Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

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VIII.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir geben gern zu, daß Ihre Aufgabe, Ihre Feder mit der ostasiatischen Begebenheit zu beschäftigen, keine leichte nicht nur, sondern sogar eine überaus schwierige ist. Denn die von dort eintreffenden Nachrichten sind ungemein unsicher, widersprechen einander, sind unzuverlässig und verdienen keinen Glauben. Es wird uns und also auch Ihnen schwer, das Wahre vom Unwahren zu scheiden und das Publikum auch nur oberflächlich mit dem Gang der Ereignisse bekannt zu machen. Aber Ihr Vorschlag, Ordnung zu schaffen, ist trotzdem nicht annehmbar, Sie wollen Ihre Berichte so einrichten, daß je nach Belieben des Setzers oder des Korrektors statt des Worten Russen Japaner und umgekehrt statt Japaner Russen gesetzt wird, je nachdem die zuletzt durch das Depeschenbureau eingetroffenen Nachrichten dies nützlich erscheinen lassen. Dazu können wir uns nicht entschließen. Wir haben Ihren letzten Bericht in dieser Weise verändern wollen, fanden aber, daß er dann wie wahnsinnig erscheinen, den Leser wenigstens unheilbar verwirren würde. Seien Sie so freundlich, dies Experimentieren zu unterlassen und uns Berichte zu senden, ohne sie der Korrektur des Setzers oder 51 des Korrektors zu überweisen. Wir würden es sonst vorziehen, eine Pause in der Berichterstattung eintreten zu lassen.

Ergebenst

Die Redaktion.

*

Bernau, den 2. April 1904.

Ihr geschätztes Schreiben hat mich wieder sehr geärgert. Ich bin doch wahrlich kein Mensch, der sich über die Fliege an der Wand zu ärgern pflegt. Im Gegenteil. Wenn mir eine Fliege an der Wand ins Auge fällt, so freue ich mich, daß sie kein Nashorn oder kein sonst schwerer Gegenstand ist, und ich möchte ihr lieber ein Stück Zucker als einen zornigen Blick zuwerfen. Aber es gibt doch Dinge, die ich nicht vertragen kann, dazu gehören Briefe von Ihnen, zwischen dessen ungerechten Zeilen schließlich die Haut liegen bleibt, aus der ich gefahren bin. Sie drehen mir einfach aus dem Ariadnefaden, den ich erfunden habe, um uns aus dem Laby – verzeihen Sie das harte Wort! – rinth herauszuleiten, einen Strick, mit dem Sie mich gern erdrosselten. Sie scheinen mir einreden zu wollen, daß dieser Faden einer der Fadesten sei, die jemals gesponnen worden sind, während ich davon überzeugt bin, daß wir ohne ihn nichts als Theseuse sind, welche aus dem Labyrinth der unsicheren Kriegsnachrichten überhaupt nicht wieder herauskommen. Hätte der genannte Jüngling das Garnknäuel, welches ihm Ariadne, die Prinzessin von Kreta, zusteckte, wie Sie in den Papierkorb geworfen, so würden seine Gebeine vielleicht heute noch in einem der Irrgänge 52 des schrecklichen Gebäudes bleichen, und nie hätte er die schöne Ariadne nach Naxos entführt und sein genannt (er nannte sie gewiß auch noch anders), und das wäre für ihn ein großer Verlust gewesen, denn sie war schön, wie uns Dannecker versichert, der sie dargestellt hat, wie sie auf ungesatteltem Panther herummarmort. Theseus war eben klüger als Sie. Er nahm den Faden, tötete den Minotauros und verließ wohlbehalten wie ein serbischer Königsmörder den Palast. Das kann doch wahrlich nicht bloß Geschmacksache sein, sondern muß als weise bezeichnet werden, indem Theseus von zwei Übeln das wählte, welches durchaus kein solches war.

Ich hätte Ihnen schon gestern geschrieben, daß ich keinen kleinen Vorschuß brauche, sondern einen etwas größeren, wenn ich nicht fürchtete, daß sie glauben würden, ich wolle Sie in den April schicken. Das ist aber etwas von dem Vielen, das ich niemals tue. Namentlich mit Geld erlaube ich mir keine Scherze. Würden Sie sich mit einem geschlagenen Feind einen Scherz erlauben? Es wäre taktlos. Nun, das Geld ist bekanntlich geschlagen, soweit es nicht von Papier ist. Ich bitte Sie also um 60 M., und zwar in drei Doppelkronen auf der Post eingezahlt. Sollte Ihnen dieser Betrag bedeutend erscheinen, so werden Sie ihn für einen Deut halten, wenn Sie bedenken, daß die »Times« einen Berichterstatter hat, der auf einem Spezialdampfer um Port Arthur kreuzt. Die Pfunde, welche dies kostet, fallen jedenfalls schwerer ins Gewicht, als die drei Goldstücke, welche ich verlange, und ich begrüße daher im Geiste schon heute den Geldbriefträger auf das Freudigste und mache einen Kognak für ihn trinkfertig.

*

53 Chinampo, den 29. März 1904.

Wie meine geehrten Leser sehen, bin ich nach Korea geeilt, um in der Nähe der Schatten zu sein, welche die Ereignisse vor sich herwerfen. Ich bin im goldenen Mikado abgestiegen, welchem Hotel man sich aber nicht europäisch denken darf. Es gibt keine Betten und wenn es im Zimmer eine Klingel gäbe und man klingelte dreimal, so käme dennoch kein Mädchen, sondern auch kein Hausknecht und kein Kellner. Der Gast muß sich jeden Skorpion, den er töten will, mühsam selbst fangen. Korea wird von dem Eingeborenen Kaoli oder Kokore, von den Japanern Korai, von den Chinesen Koroli genannt, und das ist schon verdächtig, genau so wie bei uns ein Verbrecher verdächtig ist, der in Gaunerkreisen anders heißt, z. B. Automobilfranz, wenn seine Spezialität der Benzindiebstahl ist. Korea ist eine barbarische Halbinsel. Keine Gans hat eine Haut, welche der Gänsehaut gleicht, die man vor Schreck kriegt, wenn man hört, wie Justiz geübt wird. Der Staatsverbrecher wird mit seinen Familienmitgliedern hingerichtet, und man kann sich die Freude einer Familie denken, welche ein verurteilter Staatsverbrecher nicht hat.

Ich werde nicht lange hier bleiben, sondern bald den Kriegsschauplatz aufsuchen, der in der Nähe sich entwickelt hat. Hier steigen fortwährend japanische Truppen ans Land, welche den Russen entgegenziehen, um sie, wenn irgend möglich, zu vernichten. Gestern gelang es ihnen nicht vollständig. Sechshundert Mann russischer Kavallerie hatten Tschöngju in der Korea-Bai besetzt. Das ließen sich die Japaner nicht zweimal sagen. Sie forderten den 54 Kommandeur der Russen, General Mischtschenko, auf, die Waffen zu strecken. Dieser antwortete stolz: »Kommt und holt sie, und wenn Ihr sie habt, so streckt sie, so oft Ihr wollt, sie selbst aber zu strecken, fällt mir nicht im Traum ein!« Die Japaner erschossen den Boten, der ihnen die schroffe Antwort überbracht hatte, und griffen die Russen an. Nun wogte der Kampf auf und nieder. Jetzt liefen die Russen vor den Japanern nach dem Süden davon, aber im nächsten Augenblick schlugen die Japaner die Russen wieder in die Flucht nach Nordosten. Dann zogen die Japaner in die ummauerte Stadt und erklärten sie für eingenommen. Dann zählten sie ihre Toten und rechneten zwei Leichtverwundete heraus. Aehnlich machten es die Russen. Die Toten als vermißt bedauernd, telegraphierten sie an das Hauptquartier, daß die Streitkräfte sich des besten Wohlseins erfreuten und bereit seien, morgen die Feinde aus Korea in das Meer zu jagen. In Tschöngju fand ein glänzendes Siegesfest statt. Der Mikado, von dem Erfolg telegraphisch unterrichtet, ordnete an, daß seine geliebten Soldaten so viel auf ihr Wohl trinken sollten, wie sie bezahlen könnten, und befahl, den zwei Leichtverwundeten die japanische Nationalhymne vorzusingen. Es wurde Viktoria geschossen und abends wurden die zwei Häuser, welche zwischen den Hütten stehen, festlich erleuchtet. Aber auch die Russen feierten, als sie ihre Flucht beendet hatten, ein großes Siegesfest. Sie telegraphierten an den Kaiser, daß sie den Japanern ein erfolgreiches Rekognoszierungsgefecht geliefert hätten, worauf der Zar dem General Mischtschenko den Titel Nationalheld telegraphisch verlieh. Dann ordnete er an, daß seine Soldaten den nächsten Ort plündern und 55 die Beute auf sein Wohl behalten sollten. Der General bestimmte großmütig Paktschien als diesen nächsten Ort, worauf die Truppen die Flucht nach diesem Ort wieder aufnahmen, wobei die russische Nationalhymne gesungen und alles niedergemacht wurde, was ihnen entgegenkam.

Auf dieser Halbinsel werden sich nun die ersten erfolgreichen Zusammenstöße zwischen den beiden feindlichen Heeren vollziehen. Daß beide Heere siegen werden, das steht schon heute fest. Es wird mir nicht leicht sein, auch nur eine Mittelniederlage melden zu können. Der eine wird bei jeder Gelegenheit den andern und der andere wieder den einen vernichten. Ein Krieg, so siegreich wie dieser, ist nach meiner Meinung noch nicht geführt worden. Alle Schlachten werden auf beiden Seiten gewonnen, und es wird, so weit das Auge auch nur halbwegs reicht, kein Haupt gefunden werden, auf das einer der Feinde geschlagen wird. Ist irgendwo eine Batterie gestürmt worden, so ist sie von den Japanern und von den Russen zugleich gestürmt, und jede eroberte Fahne ist eine japanische und eine russische zugleich. Wenn eine Schlacht entschieden ist, wird auf beiden Seiten ein markerschütterndes Triumphgeschrei die Luft, aus der es gegriffen ist, erfüllen. Ein merkwürdiger Krieg: alle Haue und alle Stiche werden nicht gehauen und nicht gestochen sein!

Es ist mir hier ein Kriegslied in die Hände gefallen, welches das, was ich eben sagte, illustriert. Es ist von einem Russen und einem Japaner für ihre Soldaten verfaßt, und ich übersetze es ins Deutsche, so gut es eben aus zwei so schweren Zungen geht: 56

Das war ein blutig Vergnügen,
Geschlagen ist die Schlacht,
Das war ein glorreiches Siegen,
Die Sonne des Ruhmes lacht.
Die Schlacht, wie noch keine zweite
Stattfand, ist nun vorbei,
Wir Russen und wir Japaner
Gewannen sie, wir zwei!

Ganz früh begannen heute
Das Feuern und Donnern schon,
Wir mähten nieder die Leute,
Verschont blieb kein Bataillon.
Nun ist die Schlacht zu Ende,
Nun lautet das Kriegsgeschrei:
Wir Russen und wir Japaner
Gewannen sie, wir zwei!

Das Schlachtfeld ohne Gleichen
War zu behaupten schwer,
Es ist bedeckt mit Leichen,
Wer kann sie zählen, wer!
Gottlob, daß sie vorüber
Die grause Metzelei,
Die Russen und die Japaner
Gesiegt haben alle zwei!

Und wenn nun wieder morgen
Stattfindet eine Schlacht,
Das macht uns keine Sorgen,
Wie's andern Heeren macht.
Was andre stimmt nachdenklich,
Uns ist es einerlei,
Wir Russen und wir Japaner,
Wir siegen sicher, wir zwei!

Merkwürdig jedenfalls. 57


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