Rudolf Stratz
Der weiße Tod
Rudolf Stratz

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VII

Zermatt hat einen König. Hochragend thront über ihm ein Gebieter, um den sich alles in diesem engen Hochtal dreht, zu dem die Fremden mit Staunen und Grauen, die Einheimischen mit Dank emporblicken. Denn ihm schulden sie es in erster Linie, daß aus dem weltenfernen Gebirgsdorf die menschenwimmelnde Touristenstation mit ihren vierstöckigen Hotels und ihrer Zahnradbahn, das gelobte Land der Alpensteiger geworden ist.

Der König ist das Matterhorn.

Wie sich der ungeheuerliche Felszacken 14 000 Fuß hoch in die Lüfte bäumt, als wolle er mit seiner nadelscharfen Spitze das Himmelsgewölbe durchstoßen, bietet er ein Bild fürchterlicher Wildheit und Größe, dem sich keiner entziehen kann, der in seinem Schatten unten im Tale wohnt.

Das Matterhorn beschäftigt einen jeden da unten.

Alle Welt spricht von ihm, tagaus tagein, solange der Fremdenstrom im Sommer flutet und ebbt. Leute, die nie auf einem Hochgipfel waren, wissen mit den Verhältnissen des Riesen genauesten Bescheid. Als wäre es gestern gewesen, erzählt man sich allstündlich die Einzelheiten der ersten Besteigung am 13. Juli 1865. Man weiß es noch genau, daß der junge Hadow zuerst, zwanzig Schritt unterhalb des Gipfels auf dem Rückweg ausglitt, daß Reverend Hudson und Lord Francis Douglas ihm folgten und selbst Michel Croz, der unerreichte Gebirgsführer, sie nicht mehr zu halten vermochte auf dem Sturze siebentausend Fuß hinab auf den Gletscher. Und doch hatte der erzürnte Koloß nicht alle seine Bezwinger abzuschütteln vermocht. Oben an dem geborstenen Seile standen noch Whymper und die beiden Führer aufrecht da und stiegen bleich und verstört hinab in das Tal. Wenige Tage darauf erklomm zum zweitenmal ein Trupp kühner Bergführer die Spitze, und als er wohlbehalten die heimischen Matten wiedersah, da war der Bann gebrochen, und Jahr für Jahr muß seitdem der für unüberwindlich gehaltene Berg den Fuß des Menschen auf seinem Nacken spüren.

Aber ein Ereignis bleibt die Matterhornersteigung immer noch für Zermatt, wenn sie auch in günstigen Sommern fünfzigmal und öfter stattfindet. Das sah Elisabeth, als sie mit ihrem Gatten auf die Veranda des Hotels Mont-Cervin trat.

Dichte Gruppen standen da auf der Straße, Touristen aller Nationen, hübsche Engländerinnen mit offenem Mund, krebsrot verbrannte Gletschermänner, Maultiertreiber, eine merkwürdige Menge alter fetter Damen, die seit Eröffnung der unvermeidlichen Zahnradbahn den Weg hierherauf gefunden, und etwas abseits in ganzen Schwärmen die schlicht gekleideten verwetterten Bergführer von Zermatt, die zu den Besten ihrer Gilde gehören.

Und alles schaute zu dem Riesen hinauf, der über ihnen im Abendschein strahlte. Ein warmer rötlicher Ton verklärte die Schroffenwände, wie Silber blinkten die schmalen Schneerinnen in den Furchen des jäh abschießenden Gesteins, und glitzerte, schon hart an der Spitze, ein steiles weißes Firndach. Der Gipfel selbst flammte noch in flüssigem Gold, während unten schon die Nacht sich um den Fuß des Berges spann. Feine weiße Wolkenflocken, die im Glanz der scheidenden Sonne durchsichtig schimmerten, klebten da und dort an den Felsenzacken und zogen sich in der halben Höhe des Horns zu einem dünnen, den Kamm verhüllenden Schleier zusammen.

»Das ist ja gerade das Unglück!« sagte der alte Franzose neben Elisabeth, der ihr verbindlich sein Opernglas angeboten hatte, »bis zu dem Wolkenstreifen erkannten wir sie beim Abstieg ganz deutlich ... aber darunter kamen sie nicht wieder vor ... es sah es wenigstens niemand ... Sie können sich die Besorgnis denken!«

Aufgeregt an dem Glase drehend, raffte sie ihr bestes Französisch zusammen und bat den höflichen alten Herrn um weitere Aufklärung.

»Aber mit Vergnügen! Also zum erstenmal in dieser Saison hatte heute eine Dame, eine österreichische Aristokratin, sich auf das Matterhorn gewagt – Sie sehen doch den Weg, Madame: immer den entsetzlich steilen Kamm hinauf bis zu dem Felsenabsatz, den man die ›Schulter‹ nennt. Dann weiter an Seilen und Klammern zur ›Nase‹ und über den Schnee zur letzten Kletterei auf den Gipfel.

Dort waren die drei – die Dame und ihre zwei Führer – Punkt zwölf mittags mit dem Fernrohr gesehen worden, winzige schwarze Gestalten, die, weit vornübergeneigt, um den Windstößen standzuhalten, auf der schwindelnden Höhe standen. Sehr bald hatten sie dann den Rückweg angetreten und nun ...«

Ein eleganter junger Mann kam im Laufschritt die Straße herauf.

»Sie is ja schon zaruck!« rief er von weitem ein paar gletschergebräunten Freunden zu, »eben haben s' vom Schwarzsee telephoniert! ...«

Und das hatte man nicht gesehen! Große Aufregung! Der Abenddunst an den Bergen sei daran schuld, entschieden die Führergruppen in ihrem wie unverständliches Schwäbeln klingenden Patois, einer seltsamen deutschen, mit keltischen und italienischen Brocken verzierten Mundart.

»Sie is vom Hotel Schwarzsee gleich weiter!« fuhr der Elegant fort, »in a Stunden is sie hier ...«

So schlenderte man denn durch das Dorf, um an dessen anderm Ende oder sonstwo Posten zu fassen und das große Ereignis zu erwarten, während die Mehrzahl der dicken alten Damen sich wieder in ihre Zimmer zurückzog.

Das war auch gut so. Sie hätten nur das eigenartige Leben dieser Hochgebirgsstation verwischt, das jetzt gegen die Dämmerstunde hin das Dorf erfüllte und Elisabeth mit ihren ganzen Sinnen gefangennahm.

Von allen Seiten, aus dem Geröll des Gornergletschers, dem Findelntal und der schäumenden Schlucht des Triftbaches, vor allem aber vom Riffelhaus herunter, kamen die Bergsteiger zurück, die Eisaxt in der Hand, die Schneebrille auf dem edelweißgeschmückten Wetterhut, von einem oder zwei Führern begleitet, in raschem, schwerem Tritt. Dazwischen die Spaziergänger, die im Tal und auf den umliegenden Hügeln Erholung gesucht, auf die Bergstöcke oder die unnützen Gemsenhörnchen gestützt, ganze Züge von Maultieren, in deren Sattel weibliche Wesen, zuweilen sogar kräftige Männer schwankten, die Treiber hinterher, wieder neue Maultiere, mit Koffern und Kisten für die hoch über Zermatt liegenden Riffelhotels beladen, das Glockenspiel der von der Weide trottenden Kühe und Ziegen, die Zurufe der verstümmelten Bettler am Wege, das rauhe Geschwätz der umherlungernden Führer, das Schrillen der Hotelglocken – das alles klang wirr ineinander und drängte sich in der engen, schmutzigen, von bunten Kaufläden umrahmten Dorfgasse.

Und da erschien die Matterhornersteigerin wirklich.

Schön war sie nicht. Schmächtig gewachsen, mit kurz geschnittenem Haar und kecken, etwas groben Zügen, sah sie wie ein verkleideter Junge aus, wie sie da mit langen Schritten in der Mitte ihrer Führer daherkam und, obschon sichtlich erschöpft, die in unförmlichen Bergschuhen steckenden Füße so energisch aufsetzte, daß die Eisenkettchen der Schneegamaschen leise auf dem Boden klirrten.

Man begrüßte sie von allen Seiten. Vor dem Hotel Monte-Rosa erhoben sich die vornehmen Mitglieder des Londoner »Alpine-Club«, die da gähnend auf das Diner warteten, und der junge Elegant von vorhin überreichte ihr feierlich ein Bukett.

Sie nahm es mit Kopfnicken in Empfang. »Dös war a Hetz!« rief sie lachend im Weiterpilgern einem breitschultrigen Herrn zu, »aber recht hatten S' schon! Der Schnee is heuer bös da heroben!«

Der Herr hatte schweigend gegrüßt. Jetzt wandte er sich um und sah Elisabeth ins Auge ... erst gleichgültig ... dann mit einem betroffenen ungläubigen Ausdruck, als wolle er seinen Sinnen nicht trauen.

Sie wunderte sich, daß sie selbst ganz ruhig blieb. Aber sie hatte sich im Laufe dieser Tage so oft die Begegnung ausgemalt, so oft überdacht, was sie dann tun und sprechen würde, daß ihr jetzt weder Wort nach Haltung versagte.

»Also wirklich!« – sie trat rasch auf ihn zu und bot ihm freundschaftlich die Hand – »wirklich sind Sie hier! Wir hatten Sie nämlich in der Fremdenliste gelesen ... aber ob Sie noch da seien, das wußten wir natürlich nicht!«

Er hielt ihre Hand fest und schaute prüfend in ihr Gesicht. »Ja ... und wie kommen Sie denn hierher?« fragte er kurz.

Sie lachte auf. »Ich ... mit meinem Mann ... versteht sich ... aber erlauben Sie, daß ich Sie bekannt mache ... mein Mann ... Herr Baron Gündlingen ... mein Lebensretter, wenn ich so sagen darf ...«

»Freut mich ungemein« – ihr Gatte war höflich wie immer – »zu meinem Bedauern verließen Sie Grindelwald so rasch, daß ich gar nicht dazu kam, meinen Dank ...«

Der andre wehrte ab: »Von Dank ist da keine Red'! ... Ich war zufällig dabei, sonst hätt's der alte Christen auch allein getan. Der hat noch keinen fallen lassen ...«

Eine Pause entstand. Sie gingen langsam durch die Dorfgasse zurück.

»Wissen Sie, daß wir auch hier Touren machen werden?« hub Elisabeth an, »mein Mann hat endlich Geschmack daran gefunden. Morgen fangen wir an.«

Er nickte und sah prüfend zum Himmel auf. »Wenn 's Wetter hält«, sprach er, »hier unten weht der Wind ja freilich vom Sankt Niklastal herauf ... aber da oben ziehen die Wolken immer noch von Süden!«

»Und das ist schlecht?« fragte Herr von Randa.

»Das bringt Regen. Aber es kann sein, daß es sich bessert. Das Barometer steht noch so so!«

Da sprach man also glücklich vom Wetter!

Elisabeth blieb stehen und schaute sehnsüchtig zum Matterhorn empor.

»Da möchte ich hinauf«, meinte sie und deutete auf den langsam im Dämmern verglimmenden Riesen. »Die Dame, die heute oben war, die beneide ich, weiß Gott.«

»Aufs Matterhorn können Sie nicht!« Ihr Begleiter sprach eigentlich mehr zu ihrem Mann als zu ihm, »das ist für Sie zu schwer!«

»So?« Ihr Ton war etwas spitz. »Ich denke, ich habe Courage?«

»Die Courage allein tut's nicht. Dazu gehört die Übung, und die kriegt man nicht von heute auf morgen!«

»Ja ... wo soll man denn da hin?«

Er zuckte die Achseln. »Es gibt schon leichte Berge! Der Cima di Jazzi ... oder das Breithorn ... auf dem steigt ja ein jeder herum ... oder mal zum Untergabelhorn ...«

Er sprach das gleichgültig wie ein Führer, mit dem man über eine Tour verhandelt. Der Unmut stieg in ihr empor. Sie merkte: er wollte mit vollem Bewußtsein die gefährliche Kameradschaft von neulich nicht erneuern.

»Hat Ihnen das kalte Bad damals nicht geschadet, gnädige Frau?« fragte er kurz und höflich. »Danke. Nicht im geringsten!«

»Nicht einmal einen Schnupfen?«

»Nein. Gar nicht!«

»Ein Beweis für Ihre gute Konstitution, gnädige Frau! So haben Sie doch einen Gewinst von der verregneten Partie!«

Verregnete Partie! Der Ausdruck ärgerte sie. Es lag so etwas Kleinliches darin, was gar nicht zu ihrer damaligen Stimmung paßte.

Aber hatte er nicht recht, diese Stimmung auf sich beruhen zu lassen und an Stelle des burschikosen Verkehrstons in der Klubhütte die Förmlichkeit der guten Gesellschaft zu setzen? Er konnte ja gar nicht anders! Es war seine Pflicht. Und sie selbst suchte es ja, sie wollte ja diese Schranken zwischen sich und ihm errichten.

Und dennoch fühlte sie sich enttäuscht, beinahe gedemütigt, als sie alle drei sich an der langen Table d'hote niederließen.

Sein Äußeres erschien ihr verändert. Er war dunkel, in unauffälliger Korrektheit gekleidet. Aber diese Atlasbinde, die weiten Beinkleider, das modische Jackett wollten ihr so gar nicht zu der schwerfälligen Vornehmheit seines Wesens passen. Wie zwei verschiedene Menschen erschienen ihr der Mann da draußen, in der verwetterten Lodenjoppe, mit nägelbeschlagenen Schuhen, die wuchtige Eisaxt in der stählernen Faust, und der einsilbige Gutsbesitzer, hier in der Tafelrunde gleichgültiger Menschen, mit dem Oberkellner über eine Flasche Beaujolais verhandelnd. Und vielleicht ging es ihm gerade so? Vielleicht erkannte er in der schlanken kühlen Weltdame, die da an der Seite ihres Gatten ihm gegenüber saß, die kecke Kameradin von neulich, die Träumerin, der sich an seiner Seite die Wunder der Hochwelt erschlossen, gar nicht wieder?

Steif und zurückhaltend war er jedenfalls genug dazu. Bei aller Höflichkeit, mit der er das gleichgültige Gespräch weiterführte, schien er das Ende der Mahlzeit herbeizusehnen.

Sie wurde immer schweigsamer, und auch ihm kamen die Worte spärlich vom Munde.

Endlich verstummten sie ganz. Lächerlich, zu reden, wenn man sich nichts sagen will!

Aber ihre Augen trafen sich zuweilen. Und dann war es, als ginge den beiden blitzschnell der gleiche Gedanke durch den Kopf: »Wie lange wollen wir uns noch die Komödie vorspielen?«

Doch das dauerte nur einen Augenblick. Dann empfanden sie, daß sie sich geirrt hatten. Und es war ja gut, daß sie sich nicht mehr verstanden ... Aber trotzdem erfaßte sie eine Stimmung trostloser Erbitterung. Anders hatte sie sich das Erwachen aus dem Traume doch vorgestellt.

Um sie das Geschwätz und Gelächter, das Tellerklirren, das Schmatzen und Schlürfen, der Glockenschlag, der vom Büfett her das Zeichen zum Servieren eines neuen Ganges gab, die eilfertigen Tritte der Kellner und Mägde ... das kam ihr heute alles so widerlich vor. Sie blickte die Tafel entlang: selbstzufriedene Alltagsgesichter überall ... plaudernde, kauende Menschheit ... selten einmal von irgendeinem originellen Kopfe, einer interessanten Erscheinung unterbrochen.

Man konnte diese seltenen Gäste beinahe zählen: Da zwei alte Männer, ein Yankee und ein Brite, die während des Essens gespannt die »Times« und den »New York Herald« lasen. Nach dem Braten sahen sie sich stumm an, tauschten ihre Zeitungen über den Tisch herüber aus und verschwanden wieder hinter den hohen Papierwänden.

Einem Herrn in der Nachbarschaft, der wie ein gereizter Nußknacker aussah, schien das zu mißfallen. Er trommelte nervös auf dem Teller, zupfte an seinem dunklen Henriquatre und starrte wie hypnotisiert zu den beiden Gentlemen hinüber.

Und da endlich ein schönes Gesicht: eine junge Französin, die aus tiefdunklen, schwermütigen Augen sehnend den Tisch entlang sah, zum Fenster hin, hinter dessen Scheiben die Berge im Dämmerschein blauten. Dort am Fenster stand der Kellner mit der Puddingschüssel, und je weiter er servierend die Reihe heraufkam, desto kleiner wurde ihr Inhalt und desto größer das seelenvolle Augenpaar des hungrigen Backfisches.

Elisabeth sah wieder vor sich hin. Sie begriff es selbst nicht, warum sie sich so gereizt und elend fühlte. War es nur das verletzte Selbstbewußtsein, daß er sie aus dem Traum wachgerüttelt hatte, aus dem sie sich mit eigener Kraft hatte befreien wollen?

War es das Sehnen nach diesem Traum selbst, der da wie eine bunte Seifenblase vor ihr zerging und ihr die leere, öde Wirklichkeit zurückließ ... ?

Die beiden Männer neben ihr waren in eifriger Unterhaltung. Sie hatten sich in ihrer Stellung als Großgrundbesitzer getroffen und tauschten ihre Erfahrungen über das Wesen der mittelsächsischen und der fränkischen Landwirtschaft aus. Von Viehzucht war namentlich die Rede ... von der Simmenthaler Rasse ... von Weidegang und Genossenschaftsmeiereien, und aus den Worten, die halbgehört an ihr Ohr schlugen, konnte Elisabeth entnehmen, daß ihr Gatte sich mit der Absicht trug, mit dem schwäbischen Berufsgenossen einen Handel über eine Herde ausgesuchter Zuchtkühe abzuschließen.

Wiederholt hatte, dies Gespräch unterbrechend, der andre mit ein paar höflichen Worten sich an sie gewandt. Sie antwortete kurz und kühl und drehte sich dann, eine günstige Gelegenheit benutzend, der Dame zu ihrer Rechten zu, einer freundlichen englischen Matrone, die, an der Seite ihres steifleinenen schweigsamen Gemahls sitzend, froh war, der schönen, leidlich Englisch sprechenden Nachbarin ihre Ansichten von Zermatt, von der Schweiz im allgemeinen und den Hotelpreisen im besonderen zu vermitteln.

»Elisabeth ...« Sie fühlte sich von ihrem Gatten leicht am Arm berührt und sah, daß Herr von Gündlingen, den Beginn des Desserts nicht mehr abwartend, sich erhoben hatte.

Sie erwiderte mit freundlichem Lächeln seinen Gruß und rückte dann, während er schwerfällig durch den Saal dahinschritt, ungeduldig an ihrem eigenen Stuhl: »Wir wollen auch gehen!« sagte sie, ihrem Mann unter dem Tisch leise die Hand drückend, »ich finde es ganz schrecklich hier ... !«

Sie machten noch einen kurzen Abendspaziergang durch das Dorf, das jetzt einen bizarren Anblick bot. Die uralten schwarz gedörrten Holzhütten überflutete der bläuliche Schein des elektrischen Lichts, aus den ragenden Hotelkasernen drang heller Kerzenglanz und Tanzmusik, nach der sich, dem auf der Dorfgasse umherstehenden dunkeln Volk der Führer und Bauern durch die offenen Fenster deutlich sichtbar, die Gäste töricht in dem rasch ausgeräumten Speisesaal drehten ... hoch von oben schimmerten, vom Sterngefunkel überglitzert, die ewigen Eisfelder, und etwas weiter abwärts verrieten bläuliche Dunstkegel den Standort der hoch gelegenen Riffelhotels. In unwahrscheinlicher riesenhafter Größe durchbrach als ein in der Nacht verschwimmendes weißliches Zackengebilde das Matterhorn den sternübersäten Nachthimmel, vom Bahnhof klang der Pfiff der Lokomotive, Peitschenknall und das Rasseln der Hotelomnibusse, die, mit neugierig sich umschauenden Gästen vollgeladen, im Schritt zwischen den hell erleuchteten Jahrmarktsbuden auf beiden Seiten der Gasse dahinfuhren.

Vor dem Hotel blieb Herr von Randa stehen und musterte den Glasgang auf der Seite, aus dem Lärm und Musik ertönte. »Ich würde ganz gern noch ein Glas Bier trinken!« meinte er etwas zweifelnd. Denn zumuten konnte er seiner Frau ja nicht, ihn in den Tabaksqualm und die ziemlich gemischte Gesellschaft zu begleiten.

Aber sie war froh, eine Stunde allein zu sein, und reichte ihm die Hand. »Tu's nur«, sagte sie, »ich schreibe noch ein paar Briefe oben im Zimmer. Auf Wiedersehen!«

»Nun ... wenn du erlaubst!« Er küßte ihr, sich rasch umschauend, die Hand und sah sie im Weggehen freundlich an.

Und auch sie blickte ihm mit einem Gefühl nach, das vielleicht noch nicht Liebe, aber jedenfalls herzliche, wiedererwachende Freundschaft war ...


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