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20. Kapitel.
Abraham Reals Befreiung.

Am dreiundvierzigsten Tage seiner Haft hatte man Abraham Real morgens ein Formular in seine Zelle gegeben, das er zu unterschreiben sich weigerte. Mangelnder Beweise wegen sistiere man vorläufig die Untersuchung. Doch habe er sich jederzeit zur Verfügung des Untersuchungsrichters zu halten.

Calden, der sich bei einigen Arbeiterfreunden Reals erkundigt hatte, reichte Beschwerde ein und drohte, dieselbe im Parlament verlesen zu lassen, wenn nicht sofort Ordnung in die abscheuliche Angelegenheit komme.

Als Real gegen Mittag aus dem Gefängnis trat, war der Platz schwarz von Menschen. Höchste Zeit, daß er erschien. Denn die Menge war unruhig geworden, hatte gegen das Portal des Gefängnisses gedrängt, die Deichsel eines Lastwagens losgelöst und schickte sich an, das eisenbeschlagene Tor zu rammen. Calden, der Real im Gebäude abzuholen beabsichtigt hatte, suchte die immer rasender Werdenden zu beschwichtigen, während sich an den Fenstern Uniformierte mit Schußwaffen zeigten. Als das Tor sich öffnete und sich augenblicklich hinter dem heraustretenden Real wieder schloß, sprang ihm Calden die Treppenstufen hinauf entgegen und umarmte ihn.

»Hoch Real!« brauste es ganz einfach, natürlich daher. Kurz. Dann stellte man sich um ihn und bat, daß er einige Worte spreche.

»Kameraden! Da hätten sie bald einen Märtyrer aus mir gemacht. Schade. Vielleicht wäre es für Euch von Nutzen gewesen. Aber mein Einzelfall ist zu unbedeutend, um Euch wirklich zu fördern. Ihrer Viele fühlen sich jetzt zwar eins mit mir. Im Ernst ist es so: Durch meine Erniedrigung seid Ihr nicht bedroht. Sicher indessen ist's Eure Not, welche die meinige schaffen konnte. Dennoch greift Euch und uns dies alles noch nicht an die Nieren, auf daß wir in Reihen, Bataillonen losbrechen. Und das wäre zur Zeit auch gar nicht gut. Wir müssen noch viel mehr leiden, viel mehr durchkämpfen, viel mehr wissen und sehen lernen, viel mehr zur Einheit, zum gemeinsamen Körper werden, um jenen Angriff zu erkennen, gegen den wir dann Leib und Leben einsetzen sollen. Die einzelne Person ist nichts, ist kein Grund zum Aufruhr. Nur das Los der Vielen und die Möglichkeit, etwas Neues, Besseres an die Stelle des Alten zu erobern, dürfen uns erzürnen oder gar verwunden, daß wir zum Kampf aufspringen, gehetzten Tieren gleich. Wenn ich nun doch von mir rede, so darum, weil Ihr zu mir gekommen seid. Ich habe das nicht verdient. Ich bekenne, den Fehler begangen zu haben, daß ich mich jahrelang als alter Mann auf den Berg flüchtete. Ich bin jung wie Ihr. Ich gehöre Euch. Die Gesellschaftsschicht, der ich entstamme und der ich entronnen bin, ist unrettbar verfault. Kenntnisse, Technik, sämtliche Wunder der Zivilisation und sogar der Kultur sind ihr zugänglich. Geld gewährt ihr alle Vorteile. Gelegenheit, das Geld schöpferisch zu verwenden, bietet sich der privilegierten Schicht ebenso, wie sie das Geld in ihren Schöpfungen immer inbrünstiger anbetet. Und trotzdem können die Einzelnen mit ihren unbegrenzten Möglichkeiten nicht in die Breite gedeihen, werden nicht großherziger. Engstirnig, habgierig, wollen sie vom Überfluß keinen Brosamen hergeben. Nein, [öffnen] wollen sie ihre Goldberge und als Mittel zur Ausbeutung derer benutzen, die der Vorteile des Geldes von Anfang an beraubt waren. Mit dem ungeteilten, durch gekaufte Waffen verteidigten Mehrwert bleiben sie die Herren, dennoch aber Sklaven der Materie. Sie verwenden ihren geschulten Geist, ihren Intellekt, um sich jegliche Genüsse und Vorteile zu wahren. Geld lockt die Kanaille an, macht Kanaillen. Intellektuelle, vom Gelde gekauft, bilden sich zur Intellektuaille aus. Und diese Intellektuaille vertreibt sich die Zeit zuguterletzt so sehr in weltfremden Spezialitäten und Kleinigkeiten, in Sinnlosigkeit, daß sie damit auch den wirtschaftlichen Niedergang ihrer eigenen Wirtschaft besiegelt. Und wie alle anderen Kleinbürger, nur weniger fleißig und lebenstüchtig, eigentliche Schmarotzer der Kleinbürgerwelt selbst, vegetieren sie, Mißgeburten der Intelligenz, ausschließlich zuungunsten anderer. Mögen sie noch so sehr mit geölten oder rebellischen Zungen reden. Die Großbürger erst, die Geldkönige der Welt endlich, schachern mit dem materiellen Gut der gewöhnlichen Kleinbürger ebensowohl, wie mit dem geistigen Rüstzeug der Intellektuellen. Sie lassen auf jeden Fall, wenn es ihnen beliebt und wenn er ihnen gerade nicht dient, den goldenen Mittelstand wie die Arbeiterschaft verrecken. In seinen Todeszuckungen, in seiner Gier, doch noch etwas vom materiellen Leben zu ergattern, macht sich der käufliche Geist aus allen Gesellschaftsbereichen nicht nur an den Verbrechen der Kapitalwirtschaft teilhaftig, sondern begeht im engeren Kreis der Intellektuellensippe verdeckte und unverdeckte Verbrechen, die unserer Zeit das Kainsmal aufprägen. Einstweilen zwar verquantet die Kleinbürgerintellektuaille, wie wenn sie in einer Seifenblase im Weltraum herumschwebte, ihren geschulten und verschulten Geist an den Meistbietenden weiter, treibt Inzucht und ahnt mit nichten, wie bedeutungslos diese ihre Kultur der Literaten und akademischen Kleinbürger ist. Im Grunde proletarisiert, von der Laune der Geldgeber abhängig, trennt sie eine unüberbrückbare Kluft von den wirklichen Weltzusammenhängen, vor allem aber von den Nöten der besitzlosen, ausgebeuteten Werktätigen. Untermenschen, über deren Unwissenheit sich die Intellektuellen erhaben dünken. Sagte man den Intellektuellen, daß sie ebenso proletarisiert wie Ihr seid, – kein Wort würden sie Euch glauben. Und fänden sie Gelegenheit, diese Intellektuellen, so würden sie sich nicht scheuen, die noch tiefer stehenden Handarbeiter seelenruhig mitauszubeuten. Mit Recht sollt Ihr Euch vor der Intellektuaille hüten! Gibt es doch Kopfarbeiter zur Genüge, die zu ihrem Vorteil sich zu Euren Führern aufschwingen möchten, um Euch dann zu verraten. Den Kleinbürgern unter Euch Proletariern sind sie gefährlich nahe verwandt und bestärken die Fadenscheinigen unter Euch selbst in ihrer schwankenden Geisteshaltung. Ich warne Euch vor der Kleinbürgerintelligenz. Ich warne Euch vor rein wirtschaftlich gesehenen, mit Geld erkaufbaren Idealen und Einzelvorteilen. Nicht vom Geistigen sollt Ihr Euch abwenden, nicht vom Wissen und Können, nicht von den ewigen Kulturschöpfungen, sondern von den vom Geld abhängigen Verkündern geistiger Spiele und Spielereien. Ich warne Euch vor den Verführern zu verpflichtungslosen körperlichen Sportheldentaten! Hütet Euch, Euer Leben, Euren ganzen geistigen Reichtum für Rennbahn, Fußballwettspiele, aber auch für Sparkassenbüchlein und Einfamilienhäuschen dahinzugeben. Folget denen, die frei sind von Ämtern und Besoldungen! Es wäre denn, Ihr hättet sie darauf erprobt, daß sie jederzeit bereit sind, alles zu opfern, nicht aber Kompromisse zu ihren Gunsten und auf Eure Geld- und Geisteskosten einzugehen! Aber verkennt dabei nicht, daß es geschulte Intelligenzen gibt, die vom Augenblick an, da sie keine Privatinteressen im Auge haben, da sie sich selbstlos auf die Seite der Ausgebeuteten, Unterdrückten, Benachteiligten, kurz von Euch materiell zu Untermenschen gestempelten Brüdern schlagen, durch die Söldlinge der anderen Seite als die verhaßtesten Feinde bekämpft werden. Hier gibt es den Frieden nicht mehr. Ihr wißt, daß nicht erst die mir eben angetane Unbill mich Euren Reihen zuführt. Aber sie könnte es bewirkt und mir die Augen geöffnet haben. Wäre ich nicht längst durch Erfahrung und Schulung über die Ungerechtigkeit und Unehrlichkeit der menschlichen Gesellschaft sehend gewesen. Wenn wir aber gemeinsam kämpfen, dann nicht deshalb, um obenauf zu kommen, dann nicht darum, weil wir unten waren, nicht darum, weil wir das Gleiche, was die anderen bislang hatten, nun selbst und zuungunsten anderer nutznießen möchten, sondern allein deshalb, um die materielle Gleichheit Aller zugleich mit der geistigen Freiheit jedes Einzelnen zu erobern. Nun murrt Ihr und seid enttäuscht, daß ich Euch nicht zum gewaltsamen Umsturz aufrufe, daß ich nicht allein vom Wirtschaftlichen rede. Der Umsturz allein, um des Umsturzes willen, wäre den nichtverantwortlichen, aber von uns geführten Arbeitern gegenüber sinnlos und schlechthin unmöglich. Die Anklagen gegen die Wirtschaftsordnung, gegen Profite sind zu selbstverständlich. Sollten wir denn nichts weiter denn Neider sein, die wohlleben möchten? Nein, andere Bereicherung suchen wir, als sie den Herrschenden eignet. Wir wollen am höchsten, persönlich unentreißbaren Gut, am geistigen Kapital uns begütern. Das versperren sie uns heute noch mit der Not, in die sie uns zwingen, wenn wir ihnen nicht Gefolgschaft leisten. Das geistige Kapital wollen wir verwalten so, daß keine Kompromisse es entstellen, keine ›je nachdem‹ und ›unter besonderen Umständen‹. Das Gute und das Böse, das Richtige und das Falsche müssen wir trennen lernen. Hier dulden wir keine Schiebungen mehr! Rüsten wir uns, in diesen unsern Grundsätzen unerschütterlich zu werden! Nieder mit den Abhängigkeiten, den Ketten des Leibes und des Geistes! Nieder mit der Intellektuaille, mit den Geistesschergen der goldenen und der kleinbürgerlichen Macht! Nieder aber auch mit jedem Umsturzgelüste um persönlichen, materiellen Gewinnes willen! Versteht Ihr mich, meine Freunde?«


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