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11. Kapitel.
Ein Geheimbericht Doktor Tadischs und der Diebstahl im Büro
von Wildthaußen.

Doktor Tadisch versandte seinen ersten eigentlichen Geheimbericht gleich im Doppel an zwei Adressen: an von Wildthaußen, der ihn unverändert an seine Regierung weiterspedierte, aber auch an Doktor Leberstein, der ihm durch die Kasse des Untersuchungsrichteramtes eine Anweisung auf drei Fünfziger zu Lasten der P. P. aushändigen ließ.

Erstaunlich war, wie sich Tadisch einen aktenmäßigen Stil dabei angewöhnte, Belege numerierte und erwähnte, bisweilen jedoch sich nicht enthalten konnte, literarisch zu entgleisen und die Verhältnisse auch von der psychoanalytischen Seite zu deuten. Zur Einführung schilderte er das Haus des Arztes Abraham Real. Der angebaute Atelierschuppen und die Redaktion der »Blendlaterne« darin seien unbedingt aufsehenerregend. In diesem Haus spielte sich ein politisch höchst unliebsames und verwerfliches Treiben ab. Dann verhandelte er den anscheinend harmlosen und schrulligen Munitionsfabrikanten Rolltür, durch dessen Hände alle Finanzen der »Blendlaterne« geleitet würden. Er sei die Seele der Propaganda gegen das Büro von Wildthaußen. So, wie nun Tadisch den Herrn Rolltür kenne, dürfe man nicht erwarten, daß große Beträge aus seiner eigenen Tasche für Zeitungsdruck, Flugschriften und Besoldung der mitarbeitenden Persönlichkeiten flößen. Stiegen doch diese Propagandabeträge in die Hunderttausende. Auch die Festlichkeiten der »Blendlaterne« und des Hauses Rolltür würden von Schit aus einem besonderen Fond der »Blendlaterne« bezahlt.

Die Geldsendungen, – so ergebe es sich aus Tadischs heimlichen Einblicken in den feuersicheren Schrank der »Blendlaterne«, träfen in Wertbriefen aus einer staatlichen ausländischen Bank über Deckadressen ein. Während Rolltür öffentlich leugne, der Autor des Buches »Die Wahrheit über die Kriegsursachen« zu sein, erzähle er jedem, der es hören und nicht hören wolle, daß er als der anonyme Verfasser zu gelten habe. Zweihunderttausend Exemplare sollten gerade jetzt im Auftrage einer fremden Regierung von Fliegern an der Front in die Schützengräben seiner Heimat geworfen werden.

Alles, was Rolltür und die Seinen täten, werde natürlich als Gewissens- und Überzeugungsfrage behandelt. Rolltür pflege sich dabei jeweilen auf den Spitzbauch zu schlagen und seine demokratische Gesinnung, die Gesinnung des alten Achtundvierzigers zu betonen. Nur zum Wohle der friedlichen Entwicklung aller Völker und Länder sei er an der Arbeit. Diese sogenannte Gesinnung werde dem Chef der ausländischen Kriegspropaganda, denn das sei Rolltür, sehr gut honoriert. Reisen führten an und über die Landesgrenze, zum berüchtigten Spionagechef Magin. Schriftstellerinnen, Tänzerinnen, Schauspielerinnen, Journalistinnen tauchten in der Redaktion der »Blendlaterne« als Mitarbeiterinnen auf und böten dem guten Manne willkommene Gelegenheit, in Versuchung zu geraten.

Allerhand Vergütungen verschwänden in den Ridicules der betreffenden Damen und allerhand Reliquien (Strumpfbänder, Mieder, neckische Photographien und so weiter) vermengten sich unter die Abrechnungen im Redaktionsbüro. Aber auch auswärtige Mitarbeiter besolde die »Blendlaterne«. Propagandamakulatur werde in fast unvorstellbarer Menge durch sie in die Zentralmächte geschmuggelt. Kürzlich seien da Zöllner einem Motorboot auf die Spur, das heißt auf die Gummischläuche gekommen, die unter ihm angeschnallt waren und in denen sich zentnerweise in den Zentralmächten verbotene Schriften fanden. Pässe der Gegenseite stünden jederzeit zur Verfügung.

Ein Spezialarbeiter verfertige Soldatengreuel, ein anderer, Herr Wratocek, der Redner im Kellnerstreik, Statistiken über abgehackte Gliedmaßen und ähnliches. Das heißt, man verbreite solche Mitteilungen mit Vorliebe in den Romanen Wratoceks, die man in die feindlichen Schützengräben zwecks Erweckung einer pazifistischen Gesinnung und Lähmung des feindlichen Kriegswillens hinüberpraktiziere.

Frau Wenkermann sei weniger gefährlich als der Kometenschweif von allerhand Literaten, die hinter ihr herzögen und so an den Festlichkeiten der »Blendlaterne« teilnähmen. Sie erfüllten den »Maulbeerbaum« mit Protestrufen, schrieben kriegsfeindliche, defaitistische Artikel, all das zuungunsten des eigenen und zugunsten des feindlichen Landes. Am besten sei es, diese Herrschaften von Zeit zu Zeit aufs Generalkonsulat zu zitieren, ihre Papiere zu revidieren und sie so in Angst und Schach zu halten. Gefährlicher sei ein gewisser Kreuzbach, der sich aus den Bezügen von der »Blendlaterne« schon eine stattliche Villa angeschafft habe. Vor allem dank der Idee, die »Blendlaterne« mit den Zeitungsköpfen weitverbreiteter heimatlicher Blätter auszustatten, den Druck täuschend nachzuahmen und sie solcherweise ins Vaterland zu transportieren.

Als hiesiger Strohmann für diese ganze in Herrlichkeit lebende Gesellschaft figuriere Hektor Schit, der seine Landsleute im Auftrage der »Blendlaterne« vor der Wildthaußenschen Propagandastelle warnen müsse.

Als rechte Hand Rolltürs verwalte er den Kassenschrank und wühle nach Gutdünken im fremden Gelde. Lockungen gingen keineswegs an ihm vorüber, deren Kosten freilich nur der Steuerzahler des diese Propaganda nährenden Auslandes zu tragen habe. Schit sei notabene Spieler geworden. Zum Schlusse berichtete Doktor Tadisch, erübrige es sich, nochmals zu betonen, wie sich alles im Hause des als Anarchisten bekannten Arztes Real zutrage, welcher nebenbei bemerkt, zu Unrecht den Doktortitel beanspruche, sei er ihm doch durch die medizinische Fakultät nicht verliehen worden. Auch berühre es eigentümlich, daß bei besagtem Real einer der hiesigen Staatsanwälte, Dr. Calden, ein- und ausgehe und daß dies auf die politische Eindeutigkeit des betreffenden Staatsbeamten kein allzu günstiges Licht werfe.

 

Tadisch verbarg mühsam das Zittern aller Fibern, als ihm der Diener von Wildthaußen die Türe öffnete. Wildthaußen, gestriegelt und geschniegelt, liebenswürdiger als je, Monokel im Auge.

»Aeh, lieber Tadisch, konnte Sie leider, nur um literarisches Gespräch mit Ihnen zu führen, nicht zu mir rufen lassen, – kn –. Möchte Ihnen aber meinen ›Narrenseelsorger‹ im Druck überreichen. Haben mir das erstemal, als wir uns sahen, – kn, Schmeichelhaftes darüber kundgetan. Werde gerne Ihre ›roten Schreie‹ in mir zur Verfügung stehender Presse besprechen. Haben mich – kn – sehr interessiert. Originelle Reime, nette Gedanken, etwas weit hergeholt, originell, sehr originell.«

»Freut mich aufrichtig«, bemerkte Tadisch, der sich, vor Wut innerlich berstend, subordinierte. Zugleich tauchte er in den Kamelhaarmantel unter, streckte das Feuerbärtchen vor, erhob die Rechte. »Freut mich aufrichtig, Ihr sehr bedeutendes Werk in Buchform zu besitzen. Werde selbstverständlich in den mir offenstehenden Spalten davon verkünden.«

»Sollen mich sehr zu Dank verpflichten. Indessen nur als Brander. Bin gegenwärtig gezwungen, – kn –, wieder von Wildthaußen mit Ihnen zu spielen.«

Dabei griff er zu seiner Importenkiste und bot Tadisch an. Es war ihm deutlich in Erinnerung, daß jener sich nie Nikotin zumutete.

Tadisch ließ die Gelegenheit zur Rache nicht vorübergehen. Maßloses Erstaunen drückte Wildthaußens Gesicht aus. Die auf- und abwippende Hitlerfliege verriet seinen heftigsten Unwillen, indessen er den zugreifenden Bewegungen Tadischs folgte. Denn der Mann im Kamelhaarmantel zerrte eine der Koronas tatsächlich aus der Kiste, zündete sie an, paffte ein paarmal in die Luft und drehte sie im Laufe des Gesprächs, nachdem sie erloschen war, so nervös in den Händen herum, daß das grünbraune Deckblatt abbröckelte. Löcher und Spalten sprangen in der herrlichen Zigarre auf, die Tadisch schließlich im Aschenbecher zerstampfte. Hätte der Dichter im Kamelhaarmantel berechnet – und vielleicht tat er es – nichts wäre geeigneter gewesen, von Wildthaußen von vornherein zu reizen und aus der Fassung zu bringen. Ereignis, das zu jenen gehörte, die ein Wildthaußen nie im Leben verzieh. Alle Schweinereien sonst, nur das nicht. Und während um diese Beiläufigkeit herum der diplomatische Literat kochte und Tadisch die Reaktion auf seine kleinstachlige Perfidie in alle Poren aufnahm, redeten sie lauernd und süßlich lächelnd miteinander weiter.

Nach der Pause, die für Wildthaußen entstanden war, dieweil er dem unerhörten Griff Tadischs in seinen Importenschatz zuschaute, wiederholte er: »Bin also leider gezwungen, als von Wildthaußen zu reden – kn –. Hat sich da eine kleine Verwicklung ergeben. Zunächst eine ganz direkte Frage: Kennen Sie Doktor Leberstein?«

Gerade so hatte es Tadisch erwartet. Das Herz klopfte ihm hörbar. Witterte er doch in von Wildthaußen unheimliches Wissen von allem, was um jeden in unserer Stadt vorging. Aber er hatte vorher Zeit gehabt, sich zu überlegen, ob die Tatsache, daß er mit dem im »Maulbeerbaum« hörigen Doktor Leberstein verkehre, schon an sich nachteilige Schlüsse zulasse und sich gesagt, daß dies nicht der Fall sein müsse. So antwortete er: »Aber gewiß.«

Gerne hätte er seinen heimlichen Wortwitz vom »Juristendeutsch, gespickt mit Zotaten« angebracht. Doch überwand er, was ihm so oft schon Schwierigkeiten bereitet hatte, die geradezu angeborene Neigung zu Kalauern. Nachlässig fuhr er nach einer Pause, während welcher von Wildthaußen ihn drohend angeschaut hatte, fort: »Doktor Leberstein? Am Kopf- und Rückenende kugeliger, brutaler, für den Literatentisch aufdringlicher Schmock mit inhaltslosen Gesichts-, wohl aber mit redenden Hinterbacken.«

Von Wildthaußen folgte dem zerbröckelnden Havannadeckblatt, sonst hätte er auch jetzt noch, da er mehr vernehmen wollte, entgegenkommend gelächelt.

»Erinnern Sie sich vielleicht, wer Sie dem bewußten Herrn vorgestellt?« fragte er, ohne es selbst zu merken, mit Ingrimm.

»Hektor Schit.«

»Haben Sie Schit – kn – Anlaß gegeben, mißtrauisch gegen Sie zu werden?«

»Wieso? Er fragte mich nach Ihrem Büro. Ich mimte den Ahnungslosen.«

»Damit Sie meine Fragen verstehen, müssen Sie sich vor Augen halten: Schit ist der einzige unter den Leuten der ›Blendlaterne‹, der weiß, daß von Wildthaußen und Karl Brander identisch sind, wie er ebenfalls weiß, daß mir bekannt ist, woher das von ihm verwaltete Geld der ›Blendlaterne‹ stammt. Es wurde uns dies von den beiderseitigen Regierungen mitgeteilt. – Kn –. Er machte mir Andeutungen, ich ihm, wenn wir uns im ›Maulbeerbaum‹ begegneten. Über unsere gegenseitige Einschätzung fehlt Klarheit nicht. Nun aber lesen Sie dies!«

Und von Wildthaußen reichte Tadisch das anonyme Schreiben.

»Von wem?« fragte Tadisch. Er war wirklich überrascht, gab aber nicht unverzüglich Antwort. Er prüfte das Papier ausgiebigst. »Die Maschinenschrift kann ich erkennen«, sagte er zurückhaltend. »Das R ist um ein ganz Weniges aus der Linie emporgerückt.« Er schaute von Wildthaußen prüfend an, vermochte aber, da dieser sich hinter eine dichte Rauchwolke verhüllte, nichts wahrzunehmen.

»Das Farbband muß matt sein, ungefähr so, wie auf der Maschine, mit der dieses R übereinstimmt und deren ich mich auf der ›Blendlaterne‹ bediene. Kein Zweifel am Ende: Schit schrieb den Brief.«

»Mein Lieber«, fuhr nun von Wildthaußen in einem Flüstern, das wie Besorgnis klang, fort: »Ihnen droht Gefahr. Schit ahnt Ihre Beziehungen zu mir. Möchte Sie bei mir ausschalten. Darum verdächtigt er Sie in bezug auf Doktor Leberstein. Kennen Sie dessen Beamtung?«

»Untersuchungsrichter.«

»Stellen Sie sich nicht unwissender, als Sie sind, sonst erwecken Sie auch bei mir Verdacht.«

»Herr von Wildthaußen, ich verbitte mir diesen Ton!«

»Sollten Sie mit Doktor Leberstein in irgendeiner der Zuschrift entsprechenden Verbindung stehen, so, wie es der Ihre Verhältnisse gut durchschauende Herr Schit behauptet, dann würde ich mich gezwungen sehen, Sie – kn – schonungslos zu vernichten!«

»Sie erinnern mich daran, für diesen Fall an geeigneter Stelle Mitteilungen über ein gewisses Büro niederzulegen, die Ihnen nach meiner Ausmerzung sehr unliebsam sein dürften«, antwortete Tadisch zwischen den Zähnen, mit tonloser Stimme, gelb im Gesicht.

Von Wildthaußen erkannte im gleichen Augenblick, daß er sich zu weit vorgelassen hatte. Er wurde seinerseits rot, so sehr, daß seine Durchziehernarbe weiß über die linke Backe leuchtete. Er demolierte nun selbst kauend den Stumpf seiner Zigarre. Dann wischte er mit seinem Taschentuch den bitteren Saft ab, den er auf die Zunge gekriegt hatte, reinigte sorgfältig die braungewordenen Mundwinkel und wechselte plötzlich die Sprechweise ins Süßliche hinüber, ohne den geradezu haßerfüllten Ausdruck um Stirn und Augen überwinden zu können: »Mein Lieber, ich wiederhole, Ihnen droht Gefahr. Sie wissen genau, daß Doktor Leberstein Chef der politischen Polizei hierzulande ist.«

»Dann droht mir allerdings keine Gefahr«, sagte Tadisch recht fest. »Denn ich habe nie über andere, als über literarische Dinge mit ihm gesprochen.«

»Doktor Tadisch, Sie halten mich für dümmer, als Sie aussehen«, schnarrte von Wildthaußen und lächelte gezwungen über den kargen Witz, der ihm eingefallen war.

Tadisch machte Miene, sich zu erheben.

»Mein Lieber«, sagte von Wildthaußen zum drittenmal und trat ganz nahe an Tadisch heran – beide waren damit unangenehm erstaunt, sich so unmittelbar in die Augen zu schauen. – »Mein Lieber – kn –, Ihnen droht Gefahr, nicht von seiten des Leberstein, – berichten Sie ihm, was Sie wollen, – der Strick wird sich unfehlbar über dem zusammenziehen, der dorthin sich wendet – Ihnen droht Gefahr von Schit. Wenn er den Zusammenhang zwischen Ihnen und mir errät, er, der Sie an der ›Blendlaterne‹ im Geheimnis weiß, – kn –, wieviel haben Sie dort schon bezogen? – muß er Sie allen Ernstes aus dem Wege räumen. Kennen Sie den Fall Magin? War da ein mißliebiges Individuum. Wird –, kn – von Magin oder seinen Helfershelfern mit Chloroform betäubt, im Auto auf entlegene Landstraße verschleppt, herausgeworfen. Man fährt dreimal darüber hin und her, läßt's liegen, – kn – Leiche findet man, zur Unkenntlichkeit entstellt, auf der Fahrbahn. Täterschaft nicht zu eruieren. Will nicht behaupten, daß Schit daran beteiligt. Aber kennt den Fall, – kn –, und die Personen, die zur Szene gehören.«

Tadisch war noch gelber geworden. Auch er hatte von dem Fall und zwar auf der »Blendlaterne« gehört. Ob er zwar selbst nicht daran glauben wollte, so imponierte es ihm doch unverhohlen. Dies der Augenblick, da er seine Korona im Aschenbecher zerstampfte.

Eine rote Welle stieg abermals in Wildthaußens Gesicht empor. Wieder wurde der Schmiß weiß sichtbar. Aber er hatte den Ton der Besorgnis nun einmal angenommen und trachtete ihn, wenn auch mit nicht ganz gehorchender, etwas heiserer Stimme beizubehalten. »Damit Sie sehen, daß ich um Sie bekümmert war, Verehrtester« – ›mein Lieber‹ zu sagen, brachte er gerade jetzt doch nicht fertig – »habe mir den Kopf zerbrochen, einen Ausweg zu finden. Müssen den Schit vom Verdacht Ihrer Beziehungen zu mir ablenken. Komödie aufführen.« (Längere Pause, während welcher nur die Hitlerfliege sich leise hob und senkte.) »Werden Schit gegenüber den Wunsch äußern, er möchte Ihnen über die privaten und sonstigen Lebensumstände des Schriftstellers Brander reinen Wein einschenken. Erster Beweis, daß Sie meine Positionen nicht kennen können, wenn Sie mir solcherweise nachfragen. Habe da aber noch zweiten Plan: Müssen Schit während der Unterhaltung über meine, – kn –, höchst unbedeutende Person erklären, daß Doktor Leberstein Ihnen im Vertrauen angedeutet habe, von Wildthaußen und Brander könnten identisch sein. Deswegen gedächten Sie auch nicht mehr mit mir, Brander, verkehren zu wollen. Werden mich bei nächster Gelegenheit schneiden. Werde dann meinerseits einfach so tun, als ob ich mich an Sie nicht mehr erinnerte und es nicht merken. Aber für Schit wird's genügen. Und drittens« (abermals Pause und nachdenkliches Spielen der Hitlerfliege) – »müssen Sie Diebstahl bei mir inszenieren. Müssen Schit sagen, hätten sich an meinen Diener gemacht, um der ›Blendlaterne‹ wichtigen Dienst zu leisten. Könnten an bestimmtem Tag – werden dies verabreden – über Mittag in mein Büro eindringen und ihm Aktenpaket, das rechts, verstanden, hier rechts auf dem Schreibtisch liegt, übergeben. In einen gelben Umschlag legen wir einige belanglose Schriftstücke. Vermittlungsaufträge für Lebensmitteleinkäufe von unserer Regierung an von Wildthaußen. Auf diesem gelben Umschlag dann wird mein neuestes Buch, ›Narrenseelsorger‹, mit meinem Schriftstellernamen, Karl Brander, zu finden sein. Liefern damit Schit den Beweis, daß ich und Brander ein und derselbe sind. Etwas, was er also längst weiß. Er wird aber nicht versäumen, Ihnen diesen durch Sie selbst erbrachten Beweis später ad oculos zu demonstrieren. Im gleichen Augenblick denn, wo er unter Ihrer Anleitung in meinem Büro zu den bereitgelegten Papieren greifen und sie an sich nehmen wird, sagen Sie: ›Ich glaube, es kommt jemand.‹ Werde mich meinerseits wirklich im Hintergrund aufhalten und leicht husten, – kn –. Sie packen das Aktenfaszikel und Buch, drängen Schit zur Türe hinaus und laufen mit ihm davon. Daß Sie einen so tollkühnen, so gefährlichen, ja verbrecherischen Eingriff bei mir wagen, muß als untrüglicher Beweis gelten, Sie könnten unter keinen Umständen mit meinem Büro in Verbindung stehen. Vertrauen zu Ihnen wird wieder hergestellt. Ja, kn, was sagen Sie zu solchem – kn – genialen Plan?«

Tadisch hatte mehrmals aufspringen wollen. All das beängstigte, beengte, bedrängte ihn. All das war viel zu lebendig, viel zu schwierig, verlangte zu viel Handlung. Und tatsächlich hätte von Wildthaußen hier bereits einen Rechnungsfehler begangen, wäre Tadisch durch die sich abrollenden Ereignisse nicht schon derart in den Strom geraten, daß er mit fortgerissen wurde und von sich aus aktiv zunächst wenig mehr dazu beitrug.

 

Die Pläne von Wildthaußens mit Tadisch und Schit wurden kurzerhand ausgeführt. Übrigens aber doch erst, nachdem Tadisch Doktor Leberstein um Rat angegangen war.

Eines Tages fragte Tadisch den ihm ausweichenden, Schreibtisch und Kassenschrank auf einmal mit Sorgfalt verschließenden Hektor Schit im Büro der »Blendlaterne«, was er eigentlich von Karl Brander halte.

Ob er ihn denn nicht selbst aufs genaueste kenne? entgegnete Schit. Nein, eben. Er, Tadisch, habe zwar aus Privatinteresse keinen gesteigerten Wunsch, sich diesen Zwitterdichter, dessen Sentenzen man je nach der politischen Einstellung deuten könne, näher zu Gemüte zu führen. Aber als Figur zu einem Roman, an dem er gerade arbeite, möchte er sich ganz brav eignen. In Branders letztem Stück seien die Arbeiter so gezeichnet, daß sie gerade so gut bürgerlich reaktionär karikiert gesehen werden mochten, wie umgekehrt. Und man habe ihm erzählt, daß Brander sich jeweilen mit den Tramwagenschaffnern, denen er Eintrittskarten in die Aufführungen seines Schauerdramas schenke, wie mit seinesgleichen über seine literarischen Erzeugnisse unterhalte. Anderseits dürfe Brander sich mit Recht vor den Häuptern der bürgerlichen Parteien und Moral jederzeit brüsten, daß er ja schließlich den Vertretern des Kapitals und der besitzenden Klasse in seinem Schauspiel zum Siege verhelfe. Alle zusamt, wie der Träger der Hauptrolle, der karikierte Narrenseelsorger, – Real sollte wohl mit ihm getroffen werden, – aber sogar der sei vorbeigeraten, – stünden als solche Idioten, Schafsköpfe und Unnaturen da, – aufgemacht in Kinoglanz und Scheinwerfertricks – daß einem davon übel aufsteige. Da er, Tadisch, nun einmal ein Dichter sei, wolle er sich den Leckerbissen nicht entgehen lassen, den er in der famosen Person Branders entdeckt habe.

»Und Sie wüßten tatsächlich nicht, Doktor Tadisch, daß Karl Brander, aber unter dem Siegel der größten Verschwiegenheit, ein und derselbe ist mit von Wildthaußen? Dessen Büro wir hier oben so enerjisch« (Berlinerakzent mit Dialekteinschlag) »bekämpfen?« Tadisch machte auf diesen plumpen Überfall ein höchst erstauntes Gesicht, erhob die behandschuhte Rechte und streckte den Kopf aus dem Kamelhaarmantel heraus. Das assyrische Feuerbärtchen flimmerte.

»Was Sie sagen! Das wäre ja skandalös!«

»Nicht so sehr«, meinte Schit immerhin ehrlich, »wenn Sie bedenken, daß wir unsere Finger, hähä, auch in ähnliche Dinger stecken.«

Und trotzdem er sein sorgsam gehütetes Geheimnis (sorgsam darum, damit ihm das seinige nicht ausgebracht werde), diesem Tadisch hier gegen allen Vorsatz preisgab, fühlte Schit, wie er ihn, dem er nicht auf die Schliche geraten konnte, dafür haßte, inbrünstig haßte!

Tadisch beharrte darauf, mit Brander durch Vermittlung Schits näher bekannt zu werden. Vielleicht könne er Schit beim Erforschen der Wahrheit über die Doppelspurigkeit dieses Mannes behilflich sein. Das wieder leuchtete Schit ein. Wenn ein anderer von der »Blendlaterne« argwöhnte und verriet – von Schit fiel der Verdacht dann ab.

 

Es wurde ein Treffen im »Maulbeerbaum« vereinbart. Wildthaußen fand sich absichtlich wieder einmal am Tische der Schits, Wratoceks, Wenkermanns, Wankelungs ein, die tatsächlich nur einen Karl Brander kannten. Man ergoß sich ringsherum in liebenswürdiger Sachkenntnis, was die Werke der Anwesenden betraf, in literarischem Klatsch und in »Standesinteressen«, zu denen bei dieser Gelegenheit sogar Tadisch gesprächig wurde. Auch gratulierte man Brander zu der glänzenden Figur des Narrenarztes und begrüßte ihn als Vorstreiter in der Bekämpfung der medizinischen Psychologie. Man erfreute sich an der Psychoanalyse, in deren Sexualknobeleien sich jedermann eifrigst herumtummelte. Gewiß war sie ein verdienstliches Vorrücken in die allerseits beliebte Unterleiblichkeit. Bei solchen Zusammenkünften vergaßen Schit und Wildthaußen jeweilen über den gemeinsamen Giftspritzereien ganz ehrlich, was sie sonst voneinander wußten. Im Zerrupfen eines nicht anwesenden Dritten schmolzen sie gar in ein Herz und eine Seele zusammen.

Dann kam, wieder nach einigen Tagen, Tadisch zu Schit und berichtete, es sei etwas in ihm nicht mehr zur Ruhe gekommen, bis er nach der Wohnung Wildthaußens sich umgetan, das Büro richtig gefunden und sich mit dem vor der Haustüre stehenden Diener in ein Gespräch eingelassen habe. Das Lakaiensubjekt sei ihm durch seinen erzürnten Gesichtsausdruck aufgefallen. Er, Tadisch, habe sich leutselig nach seinem Ärger erkundigt. Der Diener klagte, es werde ihm nicht leicht gemacht, die Herrschaft zufrieden zu stellen. Man hätte ihm längst gekündigt, wenn er nicht zuviel wüßte. Man dürfe sich füglich wundern, was im Hause alles vor sich gehe. Der Herr führe ein doppeltes Leben, handle unter zwei Namen, unter einem als Schriftsteller, unter dem andern als Geschäftsmann. Hohe Persönlichkeiten gingen ein und aus. Kurz, es bestünden nach diesem vom Diener erhaltenen Informationen für ihn, Tadisch, keine Zweifel mehr darüber, daß Brander identisch mit von Wildthaußen sei. Er werde den Spion fortan im Kaffeehaus zu schneiden wissen.

Darauf folgte eine entsprechende Szene im »Maulbeerbaum«. Brander näherte sich dem Tische der Literaten. Tadisch stand auf und verließ wortlos die Gesellschaft. Brander tat, als ob er es nicht bemerkte und wurde von Schit mit unterwürfiger Liebenswürdigkeit über den peinlichen Vorfall hinweggelenkt. Weiter kam Tadisch und machte den Vorschlag, bei von Wildthaußen einzudringen und womöglich einige den Herrn Brander kompromittierende Dokumente zu stehlen. Der Diener habe sich gegen einen größeren Betrag bereit erklärt, über Mittag nicht zu Hause zu sein. Gekündigt sei ihm sowieso. Er werde das Büro offen lassen, aber nur von eins bis halb zwei Uhr, und sie beide, Schit und Tadisch, könnten um diese Zeit einfach ins Haus hineinschleichen und im Reiche von Wildthaußens Nachschau halten. Etwas gewagt und gefährlich sei die Geschichte. Aber es wäre doch ein unerhörter Streich, an dem man beiläufig seine romantische Freude zu haben vermöchte.

Tadisch und Schit trafen sich der Verabredung gemäß, drangen mühelos ins Büro Wildthaußen ein. Tadisch ergriff den gelben Briefumschlag, fand darunter, was ihn augenblicklich etwas verwirrte, einen zweiten. Auch Schit erblickte das zweite Paket, deutete darauf, streckte selbst die Hand aus. Tadisch holte es ebenfalls an sich, gleichwie das obenauf liegende, gebundene Exemplar des »Narrenseelsorgers«, überreichte alles zusammen Schit, der sich die ganze Zeit im Hintergrund hielt, immer auf dem Sprung, davonzulaufen. Dann äußerte Tadisch, er höre etwas – im gleichen Augenblick ließ sich das trockene Kn-kn von Wildthaußens, das auch Schit wohl kannte – aus dem Nebenzimmer vernehmen. Schit und Tadisch rannten kopfüber die Treppe hinunter – auf die Junkerstraße hinaus. Dort, wie es vorher vereinbart worden, trennten sie sich, gingen nun langsam – so hatten sie es sich einander eingeprägt – trotz dem Schrecken, den Schit empfand, hielt er sich daran – ein jeder nach seiner Seite. Im Besitze Schits die beiden gelben Umschläge und das Buch, was alles unverzüglich unter den Mantel gesteckt wurde. Nachmittags traf man sich wieder im »Maulbeerbaum«. Den triumphierenden Zug, den Schit dort im Gesicht zeigte, vermochte sich Tadisch nicht zu deuten. Ebensowenig das hochfahrende und herablassende Wesen Schits, der sich sonst stets eher unterwürfig und kriecherisch gezeigt hatte.

Im Briefkasten Tadischs lag am Abend ein nicht adressiertes Kuvert mit zwei Hunderternoten: die Gratifikation von Wildthaußens. Zugleich mit der Aufforderung, morgen unverzüglich vorbeizukommen, da sich etwas Unerwartetes ereignet habe.

Alles aber, außer dem Einstecken der Geldbeträge, erfuhr am nächsten Morgen Doktor Leberstein in einem Bericht, den Tadisch noch am nämlichen Abend so nebenbei verfertigte, mit der Empfindung, daß er eigentlich nicht ganz zur Sache gehörte.


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