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31. Kapitel.
Die Bestattung.

Justizminister Windfaner hatte unverzüglich nach Lektüre der von Erich Tadisch an den Untersuchungsrichter Leberstein gerichteten Briefe eine Staatsratssitzung einberufen. Nach langwieriger Diskussion unserer neun Landesväter, von denen alle außer Windfaner sich nicht davon überzeugen konnten, daß die Regierung mit der Mordaffäre etwas zu tun habe, ergriff der Justizminister das Schlußwort. Sein Gesicht hatte sich über den Verlauf der Sitzung allmählig ins Bläuliche verfärbt. Der Knebelbart reckte sich mit der Blickrichtung unter den dicken Brillengläsern nach vorn.

»Es handelt sich hier, um Gotteswillen, doch nicht um einen alltäglichen Fall. Um eines vereinzelten Verbrechens willen hätte ich keinen Staatsrat einberufen. Es handelt sich um ein tief in das politische Leben unserer gefährdeten Heimat eingreifendes Faktum. Und auch darum dreht es sich, der Öffentlichkeit bekanntzugeben, daß sich jene Gerüchte, die Ermordung des Doktor Tadisch stehe mit politischen Umtrieben fremder Diplomaten im Zusammenhang, als gänzlich grundlos erwiesen. Ich beantrage, daß der Staatsrat erklärt, er stelle dies nach Vorlegung der Akten und nach Abhörung eines Kommissionsberichtes ausdrücklich fest. Der Mord entsprang augenscheinlich rein privaten Motiven des Täters. Daß der Verstorbene aber als Publizist hohes Ansehen genoß und die Verhältnisse unseres Landes mit gesundem Sinn anschaute, dafür legte er in der Zeitschrift ›Blendlaterne‹ tagtäglich Rechenschaft ab. Da es indessen nicht unmöglich ist, daß der Verstorbene infolge gewisser politischer und anarchistischer Umtriebe, die von Osten her sich immer mehr bei uns geltend machen, den Tod erlitt, will die Regierung durch ihre Anteilnahme bezeugen, wie sehr sie sich über die Ruchlosigkeit des leider auf unserem Hoheitsgebiete sich abgespielt habenden Mordes empört. Die Regierung gedenkt, keine Mittel zu scheuen, Licht in das bisher undurchdringliche Dunkel zu bringen. Der dank dem bedauernswerten Vorfalle in eine Notlage geratenen und wissenschaftlich hochverdienten Witwe des Opfers beabsichtigt die Regierung durch die dazu nötigen Anordnungen zur Seite zu treten. Denn der Verstorbene, begabt mit einer erstaunlichen Fähigkeit, die Verhältnisse bei uns zu überblicken, sah infolge zahlreicher Reibungen mit den erwähnten dunkeln Elementen seinen unnatürlichen Tod voraus. In einem hochherzigen, von biederer demokratischer Treue erfüllten Schreiben bekundete er dem gastfreundlichen Lande, das wir immer sind, waren und sein werden, seine volle Anhänglichkeit. Außerdem leistete er dem Justizministerium durch Übermittlung wichtiger Nachrichten Dienste von allerhöchstem Wert. Die Regierung verleiht nur der schuldigen Dankbarkeit Ausdruck, wenn die Beerdigung auf Staatskosten erfolgt und wenn man sich der Witwe in gebührender Weise annimmt.«

Trotz den vorher abgegebenen Voten war keiner der Herren Minister erstaunt, daß man mit Einstimmigkeit die Anträge des Justizministers guthieß. Es pflegte immer so zuzugehen. Unsere prächtige Regierung war niemals uneinig. Kein Proporz verunstaltete sie.

Justizminister Windfaner wurde im Namen des Staatsrates an die Beerdigung abgeordnet. Die offizielle Mitteilung, daß sich die Regierung mit der Angelegenheit des furchtbaren Mordes, der auf dunkle Umtriebe im Lande hindeute, beschäftigt habe, zierte wie immer der vaterländische Gruß an alle getreuen Mitbürger.

 

Justizminister Windfaner bestellte Herrn Stäfemer-Büchli auf seine Amtsstube und eröffnete ihm den Regierungsbeschluß, dem so außergewöhnlich tragisch und heldenhaft umgekommenen Dichter Erich Tadisch sei durch eine Demonstration der bürgerlichen Einschätzung des Schöngeistigen Ehre zu erweisen.

»Sie standen natürlich dem Entschlafenen, wie allen Ihren Schützlingen, nahe?« fragte Windfaner.

Doktor Stäfemer verschwieg seinen lange verschluckten Ärger, daß Tadisch sich nicht oft bei ihm gezeigt hatte. »Ich sah ihn ein- oder zweimal bei mir zu Tische. Ich lasse mir das nicht nehmen, den jungen Leuten auch mal Gelegenheit zu geben, richtig zu futtern. Aber ich kann nicht bezeugen, daß sich Tadisch gerade gut aufgeführt hätte.«

»Wirklich? Wieso?«

»Der Kerl wollte die Handschuhe auch beim Essen nicht ausziehen. Die anwesenden Damen, immer geneigt, den Künstler mit verliebteren Augen als sonst üblich anzuhimmeln, hohoho« (Herrn Stäfemers Lachen dröhnte nur so), »fanden Doktor Tadisch originell. ›Poetische Lizenz‹, meinten die Gebildeteren unter ihnen. Aber mit der Zeit wurde seine schlechte Kinderstube doch etwas unbequem.« Bequemlichkeit schätzte Doktor h. c. Stäfemer neben seiner Betriebsamkeit über alles.

»Kannten Sie auch Hektor Schit?« fragte der Justizminister weiter.

»Wer hätte gedacht, was aus unserem einheimischen Dichtergeblüt alles hervorsprießen kann! Das war noch ein Naturbursche von Schrot und Korn. Heimatschutz in Kniehosen, hohoho! Ein Mann, der sich trotz seiner geistigen Bedeutung nicht für zu hoch einschätzte, wie unser Altmeister Gottfried Keller selig, in den ›Weißen Hund‹ oder ›Blauen Ochsen‹ zu hocken und am Stammtisch zu kannegießern. Weder verschmähte er eine würzige Zote, noch hätte er an alkoholkastrierten Getränken herumgeläppert.«

»Hatte er nicht etwa unsaubere Geschichten mit verschiedenen Verlegern?«

»Und wenn auch. So ein Schriftsteller hat's schließlich nicht leicht. Ich muß sagen, ich habe ihm selbst diverse Ehrengaben zuhalten lassen. Ich bin auch nicht unschuldig daran, daß wir, die Vau-Ka-Ge, ein paar hundert oder tausend Exemplare seiner Bücher kauften und an unsere Mitglieder verteilten. Gesunde Kost fürs Volk, Propaganda für einen wahrhaft vaterländischen Dichter. Ich muß bekennen, ich legte Wert darauf, daß an unserem Nationalfeiertag gelegentlich ein Gedicht Schits in den ›Neuesten Intelligenzkurier‹ kam. Ich war es, der Auftrag gab, einen Prolog für eines unserer Herbstfeste in Reime zu bringen.«

»Ich erinnere mich sehr gut an die mächtigen Effekte, die Sie beim Vortrag damit erzielten.«

Dr. Stäfemer-Büchli erstrahlte über das ganze Gesicht. Dann aber legte es sich in tiefe Falten. Fettpolster der Trauer quollen unter den Augen hervor. »Und dieser Schit nun, dieser Stern an unserem Dichterhimmel, er ausgerechnet mußte zum Mörder werden! Ein harter Schlag für das einheimische Schrifttum. Sensationell, fabelhaft unerwartet! Aber es erhellt, wie verheerend die Wirkungen des Weltkrieges selbst auf die gesündesten Elemente in unserem Volk ausstrahlen. Wie nahe Verbrechen und Genie beieinander verborgen ruhen.«

Der Justizminister drückte dem Präsidenten der Vereinigten Kunstgesellschaft in herzlichem Beileid die Hand. –

 

Auf der Redaktion des »Neuesten Intelligenzkuriers« sorgte Dr. Stäfemer-Büchli dafür, daß man bei Erwähnung der Persönlichkeit des Mörders Schit nicht auf die ihm von der Vereinigten Kunstgesellschaft verliehenen Ehrengaben zurückkommen möge. Wohl aber wolle man bemerken, wie sehr von seiner, von Stäfemers Seite aus, das Verdienst Erich Tadischs immer anerkannt wurde. Überdies sei der Verblichene ausersehen gewesen, im Programm des letzten unserer Vortragsabende an Stelle eines abgesagt habenden auswärtigen Autors das Wort zu ergreifen. Die größte literarische Ehrung, die unsere Stadt durch Herrn Doktor h. c. Stäfemer-Büchli (PVKG) zu vergeben hatte.

Man wird sich erinnern: Die »Blendlaterne« war Freitag, den fünften Februar in Brand aufgegangen. Samstag, den sechsten Februar hatten die Zeitungen die ersten Nachrichten gebracht, daß Doktor Erich Tadisch als Opfer seiner Pflichtausübung den Flammentod erlitten habe. Die Samstagabend-Zeitungen enthielten nur eine kurze Notiz. Gewichtige Verdachtsmomente sprächen dafür, daß ein Verbrechen vorliege. Von Schriftsteller Hektor Schit, – wie sich herausstellte, ein in vieler Hinsicht nicht gerade einwandfreies Individuum, – fehle jede Spur. Man dürfe folgern, sein Verschwinden stehe im Zusammenhang mit der Tat. Im »Neutralen Spiegel« ließ Doktor Wankelung als erster einen einfachen, sachlichen Nekrolog über Erich Tadisch erscheinen, in dem er auf seine Gedichtbände verwies und denselben, wie es ihnen zustand, einen bestimmenden Einfluß in den belletristischen Strömungen der heutigen Zeit beimaß.

Am Montagmorgen hatte die zweite Sektion mit ihrem absolut schlüssigen Gutachten stattgefunden, worüber die Presse ausgiebig benachrichtigt wurde. Man tat dies auch, damit die Polizei bei der Eruierung des vermutlichen Mörders Schit vom Publikum unterstützt werde. In den Montagabend-Blättern veröffentlichten alle städtischen Zeitungen spaltenlange Abhandlungen über den großen Zeitgenossen Erich Tadisch, befaßten sich auch mit der Verdammung des Mörders, in dessen Werken Fingerzeige nicht fehlten, daß er immer von Brutalität gestrotzt habe. Am Dienstag wurde ferner verlautbart, daß Professor Divider gemäß einer vorläufigen Mitteilung in der städtischen Ärztegesellschaft sehr scharfsinnig beleuchtete, wie die erbliche Belastung und die uneheliche Geburt Schits ein weiteres Licht auf das Zustandekommen des furchtbaren Verbrechens warfen.

Am Dienstagmorgen nahm dann die Protokollsitzung beim Untersuchungsrichter Leberstein ihren Verlauf und am Nachmittage die denkwürdige Staatsratssitzung mit der Bekanntmachung des Testamentes Erich Tadischs, anläßlich dessen unsere Regierung in der gar nicht anders zu erwartenden, hochherzigen Art und Weise die Unterstützung der Witwe und der Tochter des ermordeten Künstlers auf sich gebürdet hatte. Dienstag gegen Abend, unmittelbar darauf, setzte sich Justizminister Windfaner mit Doktor Stäfemer in Verbindung und bat ihn, im Namen des Staatsrates die Bestattungsfeierlichkeiten für den nächsten Mittwoch zu organisieren. Die Dienstagabend-Blätter fanden das Programm dieser Feier bereits zu bringen Gelegenheit, enthielten auch persönliche Erinnerungen an den zu früh Verblichenen, welcher der Welt noch Größeres geschenkt hätte. Ebenso veröffentlichten sie eine Einsendung des Verlegerverbandes, gezeichnet O. Rt., der die zahlreichen Betrugsversuche des grauenhaft korrumpierten Mörders der Öffentlichkeit bekannt gab. Man habe nun keinen Anlaß mehr, den stets unangenehmen und seine wahre Verbrechernatur im Grunde zu verleugnen unfähig gewesenen Autor zu schonen. Die Empörung unserer Stadt zeigte sich allgemein. Das Interesse an diesem Verbrechen, das absolut auf die Zerstörung aller sittlichen Begriffe durch die revolutionäre und anarchistische Propaganda hinwies, gelangte, wo man hinhorchte, zum Ausdruck.

Frau Tadisch-Wenkermann erhielt Kränze über Kränze, Beileidsbezeugungen von jedermann, der auch nur den geringsten Anspruch darauf machte, literarisch gebildet zu sein. Und das waren schon mindestens die mehreren tausend Mitglieder unserer Vereinigten Kunstgesellschaft.

Mittwoch, den zehnten Februar, nachmittags halb vier Uhr, setzte sich der Trauerzug von der Leichenhalle des pathologisch-anatomischen Institutes, wohin die sterblichen Reste Doktor Tadischs wieder verbracht worden waren, nach dem stillen Friedhof auf dem Stadtberg in Bewegung. Voran unsere Bürgerwehrmusik, mit schwarzen Bändern um die Trompeten, mit umflorter Fahne. Es blies ein Föhnwind, und der vorsorgliche Doktor Stäfemer hatte den Einladungen und Ordnungskarten für den Trauerdienst die Mitteilung anfügen lassen, daß sich das Anziehen von warmen Kleidungsstücken empfehle.

Die Musik schritt in ihren prächtigen Phantasieuniformen einher, froschgrün, mit karmesinroten Husarenschnüren über der Brust. Auf den Tschakos Federbüsche in den Farben unserer Stadt, blaurotschwarz.

Ja, unsere Stadtfarben! Man sah sie noch einmal im Zug auftauchen, in Gestalt zweier zehnjähriger Knaben, welche die Kordeln der mächtigen Akademiafahne in Händen hielten, ebenso wie der Bannerträger eine dazugehörige Schärpe.

Wie kamen eigentlich die Studenten dazu, am Begräbnis Erich Tadischs mitzumarschieren? Es war auch etwas Außergewöhnliches. Aber Doktor Stäfemer hatte sich gesagt, daß es im Interesse der Öffentlichkeit und gegenüber dem leidtragenden Gesandten am Platze sei – der diplomatische Vertreter des Ursprungslandes Tadischs hatte der Witwe seine Karte geschickt – der allgemeinen Teilnahme auch äußerlich möglichst demonstrativ Ausdruck zu verleihen. Desgleichen entspreche es den Intentionen unserer Regierung. So erklärten sich die Professoren der philosophischen Fakultät, – Doktor Tadisch hatte tatsächlich in einigen Vorlesungen hospitiert – gerne bereit, dem akademischen Bürger die letzte Ehre zu erweisen und die studentischen Delegationen im Namen der Universität abzuordnen.

Herr von Wildthaußen zeigte kein Interesse daran, das, was er über den Doktorhut Erich Tadischs zu offenbaren vermocht hätte, publik zu machen. Und außer ihm wußte ja darum nur ein einziger anderer, Hektor Schit, der Mörder. Ludwina von Lampels Kombinationsgeist reichte für akademische Spitzfindigkeiten nicht aus.

Es war bei allem Föhn eine recht freundliche Februarsonne, welche der Pracht alter Burschenherrlichkeit, wie sie so hinter der Musik vor dem Sarge herschritt und mit blitzenden Schlägern rasselte, zum Durchbruch verhalf.

Dann kam der Sarg. Nach ihm zwei Wagen, über und über mit Blumen und Kränzen bedeckt. Hernach die Vertreter der Regierung, Justizminister Windfaner, Kultusminister von Schloßwil. Die sämtlichen Beteiligten ausnahmslos in Zylinder. Neben ihnen in Uniform als Vertreter des vaterländischen Gesandten Erich Tadischs der Militärattaché, ordenbedeckt. Weiter die Delegierten unserer Universität, unsere Experten, die Professoren Bäuchlings und Divider mit ihren Assistenten, die Literaturhistoriker, aber auch die vielen anderen Leuchten unserer Wissenschaft. Ferner Abgeordnete des Landgerichtshofes und des Amtsgerichts. Und endlich in langem Zuge mehrere hundert Mitglieder unserer Vereinigten Kunstgesellschaft mit ihrem Präsidenten Doktor Stäfemer. Unter ihnen der Verleger Rundhaupt, sein derzeitiger Sozius Schmeißinger, Munitionsfabrikant Rolltür, Schnarp, Kugla, Doktor Wankelung.

Einzig Karl Brander (von Wildthaußen) fehlte. Er hatte sich vormittags bei der Witwe persönlich entschuldigt. Er sei zu erschüttert. Seine Füße trügen ihn kaum mehr. In der Tat begegnete man ihm am folgenden Tage nirgends. Weder im Kaffee noch sonstwo. Ein prächtiger Kranz aus weißen Lilien stammte von ihm. Niemand vermißte Herrn Brander in der aufgebotenen Pracht. Die Vereinigte Kunstgesellschaft hatte ihren Bannerherrn mit umflorter Fahne ausgesandt. Ein prunkvolles Wahrzeichen, daß inmitten der Stadtfarben auf der einen Seite eine gestickte Leier, auf der anderen eine Palette mit bunten Ölfarbwürstchen aufgestickt hatte.

Den Schluß des Zuges bildeten etwa dreißig herrschaftliche Kutschen. Es war eine gute alte Sitte bei uns, daß die vornehmen Familien, die aber ihren Schmerz zu Hause verbargen – es machte sich bequemer auf diese Weise – wenigstens ihre wappengeschmückten Karossen an die offiziellen Begräbnisse schickten. Es wurde jeweilen von den Frauen unserer Bürger die Zahl dieser Wagen genau festgestellt. So viele hatte man schon lange nicht mehr hintereinander auffahren sehen. In der vordersten saßen allerdings die trauernde Witwe und Fridolinchen, ihnen gegenüber Wratocek sowie endlich Magister Fauner mit dem Stelzfuß.

Manches bekümmerte Gesicht traf man da! Manches teilnahmsvolle Gespräch wickelte sich im Verlaufe des traurigen Ganges auf den Stadtberg ab. Die Professoren Bäuchlings und Divider unterhielten sich darüber, ob man es für notwendig erachten solle, in der Fakultät einen Dozenten für Geschichte der Medizin zu ernennen. Divider redete dafür, da der betreffende sein Korpsbruder (Mysloburgiae!) gewesen war, Bäuchlings dagegen, weil er eine Dozentur für einen seiner ehemaligen Assistenten (Boxussiae!) befürwortete. Er hatte dabei seine Zwirbeldrüsenforschung im Auge.

Der uniformierte Militärattaché, von den beiden Ministern kommentmäßig in die Mitte genommen, fragte, nachdem man einiges über den Schmutz auf der Straße und das zum Glück günstige Wetter, über Grippegefahr und ähnliches verhandelt hatte, unvermittelt: »War Tadisch eigentlich Jude?«

Etwas verlegen antwortete Windfaner: »Halb und halb. Väterlicherseits war er Christ.«

»Und war der Mörder – äh – wie heißt er gleich, – na, ganz egal, – war der Jude?«

»Ich glaube nicht, Herr Hauptmann. Bei seiner unehelichen Abstammung kann man es zwar nicht wissen. Er trug aber, wenn man es näher bedenkt, ganz die Rassenmerkmale eines Ariers.«

»Viel Ehre für unsere Lait«, machte der Attaché mit einer Handbewegung nach dem Trauergefolge.

Und alle drei lachten, falteten aber ihre Gesichter sofort wieder zum Ernst. Der Attaché blieb allerdings angeregt und erzählte eine vollständige Serie neuer jüdischer Witze, zu welchen sich die beiden Minister das Lachen nur schwer verbeißen konnten.

»Ganz kurzweilig, so ein Begräbnis«, schloß man, als man vor dem Friedhof anlangte.

Bei den Kunstklüblern hinten hielt die Stimmung eine Zeitlang recht würdevoll an. Wohl flüsterte etwa der eine zum andern: »Was hat er eigentlich geschrieben?«

Und er bekam ungefähr zur Antwort: »Bedeutende Gedichte, sehr bedeutende Gedichte.«

»Was, nur Verse?«

Aber man fügte dann doch hinzu, es sei schade, daß es immer die guten und hervorragenden Menschen treffe in einer Zeit, in welcher so Not an geistigen Führern bestehe.

Doktor Wankelung schritt bedrückt vor sich hin. Er war aufrichtig bekümmert.

Kugla, neben ihm, fragte plötzlich: »Kennen Sie den famosen Text zu Chopins Trauermarsch, den sie da so verzweifelt blasen?«

Wankelung schüttelte den Kopf.

»Durch die Wüste der Saha–arah, geht der Nathan mit der Sa–arah – Er verkaufte Hosen-fua-ua-utter. Sie war seine Schwia-schwiegermuuutter.«

Es gab noch weitere zwei Strophen, die Kugla zur Belustigung der ringsum Schreitenden rezitierte, da Wankelung nicht zuhörte.

Andere waren übrigens auch in Gedanken vertieft. Rundhaupt rechnete aus, ob er noch Exemplare der Bücher Schits in seinem Laden habe und daß er dieselben möglichst rasch an ein Warenhaus verramschen müsse. Dagegen wolle er sofort ein Schaufenster mit den Werken Tadischs ausfüllen, womöglichst auch eine Photographie hineinstellen.

Am einsilbigsten verhielten sich Doktor Stäfemer an der Spitze des Zuges und Magister Fauner in der Kutsche, da sie ihre Reden memorierten.


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