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3. Kapitel.
Ein literarischer Kommis, eine Philosophin, ein Deserteur und
seine Dirne.

Selbst im Tabaksqualm, der mittags um das Gold der Säulenakanthusblätter des »Maulbeerbaum« säuselte, lag unruhige Spannung. Als ob sich in dem sonst einigermaßen geordneten Bienenkorb – gedämpfte Stimmung pflegte vorzuherrschen – Außergewöhnliches vorbereitete.

Trat Doktor Tadisch in irgendeinen Raum, so schrumpfte er noch mehr als sonst in sich zusammen und schlüpfte, so schnell es ihm nur gelang, durch den Eingang. Wie ungeschickt er sich dabei auch ausnahm, faßte er doch im »Maulbeerbaum« auf den ersten Blick den Tisch ins Auge, an dem offenbar die Literaten zusammenzusitzen pflegten und der unter seinesgleichen bekannter war, als die Opuscula, die sie von sich gegeben hatten. Ein Haufen Zeitschriften und Mappen bedeckte ihn.

Vor einem Glase granatapfelrot leuchtenden Sirups sog an einem Strohhalm ein gedrungener, fettig braunverbrannter Kommis.

Doktor Tadisch spürte als Kenner, daß es mindestens ein schriftstellernder Kommis sein mußte.

Trotz dem auf der Fahrt stundenlang selbsteingebläuten Entschlusse, nichts von seiner furunkligen Nase verlauten zu lassen, vermochte er den Vorsatz nicht durchzuführen. Sie war nun einmal das Zentrum seiner gesamten Gegenwart. Präsens, welches darauf hinaus entartete, daß der Riechhöcker sich in sein Gegenteil verwandelte und sich mit tausend Wurzelnadeln in sein Gesicht einhöhlte.

»Der Leuchtturm, der meiner angenehmen Erscheinung ungebührlicherweise vorauszündet«, sagte er hochstimmig, den dünnen Hals unter dem feuerroten Bärtchen aus Schal und Kamelhaarmantel emporreckend, »entbindet mich der unangenehmen Pflicht leider nicht, Ihnen meinen Namen zu nennen: Doktor Erich Tadisch, soeben den Zöllnern und Paßkosaken glücklich entronnen.«

»Hektor Schit«, bezeichnete sich der Angeredete, lächelte erfreut und erhob sich Als er so neben Tadisch stand, war es auffallend, wie sehr sich die äußerlich sonst recht verschieden Ausgestatteten in Statur und Größe glichen.

»Dieser himmelblaue Friede, diese patzige Sonne im Gegensatz zu den die Gegend bevölkernden Kropfidioten, machen einen direkt melancholischen Eindruck«, brachte Doktor Tadisch weiter hervor, indem er, ohne sich zu enthüllen, Platz nahm.

Hektor Schit lachte breit. Er sprach mit deutlichem Dialekteinschlag, versuchte dabei zu berlinern. »Werden unseren Speck noch schätzen lernen, hähäh!«

Hektor Schit war Verfasser einiger vielgelesener Romane. Heimatkunst mit »impressionistischer« Frisur, die aber den Anspruch erhob, als »expressionistisch« zu gelten. Etwas sozial angehaucht, wie es der Zeit entsprach. Aber nicht so sehr, daß behagliche Bürger sich darob hätten ereifern müssen.

Er saß nur den geringeren Teil seines Tages im »Maulbeerbaum« ab. Den Rest verbrachte er auch in gewöhnlichen Bierlokalen. Daß er als uneheliches Kind einer Kellnerin und eines Fabrikanten, der ihm später immerhin eine Durchschnittsbildung ermöglicht hatte, zur Welt gebracht worden war, bot ihm seine Lieblingsmotive, an denen er sich wie an den Bohnenstangen seines Lebenslaufes, geschickt emporrankte und die er buchweise stets aufs neue in den Handel brachte. Entsprechend der ihm eigenen Technik, für jeden noch nicht geschriebenen Roman drei bis vier Verleger um Vorschuß anzugehen, und das Geschäftsobjekt einem fünften zuzuschieben. Daß man ihn nie wegen Betrugs einklagte, verdankte er einzig der Furchtsamkeit dieser Herren, die ihre Autoren nicht durch seinesgleichen bloßstellen und den Nimbus, den sie selbst durch allerhand Reklame um sie züchteten, nicht erschüttern wollten. – »Also, so siehst du aus«, dachte sich Doktor Tadisch, als er die Kniehosen und die breitrandigen, gelben Schuhe des Kollegen Schit musterte, die zum kommishaften Oberteil ebensowenig stimmten, wie zur bekannt trägen Lebensweise des nach unten anscheinenden Naturfexen und Sportmannes.

»Ich bringe Ihnen die Grüße einiger landsmännischer Kollegen«, sagte Tadisch nun laut und betonte das letzte Wort überlegen ironisch, während er gleichzeitig alles in seiner Erinnerung zusammenfasste, was er über Hektor Schit wußte. Er schätzte ihn keineswegs, da er, Tadisch, sich einer viel höheren »Gattung Literatur« zuzählte. Selbstverständlich. Er nannte die Namen einiger bekannter Publizisten, mit denen er im Grunde gar nicht einmal persönlich verkehrte, aber vermutete, daß sie der Richtung Schits einigermaßen entsprachen.

Schit wollte geschmeichelt erwidern, als »der literarische Kellner« an Doktor Tadisch herantrat. Gustav besaß Widmungsexemplare von sämtlichen im »Maulbeerbaum« verkehrenden Autoren. Er verfügte auch über den nötigen Takt, dieselben keinem Antiquar unserer Stadt, sondern stets einem in einer andern Ortschaft zu verquanten. Er präsentierte Doktor Tadisch auf einem Christoffelteller einen Brief.

Doktor Tadisch wuchs sichtlich aus seinem Mantel heraus, als er sich endlich erkannt sah. Das rote Bärtchen leuchtete auf. Zeichneten doch die Schriftzüge des Briefumschlages tatsächlich seinen Namen, wenn sie ihm auch unverzüglich die unerwünschte Absenderin verrieten, was ihn nachträglich bewog, sich noch tiefer als früher in sich zusammenzuziehen. Seine erste Bewegung war, den Brief ungelesen in die Tasche zu stecken.

»Fabelhaft, Justav, wie Sie auf der Höhe stehn!« entfuhr es Schit. Damit bewies er, die Bollaugen weit aufreißend, daß ihm die Popularität Tadischs mächtig imponierte.

»Rund und klein ist die Welt«, bemerkte dieser bescheiden, äugte aber, ohne daß man es bei seinen herabfallenden Lidern und seinen langen Wimpern wahrnehmen konnte, um alle Ecken des Lokals. »Was soll man denn hier bestellen?« fragte er den vor ihm wartenden Gustav, mit lüsternem Schielen nach der Flüssigkeit Schits.

»Hähä, haben wohl lange keinen richtigen Kaffee mehr jesehen, was?« entgegnete Schit. Ungefähr in dieser Weise redete er, wenn er sich sehr gewogen zeigen wollte. »Sollten Sie keinen mögen, bestellen Sie mal Grenadine piquante. Gehört nämlich zum guten Ton, daß man an diesem Tisch keinen Frühschoppen mehr jenießt. Schuß Kognak zum Sirup, sehr zu empfehlen – alkoholfrei – hähä!«

Von da an bestand die erste Feindschaft zwischen Schit und Tadisch; faßte doch der Angekommene die Worte Schits als anzüglich auf. Tadisch verabscheute übrigens den Alkohol nur, weil er ihn so absolut nicht vertrug. Und dann von wegen seiner Weltverbesserungslehre. Aber selbst auf seinen Kaffee mußte er verzichten, denn Gustav erklärte zum unverhohlenen Erstaunen Schits, der zu den Bollaugen auch noch den Mund aufriß, er habe mit dem Überbringen des Briefes an den Herrn Doktor für heute seinen letzten Auftrag ausgeführt. Er und seine Kollegen stünden – im Streik.

 

Doktor Tadisch hätte sich vielleicht ebenfalls gewundert, überließ dies vorläufig aber Schit. Denn er war mit der Entdeckung der Briefschreiberin, die er am entgegengesetzten Ende der Seitengalerie ausfindig gemacht hatte, so beschäftigt, daß ihm für alles andere jede Teilnahme verlorenging.

Es saß dort ein spindeldürres, kleines Frauenzimmer. Von unbestimmtem Alter. Auf Distanz zwischen zwanzig und vierzig. Dicke Puderschicht, nach oben gemalte Augenbrauen, kirschroter Fleck mitten auf die Lippen geschminkt, Farbtupf, der den ohnehin geringfügigen Mund, nach dem Muster japanischer Tänzerinnen, zu puppenhafter Winzigkeit verwandelte. Über und über behängt mit … ja, wie sollte man dem sagen? – Für den naiven Beschauer lag etwas Kindliches in ihrem »Schmuck«. Er bestand aus bunten Holz- und Glaskorallen, nachgemachten Perlen, Gold- und Silberpapierschnitzeln, Messingplättchen, filigranartig verbogenen und mit Staniol umwickelten Haarnadeln. Er bildete ein wirres Gehängsel, das sich über die grasgrüne Seidenbluse als krauses Ornament herunterzog.

Dem Kenner der Modeströmungen in der Kunst der damaligen Allerjüngsten wäre vielleicht das Wort »negroid« eingefallen. Es war damals Trumpf. Eine Art gemachten Primitivismus, der über das technische Können, das bei jeder Kunst selbstverständliche Voraussetzung sein müßte, nichts verriet, weil man mit Vorbedacht ungeschickt tun wollte. Aber auch diese Erklärung hätte für Frau Wenkermann nicht genügt.

Ueber den kurzgeschorenen, absichtlich borstig knabenhaften Haaren trug die wie aus Karton ausgeschnittene Philosophin – denn als letzteres galt sie und gab sie sich – ein spitzes, olivenes Filzhütlein. Etwas kleineres Format als dasjenige Doktor Tadischs. Dem blauen Hutband aufgelegt zogen sich sechs Goldzwirnfäden, hinten unordentlich verknüpft. Jedesmal, wenn es Isidora Wenkermann gelungen war, ein neues Essai oder sonst eine Schrift zu publizieren, bewilligte sie sich selbst einen solchen Goldzwirn zum Zeichen der geistigen Graderhöhung. Eine Dekoration, die sie auch an ihr nahestehende Kollegen zu verleihen pflegte. Kurzbeinig hockte sie, ein Sitzriese, immer auf zwei Kissen, die der Kellner Gustav eigens für sie bereithalten mußte, ebenso wie ein Schemelchen, ihrer siebzehnjährigen Tochter Fridolinchen zubestimmt, die »stilvoll« zu ihren Füßen kauerte, übrigens ihre Mutter abgöttisch zu lieben vormimte.

Als leibhaftiges Orakel thronte Frau Wenkermann, stets von ihrem »Kreis« umgeben, im Kaffeehauswinkel. Jeder ihrer Aussprüche wurde andächtig von den Kirschkernlippen abgelesen.

Es gab diesen und jenen, der ihre Schriften verdaute, ihr zunächst fast kindliches Gehaben beobachtete und gelegentlich ihre Redensarten hörte, der in ihrer Erscheinung etwas Vergeistigt-gebrechliches empfand. Redensarten, die im Weitergegebenwerden irgendwie verschönt und bereichert worden waren. Denn manchmal lassen sich tatsächlich Bemerkungen durch Kollektivzutaten nicht nur banalisieren, sondern sogar verwitzigen. Es kommt auf die Tendenz an, ob verbessert oder entstellt werden will.

 

Hektor Schit saß auf einmal neben einem in Schweigen versunkenen und mit sich selbst beschäftigten Gast. Hektor Schit liebte das Schweigen nicht. Er mußte sich hören. Er mußte Tadisch von seiner Bedeutung überzeugen. Er mußte ihn festhalten, fesseln, als erster in die für einen Literaten in unserer Stadt wichtigen Verhältnisse einweihen.

»Hähä – Streik im ›Maulbeerbaum‹! Direkt irrsinnig! Zusammenpacken sollte man die ganze Jesellschaft« (Berlin mit Dialekteinschlag) – »in den jelben Wagen und hinauf auf den Stadtberg, zum Weltverbesserer Real!«

»Wer ist das, Real?« tauchte Tadisch aus seiner Versenkung auf.

»Real, den kennen Sie nicht, den alten Psychiater, der alle Leute ins Irrenhaus steckt! Den Arbeiterapostel und Bildungsphilister! Ging mit seiner Praxis ins Proletenviertel, angeblich um die armen Teufel gründlicher kennenzulernen. In Wahrheit wollten natürlich die Besserzahlenden nichts von ihm und seinen roten Allüren wissen.«

»Doktor Real heißt er?« fragte Tadisch noch immer zerstreut.

»Hat sich was mit seinem Doktor! Den haben sie ihm doch gar nicht gegeben. Sein Staatsexamen soll er freilich gemacht, sogar eine Dissertation zurechtgeschustert haben. Aber dann geht der Idiot hin und läßt ein Pamphlet los gegen ein Fakultätsmitglied. Gegen den Professor für Frauenkrankheiten. Als ob der nicht recht gehabt hätte, wenn er feststellte, daß alle Weiber minderwertig sind. So einer muß es doch wissen. War zudem schon eine alte Geschichte, das mit dem physiologischen Schwachsinn der Frau. Nun, und der damals junge Real empört sich, schimpft los, gleich auf die ganze Kathederweisheit und alle die Bonzen. Klar, daß die Fakultät prompt beschloß, er sei nicht würdig, den Doktorhut – haben Sie so ein Ding schon mal jesehen? – zu tragen. Man wolle auch gleich alle anderen Universitäten unseres Landes anweisen, solchem Frechling den Zutritt zu den akademischen Ehren zu sperren. Aber nein! Das taten sie dann nicht. Es kam ihnen rechtzeitig in den Sinn, die anderen Fakultäten unseres Landes könnten Real aus lauter Kollegialität zum Ehrendoktor ernennen, hähä.«

»Er ist also Ehrendoktor geworden?« fragte der immer noch zerstreute Tadisch.

»Nee, doch nich! Mit seiner Karl Marx-Visage! Und auch heute nich, wo er doch schon in den Sechzigen steht. Denken Sie, da kommt er manchmal auf den Berg rauf, behängt mit Paketen und vollen Marktnetzen, wie so ein Packesel. Ich kenn' ihn nämlich besser, als er ahnt. Bin sozusagen öfter sein Nachbar in der ›Blendlaterne‹. Famose Idee: Werde Sie baldigst dort einführen.«

»Blendlaterne, die Zeitschrift?« blickte Erich Tadisch auf und bewegte den Kopf aus seinem Kamelhaarmantel.

»Natürlich, unsere glänzende Zeitschrift. Die wird nämlich in einem Atelier auf dem Stadtberg ausgebrütet, und nebenan wohnt der alte Knasterbart, der Real.«

»Scheint wirklich interessanter Mann zu sein, daß Sie so viel von ihm reden«, bemerkte Tadisch und zog sich aufs neue in sich zurück.

Schits Feinfühligkeit ging nicht gar tief. Wie sollte er nun wissen, ob Tadisch noch weiter zuhören wollte? Aber den langweiligen Bruder brachte er schon noch zum Schwätzen. Also redete er einstweilen am besten drauflos:

»Ganze Pakete schleppt der alte Knasterbart auf den Berg, und man sagt, er stelle alle Tische voll mit Fressalien, wenn auch nur ein Einziger zu ihm hinaufströmt. Und in der Küche hinten, bei einem ganz verrückten Frauenzimmer, der Haushälterin Hermine, hocken dann allerhand hungrige Jünglinge und räumen mit dem Zeugs auf. Dabei soll er mal gesagt haben, die Psychiatrie, oder die ärztliche Seelenkunde, sei die revolutionärste der Künste und Wissenschaften.«

»Aber sprechen wir vielleicht doch von was anderem«, sagte Tadisch und gab sich nicht die geringste Mühe, ein langgezogenes Gähnen zu unterdrücken. Auf einmal reckte er sich aus seinem Kamelhaarmantel, strahlende Liebenswürdigkeit. Er hatte bemerkt, daß sich ein Herr und eine Dame zum Tisch der Frau Wenkermann und ihrer Tochter Fridolinchen hin bewegten und offenbar respektvoll um Erlaubnis baten, sich bei ihnen niederlassen zu dürfen.

»Den haben Sie also auch hier«, flüsterte Tadisch zu Hektor Schit, »den Herrn Benno Kugla, den tapferen Pazifisten und Deserteur. Hat er sich die Ola Meduna zugelegt? Unpraktisch war er nie, der Kerl. Seit wann ist er denn da?«

»Gleich nach Kriegsausbruch traf er ein. Na, zuerst hat er ja nicht viel Wesens aus seiner Fahnenflucht gemacht. Das kam alles erst nach und nach. Heut' tut er so, wie wenn er ganz was anderes wäre als die vielen Refraktäre, die schon einmal bei uns im Lande angesiedelt waren und einfach nicht einrückten. Heut' geschäftet er mit seinem offenen Bekennermut gegen den Krieg. Aber in Wahrheit verhielt sich's doch so: der Kerl war einfach zu faul und gleichgültig, unter Zuhilfenahme von ärztlichen Zeugnissen als dienstuntauglich hierbleiben zu können, wie die anderen Refraktäre, die intellektuellen Führer und Schriftsteller bei uns, fast alle. Der Kugla ist einfach aus Schlampigkeit, aus Wurstigkeit fahnenflüchtig geworden.«

»Ja, und hat er denn was zu beißen gefunden?« fragte Erich Tadisch.

»Natürlich ging's ihm zu Anfang dreckig. Aber der ist ein geborener Charakterkomiker. In den übelsten Beizen unseres ältesten und verrufensten Niederstadtviertels trat er auf.«

»Und damit war sein Wanst gefüllt?«

»Nee, der hat's noch reichlicher gekriegt. Der stieß dort auf Ola Meduna. Aber die heißt gar nicht so. Der fehlen vom Italienischen oder Spanischen gerade so viel Vorzüge, wie der Ziege vom Reh.«

»Da sieht man doch den echten Dichter«, lobte Tadisch und grinste innerlich. »Aber den richtigen Namen weiß keiner. Wird wohl aus Rixdorf oder Tegel sein. Die brauchte auch gar nicht zu desertieren.«

»In der Tat, nee«, bestätigte Schit. »Aber sie hatte Bedürfnisse. Unter anderem nach Kokain und Morphium. Mit Benno Kugla trat sie zusammen in den Spelunken auf, außerdem aber ging sie auf die Straße. Man muß doch die Kriegsgreuel und das allgemeine Menschenelend wegnarkotisieren. Und Benno Kugla, der sich, wie gesagt, mehr und mehr zum Antikriegsprotestler empordeklamiert hatte, lebte einträchtiglich mit Ola Meduna von dem Einkommen, das sie auf dem Strich erwarb.«

»Weiter nichts?« fragte wieder etwas zerstreut Doktor Tadisch, der Frau Wenkermann nicht aus dem Auge ließ.

»Das Literarische ist ja eigentlich nicht von Belang«, meinte wegwerfend Schit. »Immerhin, der Benno Kugla braute sich natürlich eine Theorie für seine Lebensführung zusammen. Es muß ihn doch irgendwie gefressen haben. Haben Sie nichts davon gehört? Nicht? Er wertete die Moral um. Er vertritt wieder einmal die Anschauung, die unter uns ja wirklich nichts Neues ist, daß man einen Zuhälter gar nicht zu verabscheuen braucht, geschweige denn eine Dirne. So eine gibt sich doch bekanntlich an alle mit ihrer beseeligenden Liebe hin, die reine Jesin!«

»Da ist schon was dran«, nickte Erich Tadisch. Auf einmal hob er sich ungelenk vom Stuhl. Benno Kugla und Ola Meduna hatten sich von Frau Wenkermann verabschiedet. Kugla, der Tadisch wahrscheinlich schon vorher erkannt hatte, tat, als er an ihm vorüberging, äußerst erstaunt, streckte ihm dann beide Tatzen entgegen und quetschte die behandschuhten Gliedmaßen Tadischs.

»Auch Sie hier bei uns? Willkommen, willkommen!«

»Fabelhaftes Buch, Ihr Umsturz der Moral«, sagte Erich Tadisch, verbeugte sich gegen Ola Meduna, setzte sich mit einem Ruck und verschwand in seinem Kamelhaarmantel. Hektor Schit unterhielt sich nach dem Weggang des Paares noch eine ganze Weile über das, was er weiter von Benno Kugla und Ola Meduna wußte. Dieweil es beiden später etwas besser gegangen sei, fingen sie unvermeidlicherweise auch an, Bücher zu schreiben. Wie sie übrigens zu Geld kamen, habe sich restlos nicht aufgeklärt. Jedenfalls solle Benno Kugla, der prinzipientreue Deserteur, mindestens zu Propagandazwecken, freilich von der Gegenpartei seines Ursprungslandes, gebraucht worden sein. Aber eben doch zu Kriegszwecken. Vielleicht möge er sogar, wenn dem Gerücht Glauben zu schenken sei, eigentliche Spionage getrieben haben. Sicher gehöre er zu den Mitarbeitern der Zeitschrift »Blendlaterne«, sei ein Subjekt des Herrn Munitionsfabrikanten Rolltür und des Herrn Magin, eines ganz berüchtigten Geheimagenten. Kurz und gut, Benno Kugla fand Zeit und Muße, ein Buch über seine Moral zu schreiben. Diese Schöpfung wurde vom findigen Verleger Moritz Schmeißinger unverzüglich erschnüffelt und mit gewaltigem Trara als »Umsturz der Moral« in die Presse geworfen.

Man nahm sehr Notiz davon. Die bürgerlichen und nichtbürgerlichen Zeitungen. Die ganzen in den Dienst solchen Kunst- und Literatenbetriebes gestellten Cliquenbrüder (dafür sorgten solche Verleger und Intellekthändler zu allererst) bliesen ins Horn und das Opus stieg im Kurs.

Ola Meduna war einmal wegen ihres liederlichen Lebenswandels von der ganz gewöhnlichen Polizei aufgegriffen und eingesperrt worden. Im Gefängnis erhielt sie kein Morphin. Die Beamten besaßen die erforderlichen medizinischen Kenntnisse über die Nöte einer Entziehungskur nicht. So litt sie tatsächlich. Und dieses Leiden, dieses animalische, äußerst gewöhnliche Wehweh lockte ihr Töne ab, die denen eines echten, sogar sozialen Gefühles mitunter verzweifelt ähnlich klangen. »Aus dem Bagno« hieß das Buch, das sie erscheinen ließ. Die literarische Claque und Clique stieß wie bei Benno Kugla ins Horn.

Dies die eine Art von Büchern, die den Kunstgeschäftsleuten damals in den Kram paßten.

Die andere Art wurde nach dem Rezept der Dadaisten verfertigt: épater le bourgeois. »Was ist Dada?« fragten sie von ihrer Kabarettbühne herab.

»Wenn man auf Herrn Schulze, Müller und Meier, aber auch auf Herrn Goethe, Schiller, Michelangelo, Dostojewski, Christus und Konsorten pfeift.«

Einstweilen gab man den Dadaismus als die einzige internationale Kunstbewegung während des Krieges aus. Als die erste konsequente Revolution, die mit jeder Romantik in der schöpferischen Welt aufräumte. Man machte die Menschheit darauf aufmerksam, daß sie sich nicht von den Genies verblüffen lassen solle, welcher Gedanke der Bewegung auch zur Internationalität verholfen habe.

Frau Wenkermann gehörte, gleich Dada, Kugla und Tadisch, zu den vom Kunsthandel Auserkorenen. Und da Erich und Isidora in ihren Äußerungen, die ja doch Resultanten ihres inneren Wesens sein mußten, übereinstimmten, so ist mühelos zu verstehen, daß Tadisch mit der Wenkermann in früheren Jahren für eine Zeitlang einig geworden war. Solche Leute finden sich mit ihresgleichen fast naturnotwendig zusammen, wenn sie sich überhaupt an jemanden anschließen. Es fällt ihnen nicht schwer, beieinander und jedes allein zu bleiben. Allerdings nur für beschränkte Frist. Die Kopulation Tadisch-Wenkermann war auf die Dauer unpraktisch. Ein paar Existenzbeschwerden genügten zum Anriß von unüberbrückbaren Klüften. Und als profitable Folge daraus ergab sich erst noch: getrennt konnten sie, wie wenn sie sich in Sehnsucht verzehrt hätten, viel besser wechselseitig Propaganda treiben, was sie unentwegt taten, trotzdem sie sich je länger je grimmiger spinnefeind wurden.


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