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32. Kapitel.
Drei Grabreden.

Hochgeehrte Herren Staatsräte, Herr Militärattaché, Verehrte Trauerfamilie, Liebwerte Trauergemeinde!« hob Verbi Divini Minister Fauner seine Rede an, den Blick zum Himmel gewandt. Dann ließ er ihn gerührt über das Bild schweifen, das sich ihm bot. Es war geradezu erhebend. Um die offene Gruft standen die Korporationsdelegierten mit ihren Fahnen und Schlägern, in ihrem prächtigen Wichs, mit Kanonenstiefeln, weißen Hosen und Stulpen. Links gruppierte sich die Bürgerwehrmusik um ihren Dirigenten. Sie hatte eben einen Choral geblasen. Rechts befanden sich vereinsamt Witwe und Tochter des armen Verblichenen, hinter ihnen die Staatsräte, persönlichen Freunde, der Militärattaché, die hohen Gerichtspersonen, selbstverständlich auch Doktor Leberstein. Hinter Fauner endlich die große Schar der literarischen Leidtragenden. Doktor h. c. Stäfemer-Büchli war dem Zuge etwas vorausgelaufen, wies die Ankommenden, unverkennbar lampenfiebrig, wie immer bei solchen Anlässen, an die richtigen Standorte. Und gesellte sich nach getaner Arbeit, leicht in Schweiß geraten, neben die Staatsräte.

»Liebwerte Trauergemeinde!« hob Minister Verbi Divini Fauner noch einmal an. »Wir stehen hier erschüttert am offenen Grabe, um Zeugnis abzulegen für den teilnahmsvollen Edelsinn unserer Stadt, für den Abscheu gegen ruchloses Verbrechen, das zu verdammen mir meine Zunge keinen gebührenden Ausdruck verleiht. Ja, für den hochherzigen Edelsinn unserer Stadt! Für den edlen Sinn! Versteht Ihr meine Lieben, was ich damit meine? Nein, Ihr könnt es noch nicht begreifen.

Aber einmal fragte sie nicht, unsere hochherzige Stadt, wes Glaubens der Tote war, den wir hier betrauern. Sie fragte nicht, wieviel arisches und wieviel anderes Blut in ihm floß, sondern stellte sich an seinem Grabe ein und bekundete ihm: Du warst ein Mensch, du warst ein furchtbar blutiges Opfer mitten unter uns und darum stehen wird da. Ja, das tat unsere Stadt! Wie sollte dann ich, der Gottesdiener bedenken, wes Glaubens der Verstorbene gewesen? Du lebtest, ein Mensch, Erich Tadisch, ein irrender und strebender Mensch, und darum erschüttert uns Dein tragisches Geschick so sehr.«

Und indem der Gottesminister seinen Mund zum Saugnapf formte, fuhr er zu schildern fort, wie man von nun an einen Besieger des Wortes, einen unersetzlichen Dichter zu beweinen habe. Seiner Seele dämonische Mächte, die tief im Unbewußten schlummerten, geleiteten ihn zum Lichte, während die des Mörders denselben schon von jeher zum Laster und zum Verbrechen hingetrieben hätten. Dieses Kind einer unehelich gebärenden Mutter, dieser Mörder Hektor Schit habe leider keinen psychoanalytischen Helfer gefunden, der ihm die verdrängten blutschänderischen Wünsche herausgeangelt hätte. Aber die Affektstauungen, die ungeheuren, aufgestapelten und verdrängten Energien seien es gewesen, welche den vom Dämon Besessenen den tödlichen Dolchstoß lenken ließen. Wie anders die lichtvolle Gestalt des edelsten Dulders Erich Tadisch! Auch er greife aus den urältesten Schichten der Seele in seiner Dichtung die Bilder aus Sagen der Assyrier, Ägypter, Griechen. Aber hier habe die verdrängte Liebe zur Vergeistigung, ja zur christlichen Sublimierung geführt. »O Seele, du märchenhaftes Gebilde!« rief Magister Fauner gegen Ende seiner Rede aus, »Du rätselvolles Dunkel in deinen Tiefen, du Leuchte, wenn es sich daraus zur geistigen Klarheit emporringt! Du Göttliches im Menschen, du Wandlung aus dem Satanischen in das Paradiesische, aus dem Unterleiblichen in das Spirituelle.

Sagt selbst, lieben Freunde, ist es verwunderlich, daß diese beiden so ganz entgegengesetzten Seelenurgründe, die des Mörders und die seines unglücklichen Opfers, im Leben zusammenstoßen mußten? Ist es verwunderlich, daß das Unbewußte des Mörders, welches nicht zur Klarheit durchdringen konnte, in Neid und Bosheit und Rache ausartete, angesichts der Vollkommenheit, in die sein unfreiwilliger Gegner emporstieg? Ist nicht dieser Mord, dieser heute noch ungesühnte, entsetzliche Mord das Ringen der ganzen Menschheit, des Guten und Bösen, der ungehobenen, ungeläuterten, unsublimierten, höllischen Geschlechtsinstinkte gegenüber den geläuterten, zur Höhe des Lichtes geführten Trieben? Wir fragen nicht nach dem gespaltenen Glauben des Verstorbenen. Wir kümmern uns nicht um den Streit der Kirchen. Mag er verweilen, wo seine Geburt ihn hinstellte, wir stehen erschüttert am offenen Grabe, erschüttert durch das animalische, leibliche Geschick, beschwingt und erhoben durch die Erkenntnis, daß seine Seele zu uns gehört, uns durch ihre Lieder auch in Ewigkeit zu eigen bleiben wird, daß wir den großen Dichter nur darum beweinen wollen, weil zu viele ungeborene Weisen uns mit ihm geraubt wurden.

Erich Tadisch! Deine Seele gelangte zu Gott und ins Licht, und ob Du auch Bitterstes aus den Urtiefen des Irdischen erlittest, ob sie auch unergründlich schwer auf Dir lastete, die Erde werde Dir leicht!«

Nachdem sich das allgemeine Räuspern auf des Gottesministers Worte hin, dessen Stimme am Ende in Schluchzen erstickt war, gelegt hatte, trat als zweiter Dr. h.+c. Stäfemer-Büchli an die offene Gruft:

»Im Namen der Vereinigten Kunstgesellschaft lasse ich diesen Lorbeer auf den Sarg des Verstorbenen Dichters, dem er zukommt, hinuntergleiten. Ruhe in Frieden, du ehrenvoll Gekrönter!

Meine verehrte Behörde! Verehrte trauernde Mitglieder! Verehrte Leidtragende! und insbesondere mein verehrter Herr Attaché! Verehrte Damen und Herren! Im Namen der Vereinigten Kunstgesellschaft und als deren Präsident begrüße ich die Vertreter der Regierung, der Universität, des Gerichts, unserer akademischen Jugend, die es nicht verdroß, ihrem jugendlichen Vorbild, ihrem Sänger der Liebe und Schönheit die Ehre des letzten Geleites zu erweisen.

Es gibt verschiedene Dichter in der Literaturgeschichte, die ermordet wurden. Zum Beispiel Kotzebue und der Russe Puschkin, der zwar selbst daran schuld war, denn er fiel im Duell. Aber keiner starb so ruchlos, so abscheulich, wie dieser unser Erich Tadisch. Laßt mich von seinen Werken reden: Er verfaßte Gedichte, er verfaßte Verse, er verfaßte Artikel, er war hochbedeutend. Die Nachwelt verliert in ihm einen Markstein der Belletristik. Einen jungen Goethe, einen jungen Schiller, einen jungen Klopstock.«

Die Kunstkommission unseres Landes, führte Dr. Stäfemer-Büchli unter vielem anderen aus, habe keine Gelegenheit gehabt, Erich Tadisch mit einer verdienten Liebesgabe zu krönen. Aber sie werde nun für die Hinterbliebenen im Rahmen ihrer bescheidenen Mittel sorgen. Und während der Mörder aus niedrigen Volksschichten seine traurigen Gleichnisse gesucht habe, sei der Ermordete von höchster geistiger Warte gegen den Krieg aufgetreten. Was ja nicht besagen wolle, daß unsere tapfere Miliz nicht auch fernerhin so mustergültig im Waffenhandwerk ausgebildet werden müsse. Dann wandte sich Stäfemer-Büchli an seinen lieben Bruder in Apoll, an den verwandten Genius, dem die Mitglieder der Vereinigten Kunstgesellschaft die gebührende Achtung aus vollem Herzen zollten. »Laß mich dir«, beschloß er seine Rede, »Du teurer Freund, Du lieber Mitbürger im Reiche des Geistes, Du unvergeßlicher Sänger, in den Worten eines ungenannt sein wollenden Dichters, der Dir diese Verse zum Abschied widmet, den letzten Gruß entbieten:

Das Leben endet jäh und rasch,
Es ist wie eine Blume.
Kaum ist es eben aufgeblüht
Zu wundervollem Ruhme,
So kommt der Abend, kommt die Nacht
Und kommt am frühen Morgen,
Der Sensenmann mit wilder Macht
Und schneidet ab die junge Pracht.
Das junge Leben blutet aus,
Das kaum geblüht am sonn'gen Ranft.
Mit nassen Augen stehen wir,
Du wackre Seele, ruhe sanft!«

Auch Doktor Stäfemer schluchzte, als er zu Ende war, ging um das Grab herum und drückte tränenden Auges Frau Tadisch-Wenkermann, Fridolinchen, dem Justizminister, dem Kultusminister, dem Attaché, und allen, die in der Nähe waren, stumm und heftig die Hand. Dann entfaltete er sorgfältig sein Taschentuch.

 

Doktor Stäfemer-Büchli hatte Erfahrung in Programmen, – sein kultureller Sinn erlaubte keine Überladungen. So trat als dritter und letzter Justizminister Windfaner an die Gruft. Den Knebelbart nach unten, die stechenden schwarzen Augen hinter den dicken Brillengläsern gradaus.

»Meine Damen und Herren! Meine Verehrten, meine verehrte Trauerversammlung! Im Namen des Staatsrates trete ich an diese frischaufgeworfene Grube und bekunde dadurch, daß wir nicht nur den Einzelfall im verstorbenen Dichter beklagen, sondern ein Verbrechen, das die Rechtssicherheit unseres an solche Ereignisse nicht gewöhnten Vaterlandes bedroht und unsere stille Stadt über Nacht in Angst und Aufregung versetzte. Aber seien Sie unbesorgt! Ihre wachsame Regierung schläft nicht, sondern steht Gewehr bei Fuß und es soll keiner von uns ruhen, bis die Untat gesühnt und der ruchlose Mörder, der uns alle so sehr mit Entsetzen überrieselte, aus seinem Schlupfwinkel aufgestöbert ist. Wir haben lange Arme und scharfe Augen, wir Söhne der Berge und Freiheit!«

Als es wie Donnerhall durch unsere Stadt gebrandet habe, fuhr der Justizminister fort, daß unser Gast Erich Tadisch ermordet wurde, habe mancher sich ans klopfende Herz gegriffen und gefragt, wie solches bei uns nur möglich sei. Denn Tadisch habe zum Wohle aller gearbeitet und sei als Opfer für seine edle Gesinnung und politische Überzeugung in den Tod gegangen.

»Meine Damen und Herren!« (Windfaners Stimme erhob sich zu drohender Macht.) »Wir haben untrügliche Beweise, daß die Scharfmacher und Wühlhuber im Lande auch an diesem Verbrechen beteiligt sind.« Denn es seien die nämlichen Elemente, die anderswo Bomben zu legen versuchten. Man werde diese neue Provokation mit einem furchtbaren Strafgericht zu beantworten wissen. Auch des Gottesministers versöhnliche Worte könnten hier der rächenden Staatsgewalt nicht in die Arme fallen. Man werde sich im Kampf gegen das dunkle Großstadtgelichter, das mit Revolution spiele, nicht besänftigen lassen, in Erinnerung an Tadischs durch Brandwunden, Mordstahl und Totschläger so furchtbar entstellten Körper.

»Ihre testamentarischen Verfügungen aber«, setzte der Justizminister seine Rede mit wieder etwas gedämpfterer Stimme und mit einer artigen Verbeugung gegen Frau Wenkermann und Fridolinchen hin, fort, »Ihre letzten Wünsche, edler Toter, die Ihre gütige Seele vorbrachte, geloben wir zu erfüllen! Am Grabe hier versprechen wir Ihnen, uns Ihrer Frau und Tochter anzunehmen. Sollte sie krank und gebrechlich sein, wie Sie vorausahnen, sollte Ihre Tochter des Beistandes bedürfen, wir versprechen es Ihnen, sie sollen nicht darben. Ein würdiges Asyl winkt ihnen jederzeit, auf daß sie nicht Not leiden um Ihretwillen, der Sie unserem Lande, obschon es nicht Ihr Vaterland war, so treu anhingen! – Schön ist die Vaterlandsliebe! Erhebend das Gefühl in der Brust, das man zum Staate hegt, in dem man sich heimisch fühlt. Und daß Du, – nein, auch ich muß Dich Vertrauten so nennen, – daß Du unsere Institutionen, unsere demokratische Lebensweise, unsere wahre Gleichheit und Brüderlichkeit zu würdigen wußtest, das sagen uns die Worte Deines Vermächtnisbriefes, von dem ich nicht anstehe, hier in der breiten Öffentlichkeit, an Deinem Grabe, Kenntnis zu geben, und der mit dem ergreifenden Satze schließt: ›Es möge Ihnen, Herr Justizminister, viel Glück beschieden sein und Ihre Heimat aufblühen und ewig vom Kriege verschont bleiben, dies wünscht von ganzem Herzen Erich Tadisch.‹ Ja, Erich Tadisch, Du hast mit Deinen Dichterworten recht, wenn Du in Deinem Abschiedsbrief schreibst ›Es gibt kein schöneres Land als das Eurige! Kein Land verfügt über so hohe Gipfel, so blaue Seen, so vorzügliche Schulen und so mustergültige Verkehrseinrichtungen, wie das Eurige! Wo fände man überall so komfortabel Unterkunft, wie bei Euch?‹ Zwar haben wir alle, wie auch, teurer Verstorbener, Du, durch den Krieg gelitten. Schwere Krisen stehen uns bevor. Aber wenn wir nur Männer unser eigen nennen, die Deines Herzens und Deiner Gesinnung sind, brauchen wir nicht bange zu sein und werden dem Schicksal kühn ins Auge blicken, wie Du es sicher getan hast, selbst im Momente, als Dich der meuchlerische Stahl entseelte.« (»Es war ein Bronzepapiermesser«, konnte Bäuchlings nicht umhin, zum Militärattaché zu bemerken.)

»Nein, hier an Deinem Grabe treffen wir Anstalten zu einer machtvollen Kundgebung«, hallte die Stimme des Justizministers darüber weg. »Du als Fremder gabst uns den Anstoß dazu! Das wollen wir nicht vergessen, wenn wir unsere Geschichtsbücher schreiben. Und kommt erst die Zeit, da wir Übersicht zu den Dingen besitzen, die um uns geschahen, wird Dir des Chronisten Griffel die verdiente Würdigung gewiß nicht versagen. Warst Du schon unsterblich durch Deine Dichtung, für uns wirst Du unsterblich sein durch Deine Anteilnahme am Wohl und Wehe unseres geliebten Heimatlandes. Und so rufe ich Dir denn, Du teurer Freund, der Du auch in meinem Hause mir ein gern gesehener Gast warst und mich und die Meinigen durch Deine ergreifenden Verse erfreutest, ein letztes Lebewohl zu. – Unser wackerer, teurer, unvergeßlicher Erich Tadisch, er – ruhe sanft, sanfft, sanffft!«

Es gab zwar einige Anwesende, die diesen Schluß der Rede nicht gerade geschmackvoll fanden und gar zu sehr an die sonstigen Festreden Windfaners erinnert wurden, an denen er jemanden hochleben ließ. Aber im allgemeinen anerkannte man seine Worte doch als sehr angebracht, innig gefühlt und sogar erschütternd.

Männiglich ging mit der Befriedigung nach Hause, dank den Bemühungen von Doktor h. c. Stäfemer-Büchli wieder einmal an einer sehr schönen »Leiche« teilgenommen zu haben.


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