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6. Kapitel.
Das Büro von Wildthaußen.

Unermüdlich bemutterte Schit Doktor Tadisch, führte ihn zum Mittagessen, zeigte ihm alle Sehenswürdigkeiten unserer Stadt und als er ihn zu den verschiedenen Kanzleien begleitete, um seine Papiere in Ordnung zu bringen, fühlte Tadisch das Bedürfnis, von seiner militärischen Laufbahn zu reden:

»Eingezogen hatten sie mich natürlich.«

Schit musterte unwillkürlich den in der ärgsten Hitze immer im Kamelhaarmantel gehenden possierlichen Soldaten von oben bis unten.

»Sie können sich denken, wie ich in der verlausten Montur aussah, mit viel zu kurzen, von Fett und Schmutz schwarzen Manschetten. Sie hatten mich zur Schreiberreserve ins Infanterieregiment gesteckt. Und weil ich mich dort ungeschickt anstellte, empfahl mich der Herr Hauptmann ins Kriegspressequartier. Dort lag mir ob, in ein Kartensystem die Auszeichnungen und Beförderungen der Mannschaften einzutragen. Aber ich hab' ihnen die Sache durcheinandergewurstelt, daß sie mich für wahnsinnig hielten, ins Irrenhaus spedierten, ja ins Irrenhaus, und mir dann für gänzlich kriegsunbrauchbar den Laufpaß gaben. Was wir da über uns ergehen lassen mußten, sie wollten uns doch von der Simulation kurieren – das spottet jeder Beschreibung. Faradisiert haben sie uns, wo's den Sadisten gerade Vergnügen bereitete. Aber jetzt dürften's mich schon entschuldigen, lieber Herr Schit. Auf morgen im ›Maulbeerbaum‹.«

Schit wollte ihn zurückhalten. Ihm fiel plötzlich etwas ein. Er gedachte ihn doch selbst bei den »Kollegen« einzuführen.

»Warten Sie, Doktor Tadisch, haben Sie für den Abend was vor?«

»Nichts.«

»Kommen Sie doch mit mir zu Schnarp. Sie kennen den Namen. Er wohnt hoch oben am Berg. Da schauen Sie her, ich zeig's Ihnen auf der Karte. Wir treffen uns dort oft so gegen zehn Uhr. Eine ganze Blase. Sie werden staunen und sicher einer der unsrigen sein.«

Und Schit beschrieb ihm das Wohnhaus Abraham Reals, bis Tadisch sich losmachte und drei Treppen hinauf in sein vor einigen Stunden gemietetes Separatzimmer der Niederstadt stieg.

 

Tadischs Laune hatte sich nicht gebessert.

Der Furunkel nagte und zwackte. Dann stand ihm da ein Weg bevor, der ihm schon lange zu denken gegeben hatte.

Es war natürlich bei seiner Dienstentlassung ganz anders zugegangen. Der Hauptmann ließ ihn aus der Irrenanstalt vorführen. Im Wagen. In Begleitung zweier Wärter. Hatte sich dann aber mutterseelenallein mit ihm auf seine Amtsstube hinter verdichtete Türen zurückgezogen und vor die Alternative gestellt: Sofort an die Front oder – ins Ausland! Kriegspropaganda.

Was man darunter verstehe?

Monatsgehalt, reichlich zum Leben. Nichts weiter, als sich am Tage seiner Ankunft in unserer Stadt bei dem ihm gewiß bekannten Schriftsteller Karl Brander einzufinden. Das heißt, nicht bei Herrn Karl Brander. Besagten Namen nenne er ihm nur dieses eine Mal. Amtlich hieß er Herr von Wildthaußen, Büro von Wildthaußen. Daß Karl Brander mit von Wildthaußen identisch war, hatte man in literarischen Kreisen bis heute vollständig zu verheimlichen gewußt. Nun, und er, Tadisch, sei diesem von Wildthaußen attachiert. Tadisch zeigte sich sehr verwundert, erhielt aber keine weitere Auskunft. Habe die Anordnungen von Wildthaußens entgegenzunehmen. Wenn nicht, würde sofort Ungültigerklärung seiner Papiere erfolgen, müßte er sofort als Deserteur behandelt werden.

Und nun überlegte Tadisch. Daß er zu Karl Brander, alias von Wildthaußen geschickt wurde, war merkwürdig, sehr eigentümlich. Auch einer von denen, die nicht zur vollen Zunft zählten. Stilistisch zu sorgfältig, fast zu wenig angekränkelt. Aber was ging den das Kriegspressequartier an? Andererseits hatte man Märchen erzählt über die Mittel, die für solche Zwecke aufgeboten wurden. Tadischs Vater mußte sich zeitlebens als kleiner Beamter am Bahnministerium durchrackern. Sechs Kinder. Eine skrofulöse, immer keifende Mutter.

Man konnte einmal frei und unbesorgt leben. Den Verlegern die Renten aufkünden. Zwar, wozu? Sie setzten sich mehr für einen ein, wenn sie dafür bezahlten.

Hm, es roch etwas unangenehm an der Brühe. Wenn die Zunft es erfuhr. Er hatte tatsächlich keine Ahnung gehabt, daß man dergleichen Dinge von Brander wußte.

Brander galt als zurückgezogener, weltmännischer Typus. Preußischer Referendar. Gelegentlich sogar Einglas. Schmißnarbe, Durchzieher über die linke Wange. Daß er beim Gesandten verkehrte, davon wurde schon gelegentlich gemunkelt. Völlig traute man ihm nicht. Den Namen von Wildthaußen hatte er noch nie im Zusammenhang mit Brander gehört. Aber es gab wohl Scherereien, wenn er nicht ging.

 

Tadisch leistete sich ein Taxameter und fuhr an die Junkerstraße 49. Herrschaftswappen über dem Tor, rechts banales Geschäftsemailschild: »Büro von Wildthaußen«. Geräumiger Hausflur, erhellt von einer Schmiedeisenlaterne, Diener in blauweißgestreifter Jacke. Vorraum. Viertelstündiges Warten.

»Der Herr Baron lassen bitten.«

Tadisch hatte sich irgendeinen Diplomatensalon nach dem Klischee der Bühne vorgestellt. Er wurde in ein gewöhnliches Kontor geführt. Gelbe Soenneckenmöbel, Schreibtisch mit Rollverschluß, Schreibmaschine. Aus dem Nebenzimmer hörte man tippen. Geschäftsformulare, Kopierpresse, an den Wänden Vertikalregister.

Brander-von Wildthaußen, wie aus dem Modejournal, glattrasiert, bis auf eine Fliege, ein Schnurrbärtchen, das kaum die Rinne unter der Nase bedeckte, wie Reichskanzler Hitler es heute noch trägt, ausgesucht geknüpfter Schlips, Brokatstoff, kompliziert gewickelte Uhrkette, sehr höflich, näselnde Stimme:

»Sie sind mir empfohlen, Herr Doktor. – Kn. – Denke, sprechen gleich geschäftlich.«

Tadisch hätte gerne wieder vom Furunkel angefangen. Er war verlegen, ungeschickt, zog sich in seinen Mantel ein.

Von Wildthaußen durchschaute sofort, wechselte den Ton:

»Angenehm, Sie vor allem als Kollegen von der Feder – kn – begrüßen zu können.«

Hätte im Kaffee jemand Tadisch solcherweise angerempelt! Er haßte diesen Brander-von Wildthaußen schon jetzt! Aber er erstarb fast vor Hilflosigkeit, war völlig überrumpelt. Endlich fiel ihm ein:

»Ich war bei der Premiere Ihres ›Narrenseelsorgers‹. Fleißige Leistung. Entspricht ganz und gar dem Zeitgeschmack. Der Psychoanalytiker als komische Figur könnte Modegegenstand werden. Ich hätte Sie ohnedies besucht, auch wenn mir nicht dieser – wie soll ich das sagen? – geheimnisvolle Auftrag an Sie von militärischer Seite zugekommen wäre.«

»Werden uns gelegentlich im Kaffee treffen. Heiße dort selbstverständlich – kn – nur Karl Brander. Denke, daß wir dann nie von dergleichen reden. Begreifen – steht dabei sehr viel auf dem Spiel. Kann Ihnen lediglich verraten, – kn – daß gewichtige Dinge hier an mir vorbeigehen. Sie selbst werden ›dort‹ als brauchbar angesehen.«

Tadisch überlegte, sagte dann: »Ich bin eigentlich Kriegsgegner.«

»Eigentlich? – kn – Aber Verehrtester, wir doch alle! Gerade Sie sollen den Krieg sabotieren helfen. Die Sie zu mir schickten, glaubten, in uns vorzügliche Diener ihrer imperialistischen Organisation zu besitzen. Wer hindert uns hier zu tun, was wir wollen?«

Tadisch glaubte nicht, argwöhnte eine Falle, ging aber auf den Ton ein.

»Es scheint immerhin, daß ich Ihnen irgendwie subordiniert bin. Das …«

»Wieso? Keineswegs! Damit Sie sehen, – erlaube mir, Ihnen gleich von Anfang an etwas wie einen Rat anzutragen, nämlich wie Sie sich jeder Abhängigkeit entziehen. Möchte darum Ihre – kn – Militärangelegenheit mit Ihnen besprechen. Soll niemand auf den Gedanken kommen, seien offiziell frontdienstfrei. Müssen kleine Komödie inszenieren. Haben doch Abschriften Ihrer Atteste mitgenommen?«

»Man riet mir dies. Ich gelte als Epileptiker.«

Von Wildhaußens Hitlerfliege Anmerkung des Chronisten: Eigentlich müßte man von einer »Wildthaußenfliege« sprechen, hatte unser Held seine Gesichtsverzierung doch lange vor dem Beherrscher des dritten Reiches erfunden. Aber weil Hitlers damit ausgezeichnete Erscheinung die bleibendere im Wandel der Zeiten sein wird, überlassen wir ihm die Erfindung der »Hitlerfliege«. unter der Nase zuckte unmerklich.

»Müssen sich gleich das Zeugnis eines hiesigen Arztes verschaffen. Augenblick!«

Er hob das Telephonhörrohr ab und verlangte eine Nummer. Beim Anruf schnauziger Ton:

»Herr Doktor zu Hause?«

Dann vollkommen liebenswürdig: »Aaah! guten Tag, lieber Herr Doktor. Hier Karl Brander, haben uns lange nicht mehr gesehen. Ja? Nun hätte Ihnen gerne jungen Freund empfohlen, Erich Tadisch – kn –, ja der, – Doktor Tadisch, Sie wissen schon, Antikriegslyriker, – sah seine Gedichte bei Ihnen liegen, – ja, – möchte Sie gerne aufsuchen, kennt sich nicht aus hier, wird Sie gewiß interessieren, – kn – möchte Sie auch mal um einen Rat fragen. Kann er vielleicht noch heute bei Ihnen vorsprechen? – Nicht? – ah, gut – werde selbst bald wieder einmal vorbeikommen – auf Wiedersehen, Herr Doktor!«

Tadisch schien, als ob die Antworten gar nicht ebenso vertraulich klangen, wie Wildthaußen selbst den Ton anschlug.

»Also gehen heute abend, – freut sich, Ihre Bekanntschaft zu machen, zum alten Doktor Real. Kümmert sich um alles, – kn – was mit Literatur zusammenhängt, – hat, glaub' ich, früher selbst etwas geschrieben, – selbstloser Kauz, – hilfsbereit, – sehr, – gibt Zeugnisse, wo er vom Kriegsdienst – kn – befreien kann – im Anarchismus grau geworden – ganz lohnend, sich ihn mal anzuschaun. Werden später noch von ihm zu sprechen haben. Übrigens – wenn ich empfehlen darf, nicht gleich von einem Zeugnis reden – im Gegenteil, sich vielleicht damit einführen – kn – daß Sie gerade keines wollen; hätten gehört, daß alle nur deswegen zu ihm kämen; wird guten Eindruck erwecken.«

»Sie verfügen aber doch tatsächlich militärisch über mich?«

»Nur dieses eine Mal. Dann nie wieder. Müssen den Schein wahren. Gehen also bitte hin. Werden Sie dann mustern lassen und das Attest, etwas später, wenn es verlangt wird, einreichen. Genügt, wenn ich entsprechenden Vermerk dazu schreibe.«

»Sie scheinen tatsächlich bedeutenden Einfluß zu besitzen?«

Wildthaußens Hitlerfliege unter der Nase hob sich. »Reiner Zufall. Stellte mich bei Kriegsausbruch – kn – freiwillig zur Verfügung, – heute sehen wir ja die Dinge bekanntlich anders, – hat mir dann meine Spezialmission zugewiesen. Internationale Sache. Kann Ihnen zwar nur Andeutungen machen. Bin selbst zum Schweigen verpflichtet.«

Tadisch dachte immer wieder nach, von Wildthaußen irgendwie geistreich zu begegnen. Es gelang einfach nicht.

»Aber mein – wie soll ich sagen, mein Dienst besteht doch nicht darin allein, zu Doktor Real zu gehen?«

»Handelt sich da allerdings noch um andere Geschichten. Eigentlich fast literarisch. Werde mich Ihnen gegenüber offen aussprechen.«

Wildthaußen griff zu einer Kiste auf dem Schreibtisch und bot Tadisch eine Zigarre an, nachdem er selbst sich sorgfältig einen Glimmstengel ausgesucht hatte. Tadisch lehnte natürlich ab. Von Wildthaußen legte darauf die eben auserwählte Zigarre in die Schachtel zurück, holte ein dickbauchiges Etui aus der Rocktasche und entnahm sich – sehr sinnlicher Gesichtsausdruck – eine Havanna.

»Unsere Stadt hier – gleichsam Weltmittelpunkt. Einheimische scheinbar neutral. In der Tat starke Strömungen nach beiden Seiten. Gewisse Schicht – kn – bis in alle Kreise käuflich. Blockade der Zentralmächte – Landesversorgung hier durch die Alliierten bestimmt. Geld, um Blockade zu durchbrechen, spielt keine Rolle; Gesetze gegen Schieber, Wucher, Aufkauf, Schmuggler. Kommt alles für Sie nicht in Betracht.«

Der Diener trat ein und überbrachte eine Karte. Tadisch sah schielend nach dem Titel »Staatsrat …« Den Namen vermochte er nicht zu lesen.

»In den Salon.«

Wildthaußen zu Tadisch: »Soll warten. Will was von uns. Nun, verehrtester Herr Doktor, werden nicht glauben, ist uns bekannt, – kn – daß die hiesigen Literaten, Refraktäre und Deserteure, – kn –, auch die durch Zeugnisse regelrecht beurlaubten, – meist von Doktor Real protegiert, der sie übrigens nicht durchschaut, von nichts weiß, würde sonst nicht helfen – also kurz, – kn – hiesige Kollegen sind in allerhand hübsche Sachen verwickelt. Zum Teil hergeschickt zur Kulturpropaganda, – wäre recht verzeihlich, daß sie's vergessen haben. Aber da ist nun die feindliche Seite dahintergekommen. – Hektor Schit …«

»Ich machte eben seine Bekanntschaft. Schwache Romane, aufdringlicher Mensch. Richtig, er hat mich zu Schnarp eingeladen.«

»Ausgezeichnet, wohnt im gleichen Haus wie Doktor Real, Parterre. Gerade da sollen Sie hingehen.«

»Aber Sie verfügen in einer Weise über mich …«

»Ganz recht. Dachte augenblicklich nicht daran, – kn –. Sollen es ja gar nicht umsonst tun.«

Wildthaußen öffnete eine Schublade. »Habe da gerade ein, zwei … fünfhundert liegen. Können Ihnen diesen Betrag alle vierzehn Tage – kn – übermitteln. Ist nicht mein Geld, bitte, bitte …«

»Aber ich kann mich Ihnen doch nicht …«

»Verkaufen? Wieso denn? Hören Sie erst mal zu. Dieser Schit ist doch für Sie höchst – kn – modellgeeignet – Konjunkturtintenschmierer – Stück Zeitgeschichte. Literarische Sensation. Können jetzt oder später der Entlarver der betreffenden Machenschaften werden, – kn –. Sind dazu ausersehen, von den andern den Nachweis zu erbringen, daß sie sich kaufen ließen. Sie selbst wurden nicht gekauft. Niemand weiß, daß Sie von mir – kn – den Betrag erhielten. Bitte keine Quittung. Kein Wort darüber. Holen einfach alle vierzehn Tage.«

»Aber darauf kommt es doch nicht …«

»Darauf kommt es ja an. Sind ungeheurem Skandal auf der Spur. Wollen nur nicht selbst angreifen. Schit immerhin Neutraler. Ich selbst kann nicht, – kn –. Wegen anderweitiger Verpflichtungen. Aber Sie könnten. Wird Ihnen guten Namen machen. Kampf gegen Kunstmerkantilismus.«

»Ich verstehe immer noch nicht. Was tut denn eigentlich Schit?«

»Ganz richtig. Verstehen nicht. Haben gehört – kn – von ›Blendlaterne‹?«

»Die pazifistische Zeitung, welche zweimal wöchentlich erscheint?«

»Nein, Ententezeitung. Schit als Strohmann. Daher Landesverrat. Republikaner. Sind übrigens und eigentlich ganz mit ihnen einverstanden. Leider jedoch Tatsache, – kn – daß unsere Heimat unverrückbar monarchisch. Also, um die ›Blendlaterne‹ gruppiert sich antimonarchischer Republikanismus. Aber wieder dahinter: feindliche Kriegspropaganda. – Nun, möchten lediglich Gewißheit darüber erlangen. Was wir Intellektuellen auf unserer Seite verurteilen, sollen wir auch auf der anderen Seite zu enthüllen trachten, – kn –. Ob wir damit den sogenannten Unsrigen einen Gefallen erweisen – schließlich gleichgültig! Dort, wo wir's eben wissen, Schweinerei aufdecken. Unsere eigene – kn – Kulturpropaganda letzten Endes harmlos. Lassen Vorträge halten, bringen Orchester her, verschreiben uns Varietésterne, Kino. – Diese aber, die andern, inszenieren unter neutralem Mantel Stank gegen das Land, dessen Sprache sie schreiben, dessen Lesepublikum sie konsumieren soll. Ihre Aufgabe, verehrter Doktor, einige Dokumente, – am besten – kn – durch Schit.«

Tadisch erhob sich plötzlich, griff die fünf Hunderternoten wieder heraus und legte sie auf den Tisch. Nicht ganz sicher, aber auch nicht theatralisch. Von Wildthaußen hatte eine sehr nachgiebige Stelle in ihm berührt, als er ihm gleichsam andeutete, daß ein riesiges Feld für Intrigen offen stand. Trotzdem bekam es Tadisch auf einmal mit der Angst. Wenn ihm schon Wildthaußen irgendwie Respekt einflößte und die Selbstverständlichkeit, mit der er auftrat, ihm imponiert hatte, so hielt er ihn doch nicht für allzu gefährlich. Im Gegenteil, er hatte ihn in der Hand mit seinem Geld.

»Ich kann Ihren Auftrag nicht entgegennehmen. Besser Deserteur, als Ihr …«

Wildthaußen schien nicht zu verstehen.

»War da kürzlich – kn – eine Varietédame. Tanzte Propaganda in Kriegspapierkleidern. Schick. Nettes Mädel, – kn –. Wissen Sie, wie sie sich vorstellte: ›Dem auswärtigen Amt attachiert. Ehrenperson für Kulturpropaganda.‹ Wörtlich.«

Tadisch erhob sich, machte Miene, zur Türe zu gehen.

»Verehrter Herr Tadisch – nur so nebenbei – sind heute vormittag im ›Maulbeerbaum‹ der hiesigen Polizei aufgefallen, – haben einen Brief empfangen von gewissem Tisch, – kn – an dem politisch unangenehm vermerkte Reden gehalten wurden.«

Tadisch stutzte einen Augenblick, zuckte mit den Achseln, schritt weiter zur Tür.

»Einen Augenblick, Herr Doktor!« Von Wildthaußen betonte den Titel sehr nachdrücklich. Absichtlich gleichgültiges Gesicht. Holte aus dem Register die Mappe unter T und entnahm ihr zwei Aktenstücke.

»Bitte dies – kn – zunächst einmal einsehen zu wollen.«

Tadisch las einen Bericht über seine Ehe mit Isidora Wenkermann und vieles, was damit zusammenhing, trat erschrocken einen Schritt zurück und zog den Kopf in den Mantel.

»Und dann dies.«

Tadisch las einen einfachen Zeitungsbericht über den Kaufschwindel von Doktortiteln bei einer amerikanischen Privatuniversität.

Von Wildthaußen klopfte ihm auf die Schulter.

»Denke, – kn – scheiden als Freunde. Höre bald von Ihnen. Empfehle Ihnen übrigens, sich in den Lesesaal der Vereinigten Kunstgesellschaft zu begeben und dort aus der Bibliothek einiges über Epilepsie hervorzukramen.«

Tadisch verbeugte sich, mit zusammengebissenen Lippen, aschfahl, kehrte den Rücken und ging zur Türe. Dort wandte er sich noch einmal um, trat an den Schreibtisch zurück und nahm die fünf Hunderter wieder an sich.

Von Wildthaußen war sitzengeblieben und paffte einen Rauchring vor sich hin. Die Hitlerfliege in der Nasenrinne zuckte unmerklich.


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