Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15. Kapitel.
Tadisch gelangt in den Besitz einer Pistole.

Tadisch stapfte durch den Schnee – es rückte gegen Weihnacht – den Berg zur »Blendlaterne« hinauf. Er wußte, daß Schit morgens im Auto mit Ludwina von Lampel und Schnarp über Land gefahren war und plante nebenbei, den Zweck dieser Wintervergnügung ausfindig zu machen. Vor allem aber hoffte er Rolltür allein im Atelier zu treffen. Ganz eingezogen in seinen Kamelhaarmantel skandierte er einige Verse vor sich hin, die er gegen Christrummel und Bethlehemblödsinn loszugeifern gedachte. »Edelsteine in Nachtgeschirren« mußte darin vorkommen. Auch »Exkremente in goldenen Glaskugeln.« Tadisch war absolut unmusikalisch. Trotzdem wirkten dank einer sorgfältigen Technik seine Gedichte nicht unrhythmisch. Von geeignetem Vorleser konnten sie sogar wohlklingend aufgesagt werden.

Tadisch benutzte, auf der Redaktion angekommen, die Gelegenheit, um einige Notizen und Konzepte zu seinen Berichten an Wildthaußen und Leberstein zu verbrennen. Mit sichtlichem Vergnügen saß er an seinem Schreibtisch, hielt seine aufflammenden, sich krümmenden, knisternden Schriftzeichen in den behandschuhten Händen über den Papierkorb und streute die schwarze Asche hinein, als Rolltür an der Türe erschien und erstaunt dem Treiben seines Hilfsredaktors zuschaute.

»Ja, wollen Sie uns denn die ganze Bude in Brand stecken?«

Rolltür trat immer dicht an einen heran, wenn er redete und stäubte einen Speichelsprühregen über seinen Gesprächspartner herunter.

Tadisch tat sehr verlegen, sammelte sich indessen. Das sei eine Kindheitsgewohnheit von ihm, mit Papier zu zündeln, bemerkte er, ein Infantilismus, um dessentwillen er auch schon in ärztlicher Behandlung gestanden habe. »Sie wissen vielleicht, daß Epileptiker derartige Liebhabereien besitzen«, fügte er nach einigem Besinnen hinzu.

»Na, Sie mit Ihrer Kriegsepilepsie! Möchte mir schon verbeten haben, daß Sie uns unsere wichtigen Dokumente anfummeln oder gar noch zum perversen Brandstifter werden. Das treiben Sie mal lieber anderswo!« Rolltür sagte dies aber in offenbar guter Laune und wußte augenscheinlich, so schloß Tadisch, nichts von alledem, was zwischen ihm und Schit gegangen war. Er ahnte also gleichfalls nicht, daß er, Tadisch, ihm hinter die Kulissen schaute, trotzdem ihm Rolltür selbst oft genug Mitteilungen gemacht hatte, aus denen sich auch einer, der noch unmöglicher aussah als Tadisch, manchen Vers hätte zusammenreimen können.

Tadisch zog ohne weiteres den Drohbrief aus der Tasche und hielt ihn Rolltür unter die Nase.

»Merkwürdige Sache, das«, sagte Rolltür. »Sie legen ihr doch gewiß keine Bedeutung bei. Das heißt, es ist von Bedeutung, es ist immer von Bedeutung.«

Er wiederholte, wie gewisse Theologen, die ihre Predigten strecken müssen, jede Sache, die er sagte, dreimal.

»Was meinen Sie, wer der anonyme Verfasser ist?« fragte Tadisch.

Rolltür begann rund um den Schreibtisch herumzulaufen, wobei er seine ewig bekleckerte Weste über dem Spitzbauch wie einen Schiffskiel, den er geschickt neben Ecken und Klippen durchlavierte, vorstreckte. Er schrie, sowie er sich ängstigte.

»Das geht von Leuten aus, von Gegnern, ja von Leuten, die sich über Ihre Artikel geärgert haben. Ja von Gegnern der ›Blendlaterne‹.«

»Meinen Sie?«

»Selbstverständlich. Natürlich. Selbstverständlich. Sie zurückgezogener Lyriker und Literat. Wer sonst sollte Ihnen etwas anhaben wollen? Sie unpolitischer Mann, Sie Literat.«

»Könnten Sie sich nicht denken, daß so ein Schriftsteller doch mancherlei gesehen und gehört haben mag, wovon er nichts hätte wissen sollen?«

»Wo denn? Sagen Sie mal, wo denn überhaupt? Doch nicht bei uns? Nicht etwa hier in der ›Blendlaterne‹?«

»Herr Rolltür, Sie selbst haben mir allerhand Aufklärungen gegeben, die mich annehmen lassen, daß Sie und Ihre Mitarbeiter ein weiteres Wirkungsfeld beackern, als nur die Redaktion.«

Rolltür rieb sich den Schweiß von der Stirne herunter, beäugte dann die nasse Hand und wischte sie an seiner Weste ab.

»Aber natürlich, selbstverständlich, natürlich. Ich habe Ihnen höchsteigens vieles erzählt, das Ihnen zeigte, wie absolut ich Ihnen Vertrauen schenkte. Ja, Vertrauen. Einem Manne, der zum Kriege reklamiert ist, ja, der in den Krieg ziehen sollte und der mit uns gegen die verbrecherischen Urheber, ja, die verbrecherischen Regierungen ankämpft.«

»Und meinen Sie nicht, daß Mitarbeiter von Ihnen es nicht gern gesehen haben könnten, daß Sie mich gar so oft ins Vertrauen zogen?«

»Aber es ist mir doch nie etwas Derartiges gesagt worden, nie eine Andeutung, keine Spur von einer Andeutung.« Rolltür schrieb übrigens auch in diesem Stil. Deswegen hatte er meist in einigen Wochen einen mehrhundertseitigen Band beisammen.

»Ich glaube in letzter Zeit wiederholt bemerkt zu haben, daß Herr Schit sich viel weniger freundlich als früher zu mir verhielt.«

»Sie wollen doch damit nicht sagen, – nein, das wollen Sie damit gewiß nicht sagen, – Sie wollen doch nicht sagen, daß Herr Schit etwas gegen Sie im Schilde führen könnte? Ja, im Schilde?«

»Die Schrifttypen des Drohbriefes stimmen nach meiner eingehenden Prüfung ganz und gar mit einer in unserer Redaktion gebräuchlichen Maschine überein. Auch hat Herr Schit, wie Sie vermutlich schon wahrnahmen, die Gewohnheit, mit Büroartikeln sehr sparsam umzugehen. Nun besitzt das Farbband des betreffenden Tippwerkzeuges einen schmalen, roten Streifen neben einem breiteren, schwarzen. Um das Schwarze recht auszunützen, beginnt es Herr Schit stets dicht an der Grenze zum Roten einzuschalten, so daß einzelne Striche der Buchstaben, die Punkte, Umlauts- und Akzentzeichen über ihnen oft noch gerade einen roten Schimmer bekommen. Bitte, wollen Sie sich überzeugen, daß die Maschine im gegenwärtigen Augenblick genau so eingestellt ist, und daß auch andere Schriftstücke des Herrn Schit diese rotmelierten Buchstaben aufweisen.«

»Merkwürdig, wahrhaftig, merkwürdig«, überzeugte sich Rolltür, wiederholte dabei sein Manöver mit Schweiß, Hand und Weste, indem er wieder um den Schreibtisch zu rennen sich anschickte.

»Aber das ist ja gar nicht die Schrift von Herrn Schit, die da unten steht. Nein, nicht die Schrift des Herrn Kollegen Schit.«

»Sie sehen doch, daß die Buchstaben verstellt sind. Herr Rolltür, kurz gesagt, ich bin sicher, daß Herr Schit der Verfasser des Drohbriefes ist. Und Sie selbst wissen, wenn möglicherweise auch nicht in allen Einzelheiten, wie ungeheuer skrupellos und gefährlich Herr Magin handelt. Sie wissen es sogar aus eigener Anschauung.«

Rolltür streckte abwehrend, in sichtlicher Angst, die Hände von sich.

Tadisch fuhr fort: »Sie wissen, daß ich Ursache habe, in größter Besorgnis zu leben, wenn Herr Schit, aufs engste liiert mit Herrn Magin, den Brief, woran ich nicht zweifle, geschrieben hat. Wenn ich Ihnen nun noch hinzufüge, daß ich allbereits verfolgt wurde, daß mich dunkle Gestalten auf meinen Wegen begleiten und beobachten, so können Sie sich denken, in welcher Unruhe ich mich befinde.«

»Sind Sie bewaffnet, Doktor Tadisch? Sind Sie wenigstens bewaffnet? Haben Sie einen Revolver?«

»Ich habe noch nie ein Schießzeug in der Hand gehalten«, sagte Tadisch und zog sich ängstlich in seinen Kamelhaarmantel zurück, »und ich glaube auch nicht, daß ich mit einem solchen Ding umzugehen wüßte.«

Rolltür kramte in seinem Schreibtisch und zog eine Browningpistole heraus.

»Nehmen Sie, lieber Doktor, nehmen Sie. Auf alle Fälle sind Sie dann nicht wehrlos. Nein, es ist zu schrecklich, was Sie mir da enthüllen. Dann sind Sie doch bewaffnet. Man ist ja selbst nicht mehr sicher, wozu die Dinge alle führen können. Ich habe doch sonst kein weiches Herz. Aber das ist zu schrecklich. Ja, kein weiches Herz.«

Tadisch ergriff den Browning mit zwei Fingern am Lauf. »Ich möchte ihn lieber nicht anrühren. Ich werde mich gewiß selbst damit anschießen.«

»Ach, Unsinn, Unsinn, Unsinn! Nur schießt man nicht mit dem Griff. Sehen Sie, so, nicht mit dem Griff«, und Rolltür erklärte Tadisch die Handhabung. »Ich schenk' Ihnen das Ding. Ich habe eine Anzahl Pistolen zur Verfügung. Herr Magin hat uns damit versehen. Sie dürfen ruhig annehmen. Sie beruhigen mich damit. Ganz gewiß. Aber es ist doch unmöglich, daß Herr Schit oder Magin Sie bedroht haben könnten. Es täte mir furchtbar leid. Ich müßte mich mit den Herren beraten und mir derlei Streiche ernstlich verbitten. Ernstlich verbitten!«

Tadisch vergewisserte sich dreimal, ob die Pistole gesichert sei, bevor er sie schließlich in die Manteltasche hinunterfallen ließ.

»Herr Rolltür, ich muß darauf bestehen, daß der Brief von Herrn Schit stammt. Ich glaube ja auch nicht, daß es ganz tragisch gemeint ist. Aber Herr Schit hat manchmal so eigentümliche Ansichten geäußert, so merkwürdige Andeutungen gemacht. Ich werde eine Schriftexpertise bestellen, werde Ihnen das Resultat davon mitteilen. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir einige Manuskriptseiten oder Briefe von Herrn Schit übermitteln könnten.«

Rolltür, immer geängstigt, beunruhigt, wie mit einer Vorahnung, daß all dies der Eingang zu einer üblen Geschichte war, suchte in der Registratur des Büros, gab Tadisch die gewünschten Papiere, immerhin, nachdem er sie vorher durchgangen und gesehen hatte, daß nichts Verfängliches darin stand. Rolltür war in größter Erregung. Tadisch erschien ihm plötzlich unheimlich. Und die Tatsache, daß Schit oder Magin in solcher Weise gegen ihn vorgehen könnten, das überlegte er sich jetzt allmählig, mußte für Tadisch sehr belastend sein. Schon taten ihm die Briefe, die Pistole leid. Aber der Lyriker da war so ungeschickt, so harmlos, so wirklich harmlos.

Tadisch schaute ihm, ganz in sich zusammengekauert, zu, wie er um den Tisch herumlief. Auf einmal bettelte er mit weinerlicher Stimme:

»Aber bitte, Herr Rolltür, verraten Sie mich nicht. Ich kam, Sie anzuflehen, daß Sie mir beistehen. Sie werden mich nicht dem Untergang preisgeben. Bitte!«

Diese neue Tonart überraschte Rolltür erst recht. Der Weltverächter Tadisch, der die krassesten Worte ausstieß, konnte so kläglich winseln? »Das war echt«, dachte Rolltür bei sich. Der hatte Angst. Dem konnte etwas drohen, was sich nicht erfüllen durfte. Sie taten unrecht, Schit und Magin, die ohnehin allerseits schon zu gefährlich wurden.

»Nein, nein, lieber Tadisch, ich werde natürlich nichts ausplaudern. Um so mehr, als Sie ja nur einen Verdacht aussprachen. Eine Vermutung sozusagen. Einen leisen Verdacht. Wir wollen es für uns behalten und Sie können mich vom Resultat Ihrer Schriftexpertise benachrichtigen. Ich hoffe auch, daß Sie der Redaktion nicht fernbleiben. Ich lege sehr viel Wert auf Ihre Aufsätze. Sehr viel Wert lege ich darauf.«

Und er rückte mit seiner bekleckerten Spitzbauchweste so dicht an Tadisch heran, daß sie sich mit dem Kamelhaarmantel vereinigte. Tadisch entschloß sich in diesem Augenblick, Rolltürs Hand zu ergreifen und seinen Mund darauf zu drücken. Der völlig perplexe Zeitungsmann registrierte den Eindruck, den Tadisch beabsichtigt hatte, im Augenblick gewiß nicht. Es überzeugte ihn vollends, daß er seinen Tadisch behüten und ihm jegliche Gefahr aus dem Wege räumen müsse. Er nahm sich vor, zu beobachten und jedenfalls gegenüber Schit nichts verlauten zu lassen. Mit Magin kam er direkt kaum je zusammen.

Magin betrachtete sich übrigens bei seinen ganzen Unternehmungen irgendwie als im Felde stehender Offizier. Ihn festigte die Überzeugung, daß ihm alle Mittel erlaubt waren.

Tadisch aber schlüpfte nach seiner für ihn unerhört theatralischen Gebärde blitzartig aus der Redaktion.

»Das Zündeln dürfen Sie sich in Zukunft abgewöhnen!« schrie ihm Rolltür noch nach und streckte den speckigen Zeigefinger in die Luft.


 << zurück weiter >>