Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Strudelpeter.

Belgrad, den 10. September 1903.

W. Es fällt mir nicht in Morpheus' Armen ein, zu sagen, daß ein König ein Mensch wie jeder andere sei. Ein König ist ebensowenig ein Mensch wie jeder andere, wie jeder andere Mensch ein König ist wie jeder andere. Wenn mir dies jemand sagte, von dem ich wüßte, daß keinem seiner fünf Sinne der Blödsinn ist, so würde ich ihm den Holzweg, auf dem er sich augenscheinlich befindet, auf den Kopf zusagen. Wenn ich also den König von Serbien, – denn von diesem Peter will ich sprechen, – einen Strudelpeter nannte, so tat ich dies in der bonasten fide, die sich denken läßt. Denn sonst könnte ich einen König nicht Strudelpeter nennen, wie ich etwa einen Herrn Lehmann einen Strudellehmann nennen würde. Ein König bleibt ein König, und säße er wie Peter der Erste auf nichts anderem, als auf dem serbischen Thron, so bleibt er immer Peter der Erste, einerlei, ob er eines schönen Tages der dritte beim Skat, der Zehnte, der dieses oder jenes nicht vertragen kann, der dreizehnte am Tisch, der vierte in einem Sextett, der letzte, den die Hunde beißen, wäre. Trotzdem hänge ich an seinen Namen ein Epitheton, dessen Ornans nichts zu wünschen übrig läßt, zugleich aber 114 auch den Kopf des Nagels mit der Sicherheit eines tüchtigen Porträtmalers trifft. Ich nenne den König von Serbien Strudelpeter, und das ist er auch.

Peter hat sich in den Strudel gestürzt. Wer denkt da nicht an den Taucher Schillers? Jeder, der die herrliche Ballade auch nur oberflächlich kennt und sich mit dem herrlichen Jüngling wenigstens im Geiste und allerdings nur in diesem in das Geheul der Charybde – so nennt sich der bewährte Strudel – gestürzt hat. Der König, dessen Namen nicht genannt wird und genannt zu werden auch nicht verdient, hat einen goldenen Becher in das erwähnte Geheul geworfen. Er will ihn wieder haben. Man muß ihn fragen: »Weshalb haben ihn Eure Majestät dann hineingeworfen?« Die Frage ist berechtigt. Wenn ein Karlsbader Kurgast seinen Becher in die Tepl wirft, dessen Wellen sich an ihren Bettmauern der Kolonnadenpromenade – verzeihen Sie das harte Wort! – brechen, und dazu ausriefe: »Wer mir den Becher kann wieder zeigen, er mag ihn behalten, er ist sein eigen!« so würde ihn jeder Zuschauer für verrückt halten, selbst wenn dieser Becher bei der kleinen Katharina Roll gekauft wäre und meinen goldenen Namen eingebrannt trüge. Aber die Könige vergangener Jahrhunderte, namentlich die Schillerschen, erlaubten sich solchen Zeitvertreib, so der andere Schillersche König Polykrates, der seinen Ring in die Flut warf. Man muß es unseren Königen zum Lobe nachsagen, daß sie Becher und Ringe besser als zu Balladenspäßen verwenden, denn das würde nur der Sozialdemokratie Nutzen bringen, da das betreffende Wasser Wasser auf deren Mühle wäre.

115 Wie nun der Taucher sich in den Strudel stürzte, so der König Peter. Mir fällt dabei der Schlemihl ein. Peter konnte so angenehm leben. Schon daß er aus Serbien verbannt gewesen ist, war ein ganz besonderer Glücksfall. Wen Gott lieb hat, den verschont er mit dem serbischen Thron, und wenn mir dieser Thron wie ein Mühlrad im Kopf herumgeht, so freue ich mich immer darüber, daß der liebe Gott mir die Beine versagt hat, mit denen Peter den serbischen Thron bestiegen hat. Um auf dem serbischen Thron sitzen zu können, braucht man nicht nur Population, sondern auch eine dicke Haut, an der all das Greuliche abprallt, welches dieser Würde anhaftet. Das hat Peter nicht bedacht. Er dachte sich nur, es sei doch hübsch, nach dem Aufstehen in den Purpur zu schlüpfen, die Zügel der Regierung zu ergreifen, nach Belieben im Konak herumzuherrschen, Günstlinge zur Tafel zu ziehen, nach Tisch ein Stündchen zu geruhen und dann wieder die Krone aufzusetzen und irgend einer von drei Venussen den Reichsapfel zu reichen. So stürzte er sich denn mit einem unüberlegten Salto, der nicht frei vom Mortale war, in den Strudel. Was vorangegangen war, das schien er vergessen zu haben. Er hatte in der zweiten Hälfte des Juni vergessen, daß ein elfter Juni vorangegangen war! Wer aber am zwölften Juni nicht weiß, daß ein elfter vorangegangen ist, hat sich die Folgen, auch wenn er König ist, selbst zuzuschreiben. Und nun kommt wie alles, was weiblichen Geschlechts ist, auch die Reue zu spät. Ich kenne die Haut Peters nicht, aber ich möchte nicht in ihr stecken, wenn er sie zu Markte tragen wird.

116 Die Mörder des stehenden Heeres waren von Peter nicht nur nicht bestraft, sondern auch mit allerlei Gunstbezeugungen belohnt worden, obschon das Blut, mit welchem die Mörder den Thron gebläut hatten, nach der gesetzlichen Sühne rief. Die Nichtmörder des stehenden Heeres aber hatten nicht Lust, mit Mördern zu dienen. Bravo! Wenn eine Köchin einen Mord begangen hat und wird von der Herrschaft obendrein dafür belohnt, so wird das Kindermädchen nicht mit ihr dienen wollen. Ich nehme an, daß Wagner nie erfahren hat, daß Faust den Soldaten Valentin ermordete, sonst ist es unbegreiflich, daß er in dessen Dienst trocken weiter schlich. Nur ein Wicht wie Leporello konnte noch ferner bei Don Juan keine Ruh bei Tag und Nacht haben, nachdem der Comthur von diesem leichtsinnigen Bariton ermordet worden war. Mit einem notorischen Mörder tanzt kein noch so tanzlustiges Mädchen, stößt kein noch so trinkfester Bürger an. Wenn ich erführe, daß ein Mitarbeiter dieses Blattes, um diesem eine sensationelle Notiz zu bringen, einen geheimnisvollen Mord begangen und dafür von der Redaktion eine Gehaltserhöhung erhalten hätte, so würde ich augenblicklich meine Feder an den Nagel hängen und keine andere Zeile mehr für dieses Blatt schreiben, als die Zeile der sofortigen Kündigung. Wenn es Sitte wird, daß die Mörder belohnt werden, mit welchen Reichtümern und Ehren müßte dann der Staat die Hebammen auszeichnen? Ich verzichte auf jede Antwort, auch wenn sie nicht beleidigend ausfiele.

Peter mag der Erste heißen, aber er ist dies gewiß nicht, der nicht an den Folgen einer bösen Tat zugrunde ginge. Denn die böse Tat, davon bin ich überzeugt, ist 117 mit dem Fluch behaftet, daß sie fortzeugend immer Böses gebären muß. Immer gebären müssen, das ist schon schrecklich, immer, ohne Pause, ohne Station, fortwährend, aber das Schrecklichste ist doch das Gebären ohne Punktum, ja ohne Komma.

Furchtbar erheben die Gorgonen, Medusa voran, ihr geflügelt gewordenes Haupt, erschütternd tönt der Gesang der Erinnyen, schaudernd sieht man die Kraniche den Himmel verfinstern, und man sieht fast schon den Fuß, auf dem die Strafe dem Verbrechen endlich folgen wird.

Die Hauptstadt befindet sich in großer Erregung.

Es finden Kundgebungen statt. Man wirft Scheiben ein. Man wird auseinandergetrieben. Das sind Aufläufe, welche die Mörder in Szene gesetzt haben, um den König zu veranlassen, ihren Gegnern entgegenzutreten.

Und das kam plötzlich. Als vor einigen Tagen in meinem Zimmer eine scheußliche Luft war, klingelte ich zehnmal. Das ist nötig, wenn der Hausknecht kommen soll. Zufällig kam er. Ich beklagte mich bitter. »Das freut mich,« rief er aus. »Endlich wird die Mordnacht gerochen!« und war mit jubelndem Hurra wieder draußen.

Die Offiziere, welche verlangen, daß die Mörder aus dem Heere derart gestoßen werden, daß sie direkt ins Zuchthaus fliegen, sitzen noch im Gefängnis. Das ist echt serbisch! Man denke sich, es geschähe in einer anderen europäischen Stadt ein Mord, und man sperrte nun alle ein, welche eine Bestrafung der Mörder verlangten. Nicht hundert Menschen, und dies wären die Gefängnisbeamten, würden frei bleiben.

Die Verschwörer haben eine Schreckensherrschaft 118 errichtet. Sie bedrohen jeden mit dem Tode, der sich für die Bestrafung der Mörder erklärt, so z. B. den Chef der Preßabteilung im Ministerium des Äußeren, Petrowitsch, der denn auch, da der Minister ihn nicht entlassen wollte, durchbrannte, um sein Leben vor dem sicheren Tode zu retten. Dauert dies so fort, so wird Belgrad bald nur von den Mördern und ihren Anhängern bewohnt sein. Unter den Anhängern sind diejenigen zu verstehen, welche ihre Gegner überfallen und an den nächsten Baum hängen. Eine angenehme Bevölkerung einer Hauptstadt!

Aber so weit wird es nicht kommen. Die Opposition wird sich nicht mehr unterdrücken lassen. Tritt Peter nicht auf ihre Seite, so wird er fortgejagt werden.

Nemo ante portas beatus! sagte der sterbende Toggenburg. Peter wird klug sein und nachgeben. Nachgeben ist seliger als Reißaus nehmen, wird er schließlich denken. Er wäre ein Tor, wenn er die Mörder schützte.

Allerdings haben diese ihm den Thron verschafft. Aber ist dies nicht schon ein Grund, ihnen böse zu sein? Ich kann nur behaupten: Der serbische Thron ist eines der kleinen Geschenke, durch welche die Danaer die Feindschaft erhalten.

Wir werden ja sehen! 119


 << zurück weiter >>