Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

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XIV.

Herrn Wippchen in Bernau.

Ihre freundliche Erstürmung Port Arthurs durch die Japaner ist doch etwas verfrüht. Wir senden Ihnen Ihr Manuskript hiermit zurück, indem wir Sie bitten, es uns mit einer wesentlichen Änderung zurückzusenden, so daß wir es sofort in den Druck geben können, wenn die Nachricht von der wirklich stattgehabten Erstürmung eintrifft. Wir halten es für nötig, daß Sie die Erzählung von den Gänsen, welche die Russen für den Fall eines plötzlichen nächtlichen Überfalls auf den Festungsmauern umherlaufen ließen, fortstreichen und durch eine andere Geschichte ersetzen. Zwar wecken bei Ihnen die Gänse durch ihr Schnattern die Wachen, wie die auf dem Kapitol, und die Festung wird trotzdem erobert, aber Sie erinnern denn doch mit Ihrer Erzählung zu lebhaft an die bekannte Episode der Erstürmung des Kapitols durch die Gallier, und derlei kindische Geschichten können wir denn doch nicht unseren Lesern auftischen.

Wir finden nun in den Zeitungen die Mitteilung, Rußland beklage sich über die von den Japanern begangenen Grausamkeiten. Würden Sie so freundlich sein, in dieser Angelegenheit das Wort zu ergreifen? Es wäre 95 uns sehr willkommen, wenn Sie uns rasch etwas nach dieser Richtung hin aufklärendes Material senden würden.

Ergebenst

Die Redaktion.

*

Bernau, den 2. Juli 1904.

Mit einer an Fanatismus grenzenden Nachgiebigkeit, wobei ich nicht einmal denke, daß der Klügere so dumm ist, nachzugeben, habe ich meinen letzten Bericht, die Erstürmung, Einnahme und Schleifung der Festung Port Arthur, entgänst. Ich strich die Gänse heraus. Ich streiche immer die Gänse heraus als die appetitlichsten Vögel aller Speisekarten der Welt. Was haben Sie nur gegen diesen nützlichen und harmlosen Vogel? Wenn eine vielschwatzende Frau, ohne es zu wollen, Sie an das Ewigschnatternde erinnert, so können Sie dies doch nicht den Gänsen in die Schuhe schieben. Es gibt allerdings schönere Vögel, ich gebe es zu, die Gans ist keine Venus. Das Rebhuhn und der Fasan sind schön und können, wenn sie nicht zu teuer sind, eine Augen-, nicht lediglich eine Gaumenweide sein. Der Adler ist imposanter und mit Recht stolz, als wisse er, daß die Menschen ihn den Gefiederkönig nennen, aber wir werden doch niemals durch eine mit Adlerschmalz belegte Stulle eine mit Gänsefett belegte in den Schatten essen können. Eine Portion Gänseklein, wenn sie nicht zu klein ist, die man beim Kellner bestellt, und die dann nicht mehr zu haben ist, kann einen Feinschmecker, dessen Leibgericht sie ist, derart aus dem Häuschen bringen, daß er 96 erst am anderen Mittag in dieses zurückkehrt: ein Schicksal, dem er gewiß gerne – verzeihen Sie das harte Wort! – ausweicht. Ich war daher nicht wenig erstaunt, als Sie etwas gegen meine Gänse des Kapitols, die ich nach Port Arthur versetzte, einzuwenden hatten. Diese Gänse sind bekanntlich doppelt geflügelte Vögel, als Vögel und als die Retterinnen des Kapitols. Niemand ist es bis jetzt eingefallen, sie in ihrer letzteren Eigenschaft als Enten zu erklären. Sie haben die Wachen der Römer aus dem Schlaf geschnattert, was ja sehr natürlich ist, denn auch Sie haben wohl noch in keiner Gesellschaft schlafen können, wenn eine Frau anwesend war, deren Mund wie derjenige Körperteil, ohne den die Enten nicht leben könnten, nicht stillsteht. Ich sagte mir also: Hat sich die Gans in der historischen Kriegsgeschichte schon als mitwirkend bewährt, so kann sie dies auch ein zweites Mal. »Alles wiederholt sich nur im Leben«, sagt Schiller, dem Sie doch nicht den Vorwurf machen können, daß er die Unwahrheit sage, und wenn Hegel erklärt: »Alles, was ist, ist vernünftig,« also auch die Gans, warum soll die Gans nicht wiederholt vernünftig sein? Sie haben also meinem Bericht Unrecht getan.

Um die Gans nicht totzureiten, wollen wir sie zu den Akten legen. Aber bei dieser Gelegenheit fällt mir ein, wie oft die Ähnlichkeit der Wörter Kapital und Kapitol zu Scherzen Veranlassung gab. Es ist ja das A und O der Anekdotenschmiede, daß sie das Naheliegende ergreifen. Mich allerdings stimmt es nicht heiter, wenn ich das Wort Kapital lese, höre oder schreibe, denn mir fehlt es. So bitte ich Sie denn um einen so kleinen Vorschuß, daß 97 es Ihnen ein Leichtes sein wird, ihn zu verdoppeln, also im ganzen um 50 M.

Beigehend die gewünschten Grausamkeiten der Japaner.

*

Mukden, den 1. Juli 1904.

W. Noch immer bin ich hier, da das Reisen mit den blutigsten Gefahren verknüpft ist. Man bekommt eine Kugel, mit der man nichts anzufangen weiß, und hat sie sich selbst zuzuschreiben. Wem Gott jetzt rechte Gunst erweisen will, den schickt er am allerwenigsten von hier aus in die weite Welt.

Wenn namentlich in diesem Augenblick in den vom Kriegsschauplatz eintreffenden Berichten vielfach der Lüge die Ehre gegeben wird, so steht doch so viel fest, daß die japanische Armee tüchtig vorschreitet, während nach dem ewigen Hin und Her das russische Heer hin ist. Es kommt wohl vor, daß die Russen einen kleinen Erfolg zu verzeichnen haben, aber im Großen und Ganzen war das Glück doch häufiger mit den Japanern als mit den Hohenstaufen, wenn Raupach in seinem König Enzio nicht flunkern sollte. So betrachtet ist die Lage die, daß, wenn die Russen in der erwarteten Hauptschlacht aufs Haupt geschlagen werden, – daher der Titel Hauptschlacht – der blutige Mars sich seinem Ende zuneigen wird.

Mittlerweile sind auf russischer Seite Klagen über die Grausamkeiten der Japaner laut geworden, welche ich nicht mit dem Mantel des Schweigens bedecken kann. Denn ich trage solchen Mantel schon aus dem Grunde nicht, weil es in einer wichtigen Streitsache, wie dies der Krieg doch leider ist, nicht die Aufgabe des Mundes sein kann, sich halten zu lassen.

Vor allem: Der Krieg ist kein Kinderspiel. Mars' Zukunft liegt auch in unserer zivilisierten Zeit nicht auf dem Rosenöl, Kriegserklärungen werden nicht auf Rosenblätter geschrieben. »Nun soll es an ein Schädelspalten«, sagt Valentin in Faust und wird erstochen. Wenn sich zwei Nationen in die Haare geraten, so tun sie es nicht, um sie sich gegenseitig zu frisieren, sondern um sie sich zu sträuben. Krieg kommt von kriegen: Haue kriegen, es mit der Angst kriegen, sein Fett kriegen, den Feind wollen wir schon kriegen, und, da manchen Ehen der Friede fehlt, sich kriegen. Wenn ein Volk dem andern den Handschuh zuwirft, so geschieht dies nicht mit Glacehandschuhen. Mit dem Handschuh werden auch die Gesetze der Menschlichkeit aufgehoben. Ich kann Cicero nur recht geben, wenn er sagte: Silent leges (im Lärm der Waffen) inter armas (schweigen die Gesetze). Wenn die Kanonen Blei oder Unheil gähnen, ist dies ein Beweis, daß ihnen die Humanität langweilig ist. Da hilft kein Maulspitzen, sagt die Kugel, es muß gepfiffen sein, und sie pfeift so unbarmherzig, als werde ein schlechtes Stück aufgeführt, und wo sie einen Menschen trifft, da wächst kein Gras, obschon der Getroffene hineinbeißt. Natürlich ist dies grausam, aber nicht zu ändern. Ich muß gestehen, wenn man die Russen hört, so ist viel Wahres in ihrem Vorwurf der japanischen Grausamkeit. Heute sprach ich über diesen Gegenstand mit einem hohen russischen Beamten, der pensioniert ist und von den Zinsen der an ihm begangenen Bestechungen lebt. Ich nenne seinen Namen nicht, da er 99 ihn ja kennt und ich ihn vergessen habe, eine Diskretion, die mir Ehrensache zu sein scheint.

Ist es nicht schon eine Grausamkeit, begann er, daß die Japaner so viele Russen gezwungen haben, Vater und Mutter zu verlassen und sich den Gefahren der Kugeln auszusetzen, welche von allen Seiten der japanischen Schlachtlinie auf sie eindringen? Sagen Sie: Jawohl, oder ich kenne meine Knute nicht vor Wut.

Jawohl, sagte ich.

Mit einer grausamen Raffiniertheit, für die mir die Worte fehlen, sprengen sie unsere Schiffe in die Luft. Was soll das? Was haben unsere Schiffe in der Luft zu tun? Schiffe gehören aufs Wasser. Unsere Flotte besteht nicht aus Luftschiffen. Es ist wahrhaft empörend, mit welcher Hinterlist Minen ins Wasser gelegt sind. Es sind Minen, die zu dem bösen Spiel passen. Es ist eine Gemeinheit. Geben Sie mir Recht, oder ich werfe Sie hinaus.

Ich gab ihm Recht.

Wenn Sie unsere Artilleristen kennen würden! Arme Leute, welche nichts haben, als ihr Geschütz, mit dem sie ihr Vaterland für einen schäbigen Sold verteidigen. Was tun nun die grausamen Japaner? Aus dem hintersten Halt stürmen sie hervor und nehmen den armen Leuten die Kanone ab! Nun stehen die Artilleristen ohne Kanone da und obenein in einem fremden Land, dessen Sprache sie nicht kennen, und sie haben nichts anders gelernt, wodurch sie sich ernähren könnten. Sie können nicht lesen, nicht schreiben, sondern nur kanonieren. »Laß' sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind!« Heißt das nicht die Unmenschlichkeit auf eine mit ewigem Schnee bedeckte Spitze 100 treiben? Sagen Sie: Jawohl, oder Ihr letztes Stündlein schlägt sofort.

Jawohl, sagte ich.

Und nun unsere Pferde. Es sind harmlose Tiere, wie alle anderen Pferde, krümmen keinem Reiter ein Haar und sind zufrieden, wenn sie ihr Futter pünktlich kriegen. Gütiger Zar, wie grausam werden sie von den Japanern behandelt! Die Japaner schießen ihnen eine Kugel in den Leib, als ob sie jagdbares Wild wären. Würde es Ihnen einfallen, auf ein Haustier zu schießen, auf Hunde, Katzen, Hummer, Karpfen, Kanarienvögel? Nun, so harmlos sind auch unsere Pferde. Ist der Japaner nicht ein Barbar, ein Vandale, ein Kannibale? Sagen Sie: Unbedingt, oder ich denunziere Sie, daß Sie den Zar beleidigt haben, und Sie müssen morgen nach Sibirien.

Unbedingt, sagte ich.

Jetzt wollen diese grausamen Burschen Port Arthur dem Erdboden gleichmachen. Denken Sie sich: dem Erdboden. Sie wollen diese Festung umzingeln und so aushungern, daß kein Wodki mehr vorhanden sein wird. Und wenn sich das die Garnison nicht gefallen lassen will, so wird diese Festung dem Erdboden gleichgemacht. Ich wiederhole: dem Erdboden. Wird Europa dies ruhig mitansehen können, wird der Erdboden sich nicht gegen solche Grausamkeiten aufbäumen? Gibt es ein grausameres Volk, als dieses japanische? Sagen Sie: Nein, oder Sie fliegen die Treppe hinunter.

Nein, sagte ich.

Jetzt verabschiedete ich mich nachdenklich. Hoffentlich liest Frau von Suttner diesen Bericht nicht. 101


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