Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

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Die Türkei lehnt ab!

Konstantinopel, den 7. November 1903.

W. Es ist nicht das erste Mal, daß ich in die Metropole des kranken Mannsstaates geeilt bin, um den Schatten nahe zu sein, welche zu nichts weiter dienen, als den künftigen Ereignissen vorausgeworfen zu werden. So betrachtet, ist die Türkei im eigentlichen Sinne das Schattenreich, denn ich kenne keinen anderen Staat, in welchem so viele Schatten vorausgeworfen werden, wie eben die Türkei. Fortwährend bildet dieser Staat einen Zankapfel, welcher in das europäische Konzert hineingeworfen wird, wie das Erisobst, dem wir den trojanischen Krieg verdanken, einst unter die nichtsahnenden Hochzeitsgäste, unter welchen sich Hera, Athene und Aphrodite befanden. Meist kommt ja der Frieden mit heiler Haut davon, aber immer muß ich doch an das Pulverfaß denken, dem ein einziger Funken den Boden ausschlagen kann, um dann ganz Europa mit in den Abgrund zu reißen, wenn es in die Luft fliegt.

Ich bin diesmal im »Muselhof« abgestiegen, in einem Hotel, das, hart am Bosporus liegend, mir als alttürkisches besonders empfohlen worden war. Alles ist noch türkisch. Die Zimmerkellnerinnen kommen, wenn man zweimal elektrisch klingelt, nur tief verschleiert zu den 120 Fremden und halten so fest an den alten Gebräuchen, daß sie ihr Antlitz nur zeigen, wenn man ihnen einen guten Bakhschisch gibt. Bakhschisch ist Trinkgeld, obschon den Türken der Wein strenge verboten ist, und man weiß also nicht recht, was sie mit dem Trinkgeld machen. Der Wirt ist ein Vielweibereitreiber, der dreimal unglücklich verheiratet ist. Bis vor kurzem war er es viermal. Er ist infolgedessen stets übler Laune, haut die Gäste übers Ohr und wirft mit Koransprüchen um sich. Wie er mir sagte, stehen die Türken auf der Seite des Sultans, welcher sich dem Verlangen der Großmächte nach Reformen in Mazedonien nicht beugen, sondern es lieber darauf ankommen lassen will. Er soll neulich beim Barte des Propheten geschworen haben, doch einmal sehen zu wollen, wer hier Herr im Hause ist. So wäre also für Pessimisten das Schwärzeste zu sehen.

Man macht sich im allgemeinen von dem Sultan ein falsches Bild. Man hält ihn gewöhnlich für einen Mann, der sich vom Morgen bis zum Abend in seinem Harem aufhält, dort die Front seiner Frauen abschreitet und dann und wann einer besonders hübschen Favoritin, und wahrlich nicht nur zum Schneuzen, das Taschentuch zuwirft. Frühere Sultane mögen auf diese Weise ein Vermögen in Taschentüchern verschwendet haben, werden nichts als – verzeihen Sie das harte Wort! – Wachs in der Hand der Weiber gewesen sein und das Elend ihres vaterlosen Volkes als unabänderliches Kismet betrachtet haben. Sie ließen den Staat Staat sein, herrschten mehr zu ihrem Vergnügen als zum Vergnügen der Untertanen, und warfen die Steuern aus der hohen Pforte. Der jetzige Herrscher 121 ist aber ein anderer Sultan. Er hat wahrscheinlich gleichfalls für das weibliche Geschlecht dann und wann ein Taschentuch übrig, und wehe dem Eunuchen, der es wagte, einer der besseren Hälften des Sultans den Gefallen zu tun, dem Geliebten derselben einen Selam zuzustecken, er würde diesen Liebesdienst mit einem Kopf kürzer bereuen. Ein Herrscher ist eben auf diesem Gebiete ein Mann wie jeder andere. Aber der jetzige Sultan regiert wirklich, er betrachtet den Diwan nicht als Sofa, welches nur gut zum allergnädigsten Geruhen ist, und als nun Österreich-Ungarn und Rußland ihn zu Reformen zwingen zu wollen unternahmen, da stellte er sich auf seine nach türkischer Sitte unterschlagen gewesene Hinterbeine und lehnte ab. Als er die letzte Note der Großmächte gelesen hatte, soll er mit Shakespeare gesagt haben: »Die Note bringt einen zu seltsamen Schlafgesellen,« mit denen er die Balkanstaaten, namentlich Mazedonien gemeint haben mag.

Hier möchte ich einschalten, daß die Mazedonier, wie dies von Graf Pückler, von den wie Mazze lautenden zwei ersten Silben verleitet, behauptet werden könnte, nicht etwa Juden sind. Der genannte Herr könnte von seinem Irrtum veranlaßt werden, die Großmächte abzuhalten, etwas für Mazedonien zu tun. Dies muß verhindert werden. Auch die historische Tatsache, daß die beiden unsterblichsten Könige Mazedoniens Philipp und Alexander hießen, wird hoffentlich den leider ungelehrten Grafen Pückler nicht hinreißen, die Mazedonier für Juden zu erklären.

Das Verlangen der Ententemächte nach Reformen hat allerdings auf die Türken schrecklich gewirkt. Wie als setzte man einem Stier Rotwein vor, so begannen sie zu 122 brüllen, das sei unerhört. Vor dem Wort Reform bemohamedet sich der Türke dreimal, da es ihm seine Religion verbietet, sich zu bekreuzen. Man kann eher mit einer Maus von der Katze sprechen, ohne die Maus nervös zu machen, als einem Türken von Reform. Die Reform ist ihm der leibhaftigste Allahseibeiuns. Statt Pfui Spinne! sagt er Pfui Reform! »Die Reform soll dich holen!« ruft er im Zorn. Wenn er schelten will: Unter aller Kanone, so schilt er: Unter aller Reform, oder er murmelt: Hohngelächter der Reform. Die Reform ist ihm die Hölle, und er möchte wahrscheinlich lieber in der Hölle als in der Reform braten.

Das ist der in die Augen springende punctum saliens, um den sich alles dreht, was jetzt in der Türkei vorgeht: die Furcht vor der Reform, vor dem Fortschritt, vor dem Neuen. Wenn der Türke sich einen Rausch antrinken dürfte, so würde er es schon aus Furcht vor dem neuen Hering nicht tun. Er hat nichts gegen den Nervenschmerz, aber die Neuralgie ist ihm verhaßt. Niemals ist er zu bewegen, nach New York oder nach Neuholland zu reisen, oder sich zur Kur nach Neuenahr zu begeben. In seiner Wirtschaft findet man nichts aus Neusilber. Ja, er freut sich nicht, Vater eines Kindes zu sein, weil es ein Neutrum ist. Die Türken kennen das Schillersche Wort nicht, daß das Alte stirbt, alle Tempora einen Tag des Mutantur erlebt und aus den Ruinen neues Leben erblüht. Wenn sie den Tell geben würden, gewiß würden sie diese Worte streichen. Es war ewig das Unglück der Türken, daß sie treu am Alten hingen wie der Tropfen am Eimer, das Damoklesschwert am Pferdehaar, und daß sie auch am 123 Alten hängen bleiben, wie von einer Verleumdung immer etwas. Genau wie sie in der Vorzeit waren, so sind sie in der Nachzeit geblieben. Turban und elektrische Bahn sind tausende Meilen von einander getrennt. Die Türken, welche heute in den Straßen Stambuls spazieren gehen, sind genau dieselben, welche in Nathan dem Weisen auftreten und deren Glieder Pfeffel in seiner Tabakspfeife wie Grummet mähen läßt. Es hat sich nichts verändert. Wie mit Blindheit geschlagen, verschließen sie ihr Auge vor der Tatsache, daß die Zeit eine andere geworden ist, und daß, wer stillsteht, von der Sonne des Fortschritts beiseite gestoßen wird.

Die Stadt ist in großer Aufregung. Vor dem Jildis-Kiosk, dem Palast des Sultans, stehen die hellsten Haufen, die Konstantinopel auftreiben kann, und warten, bis der Herrscher sich ihnen zeigt. Dann will der Salemaleikummer kein Ende nehmen. »Nicht nachgeben!« schreien sie dann wild durcheinander, und der Gesang des Nationalliedes »Die Wacht am Horn« (es ist das goldene Horn gemeint) erschüttert die Luft. Der Sultan verneigt sich zum Zeichen, daß es ihm verboten ist, den Fez zu lüften. In allen Moscheen findet Mahomeddienst statt und werden aus dem Koran unzählige Suren vorgetragen. Es sind aber namentlich die Frauen, welche nichts von Reformen wissen wollen. Das ist ja auch ganz begreiflich. Wenn reformiert wird, läuft die Vielweiberei Gefahr, in die Einweiberei verwandelt zu werden. Die Favoritinnen hören aus den sechs Buchstaben des Wortes Reform den Serail in allen Fugen krachen. Wovon sollen diese verwöhnten Frauen dann existieren? Sie haben nichts oder noch weniger gelernt 124 und könnten kaum Romane schreiben, wie dies in anderen Ländern die Schriftleiter bildet, um auf einen grünen Nahrungszweig zu gelangen. Reißt die Monogamie ein, so ist es mit der Herrlichkeit des Haremlebens vorbei, welche darin bestand, daß diese Frauen nichts anderes zu tun hatten, als ihre Hände in den Schoß zu legen, sich sonst aber mit keiner Handarbeit zu beschäftigen, nur sich zu schmücken, bis es ihrem Muselchen einfiel, sie aufzusuchen und einige Züge aus der Wasserpfeife (sprich Nargileh) zu tun. Werden die Harems geschlossen, dann müssen sie statt in der Schminke ihres Angesichts im Schweiße desselben ihr Brot essen, wenn sie nicht auf den Frauenmärkten zu Schleuderpreisen als Sklavinnen mandelweis verkauft werden wollen. In der ersten Zeit wenigstens wird man ein türkisches Mädchen, das nicht mehr ganz jung ist und schon längere Zeit lagerte, halb umsonst haben können. Wer die Macht der Frauen kennt, wird also überzeugt sein, daß sie einen starken Einfluß auf die Frage ausüben werden: Reformen oder nicht? Die Türkei wird also die Großmächte einfach abweisen.

»Was aber dann, mein lieber Bey?« fragte ich heute einen hochstehenden Staatsbeamten, der genau so viele Roßschweife wie ein Vierspänner hat.

Er lächelte. »Die Mächte,« sagte er dann, »werden dem lieben Allah danken, wenn sie einen Rückzug besteigen können, um einem Krieg auszuweichen. Ich wette zehn echte türkische Teppiche gegen eine einzige türkische Bohne und ich will Rosenöl heißen und nichts als Wein trinken, wenn ich mich täusche. Der Janustempel ist leicht geöffnet, und es ist leicht gesagt: Für'n Sechser Mars! aber 125 es kommt doch auf die Nummer an, wie es darauf ankommt, ob die Tür des Janustempels auch wieder geschlossen werden kann. Man kann die Würfel fallen lassen, als wären es Bettfedern, aber ob sie aufzuheben sind wie ein Abonnement, eine Sitzung oder ein Rest Sauerkohl, das ist doch die Frage. Nein, verehrter Giaur, die Großmächte werden sich den Krieg noch überschlafen.«

Er legte den Zeigefinger der rechten Hand an den Turban und ging. Was er gesagt hatte, leuchtete mir ein und aus. So düster die Wolken auch aussehen mögen und so sehr das Gewitter auch in interessanten Umständen sein mag, bis zum Krieg ist noch ein Siebenmeilenschritt. Hoffen wir's. 126


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