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17. Kapitel.
Tadisch berichtet an Dr. Leberstein allein über die Bomben des
Herrn von Wildthaußen.

Rolltür hatte gegenüber Schit doch nicht dicht halten können. Es fange an, nach Kinoromantik zu riechen, wenn man sich auf der gleichen Redaktion anonyme Briefe schreibe und mit Pulver und Blei drohe. Auch möchte er ihn darauf aufmerksam machen, daß meinetwegen ein Herr Magin sich aller nur erdenklichen kriegerischen und grobverbrecherischen Mittel, besonders vom Ausland her, bedienen dürfe. Beiläufig aber: »Quod licet Jovi, non licet …«

Schit, der zwar sonst kein Latein verstand, wurde sehr wütend und erklärte Rolltür, den Ochsen wolle der auf sich beziehen, dem es beliebe. Er nehme den Jupiter für sich in Beschlag. Im übrigen könnte er ihm über Herrn Tadisch Dinge erzählen, daß ihm seine spärlichen Haare zu Berge stünden. Er habe Dokumente in Händen, mit denen er ihn ohne weiteres zu vernichten vermöchte. Aber ein solches Verfahren sei ihm für den Burschen viel zu fein. Wenn irgendwo, dann bei ihm, wären alle Mittel gut genug, auch die des Herrn Magin. Von einer anonymen Zusendung sei nicht die Rede. Wie gesagt, wenn er schon gegen Tadisch vorgehen wolle, dann befolge er direkte Anordnungen. Es müsse so oder so bald einmal zu einer Auseinandersetzung auf der »Blendlaterne« kommen, da auch ein nur halbwegs unzuverlässiger Kunde nicht geduldet werden dürfe. Er gerate dem Tadisch auf die Schliche. Leider beiße er zu tölpelhaft auf Frauenzimmer an, sonst hätte er ihn längst überführt. Die Sache werde nachgerade zu dumm. Rolltür solle sich nicht wundern, wenn eines Tages verlaute, daß Tadisch auf dauerhafte Weise abgereist sei.

Im »Maulbeerbaum«, vor Wankelung, Wratocek und der Wenkermann schimpfte Schit ununterbrochen auf Tadisch. Es war Schit hinterbracht worden, daß ein in unserer Stadt lebender Literat einem Verleger von der Annahme seines Manuskriptes abgeraten hatte mit der Begründung, Schit habe es schon anderswo verkauft. Auch stehe Schit in bezug auf allerhand Nebengeschäfte, wie zum Beispiel auf seine Mitarbeit an der »Blendlaterne«, politisch nicht so ganz einwandfrei da. Diese Diskreditierung konnte nur von Tadisch herrühren. In der Wut äußerte Schit sich sackgrob. Ausdrücke wie »das Maul verdreschen« oder »den Sauburschen um die Ecke bringen«, wurden am Literatentisch häufig gehört, wenn auch nicht ernstgenommen.

Tadisch seinerseits lag Rolltür nun bei jeder Gelegenheit in den Ohren. Verfolgungen, von denen er fast täglich berichtete, warfen stets einen Verdachtschatten auf Schit.

Daneben fühlte sich Tadisch mehr und mehr auch durch Wildthaußen bedroht. Wildthaußen wieder, dem Tadisch seine Besorgnisse hinsichtlich Schits und Magins ebenfalls mitteilte, schürte bewußt und emsig die Angst Tadischs vor Schit. Zugleich ließ aber Wildthaußen merken, daß er selbst über Tadischs Zuverlässigkeit noch immer nicht im klaren sei, und daß er ebenso schonungslos wie der berüchtigte Magin gegen ihn vorgehen werde. Tadisch habe überdies eine Kraftprobe zu kosten bekommen. Endlich war Tadisch durch die Doppelrolle, die er spielte, immer mehr verängstigt. Eine Rolle, die ihn zwar stetsfort zum Weiterwühlen reizte, nicht jedoch seiner bisher gepflogenen Passivität und Zurückgezogenheit entsprang. Es war ihm nachgerade, wie wenn er sich seines Kamelhaarmantels entledigen sollte, der seinem heutigen, fast weltmännischen Wesen gar nicht mehr so entsprach wie ehedem, da er sich mit seinen wenigen Seelenregungen in ihn verkriechen konnte. Er lebte ja völlig aus sich heraus, vom Ich weg in die Außenwelt hinein und lernte hartnäckig in ihr mitmachen. Er wurde zusehends gelenkiger. Daß ihm dies auch wieder nicht stand, ahnte er.

Seit der Äthergeschichte hatte Tadisch einen heillosen Respekt vor Wildthaußen. So entschloß er sich denn, Doktor Leberstein den ganzen Überfall zu schildern und ihm, was er über von Wildthaußen wußte, haarklein auszuliefern.

Mit den Schmugglergeschichten fing er an. All das, was durch Agenten von Wildthaußens, die gleichfalls im Dienste Schnarps mitwirkten, in dessen Atelier gelangte, zählte er zunächst auf. Von Heerespolizisten in Uniform hatte er zu berichten, die bei Schnarp erschienen, besondere Kisten mit Doppelböden herstellten und Uhren über die Grenze schafften. Schnuller, Zahngummi, Präservativs wurden aufgekauft und mit gefälschten Plomben ins blockierte Land ausgeschafft. Hunderte von Personen mußten indirekt im Auftrag von Wildthaußens Postkarten aus Gummi verschicken. Vanilin, das für die Ausfuhr verboten war, wurde in Hunderten von flachen Holzschachteln versandt, während man Säcken mit Gips den Vanilingeruch beimengte und den kontrollierenden Beamten vorwies. Sacharin ging in Zitronenkisten und in Benzinbehältern von Autos über die Grenze. Goldaufkäufer schmuggelten im Auftrage von Wildthaußens und seiner Regierung das edle Metall, um den Kurs zum Sinken zu bringen. Ein Kaufmann für luxuriöse Damenwäsche siedelte sich im vornehmsten Hotel unserer Stadt an, stellte zwanzig Schneiderinnen ein, die nichts anderes zu tun hatten, als fertige, kostbare Wäsche zu zertrennen und damit ausfuhrfähig zu machen. Zur Munitionsfabrikation wertvoller Pfeffer wurde in größten Mengen im Lokomobil eines Schaustellers ausgeführt, der eigens zu diesem Zwecke allwöchentlich mit seiner ganzen Fahrhabe über die Grenze hinaus und gleich nachher wieder zu uns hineinfuhr.

»Endlich zur Hauptangelegenheit, die Ihre Amtsstelle schon des längeren beschäftigt, zur Bombenaffäre«, fuhr Tadisch in seinem Bericht an Doktor Leberstein weiter. »Sie waren ja persönlich gewiß nicht im Zweifel, daß die Hereinschaffung der Bomben in Ihr Land durch Kreaturen unserer Gesandtschaft und unserer Diplomaten bewerkstelligt wurde. Sie befanden sich insofern auf falscher Fährte, als Sie nicht wissen konnten, daß das Büro von Wildthaußen, des angesehenen Schriftstellers Karl Brander, das Gehirn derartiger Unternehmungen bildete. Seit Sie vom Unterzeichneten, der, wie Ihnen bekannt, ein bezahlter Agent besagten Wildthaußens ist, genauer instruiert sind, werden Sie von selbst die Spur zu verfolgen verstehen, die von dort zu den Bombenverstecken und den daran beteiligten, uns feindlichen Anarchisten führt. Sie werden gebührend einschätzen, wie sehr ich mich durch meine Angaben Ihnen ausliefere und mich hoffentlich dementsprechend vor Nachstellungen schützen, die ich mir Ihnen gegenüber schon Gelegenheit nahm, in früheren Berichten zu erwähnen. Ich werde auch am Schlusse der vorliegenden Ausführungen wieder darauf zurückkommen müssen.

Es dürfte kaum angehen, daß Sie, erlaube ich mir zu bemerken, Ihre Hand nach dem Büro Wildthaußen ausstrecken. Sie würden dort schwerlich Beweismaterial vorfinden. Und zwar, weil wir, wie Sie sehen werden, über den kleinsten Ihrer Schritte durch Ihre eigenen Polizeileute unterrichtet sind. Wildthaußen könnte rechtzeitig seine Maßnahmen treffen. Mich wollen Sie als Zeugen nicht anrufen, da ich mich auf Ihr Ehrenwort berufe, daß Sie mich nicht verraten. Ich vermöchte Ihnen selbstverständlich weiterhin keine Dienste mehr zu leisten. Einzig das Vertrauen auf Ihre Verschwiegenheit erlaubt mir, aus meiner Reserve herauszutreten. Es gestattet mir, meine Dispositionen sogar schriftlich niederzulegen. Ich gebe mich in Ihre Hand. Daß Sie dieselbe über mich halten werden, wo immer es nötig wird, gewährt mir Sicherheit. – Der Südländer Marchia, den Sie bereits in Haft halten, hatte in seiner Vaterstadt ein Comestiblesgeschäft, mußte es aber als anarchistischer Parteiführer liquidieren. Er wurde aus seiner Heimatprovinz herausspediert. Bedrängt und verfolgt, heiratete er eine Kreolin, verließ aber wiederum die Familie, um der ›Sache‹ zu dienen. Vermutlich auch, weil er sie, die Frau, nicht die Sache, los sein wollte. Hier wurde von Wildthaußen, dessen Spürnase überall herumschnüffelt, auf ihn aufmerksam, da Marchia durch eine Zeitung, die er herausgab, als Kriegsgegner und Feind seiner eigenen, südländischen Heimat, von sich reden machte. Auch lebte er mit einer gewissen Carotti zusammen, einem recht ansehnlichen Frauenzimmer, das übrigens von der früheren Ehe Marchias nichts wußte.

Ich erzähle die Angelegenheit so, wie sie mir bekanntgegeben wurde. Vielleicht bieten Ihnen Einzelheiten die Möglichkeit, weitere Spuren zu verfolgen. Nur werden Sie dort Halt gebieten müssen, wo bisher alle Ihre polizeilichen Nachforschungen an die Wand aufrannten. Dürfen doch Kuriere und Diplomaten aus staatserhaltenden Gründen auch von Ihnen nicht kompromittiert werden. Sie sehen, Herr von Wildthaußen ist selbstverständlich über die Grenze, bis an welche er herangehen darf, genau orientiert. Marchia, früher vermöglich, aber durch seine politische Tätigkeit verarmt, beiläufig ein ehrlich überzeugter Anarchist aus der Bakuninschen Schule, besaß plötzlich die Finanzen, ein Lebensmittelgeschäft zu eröffnen, welches den Firmennamen ›Marchia & Carotti‹ trug, und in dem hauptsächlich seine Landsleute kauften. Armes Volk, Refraktäre und Deserteure, die Kredit erhielten, merkwürdigerweise aber selten genug für ihre Schulden haftbar gemacht oder betrieben wurden. Ja, Marchia veranstaltete eine regelrechte Soirée für seine Leute, an die in der Zeit der schwersten Teuerung Kleidungsstücke und Lebensmittel verteilt wurden. Herr v. Wildthaußen dürfte wissen, wer die Unkosten dafür bezahlte. Marchia war auch bekannt dafür, daß er mit Maßnahmen vertraut sei, mittelst derer man Kriegsgegner und Kriegsunwillige vor dem Einrücken bewahren konnte. Ein Unzufriedener, der für seine Dienste nicht soviel wie die anderen eingelöst hatte, denunzierte Marchia schließlich bei Ihnen. Sie steckten den Burschen in Haft, mit ihm die Carotti. Beide sollen, wie verlautet, nicht besonders behutsam von Ihnen angefaßt worden sein. Ich beobachtete in jenen Tagen Herrn von Wildthaußen in höchster Aufregung. Einmal hatte er den guten Ratgeber verloren, der ihm die feindliche Armee um soundso viele Dienstfähige zu entlasten vermochte. Andererseits mußte Herr von Wildthaußen befürchten, daß mehr auskam, als ihm lieb war, welche Vermutung sich denn auch als richtig erwies.

Den Marchia hatte man unterdessen in seiner Heimat in contumaciam zum Tode verurteilt.

Sie selbst, verehrter Herr Dr. Leberstein, haben in der Folge eine ganze Reihe der südlichen Landsleute Marchias verhaftet, wo nur ein Name Ihnen angegeben wurde, der verdächtig erschien. Auch waren Bomben am Seeausfluß aufgefischt worden, die Sie und Ihre Behörde in größte Bestürzung versetzten, da man sie als für unsere Stadt bereitgehaltene Knallerbsen ansah und die Beamtensessel mitsamt den Regierungsgebäuden in Bälde in die Luft zu fliegen verspürte.

Die Bomben stammten aber von Herrn von Wildthaußen und waren für das südliche Feindesland bestimmt. In jene Gegenden reisten auch Kaufleute und sonstige Sendlinge, die sich als Agents-Provocateurs mit den dortigen Anarchisten zusammenfanden. Für von Wildthaußen stand fest, daß er auf ein gegebenes Signal hin die Revolution im Süden zum Ausbruch bringen könne.«

An dieser Stelle unterschlug Tadisch einen ihm nur zu wohlbekannten Punkt, der Doktor Leberstein auf weitere Fährten hätte führen müssen. Nämlich die Brieftaubenpost, die er selbst abzuholen pflegte und welche die direktesten und raschesten Nachrichten aus dem Süden jeweilen vermittelt hatte. Nicht, daß er den Namen des Dienstmannes Nüsperli verschweigen wollte, um so mehr als sein Name auch in anderen Akten aus dem Bombenprozeßknäuel hervortauchte. Denn Nüsperli war derjenige, der später Pistolen und Bombenpakete, ohne um ihren Inhalt zu wissen, von den Kurieren empfing und ins Büro an der Junkerstraße karrte. Nüsperli wurde deshalb als Zeuge verhört und wieder in Freiheit gesetzt, da seine selbständige Mitbeteiligung unmöglich angenommen werden konnte. Aber Tadisch brachte es immerhin nicht über sich, zu veranlassen, daß man Nüsperlis Brieftauben beschlagnahmte. Lineli hatte die Tiere wie der Vater gerne. Der ganzen, wenn auch noch so traurigen Existenz im Münsterturm oben wäre jedoch durch das Dazwischentreten der Polizei und weiterer Behörden, die sich die Ordnung genauer als schon ohnehin besehen hätten, ein Ende bereitet worden. Das Waisenamt würde die Kinder versorgt haben. Mit Ihnen die Siebzehnjährige, an die sich Tadisch fast wider Willen erinnerte.

Es war nicht erotisch, nicht pervers, darüber gab er sich Rechenschaft. Irgendetwas, ein heimliches gutes Denken, an dem er sich im stets ungemütlicher werdenden Kesseltreiben festhielt.

Und wie sonderbar es auch anmutet, des seelischen Verwandtschaftsgefühls mit Nüsperli mußte er sich beständig erinnern. So einer ging gleichfalls am Leben vorbei, war weder richtig aktiv, noch passiv, schlitterte höchstens durch eine andere treibende Kraft, die Alkoholsucht, tiefer und tiefer hinein. Und das scheue Lineli dankte Tadisch zwar, kümmerte sich aber im Grunde nicht ernstlich um ihn. Tadisch gab sich über sein gar nicht selbstverständliches Verhalten, daß ein Mensch wie er auf den Turm stieg und zum Lebensunterhalt von Proletariern beitrug, die ohne ihn gänzlich verkommen wären, nicht etwa Rechenschaft. Das in seiner Weltteilnahmslosigkeit merkwürdige Kind wühlte in Tadisch etwas von seiner eigenen Jugend auf, etwas, gegen das er, von seinem Standpunkte aus wenigstens, nicht hart, nicht vernichtend vorgehen konnte.

»Ein Polizeisoldat«, fuhr Tadisch in seinem Berichte an Doktor Leberstein fort, »gab uns im Büro Wildthaußens diskret Aufschluß über die Entwicklung der Dinge. Wie bei einem dieser verhafteten Südländer gehamsterter Zucker vermutet wurde, wie man, in einem Stalle nachsuchend, tatsächlich Zucker unter der Krippe entdeckte, aber auch ein Pferdegeschirr, trotzdem der Betreffende geleugnet hatte, selbst ein Fuhrwerk zu besitzen. Auf Drängen gab er zu, Knecht Marchias zu sein. Nun wurde im Stalle nochmals Nachschau gehalten. Man stieß auf Pakete alten Papiers und meinte lachend, die hätten wohl noch Lumpen und Zeitungen gesammelt. Dann fiel es dem einen der Schutzleute auf, daß die Zeitungen in fremder Sprache, aber nicht fertig gedruckt waren. Es fehlten Datum und Ort. Die Blätter waren aufrührerischen Inhalts, gegen den feindlichen König, gegen seine Armee, gegen den Kriegsdienst; kurz, Millionen solcher Pamphlete fanden sich dort in den herumliegenden Ballen. Die Sicherheitsmänner ließen einen Karren anspannen, und der eine von ihnen rollte in vier Fuhren mit den Zeitungsballen zur Polizeikaserne. Mittlerweise hatte der andere Wachhaltende unter dem Heu verborgene, schwerere Kisten aufgestöbert. Beim Öffnen entpuppten sich Revolver und Munition. Die Pistolen waren wohl in feindlichen, kriegführenden Staaten hergestellt, wie sie ja auch für den Feind bestimmt waren, zeigten jedoch versehentlich Inschriften meines Vaterlandes, verrieten sogar den Fabrikationsort, wo die Munition fabriziert worden war. Übrigens verhafteten Sie, Dr. Leberstein, auch Urlauber meiner Heimat, die genau die gleichen Mordwerkzeuge ungeladen auf sich hatten, ja, sich mit einem Erlaubnisschein zum Waffentragen ausgerüstet sahen. Auf diese Weise war ein Teil der Revolver in Ihre Stadt herübergelangt. Andere direkt tonnenweise in plombierten Wagen und wieder andere in Koffern unserer Kuriere.

Dienstmann Nüsperli, ein im Trunke ganz verblödetes Subjekt, der sich in seiner Stupidität um die Beschaffenheit der von ihm transportierten Lasten nicht kümmerte, mußte sie jeweilen vom Bahnhof her ins Wildthaußensche Büro spedieren. Von dort schafften sie unsere Leute weiter in den Stall des Marchia. Und von dort wieder besorgten die Refraktäre und Deserteure die Dinger, die Pakete an die südliche Grenze, wo ihre Parteigenossen, im großen organisiert, sie in Empfang nahmen. Beim Hereinschmuggeln in hiesiges Hoheitsgebiet übrigens kamen die Zeitungsballen, gemischt mit richtigen Nachrichtenblättern, an. Nur waren diejenigen provokatorischen Inhalts mit besonders geknoteten Schnüren umbunden, wurden daran von eingeweihten Grenzpolizisten erkannt und unbeanstandet an von Wildthaußen weiterspediert, während die anderen richtig überprüft und für harmlos deklariert worden waren.

Beinahe hätte sich ein Unglück ereignet. Der Schutzmann, der weiter im Heustock vordrang, stieß zuletzt auf eine längliche Kiste mit zwei Henkeln. Er hob sie an einem Ende hoch; sie entglitt seiner Hand und fiel nieder. Als man sie später öffnete, war sie angefüllt mit Handgranaten, deren jede neunzig Gramm Chloratsprengstoff enthielt. Zur Zündung dieser Ladung dienten Kapseln mit Knallquecksilber. Der Fall der Kiste hätte den ganzen Häuserblock in Staub zerjagen können.

Der Polizeisoldat soll nachträglich, nachdem er sich über die Furchtbarkeit der Lage, in der er sich befunden hatte, klar geworden war, am Gemüte erkrankt sein. Ebenso verfiel der Stallknecht, wie Ihnen bekannt ist, im Gefängnis in geistige Umnachtung, so daß sie aus seinen Angaben nichts mehr zu kombinieren vermochten. Ein anderer, der Ihnen den Weg zum Büro von Wildthaußen bis in den Stall und vom Stall bis an die südliche Grenze genau hätte beschreiben sollen, erhängte sich.

Wir wissen indessen auf unserem Büro noch mehr. Wir wissen, daß Ihre Detektive in das Kellergebäude unserer Gesandtschaft eindrangen und dort Nachforschungen hielten, bei denen sie sich entsprechende Kisten mit Granaten stillschweigend ansahen. Die gefährlichen und kompromittierenden Dinger wurden dann freilich sofort von uns weggebracht, da wir andererseits durch Ihre eigenen Leute vor Ihren etwas kühnen Unternehmungen gewarnt worden waren.

Nur gingen Ihnen unendlich viel Zeit und die wesentlichen Übeltäter verloren, die Sie immer im Gesandtschaftsgebäude suchten, wo tatsächlich kaum etwas vorgekommen war und nicht im Büro von Wildthaußen, wo sich alles konzentriert hatte. Die Leute, die heute Wildthaußen vernichtend kompromittieren könnten, so daß sich meine vaterländische Regierung nicht mehr für ihn einsetzen dürfte, sind längst über der Grenze. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge müßten Sie die größten Unannehmlichkeiten gewärtigen, wenn Sie gegen all das Verübte auftreten wollten.

Es ist Ihnen selbst ja auch vertraut, daß einigen Ihrer Staatsräte gar nichts daran gelegen sein kann, Ihre Regierung bloßzustellen. Zuckerkompensation, Gummigeschäfte und ähnliche Dinge mehr verstopfen allen gegenseitig den Mund.« Diese letzten zwei Sätze hatte Tadisch beifügen wollen, strich sie aber später. Er hütete sich vor persönlicher Meinungsäußerung.

»Wenn ich am Schlusse, Herr Dr. Leberstein, wieder auf mich zu sprechen komme, so werden Sie dies nach der Gefahr, in der ich mich befinde, falls Sie nur das geringste über meine Indiskretionen verlauten lassen, wohl ermessen können. Ich gab Ihnen allbereits Nachricht über den anonymen Brief, der mich von der ›Blendlaterne‹ her bedroht. Seither ist mir verschiedentlich aufgelauert worden. Aber auch Herr von Wildthaußen stellt mir nach und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er verwegen genug wäre, sich schließlich direkt mit der feindlichen Räuberhöhle, mit Herrn Schit in Verbindung zu setzen. Durch diese Aktion müßte er bei seiner Kombinationsgeschicklichkeit dann bald herausschnüffeln, welche Doppelrolle, vor der mir am Ende selbst graut, ich spiele.«

»Nachschrift: Es wird für Sie nicht uninteressant sein, wenn es sich auch bloß um eine Mutmaßung handelt, im Gegensatz zu den obigen Angaben, die alle auf Tatsachen beruhen, einen solchen Verdacht von mir zu vernehmen: Schon die Nähe der Wohnung des Herrn Dr. Abraham Real mit dem Atelier Schnarp und der Redaktion der ›Blendlaterne‹ weist darauf hin, daß dort Fäden hin- und herlaufen.

Noch viel wahrscheinlicher aber ist es, daß das genannte Haupt der hiesigen Anarchisten unbedingt von dem Treiben des Marchia und Konsorten Kenntnis haben mußte. Auffallend ferner ist mir die gute Bekanntschaft zwischen von Wildthaußen und Real, wie ich sie aus Telephongesprächen und aus einer Empfehlung von Wildthaußens für mich an Doktor Real ganz zu Anfang meines Hierseins konstatierte. In diesem Zusammenhang sind die Bomben- und Waffenfunde für Ihre Stadt und Regierung nicht so ganz belanglos, wenn sie auch ursprünglich ausschließlich dafür bereitgestellt worden waren, durch Ihr Land an die südliche Grenze und ins südliche Nachbarland hinübergebracht zu werden.«


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