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21. Kapitel.
Ein Verleger.

Es war am fünften Februar, an einem nebligen Freitag, als der Schriftleiter der »Blendlaterne«, Herr Munitionsfabrikant Rolltür, eine Viertelstunde vor zwölf Uhr in Begleitung des in unserer Stadt wohlbekannten Verlegers Otto Rundhaupt die Redaktion im Ateliergebäude Schnarps betrat.

In letzter Zeit arbeiteten Rolltür und Rundhaupt viel zusammen. Wenn sie auch von ganz verschiedenen Voraussetzungen aus ihre Geschäfte abschlossen. Rundhaupt hatte den Verlag der »Blendlaterne« übernommen. War er doch von den meisten Mitarbeitern Rolltürs, von den bei uns im Exil lebenden Literaten mit Manuskripten angegangen worden. Er hielt sich für fähig, die Konjunktur ausnützen zu können. Außerdem wurde er von Kunsthändler Moritz Schmeißinger tüchtig eingeseift. Letzterer spekulierte auf Baisse. Er sah die Entwertung seines Geldes voraus. Im richtigen Moment drang er aber darauf, das in höchster Gefahr schwebende Kapital bei Rundhaupt einzuwechseln und sich so lange an seinem Geschäfte zu beteiligen, bis sein Vermögen in unserer Geldwährung sich einigermaßen vermehrt hatte. Er zog es augenblicklich wieder zurück, als es sich später im valutaschwächeren Auslande vervielfacht anlegen ließ. Wesentlich niedrigere Arbeiterlöhne waren selbstverständlich vorteilhafter als Geschäftstreue. Womit Schmeißinger zugleich auch der blutigste Konkurrent seines ehemaligen Sozius Rundhaupt wurde. Aber das wußte zu jener Zeit noch keiner der beiden Handelsbrüder.

Rundhaupt war der Kamm tüchtig geschwollen, seit er sich mit dem geschwätzig-geläufigen Großstadtkunstschieber vereinigt hatte, sich für dessen Ladenhüter bei uns Mühe gab und sich in Illusionen wiegte, in seiner kleingewachsenen Person den Weltangelpunkt des muttersprachlichen Geisthandels zu verwahren. In Berghotelneppkasten besammelte Schmeißinger die Literaten aller Gattung um sich, bezahlte ihnen Champagner- und andere Orgien und amüsierte sich, wenn sie vor seinem Gelde buchstäblich auf dem Bauche herumkrochen.

Rundhaupt dagegen schwitzte in seinem Stadtkontor und glaubte die Inspirationen seines genialen Weltverlagspartners aus Metropolien auszuführen.

Schmeißinger hatte ihm vor allem beigebracht, daß er für sein Geschäft auch die große Zeitschrift werfen müsse. Sie hatte die Aufgabe zu erfüllen, die eigenen Druckwerke gleich mit der nötigen Reklame zu versehen. Munitionsfabrikant Rolltür hinwieder war daran gelegen, durch einen neutralen Strohmann seinem bereits etwas anrüchigen Organ den Geruch der reinen und unpolitischen, vielmehr politisch nicht bezahlten Kulturmission zu verleihen. So paktierte er seinerseits gerne mit Rundhaupt. Mehr und mehr nahm die »Blendlaterne« das Format eines geschwollenen und gespreizten Literatur- und Kunstorakels an. In der Rubrik »Zeitgemäßes« kam die unverhohlene Tendenz Rolltürs und seiner Subsidien zum Vorschein, welche die heilige Sache derjenigen Mächte, denen er seiner Nationalität nach nicht angehörte, vertraten. Rundhaupt merkte übrigens nichts davon. Er ahnte nicht, daß die bei ihm erschienenen kriegsfeindlichen Werke aus Federn von Landsleuten Rolltürs und Schmeißingers hauptsächlich darum so gut liefen, weil kein anderer als Rolltür sie aufkaufen und zu Propagandazwecken unter seinen im Feindesland kriegsgefangenen Landsleuten zu verteilen anordnete. Rundhaupt interessierte sich, schon der Sprache wegen, mit der er ja schließlich sein Brot erwarb, für das Wohlergehen der Mächte, die seine Zunge redeten. Er glaubte niemals an deren Zusammenbruch. Wohl aber daran, daß entsprechend der Ansammlung von »führenden Geistern« bei uns, wie die Wenkermann, Wratocek, Schnarp, Kugla, Meduna, Tadisch und andere, auch ihre Ware sich von uns glorreich werde umsetzen lassen. Weshalb er denn alle möglichen Gedichtsbände, Essais, Novellen edierte, wenn sie nicht gar so sehr darauf ausgingen, den Bürger zu »epatieren«. Er dachte keinen Moment an eine Geldentwertung der besiegten Sieger und siegenden Besiegten, wie sie später eintreten mußte. Vielmehr war auch er der Meinung, darin wohlweislich bestärkt von Schmeißinger, daß noch etliche Jahre nach dem Kriege der vermittelnde Handel zwischen den ehemaligen Feinden über unsere ehrliche Maklerstadt geleitet werde. Er hoffte fest darauf, daß man ringsum für lange Zeit weder drucken, noch Papier fabrizieren könne, wie es die Kriegszeit gezeigt habe. Im gegenwärtigen Augenblick jammerte Rundhaupt mit nichten. Da konnte man, wie gesagt, überhaupt kaum mit ihm verkehren. Das zu uns desertierte oder refraktäre Großstadtliteratengeschmeiß hatte ihm seine Komplimente so faustdick aufgetragen, ihn dermaßen umworben, um Geld für einige seiner Elaborate zu erhalten, daß er seine wenigen unlärmigen und reellen einheimischen Autoren überhaupt nicht mehr ansah, ihre Sachen vermodern ließ. Die Federfuchserblase des »Maulbeerbaums« hatte Rundhaupts mutiges Verlagsunterfangen mit offensichtlich interessierten Schmeicheleien belobigt. Freilich gehört zum wirklichen Mut auch die Übersicht über die Gefahr eines Unternehmens. Sie beglückwünschten ihn, daß er die kriegsgegnerische, im stillen ja für die Agenten Magins und Rolltürs arbeitende »Blendlaterne« zu einer tonangebenden Zeitschrift ersten Ranges emporgehoben habe. Sie rühmten ihn so sehr, daß er jedes neue Verlagsansinnen seiner ehemaligen Hausdichter im Hinweis auf die größeren, einflußreicheren und unprovinzlerischen Geister mit Achselzucken abwies. Dagegen gab er jedes einer gewissen Clique und Mache einigermaßen angepaßte Gesudel in Druck.

Das war der erste Kreis, in dem Rundhaupt sich damals literarisch bewegte. Der andere wurde von der Vereinigten Kunstgesellschaft (V. K. G.) unserer Stadt bestimmt. Wenn dort einer zu Wort gekommen war, hatte er für Rundhaupt die Feuerprobe bestanden. All die ansässigen, stillen, ernstschaffenden Arbeiter, die in den Familien der Vorstandsmitglieder der V. K. G. nicht verkehrten, nicht an den berühmten Festen mit Rosetten im Knopfloch als Komiteemitglieder sich nützlich zu machen verstanden, hielt er für Sonderlinge, für unangenehme Originale. Besonders, wenn sie etwa einige Zeilen gegen die im Lande Mächtigen verbrochen hatten oder gar sozialistischen Gedankengängen huldigten. Die Auswärtigen brauchten keinen Befähigungsausweis vorzulegen. Die waren auch ungefährlich. Sie erhielten schließlich bei uns keine Stimmzettel. Sie konnten unser vollkommenes Staatswesen nicht ins Schwanken bringen. Was sie schrieben, bezog sich auf ihre Abstammung. Sie waren meinetwegen tapfere Kritiker der anderswo zweifellos abscheulichen Verhältnisse. Bei uns stand es gut. Bei uns mochten sie lernen. Wir wollten es ihnen schon zeigen, wie famos die Dinge bei uns klappten. Und so reichte man sie sich denn für die Dauer ihrer Anwesenheit, wenn sie nur nicht zu lange ausgedehnt wurde, als »interessant« herum. Man versah sie, wenn sie nicht vorher schon dort angeklopft hatten, mit Empfehlungen an Rundhaupt.

Bei alledem riskierte übrigens Rundhaupt nie zu viel. Rolltür kam ihm mit seinen Unternehmungen sehr gelegen. Was die Herkunft seiner Finanzen betraf, so hütete sich Rundhaupt wohl, danach zu fragen, öffentlich ließ er sich nicht mit dem Munitionsfabrikanten sehen. Gerade aus diesem Grunde lag ja die Redaktion der »Blendlaterne« in einem der abgelegensten Häuser auf dem Stadtberg überaus geschickt. In letzter Zeit trafen sich beide fast täglich über die Mittagszeit dort oben, nachdem Hektor Schit die Korrespondenz Rolltürs vorher in dessen Wohnung erledigt hatte und mehr und mehr als Generalsekretär sämtlicher Rolltürschen Betriebe bezeichnet werden konnte. Die fast unkontrollierte Kasse machte, da er keinem Sterblichen gestattet hätte, sich ihr zu nähern, einen geradezu pünktlichen und devoten Kommis aus ihm.

Man sah Schit infolgedessen, außer im »Maulbeerbaum«, kaum mehr in anderen Lokalen und Bierstuben. Um halb elf Uhr fand er sich bei Rolltür zum Diktat ein, pflegte sich dann nach der »Blendlaterne« zu begeben, dort bis um halb ein Uhr zu arbeiten und über Mittag seine Ludwina von Lampel aufzusuchen. Seit sich seine Verhältnisse festigten, seit das Geld, das ihm zufloß, die Wünsche Ludwinas in Schmuck und Toiletten einigermaßen stillte, wurde sie häuslich. Gesteigerten Wert legte sie darauf, ihr Bankdepositum zu vermehren. Man wirtschaftete selber, man hatte sich, da sie die Küche nunmehr eigenhändig besorgte, pünktlich zur Essenszeit einzustellen. Gegen drei Uhr schickte sie ihren Hektor wieder auf seinen Posten, hinauf in die »Blendlaterne«, mit ihm ängstlich bedacht, daß keiner an seiner statt in den Kassenschrank hineingreifen müsse.

Es läßt sich denken, wie vorteilhaft Schit in den Augen des Herrn Rundhaupt verändert war. Denn auch er hatte natürlich mit dem vielgewandten Hektor die sattsam bekannten, schlechten Erfahrungen gemacht. Seit Schit gar mit Rolltürs Geld unbeschränkt amtete, außerdem mit ihm in augenscheinlich intimsten Beziehungen stand, konnte er sich bei Rundhaupt mehr denn als rehabilitiert betrachten. Wenn Rundhaupt mit Rolltür in die Redaktion eintrat und Schit in seinem Schatzkasten rumoren sah, verneigte er sich mit unverhohlener Hochachtung gegen ihn und lud ihn ab und zu an den Tisch seines Hauses ein. Freilich als Autor kam Schit selbst unter so hervorragend günstigen Umständen für Rundhaupt nie wieder in Frage.

So war denn Rundhaupt allmählig der Verleger Wratoceks, Branders, der Frau Wenkermann, Tadischs, Fauners und auch Schnarps geworden, von dem er einige futuristische Kunstmappen »edierte«, wofür ihn die Genannten, wenn sie im »Maulbeerbaum« ohne ihn zusammentrafen, auslachten. In seiner Gegenwart verhimmelten sie sich aus Geschäftsinteressen gegenseitig und besorgten auch die marktschreierischen Prospekte für einander. Denn sie hatten Rundhaupt überzeugt, dem solches im Grunde zuwider war, schon, weil Reklame auch Geld kostete, daß sie für den Absatz bei uns unbedingt vorteilhaft sei.

 

Frau Wenkermann, Fridolinchen, Herr Wratocek, Hektor Schit fanden sich bei Rundhaupts zum Abendessen ein. Es gab falschen Hasenbraten und strohgelben Tee. Erich Tadisch hatte sich wegen Unpäßlichkeit entschuldigt.

Die Unterhaltung drehte sich natürlich um literarische Dinge. Man wollte dem Ehepaar zeigen, wie wenig Begabung, Können, Bedeutung alle anderen, wieviel die Anwesenden in sich hatten. Weniger selbstverständlich war die Art, wie sich zum Beispiel Herr Wratocek bei seinem derzeitigen Verleger in Gunst zu setzen vermochte. Gleich bei Eintritt hatte er nach den sieben Kinderchen gefragt. Sieben Rundhäupter, dem Vater wie aus dem Gesicht, nein, aus dem ganzen runden Haupte geschnitten. Denn Verleger Rundhaupt entsprach in jeder Hinsicht seiner Anschrift. Nur, daß einige Schnurrbarthaare aus dem Apfel hervortraten, wie Hektor Schit nachher im »Maulbeerbaum« sagte. Also, Herr Wratocek ließ sich ins Kinderschlafzimmer führen. Wenn die Eltern Gesellschaft hatten, mußte die »Brut« ins Bett. Die beiden ältesten Buben gingen in die Schule. Wratocek forderte sie auf, ihre eben heimgebrachten Zeugnisse zu zeigen. Die jüngeren Knaben hatten nichts dergleichen darzubringen, wußten aber jeder sein Verslein herzuleiern. Allerdings waren keine Gedichte Tadischs oder Hektor Schits darunter. Kurzum, dem Alter nach erhielten sie von sieben- bis einmal einen Fünfer von Wratocek in die Sparschweinchen. Einen solchen Autor hatte Frau Rundhaupt noch nie erlebt. Wäre es möglich gewesen, ihr spitznasiges Gesicht hätte den Glanz eines milden Mondes angenommen.

Aber sie strahlte später geradezu wie die Sonne, als Hektor Schit nach dem Essen zu ihr auf den Balkon trat und im Tonfall eines Versanfangs deklamierte:

»O wie lieblich flimmern die Sterne!«

Einige Minuten darauf:

»Sieh, wie das silberne Mondlicht glänzt!«

Und zum Schlusse dann:

»Was für ein kühlender Frühlingswind!«

Frau Wenkermann hatte einen goldenen Papierstreifen mitgebracht und ihn an die Türklinke geklebt. Frau Rundhaupt wußte, daß man dies als eine Auszeichnung von ihr zu betrachten hatte. –

Als die vier Gäste dann miteinander im »Maulbeerbaum« saßen und emsig Kuchen vertilgten, um die Mägen nachzufüllen, wie sie boshaft feststellten, schlug Hektor Schit dem erschrockenen Wratocek auf die Schulter und platzte los:

»Wie sind Sie denn, Sie Mordskerl, auf den Einfall geraten, den rotznasigen Rundhauptbuben Sparkassenfünfer zu verabfolgen? Glänzende Idee, zu der man Sie nur beglückwünschen kann. Ihre neuesten Novellen kommen nun morgen schon in Druck.«

»Bi... bi... bitte sehr«, stotterte Wratocek. »Ich habe mir nur Ihre eigenen Anregungen hinter die Ohren geschrieben. Sie sagten doch, wenn man gute Bedingungen erhalten wolle, rentiere es, sich an die Spa... spa... Sparkassenschweinchen der Kinder zu wenden.«

»Sie selbst haben ja die Individualsaiten Ihrer Verlegerin mit der gleichen finalen Intuition anklingen lassen«, meinte Frau Wenkermann zu Schit.

»Als ich lyrisch wurde?« meckerte der Angesprochene. »Bei solch edler Gastgeberin bleibt doch nichts anderes übrig. Man muß ihr schließlich noch gut sein, wenn man bedenkt, wie sie bei ihrer Spitznase sieben eckenlosen Rundhäuptern das Leben schenkte.

»Macht sie nun wirklich als Lektorin des Verlages sämtliche Korrekturen selbst?« fragte Wratocek.

»Ja, aber daneben ist sie Vorstandsmitglied aller möglichen Frauenvereine, für Taubstumme, Kinderkrippen, alkoholfreie Restaurants, Jugendfürsorge, Dienstmädchenprämiierung, Säuglingsheime, uneheliche Mütter. Haben Sie gesehen, wie viele Unterröcke sie anhatte? Und die grauen, wollenen Strümpfe? Und den mit Vakuum ausgefüllten Brustpanzer? Und den Gretchenzopf, der sich knapp um den nach oben zum Kegel zurückweichenden Schädel schlingt? Nein, am besten ergeht man sich schon ein wenig in lyrischen Anwandlungen. Mit ihr sich zu verirren, wäre Sodomiterei.«


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