Rudolf Stratz
Der weiße Tod
Rudolf Stratz

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XIII

Er hatte am Kirchhofgitter gewartet, bis ihre schlanke Gestalt im Portal des Hotel Mont-Ceroin verschwunden war. Dann folgte er ihr langsam nach.

Der Herr Professor aus München ... der kleine Herr mit dem langen schwarzen Bart, meldete ihm ein Kellner, während er die Treppe heraufstieg, der sei heute schon zweimal dagewesen und habe nach dem Herrn Baron gefragt. Er wollte wiederkommen. Es scheine sehr dringend zu sein ...

Er nickte, ohne recht auf das Geschwätz des Menschen zu hören, schloß die Tür hinter ihm und sank schwer auf einen Stuhl nieder.

Was sollte das werden? – Tief atmend starrte er durch die regenblinden Scheiben hinaus auf die leere Gasse. Er hatte keinen Willen mehr. Das fühlte er. Er trieb nur so hin im Strom der Leidenschaft ... einem geheimnisvollen verlockenden Ziele entgegen. Sollte er noch versuchen, Widerstand zu leisten? Es war umsonst. Er konnte nichts mehr tun gegen das ungeheure, trotzige Kraftgefühl, das sich in ihm regte, gegen den wilden, jauchzenden Drang, um dies schöne, stolze Wesen zu kämpfen Auge um Auge, Zahn um Zahn, sie aus Not und Gefahr heraus an seine Brust zu reißen und an sich zu pressen ... für immer ... für immer ...

»Du tust unrecht an einem Mann, der dir vertraute« ... Ja freilich ... das war wahr ... sie war des Nächsten Weib. Aber gleich darauf stand er auf! Ein grimmiges Lachen entrang sich seiner breiten Brust. Das war ja eben die Sühne ... das war die Vergeltung für das Leid, das man ihm selbst einst zugefügt. Damals hatte man ihm das Liebste auf Erden genommen und sein Leben verwüstet – nun mochte es einem andern ebenso ergehen! Warum sollte er allein leiden und trauern?

Und dann war noch ein Unterschied. Er war betrogen, schmählich, mit zärtlichem Lächeln und dem Händedruck des Freundes, betrogen worden. Hier aber sollte nichts geschehen, was das Licht des Tages scheuen mußte. Sie wollten ehrlich handeln und frei und schlicht dem dort die Wahrheit sagen, daß sie nicht mehr voneinander lassen konnten. Der mochte dann tun, was ihm beliebte ... der mochte sich fügen oder kämpfen um Sein und Nichtsein ... er trat ans Fenster, und unwillkürlich spannten sich seine kraftstrotzenden Muskeln ... auf Tod und Leben kämpfen, wenn es sein mußte! Er war bereit.

Wäre nur die Zeit des Harrens vorbei gewesen. Er begriff es ja wohl: ein solcher Entschluß, eine solche Aussprache erfordert Zeit. Aber bis übermorgen hier zu sitzen, müßig und mit pochendem Herzen, im Regenwetter zwischen die Öde der Table d'hote oder an den Stammtisch der Bergfexe gebannt ... das war ein unerträglicher Gedanke, und doch blieb nichts daran zu ändern. Denn bei solchem Wetter in die Berge zu gehen, das hatte wahrlich nicht Sinn und Verstand.

Da klopfte es an die Tür. Der Professor trat ein. Er war in seltsamer Aufregung. Der lange Bart hing ihm ganz zerzaust vom nervösen Zupfen und Drehen über die schmächtige Brust, und in den pechschwarzen kleinen Augen funkelte ein unheimliches Feuer.

»Was haben S' denn, Professor?« Der Baron trat ihm entgegen und musterte erstaunt den zwergenhaften Maler, dessen buschiges Gnomenhaupt ihm noch nicht bis zur Brust reichte.

»Eine Bitte hab' ich«, raunte der und faßte mit beiden Händen inständig die nasse Joppe seines Gegenübers, »gangen S' morgen früh mit mir in die Berge!«

»Bei dem Wetter! ... sind Sie verrückt?«

Der Kleine warf einen scheuen Blick um sich, als könne man sie belauschen.

»Gerad' bei dem Wetter«, flüsterte er dann geheimnisvoll, »das brauch' ich ja eben!«

»Ja wozu denn? In Sturm und Regen können Sie doch da oben nicht malen!«

Der Professor stieß ein höhnisches Gelächter aus. »Malen ... und wie! Die Stümper freilich ... die malen mit den Faust' und der Palette ... die freilich ... aber ich ... ich mal' mit dem Kopf! Wann's erst da drin steckt, dann is mir die Leinwand 'ne Spielerei.«

»Aber bei dem Nebel ... man sieht ja nicht zwanzig Schritt weit ...«

Der Zwerg schaute zu ihm auf, mit einem verzehrenden Blick.

»Wann die Sonne scheint, kann jeder die Berge abpinseln«, sprach er leise und feierlich, »das is, weiß Gott, kein Kunststück mehr! Aber das sind die Berge net! So schauen s' zwei, drei Wochen im Jahr aus ... aber den Rest der Zeit ... da kann man sie halt nicht malen!«

»Sie sind ein großer Künstler, Professor ... das weiß ich ... aber aus Regen, Nebel, Sturm und Finsternis macht man doch kein Bild ...«

»Man macht schon eins! ...« Der Kleine sah in tiefem Sinnen zu Boden und drehte langsam die pechschwarzen Bartsträhnen. »Nur anders wie die andern ... Heut nacht hab' ich's gespürt ... da is die Eingebung über mich gekommen ... die Natur ist nicht tot, lieber Freund ... die lebt ... das haben die alten Griechen schon gewußt ... denen war jeder Baum eine Nymphe und die Sonne ein feuriges Viergespann und das Meer ein mächtiges Greisenhaupt ... und so ...« Er dämpfte seine Stimme noch mehr und sah in banger Erwartung zu dem andern empor – »so muß ich den Berggeist malen ...«

»Ja ... aber wie denn?«

Der Professor fuhr sich mit der Hand über die glänzenden Augen. »Ich werd' ihn schauen«, sagte er geheimnisvoll, »morgen, wann ich herausgeh! ... ich weiß es ... morgen seh' ich das Größte in meinem Leben ... da seh' ich alles, was furchtbar und erhaben ist in den Alpen, in einer Gestalt zusammengefaßt. Die Gestalt muß mir morgen dort oben in den Schründen, in Sturm und Wetter erscheinen. Aber allein kann ich nicht herauf ... das begreift 'n Kind ... und ein Führer ... ja schaun S', Baron ... so 'n Kerl mordet mir die Stimmung ... wann er auch 's Maul halten muß ... durch seine bloße Gegenwart. Da brauch' ich 'nen Menschen neben mir, der dasselbe fühlt wie ich ... nur daß er's halt nicht auf der Leinwand aussprechen kann. So einer sind Sie, Baron ... Kommen S' mit, den Freundschaftsdienst dank' ich Ihnen ewig ... und die Kunst dankt's Ihnen auch. Wann erst das Bild im Glaspalast hängt, und das dumme Volk steht davor, wie in der Kirche ...«

»Wissen Sie, Professor«, sagte der andre, »von der Kunst versteh' ich nichts, aber vom Bergsteigen schon ... und da muß ich Ihnen sagen ... das ist und bleibt 'n Unsinn! ...«

Aber nein sagte er doch nicht, und der Gnom ersah seinen Vorteil, um dem waghalsigen Bergsteiger den Mund wässerig zu machen. »Und wissen S', wo ich hinaus will?« fragte er vertraulich, »vom Furggletscher will ich über das Matterhorn hinauf, die »Schulter« erreichen und den gewöhnlichen Weg über den Kamm zurück.«

»Was ... und die Steine ... das ist ja einfach lebensgefährlich ...«

»Ach so!« – der Kleine machte eine Bewegung spöttischen Bedauerns – »also Sie reden auch von Gefahr ... Ich sag' mir, die Kunst steht in Gottes Hand! Der da oben nimmt mich nicht zu sich, solang ich noch was Leidliches zusammenpinseln kann.«

Der andre Bergsteiger antwortete ihm nicht. Ein Gottesurteil! ... das Wort klang plötzlich in seinem Innern auf. Sollte er gerade jetzt das Schicksal herausfordern ... gerade jetzt ... in dieser entscheidenden Wendung seines Lebens? Und in ihm regte sich der Trotz: Jawohl ... gerade jetzt! Er war nun einmal in den Händen des Geschicks ... mochte es ihn führen, wohin es wollte, und ihn verderben, wenn er auf falschem Wege wandelte! Besser den Tod als morgen den langen Regentag hinter dem Ofen sitzen und tatenlos warten, was ein Weib über sein Leben und seine Zukunft entscheidet ...

»... Bis morgen abend muß ich zurück sein«, sagte er finster, »denn übermorgen hab' ich mehr zu tun als mit Ihnen am Matterhorn herumzukraxeln! ...«

»Morgen abend sind wir zurück!« versprach der Professor seelenvergnügt und vor Aufregung zitternd, »aber wissen S' was ... naß sind S' aa schon, gehn wir doch heut' die Stund' bis zum Schwarzseehotel hinauf! da haben wir's morgen näher!«

Er war auch damit zufrieden. Wenn er sie doch bis zu der entscheidenden Stunde nicht sehen, nicht mit ihr sprechen sollte, so war es besser, er blieb auch räumlich von ihr getrennt.

Eine Stunde später stiegen sie im Abendgrauen den Maultierpfad zum Schwarzsee empor. Ein Knecht trug ihr Gepäck. Sturm, Nebelreißen und Regenschauer umgaben sie.

Der Baron blieb einen Augenblick stehen. »Nehmen S' mir nicht übel, Professor«, sagte er, »aber Sie sind komplett verrückt. Das ist ja ein wahres Hundewetter!«

»Macht nichts!« – der Zwerg schüttelte den Kopf und sah, auf seine mächtige Eisaxt gestützt, gierig zu den Wolken empor – »ich muß hinauf! ... und morgen um die Zeit ... das schwöre ich Ihnen, da haben die Berge kein Geheimnis mehr vor mir!«

»Legen S' mal den Pickel ans Ohr!« riet der andre trocken.

Der Kleine tat's. Jawohl, der Pickel summte! Ein leises Knistern entströmte rastlos dem kalten Metall. »Heut singen die Stöcke nicht schlecht.« Der Baron preßte die scharf geschliffene Stahlspitze hart ans Ohr, und sein Gesicht wurde ernst. »Sie wissen, was das heißt! Die Luft ist mit elektrischer Spannung geladen. Das zeigt für morgen Sturm und Unwetter von der schlimmsten Sorte ...«

»Kommen S'«, sagte der Maler leichthin, und sie schritten weiter. Aber immer wieder hob von Zeit zu Zeit im Aufwärtssteigen der eine Wanderer die Eisaxt zum Ohr, und immer wieder klang das leise, dräuende Summen, als warne die leblose Waffe ihren Herrn ...


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