Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

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Festgedanken.

Herrn Wippchen in Bernau.

Auf Ihre freundliche Anfrage, welcher Krieg uns angenehm sei, – Sie begleiten Ihre Anfrage mit einer Liste von Kriegen, unter denen wir aussuchen sollten, – teilen wir Ihnen mit, daß uns nicht nur keiner besonders gefallen hat, sondern daß wir uns auch entschlossen haben, in der Weihnachtswoche überhaupt keinen Kriegsbericht zu bringen, ganz abgesehen davon, daß Sie uns höchst rätselhafte Kriege anbieten, Kriege zwischen Staaten, denen es nicht im Traum einfällt, übereinander herzufallen. Auch Ihnen wird eine Pause angenehm sein, und so bitten wir Sie denn um einen Festartikel, wie er sich für die Weihnachtswoche besser eignen würde. Im kommenden Januar können Sie dann um so gestärkter zu Ihrem eigentlichen Fach zurückkehren.

Ergebenst

Die Redaktion.

*

Bernau, den 20. Dezember 1903.

Auch mir ist es sehr angenehm, mich in diesem Augenblick mit einem Festartikel beschäftigen zu können. Denn 140 wenn mir auch der Kriegsmantel, der in Wallensteins Lager ein so beliebtes Garderobenstück bildet, eine ziemlich gute Monatsgage sichert, und wenn mir auch der Mantel der Monna Vanna lieber ist, auch wenn sie ihn nicht trägt, so stimme ich doch darin mit Ihnen überein, daß ein Kriegsbericht zum Weihnachtsfest paßt, wie die Pferde zum Automobil, der Sadismus zur Kotillontour, oder das Dynamit zum Nobelpreis. Ich bin von Natur ein friedlicher Charakter, und wer meiner Mutter, als sie meiner genesen war, prophezeit hätte, daß ich einst unter die Kriegsberichterstatter gehen würde, der wäre ganz gewiß wie ein Sperling aus der Wochenstube geflogen und hätte von Glück piepsen können, daß er mit heiler Spatzenhaut davongekommen sei. Als ich dann, eigentlich ein Feind von Visiten, die Schule besuchte, marschierte ich mit meinen Schulkameraden getrennt, schlug mich aber nicht mit ihnen vereint, im Gegenteil wich ich zurück, wenn ich sah, daß die Feinde mit Hinterknüppeln und anderen bewährten Waffen versehen waren. Dies war eine Frucht strenger Erziehung. Mein Vater verstand Französisch besser als Spaß, und als ich das erste und einzige Mal als Sieger über eine Kompagnie Quintaner nach Hause kam und er sah, daß ich nicht mit blauer Jacke davongekommen war, behandelte er mich mit Überlegung über seine Knie und schlug mir einen Teil voll, ohne welchen selbst der zu lebenslänglichstem Kerker Verurteilte nicht sitzen könnte. Haben Sie mich verstanden? Ich meine einen Teil, dessen Hälfte in Oberitalien fließt und in das Adriatische Meer mündet. Oder richtiger: ohne welchen der bekannte mexikanische Vulkan nur Catépetl hieße, womit er sich 141 allerdings völlig begnügen könnte. Begreifen Sie jetzt nicht, was ich meine, so kann ich dies nur loben. Mein friedlicher Sinn, den ich mit dem Nestleschen Kindermehl eingesogen habe, war es wohl auch, der mich veranlaßte, der Ehe – verzeihen Sie das harte Wort! – auszuweichen, denn ich fürchtete, daß es auch in meiner Ehe nicht an Streit fehlen würde. Ich verehre das weibliche Geschlecht, denn das Ewig-Weibliche zieht auch mich wahrlich nicht hinab, und dennoch habe ich mich keinem Standesbeamten in die Arme geworfen, sondern trat in den heiligen Junggesellenstand. »Hagestolz will ich den Spanier!« könnte König Philipp von Posa sagen. Aus allem Gesagten geht hervor, daß ich ein Mann des Friedens bin, wenn mich mein Beruf auch zwingt, Ströme Blutes fließen zu lassen. Daher muß ich Ihnen auch noch sagen: Sie schreiben, daß ich Ihnen Kriege zwischen Staaten anböte, denen es nicht im Traum einfiele, übereinander herzufallen. Ich schüttelte mich vor Lächeln, als ich das las. Denn in der Tat gibt es keinen Staat, der nicht mit Vergnügen über einen anderen herfallen möchte, und heute lieber als morgen. Ich kann zu Ihrem großen Bedauern hiervon nichts zurücknehmen.

Nun naht das holde Weihnachtsfest. Mit Wehmut gedenke ich der Tage meiner Jugend, da ich mich so auf das freute, was mir der Tannenbaum bringen würde. Er brachte mir nichts als unzählige grüne Nadeln, aber ich hatte mich doch gefreut und beklagte mich nicht, denn das litt mein Vater nicht. Er war ein herrlicher Mann, der ganz gewiß sparsam gewesen wäre, wenn er etwas gehabt hätte. Immer noch muß ich daran denken, wie 142 zart er meine Wünsche zu befriedigen wußte, wenn er nicht in der Lage war, sie zu erfüllen. Ich hatte mir einen Nußknacker gewünscht. Am Weihnachtsabend sah ich mich nach dieser Figur um, aber soweit schon damals mein Auge reichte, war kein Nußknacker zu entdecken. Als dies mein Vater sah, führte er mich an die Stubentür und sagte: »Hier, Du Schlingel, hast Du einen Nußknacker.« Dann gab er mir eine Nuß und fuhr fort: »Nun öffne ich die Tür, stecke die Nuß zwischen Tür und Angel und indem ich sie schließe, wird die Nuß geknackt.« Und so geschah es auch, und heute noch fällt mir diese freundliche Geschichte ein, wenn ich eine Tür sehe und keine Nuß habe.

Sie wird mir auch einfallen, wenn morgen oder übermorgen der Geldbriefträger meine Tür öffnet und mir 60 Mark Vorschuß bringt. Bitte, sorgen Sie dafür, daß er nicht mit leeren Händen komme. Es wäre ihm denn doch zu schmerzlich.

Nun wünsche ich Ihnen vergnügte Feiertage. Möge der Tannenbaum ein Füllhorn werden, von dessen Gaben überschüttet, Sie völlig verschwinden!

*

Zum Fest

Berlin, den 21. Dezember 1903.

W. Menschengewühl. Buntes Durcheinander. Obschon es kühl ist, weht doch der Wind wie warm. Das Wunder vollbringt das Erscheinen des herrlichen Festes. Hunderttausende stürzen sich in die Wellen des elektrischen Lichts. Jeder sucht etwas, um Kinder, eine Gattin, eine Braut, 143 eine Schwiegermutter, einen Freund, ein Dienstmädchen, den Hausarzt, eine Nichte oder ein anderes ihm ans Herz gewachsenes Wesen zu erfreuen. Alles erinnert an das Fest. »Feste Preise« lesen wir in den Schaufenstern. Im Gedränge bekommt man Püffe, man entschuldigt sich, das Hühnerauge wird von einem Fußtritt geblendet, man bittet um Vergebung. Das Automobil grunzt, die Straßenbahn faucht, überall Fröhlichkeit. Und über dem Ganzen wölbt sich der von Sternen wimmelnde Himmel und der Mond lächelt herab auf mehr oder weniger Gerechte und Ungerechte, einerlei, ob sie acht Postkarten für zehn Pfennige oder »Briefe, die ihn nicht erreichten« kaufen. Wer denkt heute an die Sorgen des Lebens?

Ich sage: Niemand. Und niemand bezweifelt es.

Es wäre schön, wenn es so bliebe!

Wird es so bleiben? Es ist mir, als schütteltest du mit dem Kopf, und ich fürchte: mit Recht.

Das herrliche Fest ist nur eine Episode, die Feststimmung zerrinnt. Noch einige Tage, und wir sind wieder mitten im Alltagsleben, und statt in den Augen der Nebenmenschen, was sie sich Schönes wünschen, lesen wir in den Zeitungen die Leitartikel und ist wieder alles beim Alten, den wir im Strom der Freude verschwunden wähnten. Und in der Flucht, welche die Erscheinungen zu ergreifen pflegen, vermissen wir den ruhenden Pol, das schöne Weihnachtsfest.

Zwei Tage lang schweigt die Politik, welche 363 Tage lang den Mund nicht hält, den ihr keine andere Macht halten kann, als sie selbst. Kaum aber sind die zwei Tage in das tagereiche Meer der Ewigkeit gesunken, so 144 ruft unser Reichskanzler Bülow wieder seine zwei letzten Buchstaben aus, denn wieder muß er sich in das Getümmel der Parteien – ach, wenn sie doch wirklich nur ein Paar wären! – stürzen, wieder gründet Bebel an dem Zukunftsstaat herum, wieder werden Dreibund und Dreyfus als brennende Fragen kalte Wasserstrahlen erforderlich machen, wieder werden in dem Löwengarten der Politik die Mandschurei vom Altan zwischen den Tiger und den Leu'n mitten hineinfallen. Wieder werden wir auf einem Pulverfaß tanzen, und in jedem Augenblick kann der Blitz aus heiterem Himmel als zündender Funken fallen und dem Pulverfaß den Tanzboden ausschlagen und alles in die Luft fliegen wie Ikaros mit Wachsflügeln. Zwischen Lipp' und Kelchesrand schwebt die Tür des Janustempels, welche immer nur angelehnt ist und grade dann, wenn wir an nichts Böses denken, viel plötzlicher, als die Sonne, die Saaten, der Kuchen, ein Licht, oder ein Haus in Flammen aufgehen kann.

Aber wir wollen uns das Wässerchen der Feststimmung heute nicht trüben lassen. Kein politischer Mißklang soll sich in die Töne des Waldteufels, der Knarren und der Schreipuppe mischen, welche dem Kindchen Papa und Mama entgegenjubelt. Wir wollen nicht hoffen, daß der Frieden so leicht zerstört werden wird, wie alle Pfefferkuchen, von denen in einer Woche wenig mehr vorhanden sein wird als ein verdorbener Magen. Schon freuen sich jung und alt auf den Donnerstagabend, auf den Moment, wo die auf einen grünen Zweig gekommenen Kerzen mit den Augen um die Wette leuchten und die kühnsten Wunschzettel erfüllt werden durch Gaben, welche als 145 simpler Hampelmann und Gattin und als wegen ihrer Bezahlung so schwere goldene Ketten unter dem Baum ausgebreitet liegen. Denken wir nicht weiter an das, was nach dem Fest kommen wird, sondern freuen wir uns des Festes, welches eine Pause bedeutet, wie sie politikfreier nicht gedacht werden kann. Und wollen wir uns eine besonders reine Freude bereiten, so wollen wir denken: Wie schön wäre es auf und in der Welt, wenn wir alljährlich 363 – im Schaltjahr 364 – Tage Weihnachten und nur zwei Tage politisches Leben hätten!

Kein Lamm ist so fromm wie dieser Wunsch! Wie wir uns den Kopf zerbrächen, wir würden keine Desideria finden, welche den Titel Pia mit mehr Recht tragen dürften. 146


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