Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IX.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir erlauben uns, Sie zu bitten, uns regelmäßiger zu schreiben und keine lange Pausen eintreten zu lassen. Gern geben wir zu, daß dem deutschen Publikum die Ereignisse in Ostasien sehr fern liegen und daß eigentlich nur die Börse sich für den Krieg interessiert, weil er einen Einfluß auf die Kurse ausübt. Dennoch darf die Rubrik auch für den Leserkreis außerhalb der Börse nicht länger als acht Tage leerstehen. Denn Krieg ist Krieg und immer wird auch der fernstliegende die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Sie wissen somit, was Sie zu tun haben.

Nur noch eine Frage: Weshalb machen Sie uns die Mühe des Umrechnens, wenn Sie um Vorschuß ersuchen? Sie bestellen die betreffende Summe entweder in Yen oder in Rubeln. Sagen Sie, bitte, doch künftig einfach: So und so viel Mark.

Ergebenst

Die Redaktion.

*

Bernau, den 16. April 1904.

Es ist schwer wie ein Ambos, wie aller Anfang und wie der auf Carlos liegende Himmel von Madrid, 58 vielleicht schwerer, es Ihnen recht zu machen. Überspülte ich Ihr Publikum mit Berichten, so überfüttere ich es mit fallenden Würfeln, halte ich es knapp, so sagen Sie mir die Bärenhaut, auf der ich liege, auf den Kopf zu. Aber wer mich auf der Bärenhaut liegen sähe, der möge mit einem Augenarzt sprechen, denn seine Augen sind entgleist, sehen ein X für ein U, oder eine Wüste vor lauter fehlenden Bäumen nicht. Denn es fällt mir nie ein, mich in den Kissen einer Bärenhaut umherzuwälzen, ich bin ein geborener Fleißlenzer, und niemals denke ich daran, mein Dintefaß in den Schoß zu legen, obschon mir wohl der Beatus zu gönnen wäre, fern vom Procul negotiis den jetzt knospenden Frühling zu genießen, anstatt Ihnen aus der schwülen Zimmerluft Schlachten zu liefern, was mich oft bis in die Nacht hinein an den Schreibtisch fesselt.

Ein Lichtblick in Ihrem werten Brief sind die Worte: »Sie wissen somit, was Sie zu tun haben.« Allerdings, das weiß ich, wie der Großinquisitor vor dem Fallen des letzten Vorhangs in dem bereits zitierten Carlos, nachdem der König ihm gesagt hat: »Tun Sie das Ihre.« Um in diesem Kriege im Lügen, in der Erfindung von Enten, in der Handhabung der Finger, aus denen Ereignisse gesogen, und in dem Einatmen der Luft, aus der die Siege und Niederlagen gegriffen werden, Schritt halten zu können, sowohl mit meinen russischen, als auch mit meinen japanischen Kollegen, übe ich mich jetzt im Lügen und Erfinden. Übung macht den Meister, sage ich mir, und darum lasse ich keine Lüge unversucht. Heute z. B. mahnte mich meine Wirtin um die Märzmiete, da ich ihr das Versprechen abgenommen habe, daß sie mich immer erinnern solle, 59 wenn ich ihr die Miete schuldig sei. Sie ist eine ordentliche Frau und erinnert mich, so oft ich ihr Schuldner bin. Heute nun vertröstete ich sie, indem ich ihr sagte: »Ich werde nächstens eine gute Einnahme haben, da ich für einen Verleger jetzt den – verzeihen Sie das harte Wort! – Code Napoléon in Reime bringe.« Sie war entzückt und schwieg vertröstet. Dann ging ich in die Bahnhofsrestauration und erzählte dort den Gästen, der Bundesrat habe, um dem Anwachsen der Ehescheidungen entgegenzuwirken, einen Antrag eingebracht, der Reichstag möge die Einführung der Vielbräuterei beschließen. Der an alles denkende Reichskanzler sei der Ansicht, daß der Mann seine Zukünftige besser kennen lerne, wenn er mit ihr verlobt sei, er habe also Gelegenheit, unter etwa einem Dutzend Bräuten die richtige herauszuwählen, mit der er dann vor den Standesaltar treten, während er, wenn er sich zwölf mal nacheinander verlobe, zu alt würde, falls vielleicht erst die zwölfte die richtige sei. Die anwesenden Gatten waren sehr traurig und lobten das Gesetz, indem sie auf das Wohl des Reichskanzlers einen Mampe tranken. Als ich dann auf dem Heimwege einen alten Bekannten traf, fragte ich ihn, ob er schon gehört habe. Nein, antwortete er der Wahrheit gemäß. »Nun,« fuhr ich fort, »die russische Flotte ist vor Port Arthur so unglücklich in die Luft gesprengt worden, daß sie beim Niederfallen die japanische Flotte zerstörte. Infolgedessen ist die Tür nicht weit, vor welcher der Frieden steht.«

So bilde ich mich allmählich zum besten der lebenden Kriegsberichterstatter heraus. Schon in einigen Tagen werde ich die Enten vom Blatt spielen und die kurzen 60 Beine, welche die Lüge bisher hatte, zu wahren Riesenbeinen verlängert haben. Damit verfolge ich einen ethisch hervorragenden Zweck. Indem ich nämlich die Leser daran gewöhne, mir vertrauensvoll keine Silbe zu glauben und meinen Worten in der zuvorkommendsten Weise Unglauben zu schenken, zwinge ich nicht nur meine Kollegen, sondern auch die russische und japanische Regierung, in Zukunft das Flunkern zu lassen, das Publikum nicht mit aufgebundenen Bären zu ängstigen und ihre Berichte, bevor sie sie veröffentlichen, aus dem Jägerlateinischen in die geliebte Zunge der europäischen Leser zu übersetzen.

Wenn Sie mich schließlich in Ihrem geschätzten Schreiben auffordern, meinen Vorschuß fortan in Mark zu erbitten, so erfülle ich Ihren Wunsch sofort, indem ich Sie um einen solchen von 40 M. (also statt Y. oder R. einfach M.) zu ersuchen. Ich sehe ein, daß Sie im Recht sind, und daß es immer Ihr gutes Recht ist, den Vorschuß in deutscher Reichsmünze einzuzahlen, wie den heutigen von einem halben blauen Schein.

Nach einem schönen Frühlingstag ist es auch hier wieder kalt geworden. Mir kommt es vor, als bekämen wir in diesem Jahr früh Weihnachten.

*

Port Arthur, den 14. April 1904.

W. Wie der Leser sieht, bin ich wieder hier eingetroffen, denn es scheint mir doch, daß sich hier die hohle Wassergasse befindet, in welcher der japanische Tell auf den russischen Geßler lauert, um ihn vom hohen Pferde herunterzuschießen. Aber man darf nicht annehmen, daß 61 damit der letzte Pfeil die Armbrust verlassen wird. Denn gestern war Japan der Tell, morgen wird Rußland der Tell sein. Auf dem ostasiatischen Kriegstheater ist wie auf jedem großen Hoftheater diese Rolle doppelt besetzt, wie es zwei Küßnächte gibt, zu denen beide Geßler unterwegs sind, um sie nicht zu erreichen. Aus diesem Kriege wird keiner der beiden Geßler mit einem Auge davonkommen, das auch nur halbwegs blau sein wird, und wenn die Friedenspfeife in Brand gesteckt ist, wird kein Raucher mehr zum Paffen da sein. Man kennt ja die Geschichte der beiden Löwen, von welchen nur die beiden Schwänze auf dem Kampfplatz übrig blieben. Sie werden beide untergehen, aber nicht wie die Sonne, die am andern Tag wieder auf den Beinen ist. Es wäre ein Glück für beide, wenn sich eine europäische Macht fände, welche sich dazu herbeiließe, die Tür des Janustempels zu schließen, eine Tür, die sich nicht von selbst schließt. Entweder Intervention, oder Untergang beider. Ein drittes Tertium gibt es nach meiner Meinung nicht, das non datur steht fester als irgend eine Campanile.

Der gestrige 13. April ist ein schwarzangestrichener 1. April des russischen Kalenders.

Noch hatte der Hahn nicht ausgekräht, als die japanischen Torpedoboote schon gegen den Hafen demonstrierten, indem sie den Eingang zum Hafen mit jenen unfreundlichen Minen spickten, in welchen nichts Gutes zu lesen ist. Dann vereinigten sie sich mit dem Hauptgeschwader, welches vorging, um die russische Flotte zu bewegen, den Hafen zu verlassen. Das tat sie auch und dampfte ahnungslos auf den Leim. Sie hat es zu bereuen. Das 62 schwer auszusprechende Panzerschiff »Petropawlowsk« stieß auf eine Mine und flog in die frische Morgenluft, mit ihm das gleichfalls nicht leicht zu behaltende Torpedoboot »Straschny«. Man kann sich die Freude der Russen denken, als hier bekannt gemacht wurde, die beiden in die Luft geflogenen Schiffe seien japanische gewesen. Der vorhandene Sekt wurde schon zum Frühstück ausgetrunken. Alles umarmte sich, überall hörte man die Nationalhymne, und wenn es nicht heller Tag gewesen wäre, so hätte man die Stadt an allen vier Ecken illuminiert. Aber bis in die späte Nacht hinein dauerten Jubel und Verjubeln und durchzogen die Kosaken singend die Straßen, fortwährend schreiend: Nach Tokio!

Um so schlimmer war der Rückschlag, als dann die Wahrheit bekannt wurde. Das sind die bösen Folgen der Ehre, welche man nicht der Wahrheit gibt, und des Dunkels, in welchem man die Öffentlichkeit läßt. Die Bevölkerung ging traurig umher und blickte in die Luft, um zu erforschen, ob nicht wieder ein Schiff in dieselbe flog, und um nicht mit einer neuen Siegesnachricht hintergangen zu werden. »Nun glaube ich an keinen japanischen Panzer mehr, der untergegangen ist,« sagte mir heute ein Port Arthurer in einer Stehwutkihalle, »ich muß den Grund sehen, zu dem er ging. Bis man mir den nicht zeigt, rufe ich bei jedem russischen Erfolg, den man uns meldet: »O weh, o weh, die Japaner haben wieder gesiegt!«

Nachdem den Russen nun das Licht, hinter das sie durch die falsche Siegesnachricht geführt worden sind, aufgegangen ist, setzen sie ihre Hoffnung auf den Krieg zu 63 Lande. Ihre Hoffnung auf einen entscheidenden Sieg auf dem Wasser ist zu diesem geworden, nun erwarten sie eine Niederlage der Japaner, wenn sie mit den Russen in Korea zusammenstoßen wie ein Zweirad mit einem Automobil, d. h. aufgerieben werden, wie ein Meerrettig zu Kren, oder wie Getreide zu Mehl. Dann würde kein Japaner weder das nackte, noch das bekleidete Leben retten, um daheim erzählen zu können, wie unbesiegbar der Russe und wie schlecht mit ihm Kirschenessen sei. Nun das Wasser, auf dem die Zukunft der Japaner zu liegen scheint, den Russen bis an den Hals geht, erwarten diese das Heil von einer großen Schlacht auf dem Festland. Aber wenn diese Schlacht von den Japanern gewonnen wird? Das Wetter des Schlachtenglücks ist wendisch. Fortuna wird ja als ein wundervoll gewachsenes Weib dargestellt, aber sie kann auch schief gehen. Wenn Du glaubst, sie lächle Dir, so hat sie Dir den Rücken gedreht, oder eine Nase, und sie eilt untreu zu Deinem Feind und schenkt ihm ihre Gunst. Die Erfahrung lehrt, daß man die Schlacht nicht vor dem Abend loben darf. Selbst Napoleon glaubte am Mittag, er habe die Schlacht gewonnen, und abends hat er dann nichts geschlagen, als eine Brücke über die Beresina.

Ich glaube mit Gewißheit annehmen zu können, und wiederhole es: Aus diesem Kriege wird kein Sieger hervorgehen, beide werden im Gegenteil hervorfliehen und es bedauern, sich auf das teuerste Abenteuer der neuen Geschichte eingelassen zu haben. 64


 << zurück weiter >>