Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

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V.

Port Arthur, den 18. Februar 1904.

Die Reise von Tokio hierher mache ich nicht zum zweiten Mal. Ich freue mich zu sehr, daß das Auge, mit welchem ich davonkam, leidlich blau ist. Mit einer Not, die bedeutend knapper war, als der ärmste Mann sein kann, entging ich der gesenkten Fackel des Genius. Als ich mich an eine Gesellschaft wendete, um mein Leben gegen Unfälle zu versichern, wurde ich gefragt, warum ich ohne meinen Wärter hergekommen sei. Als ich den Herrn nicht verstand, sagte er, auch daraus schließe er, daß ich verrückt sei. Indem ich nun meine rechte Hand erhob, warf er mich hinaus, und das war sein Glück, denn sonst hätte ich ihn sicher in ein Handgemenge verwickelt, welches rasch in ein Faustgemenge übergegangen wäre. Trotzdem reiste ich ab. Es war eine gefahrvolle Fahrt. Wenn man ein Meer zu passieren hat, auf welchem die Torpedos zweier Mächte, die sich den Untergang geschworen haben, arbeiten, so liegt die Zukunft des Reisenden nicht auf dem Wasser, oder nur in der Weise, daß sie jeden Augenblick von den Wellen verschlungen werden kann. Die Kugeln pfiffen ein Lied ohne Worte, welche etwa lauteten: »Denke an den Memento mori!« Mir war es, als sei ich ein dramatischer Dichter, welcher bei der Uraufführung seines Stückes pfeifen 31 hört. Man mag über Geschütze denken, wie man wolle, aber man muß mir zustimmen, wenn ich sage: »Indem sie – verzeihen Sie das harte Wort! – speien, verletzen sie jedes Anstandsgefühl, ganz wie ein Mensch, der es in unserer Gesellschaft tut.« Mit Recht ist es in jedem Straßen- und Eisenbahnwagen verboten. Ich mußte viel über das Wort »Geschütz« nachdenken. Kommt es von Schützen, wie Gelächter von Lachen, wie Gekose von Kosen, wie Gesang von Singen? Der Kapitän des Schiffes, den ich fragte, nahm die Zigarre, die ich ihm anbot, das war aber auch die einzige Auskunft, die er mir gab. Geschütz kann nicht von Schützen kommen, denn man fühlt sich niemals so schutzlos, als wenn eine Kanone vom Gähnen ins Speien kommt und rücksichtslos in den Tag hinein feuert, Festungen rasiert und Menschen und Eigentum vernichtet.

Niemand wußte mir auch zu sagen, aus welchem Grunde das gelbe Meer das gelbe Meer heißt. Es ist so wenig gelb, wie das rote Meer rot, der stille Ozean still, die schöne blaue Donau blau, die Wasserhose eine Hose, die Windsbraut eine Braut ist. Mit demselben Recht könnte man den Zaren einen Landstreicher nennen, weil er Japan von der Landkarte streichen möchte. Aber ich hatte wenig Zeit, mich mit derlei Fragen eingehend zu beschäftigen. immerfort schwebte man in Gefahr, von umherfliegenden Geschossen getroffen zu werden. Ich war froh, als ich endlich Port Arthur erreicht hatte.

Die Russen können sich noch immer nicht über den Erfolg der Japaner beruhigen. Ihr Kriegsplan war folgender: Die russische Flotte sollte sich mit dem Wladiwostok-Geschwader vereinigen, und nachdem sie die japanische 32 Flotte unrettbar in den Grund gebohrt, eine große Armee in Japan landen, die direkt auf Tokio marschieren sollte und zwar so rasch, daß dem Mikado keine Zeit blieb, die Flucht, geschweige denn eine andere Maßregel zu ergreifen, sich der Rache Rußlands zu entziehen. Admiral Stark des Flaggschiffs »Petropawlowsk« hatte den geheimen Befehl, den in seine Hände fallenden Beherrscher Japans standesgemäß zu behandeln, ihn also nicht knuten oder gar erschießen zu lassen. Es war ihm ausdrücklich zur Pflicht gemacht, mit ihm zu verkehren, wie deutscherseits mit Napoleon verkehrt worden war, nachdem er von Sedan aus seinen eingesteckten Degen dem Sieger übergeben hatte. Dem Mikado sollte die gelbe Jacke nicht ausgezogen, er sollte überhaupt in dem Glauben gelassen werden, daß er noch auf dem Repertoir sei. Dann war bestimmt, daß er mit dem größten Teil der gefangenen japanischen Armee nach St. Petersburg geführt werden sollte, wo am ersten März der feierliche Einzug stattfinden werde. Der Newskij-Prospekt sollte für diesen Triumphzug auf Kosten der Privatschatulle des Mikado glänzend ausgestattet werden, es koste coûte qui coûte. Die Losung sei: Nicht knausern in den Sack des Feindes hinein! Die via triumphalis-Straße sollte in noch nicht dagewesener Weise mit eroberten Fahnen geschmückt erscheinen und die gefangene japanische Kernarmee durch ein Spalier von vernagelten Kanonen marschieren. Am Abend werde die Hauptstadt glänzend illuminiert und es dem Mikado gestattet sein, sich auf einer Rundfahrt von dem Glanz der Illumination und dem Jubel der Bevölkerung zu überzeugen.

Die Ausführung dieses Plans ist nun auf eine 33 calendas graecas vertagt, dessen Ende nicht abzusehen. Das Los der Russen gleicht dem großen, von welchem ein Spieler träumt und das überhaupt in der Trommel des Waisenknaben liegen blieb. Nach dem Post nubila kein Phoebus, so weit das Auge reicht. Die erste Niederlage der Russen ist nicht niederer zu denken. Wenn auch Schiffe durch Schaden klug werden könnten, so wären jetzt die Schiffe der russischen Flotte durch den ihnen von den japanischen Torpedos zugefügten die klügsten Schiffe aller Seemächte. Schweigend liegen jetzt diese Schiffe im Hafen, denn sie sind meist am Schnabel schwer verletzt. Sie werden nächstens in den Trockendocks ausgebessert, aber es wird lange dauern, bis sie wieder das Bett des Meeres besteigen können. Es war ein Schlag, den ich ein Seedan nennen möchte, der 8. Februar war ein 2. September, den der 10. nicht vertragen kann. Die Wolken, aus denen die Russen gefallen sind, verdunkeln die Sonne von Austerlitz, von der der Zar geträumt hat, die japanischen Torpedos schossen die Russen vom Erhabenen zum Lächerlichen. Wer nicht leben mag, braucht hier nur hiervon zu sprechen, sofort hört er das Gras wachsen, in das er beißen wird. Denn die Russen kennen sich nicht vor Wut. Der Wirt des »Knuthof«, in welchem ich abgestiegen bin, sagte heute zu mir: »Haben Sie jemals einen größeren Zwerg gesehen als dieses Japan? Ja? Dann gebe ich Ihnen einen Tritt, daß Sie aus der Tür fliegen. Und dieser Zwerg tritt uns in unseren Fußstapfen auf die Hacken, uns, deren Mund schon größer ist als dieser ganze Feind! Verkehrte Welt! Das Rad schlägt den Pfau, die Stunde schlägt die Uhr, der Baum schlägt den Holzhacker, der Schüler schlägt 34 den Sadisten, die Trommel schlägt den Tambour, die Augen schlagen die Jungfrau zu Boden. Haben Sie geglaubt, daß Rußland von einem Knirps, einem Däumling, einem Liliputaner geschlagen werden kann? Dann sind Sie ein uneheliches Kind des Todes!«

Es fiel mir nicht ein, Ja zu sagen. Aber auch das Nein wollte nicht aus dem Mundwinkel heraus. Rußland ist mit seiner ewigen Vergrößerungssucht für die Welt der Positiv des Komparativ Laster, um nicht einfach Last zu sagen. Darum wäre es gut, wenn diesem Länderfresser einmal der Appetit etwas verdorben und ihm auch die Maske des Friedensstifters vor die tönernen Füße gelegt würde.

Ich habe hier das neueste Nationallied »Des Russen Vaterland« von einem Kosakenquartett singen hören, welches deutlich zeigt, wie sich die Russen den Zukunftsstaat denken. Hier einige Strophen:

Was ist des Russen Vaterland?
Ist's, wo des Zaren Wiege stand?
Ist's, wo der Finne schäumt vor Wut?
Ist's, wo der Nilschlamm Gutes tut?
    O nein, o nein, o nein, o nein!
    Sein Vaterland muß größer sein!

Was ist des Russen Vaterland?
Ist's Deutschland? Ist's das Ungarland?
Ist's Persien? Ist es die Türkei?
Ist's, wo sich dehnt die Mandschurei?
    O nein!
    Sein Vaterland muß größer sein!

Was ist des Russen Vaterland?
Ist's England? Ist's das Dänenland? 35
Ist's, wo der Schwede Hölzchen schnitzt?
Ist's, wo der Ibsen dichtend sitzt?
    O nein!
    Sein Vaterland muß größer sein!

Was ist des Russen Vaterland?
Ist's Frankreich? Ist's das spansche Land?
Ist's China, wo am Bambusstock
Der Trank wächst für die five-o-clock?
    O nein!
    Sein Vaterland muß größer sein!

Was ist des Russen Vaterland?
Ist's Japan? Ist es Niederland?
Ist's dort, wo Prag und Königgrätz?
Ist es, wo die United states?
    O nein!
    Sein Vaterland muß größer sein!

Was ist des Russen Vaterland?
So nenne endlich mir das Land?
So weit der Wutki prächtig schmeckt
Und besser als Bordeaux und Sekt!
    Das, wackrer Russe, nenne Dein:
    Der ganze Globus soll es sein!

Und nun nenne der geehrte Leser mir einen Operngucker, ein Teleskop oder irgend ein anderes Instrument, welches tiefer blicken läßt als dieses Lied!

Wie in allen Kriegen, so wird von beiden kriegführenden Mächten der Himmel um Sieg gebeten. Der Freund sagt, er sei mit ihm, der Feind sagt, er sei gleichfalls mit ihm. Beide erklären, ihre Sache sei die gerechte. Nun tritt in dem vorliegenden Kriege der eigentümliche Fall ein, daß der Japaner einen ganz anderen Himmel hat als der Russe. Es kann also sein, daß beide erhört werden 36 und mithin beide siegen. Was dann? Es wäre dies vielleicht die beste Lösung des Knotens, als welchen jetzt einer den andern erklärt. Dann wäre dem Zankapfel ein rasches Ziel gesetzt, der doch in den Falten seiner Toga einen Weltkrieg verbergen könnte, ganz abgesehen von dem Schaden, den er schon jetzt dem Leben und Eigentum der Menschen zufügt. Nie hat der Kugelregen befruchtend auf die Felder gewirkt, nie hat der Kanonendonner die Luft gesäubert, nie hat der Sturm auf eine Batterie ein Land von Miasmen gereinigt. Niemals hat es auch eine Lauer gegeben, auf welcher so viele Großmächte lagen, wie in diesem Augenblick. Mit den Augen des Argus betrachten sie die Situation, als wäre diese die Kuh, welche der genannte Wächter zu hüten hatte, und wehe dem Weltfrieden, wenn sich der Funken findet, welcher dem Pulverfaß den Boden ausschlägt!

Vor Port Arthur nichts Neues. Aber das Alte ist schlimm genug. 37


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