Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

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X.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihre Mitteilung, daß Sie am ersten Mai eine Feier von vier Wochen beginnen wollen, mißfällt uns ungemein. Mitten im Kriege, der jetzt erst an Interesse gewinnt, wollen Sie aufhören. Wir finden das einfach unverantwortlich. Wir ersuchen Sie, uns umgehend zu sagen, ob Sie an Ihrer Ferienidee festhalten, damit wir uns zeitig nach einem Ersatz umschauen, da wir Sie nicht zwingen können, Ihre Tätigkeit fortzusetzen. Bis zum Eintreffen Ihrer Erklärung halten wir auch den Vorschuß zurück, um den Sie uns ersuchen und den wir Ihnen schicken werden, wenn Ihr nächster Bericht eintrifft, aber ganz gewiß nicht früher Manchmal haben wir denn doch nicht Lust, jeder Ihrer Launen gegenüber die Nachgiebigen zu spielen. Wir würden uns allmählich in die Lage versetzen, nicht mehr redigieren zu können, denn auch die anderen Mitarbeiter unseres Blattes könnten plötzlich beschließen, ebenfalls die Arbeit einzustellen, und wir säßen da mit der Schere und dem Kleister und würden eines Tages den Abonnentenkreis in ein kleines Viereck zusammenschmelzen sehen.

Ihrer werten Antwort entgegensehend, grüßen wir Sie

ergebenst

Die Redaktion.

*

65 Bernau, den 30. April 1904.

Wenn Sie in dem Augenblick, als ich Ihre Zeilen empfing und las, in mein Zimmer getreten wären, so hätte sich Ihnen ein erschütterndes Schauspiel geboten. Zuvörderst hätten Sie mich nicht erkannt, weil ich so furchtbar fluchte. Ich ließ mich sogar zu dem Ausruf hinreißen: »Steht das wirklich in diesem Brief?« Und er lag zerrissen zu meinen Füßen. Beinahe hätten Sie mich bei Ihrem Eintritt überhaupt nicht getroffen, sondern der Schlag. Ich war ja auf Vorwürfe gefaßt und hätte mich nicht gewundert, wenn Sie mich mit Titeln überhäuft hätten, welche Menschen erweichen, Steine rasend machen konnten, obschon ich Ihnen selbst Titel wie Torpedotöter, Unhold, Possendichter, Ringkämpfer, Heiratsschwindler, Automobil, Herero, Kurpfuscher und Spieler in außerpreußischen Lotterien nicht übelgenommen haben würde. Denn ich weiß ja sehr wohl, daß man sich im Zorn leicht derart vergißt, daß man nicht auf seinen Namen kommen kann und sich erst nach längerer Zeit erinnert, wo man sich schon einmal im Leben begegnet ist. Das kann ich mir leicht denken, auch ich lasse mich wohl einmal von meinem Temperament aus der Haut fahren. Denn ich bin ein Homo wie jeder andere Sum, und wenn ich einmal in fabula bin, so kann ich auch ein Lupus sein, der dann auch in eine ahnungslose Herde bricht und einem Lämmchen das letzte Stündlein schlägt. Aber selbst in dem schwersten rebus ist doch immer ein est modus. Man setzt einem Mann, der wie ich den Vorschuß als eines der wichtigsten Verkehrsmittel der Welt verehrt, doch nicht gleich die Pistole auf der Brust und ruft dazu: Schreib' oder stirb! Denn wer 66 mir den Vorschuß nimmt, nimmt mir die Waffe, als nähme er einem Tell die Armbrust und somit den Arm und die Brust. Dann bin ich der zu lebenslänglichem Hungerturm verurteilte Ugolino, der alte Moor, dem weder Hermann noch der Rabe lächelt, der Ertrinkende, der den letzten Strohhalm versinken sieht, der dritte Richard, dem sogar ein Königreich fehlt, um es für ein Pferd zu bieten. Nehmen Sie dem Menschen den Vorschuß, und Sie nehmen ihm eine Farbe aus seinem Regenbogen und einen Ton aus seiner Harmonie, und mir speziell hängen Sie den Brodkorb so hoch, daß ich, wenn ich endlich oben bin, das Brod verschimmelt vorfinde. Was bleibt mir also übrig! Ich – verzeihen Sie das harte Wort! – weiche der Gewalt. Ich bin in diesen Augenblick der ungarische Lokomotivführer, den die stärkere Regierung zwingt, nach kurzem Streiken die Hände aus dem Schoß zu nehmen und groß beizugeben. Es hieße gegen den Stachel schwimmen, oder gegen den Strom löken, wollte ich meinen Hinterbeinen nicht das Ohr verschließen. Und so sende ich Ihnen denn einen russischen Sieg. Hoffentlich nicht für Ihren geschätzten Papierkorb. Ich denke mir, daß man schon aus Gründen der Höflichkeit einmal den Russen einen Sieg gönnen muß, der ihnen nichts nützt und den Gegnern nichts schadet.

Die Wiederaufnahme meiner Tätigkeit wird mir durch das schreckliche Frühlingswetter erleichtert. Ich wollte den Mai auskosten, aber ich sehe ein, daß er uns statt in den Juni wie der März in den April schicken wird. Die Bäume kommen zu keinem grünen Zweig, die Nachtigall schlägt, aber sich seitwärts in die Büsche, die Sonne scheint, 67 aber nur nicht aufgehen zu wollen, und es regnet dem Lenz eklig in die Bude. So griff ich denn wieder zur gewohnten Feder.

Wenn Sie nunmehr den Vorschuß von 40 M. abschicken, so erhöhen Sie ihn um 20 M. Die alte Summe würde mich nur an den Konflikt erinnern, der bestanden hat, und ich möchte ihr dies unmöglich machen. Ich vernarbe eine Wunde, indem ich ein altes Hausmittel dazu verwende.

*

Port Arthur, den 28. April 1904.

In einer täglich von feindlichen Geschossen bedrohten Festung zu verweilen, habe ich niemals für angenehm gehalten. Gegen den Kugelregen ist noch kein Schirm erfunden. Es nutzt auch nichts, zu Hause zu bleiben, wenn die Kugeln den Guß beginnen und dieser rasch in eine Art Wolkenbruch von Bomben ausartet. Die Geschosse prasseln auf die Dächer nieder und dringen in Stube und Kammer, daß man seines Entkommens nicht sicher ist. Ich ziehe es also bei einem Bombardement vor, mich im Freien aufzuhalten, denn hier sieht man das Geschoß doch kommen, und wenn man mit behenden Füßen begabt ist, so kann man bei Seite springen. Da ich mich nun viel im Freien aufhalte, so gibt es in Port Arthur kaum eine Seite, zu der ich noch nicht sprang. Man drückt sich, wenn die Bombe kommt. Das wird einem hier nicht als Feigheit angerechnet. Es ist Pflicht der Selbsterhaltung. So ein Bombardement hat schreckliche Momente. Neulich war ich im Theater. Man gab eine schlechte Übersetzung 68 des »Faust«. In dem Augenblick nun, wo Mephistopheles die schwarze Pudelmaske abwirft, begann eine furchtbare Beschießung seitens der japanischen Flotte, und als nun der Teufel als fahrender Scholastikus mit den Worten auftritt: »Wozu der Lärm?« brach natürlich ein Gelächter aus, daß der arme Darsteller nicht weiter sprechen konnte. Das Schlimmere aber kam noch. Als Gretchen aus der Kirche kommend erschien, hörte man die Kugeln pfeifen, und da dies nun die Schauspielerin persönlich nahm und glaubte, ausgepfiffen zu werden, sank sie derart in Ohnmacht, daß der Vorhang fallen mußte. Nun erschien der Regisseur, entschuldigte die Darstellerin, und nach einer Pause von zehn Minuten wurde die Vorstellung fortgesetzt.

Ich habe ein Gerücht zu widerlegen. In japanischen Zeitungen wird erzählt, wir litten große Not, die Lebensmittel seien so knapp geworden, daß der Hunger- und der Dursttyphus drohten. Das ist unwahr. Wir haben nicht nur alles, was wir brauchen, sondern wir brauchen auch nicht alles, was wir haben. Freilich sind die Preise für Lebensmittel gestiegen, besonders die von Fischen, da diese durch die ins Wasser fallenden Geschosse verscheucht sind. So kostet eine Portion Aal zehn und ein nur halbwegs saurer Hering zwei Rubel. Ein Hummer, dem bei der Explosion eines japanischen Torpedos eine Schere fortgerissen worden war, wurde von einem reichen Russen zum Andenken an den dem Feinde verhängnisvollen Tag für zwanzig Rubel gegessen. Doch handelt es sich hier um Ausnahmen. Ein Pfannkuchen von Seeadlereiern ist nur um 30, Bratzobel nur um 50 Kopeken teurer geworden. Für die Soldaten ist alles reichlich vorhanden, und die 69 Kosaken finden sogar in allen Warenhäusern Talg und andere Leckerlichter zu den billigsten Preisen vorrätig.

In der vorigen Nacht gegen vier Uhr wurde ich von einer Salve geweckt, welche meine Wohnung erschütterte. Da ich aus dem Bett gefallen war, stand ich sofort nochmals auf, zog mich eiligst an und verließ ohne Frühstück, das noch nicht fertig war, das Haus. Ich dachte mir gleich, daß man nicht wissen könne, um was es sich handle, und so war es auch. Am Hafen angelangt, sah ich nichts, und ich hatte mich nicht getäuscht: die vor der Festung liegende japanische Flottille hatte ein Bombardement eröffnet und war infolgedessen derart von Dampfwolken umhüllt, daß von den Zuschauern das schlimmste befürchtet wurde. Auch von mir. Ein Geschoß nach dem andern flog gegen die Festungsmauern, augenscheinlich mit der Absicht, sie dem Erdboden so gleich wie möglich zu machen. Natürlich antworteten die Geschütze von Port Arthur in ähnlicher Absicht, die japanischen Schiffe dem Hafenboden gleich zu machen. Die Russen schossen vortrefflich. Dieser Ausdruck ist falsch, sie schossen trefflich. Jede Bombe traf, platzte und richtete enormen Schaden an, so daß einige japanische Torpedoboote, auf das tiefste verletzt, ihr Heil in der Flucht suchten, aber es nicht fanden. Wenigstens wurde eines der Boote von einem russischen Zuckerhut so getroffen, daß es plötzlich in die Luft flog, wieder herunterkam und nach etwa fünf Minuten unter den aufgeregten Wellen verschwand.

Das Fliegen in die Luft eines Schiffes ist ein grausiges, aber immer interessantes Schauspiel. Das Schiff erhebt sich plötzlich vom Meeresspiegel und fliegt trotz seiner 70 kolossalen Schwere leicht, wie einstudiert, in die Höhe. Hier hält es sich einen Augenblick, um dann den Flug in die Tiefe anzutreten. Das Ganze ist um so erstaunlicher, wenn man bedenkt, wie schwer ein solches Schiff ist. Eine Mücke, ein Maikäfer, ja selbst ein Geier hat es leicht. Im Vergleich mit einem Torpedoboot sind sie, wie man von Spatzen und Adlern ja sagen kann, federleicht. Nun aber denke man sich, man sei im Zoologischen Garten und sehe plötzlich einen Elephanten in die Luft fliegen. Oder ein Kameel. Oder ein Rhinozeros. Und keines dieser drei Tiere ist so schwer wie ein Torpedoboot. Ich will den, der hier nicht vor Staunen so baff ist, daß er den höchsten Grad der Baffheit erreicht, nicht beleidigen, aber er wäre doch in diesem Fall einer der beiden letztgenannten Quadrupeden, den ich, wenn ich die Macht hätte, zum Niladmiraritätsrat ernennen würde.

Der Flug des »Mikado« – so hieß das Torpedoboot – war kaum beendet, als in den Russen auch schon der Wunsch erwachte, die ganze gegnerische Flottille in das Element zu senden, welches Goethe die Marie Beaumarchais zweimal rufen läßt. Von den Forts wurden deshalb die Schiffe mit Eisen und Stahl derart überschüttet, daß die Japaner ihre Boote kehrt machen ließen, um das offene Meer zu erreichen, ohne in die Öffnung zu stürzen. Es gelang ihnen. Die Russen aber telegraphierten mit Stolz dem Zaren, daß er sein Haupt mit einem frischen unvergänglichen Lorbeer bedeckt habe. Der Zar antwortete noch gestern Abend sehr huldvoll, daß dies geschehen sei, und befahl die Aufstellung seinem Reiterdenkmals am Hafenufer. Eines der zu solchem Zweck schon fertigen 71 200 Monumente wird in einigen Tagen in Port Arthur eintreffen. Die Beamten, welche es begleiten, um die Errichtung des Denkmals zu überwachen, sind vom Kriegsminister bereits bestochen worden, damit sie sich nicht extra von dem Kommandanten der Festung für ihre Arbeit bezahlen lassen. 72


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