlichen Blick durch das Verandafenster in den frühlingstrahlenden Garten hinaus, jenseits dessen Zaunes schon die Felder begannen, eine braungelbe Ebene bis zu den fernen Schloten, Wassertürmen und Gastanks, mit denen die Großstadt endete, die aus den Fabrikvierteln immer wieder ihren Abschaum auf das Land hinaus spie. »Weißt du ...,« ergänzte die Frau, »wir liegen eigentlich wirklich etwas ausgesetzt.«

»Wir sollten uns einen Hund anschaffen,« erwiderte der Doktor zögernd, während er einige blinkende Instrumente in seine braunlederne Handtasche tat.

Frau Hella lächelte. Sie kannte die Schwäche ihres Mannes für jede Art von Getier, insbesondere aber für Hunde, war selbst nicht frei davon, aber man hatte, so lange man in städtischen Mietwohnungen saß, solche Wünsche als unvernünftig abtun müssen. Ein solches Zusammenhausen von Mensch und Tier, drei oder vier Stock über dem steinernen Pflastergrund eines Straßenschachtes, war nur eine Qual für beide. Nun hatte man sein eigenes Häuschen, draußen aus dem Land, und konnte, wenn man seinem Verlangen nachgab, sich auf gute Gründe, ja auf unabweisbare Notwendigkeiten berufen. Dennoch mochte Frau Hella, die als Hausfrau in allen früheren Auseinandersetzungen immer ihres Mannes Widerpart gehalten hatte, nicht sogleich nachgeben. »Na ja, du würdest das Vieh schön verwöhnen ... und ich hätte die Plage.«

»Lächerlich ..., wenn es doch ein Wachhund sein soll. Der kommt draußen in seine Hütte und fertig.«

»Dann darf es aber kein Rassehund sein. Nur ein ganz ruppiger, böser Köter, groß, stark und bissig, so einer, daß man wirklich eine Tafel an der Tür anbringen muß: ›Achtung, scharfer Hund!‹«

Es war etwas wie eine Annäherung, eine grundsätzliche Einigung über einen neuen Hausgenossen, und als Doktor Schittelhelm mittags heimkam, war ein Brief unter der Morgenpost, in dem das Schicksal einen weiteren, nicht mißzuverstehenden Wink gab, was in dieser Angelegenheit zu tun sei. »Halleluja!« sagte der Doktor freudig, »da schau her, da schau her, unser Freund Burger schreibt, daß er für uns ein Mädel aufgetrieben hat. Sie ist sofort bereit, den Dienst anzutreten. Ein Bauernmädel, ein unverdorbenes, so was mit Erd- und Stallgeruch, Gott sei Dank ... Ich soll sie in Linz abholen, weil sie sich die Fahrt nicht allein zu machen traut. Und, weißt du, da halte ich mich gleich auch bei Kotzmann auf und frage, ob er einen Hund für mich hat.«

Frau Hella sah verklärt drein. Die Aussicht auf das Bauernmädel mit Erd-, Stall- und Düngergeruch, auf das unverdorbene Geschöpf der Scholle, bildsam und ohne großstädtische Verruchtheit, erhellte ihr ganzes Gemüt. Nun würde das häusliche Elend ein Ende haben, der Ärger mit den Bedienerinnen, und sie würde wieder Dame sein dürfen, die ländliche Abgeschiedenheit durch Wiederaufnahme ihrer künstlerischen Bestrebungen erträglicher machen. Was den Hund anlangte ... »Aber einen recht gewöhnlichen Köter, hörst du ..., sonst werfe ich ihn hinaus!«


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