Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.

Herrn Wippchen in Bernau.

Es ist die höchste Zeit, daß Sie wieder an die Arbeit gehen. Seit dem Weihnachtsfest hüllen Sie sich in Schweigen, während aller Augen nach der Mandschurei gerichtet sind, des Krieges gewärtig, der zwischen Rußland und Japan auszubrechen droht. Solche Weltlage rechtfertigt doch am allerwenigsten das Ruhen einer Feder, welche den Krieg zu ihrer Spezialität erhoben hat. Von allen Seiten fragt man bei uns an, weshalb in unserem Blatte die Nachrichten über die Verhältnisse und Ereignisse in Ostasien völlig fehlen, und Sie scheinen nicht zu bedenken, wie dergleichen das Festhalten der Abonnenten erschwert. Auch auf die Inserate übt es einen schädlichen Einfluß aus. Wir bitten Sie also, Ihre Weihnachtsferien nicht ins Uferlose auszudehnen, sondern schleunigst zur Arbeit zurückzukehren. So erfüllen Sie am besten den Neujahrswunsch, den Sie uns freundlichst geschickt haben.

Ergebenst

Die Redaktion.

*

Bernau, den 9. Januar 1904.

Wohl selten hat sich mein Kopf so wenig zum Photographiertwerden geeignet, als in dem Augenblick, wo ich Ihr 9 sehr geehrtes Schreiben las, welches ich zornig in meiner Hand förmlich zermalmte. Denn wenn ich meinen Kopf fortwährend schüttele, so ist auch der beste Photograph nicht imstande, meine Züge festzuhalten, wie er nicht imstande wäre, Kourierzüge festzuhalten. Denn es fiel mir in dem Augenblick ein, wie Sie immer außer sich waren, wenn ich Ihnen eine Schlacht gesendet habe, die noch nicht stattfand, obschon der Ausbruch des Krieges unausbleiblich gewesen ist. Sie nannten mich in derlei Fällen: voreilig, leichtsinnig, rücksichtslos und einen – verzeihen Sie das harte Wort! – Weichensteller, der durch Uebereifer unsagbares Unglück anrichtet. Und mein Bericht flog wie mit tausend Flügeln in den Papierkorb, aus dem er sich dann niemals in die Druckerei zu schwingen vermochte, ein Ikarus, der in das ikarische Meer gestürzt war, das ihm seinen Namen verdankt. Meine einzige Freude war dann die, daß Sie mich nicht fluchen hörten. Denn ich begnügte mich nicht mit Tausendmillionen Donnerwettern, sondern erhöhte ihre Zahl auf zwei Milliarden und von dem »Ei verflucht!« strich ich das Ei, welches, weil es wie ein weiches Ei verstanden werden konnte, dem Worte »verflucht« den Ernst nahm.

Indem Sie mir schreiben, aller Augen seien nach der Mandschurei gerichtet, gestatten Sie mir ganz absichtslos, an Ihrer Wahrheitsliebe zu zweifeln. Meine Hand auf Ihr Herz, übertreiben Sie nicht? Aller Augen der Reichshauptstädter mögen, ja, – dies will ich zu Ihrer Rechtfertigung annehmen – nach der Mandschurei gerichtet sein, obschon viele derselben ganz gewiß auf eine schöne Frau, auf ein volles Glas Rotwein, auf die Nummer eines 10 Straßenbahnwagens, auf die Bühne u. s. w. anstatt auf die Mandschurei gerichtet sein werden. Von hier aber kann ich Ihnen mit aller Bestimmtheit berichten, daß ich Ihnen viele namhaft machen könnte, deren Augen es nicht im Traum einfällt, auf die Mandschurei gerichtet zu sein. Sie glauben es nicht? Nun gut, so bitte ich Sie um einen Vorschuß von 50 Mk. Die Folge wird sein, daß, wenn sie diese in Anbetracht des Neujahrs wahrhaft klägliche Summe einzahlen, andern Tags der kaiserlich deutsche Geldbriefträger bei mir eintreten wird und meine Augen auf ihn, anstatt auf die Mandschurei gerichtet sein werden. Wenn Sie dann überzeugt sein werden, daß Sie übertrieben haben, so nehme ich mein Wort zurück und erkläre Ihre Redaktion für eine Ehrenredaktion, und wir haben alsdann das neue Jahr wieder im besten Zweivernehmen angetreten.

Was zu beweisen war.

*

Tokio, den 5. Januar 1904.

Die Lage ist sehr ernst. Heute hatte ich eine Unterredung mit einem Staatsmann, welcher dem Mikado so nahe steht, wie es dieser strenge Monarch nur einem Diplomaten zu gestatten pflegt. Man sagt nämlich sonst: Der oder der Staatsmann, welcher dem Mikado nahe kniet. Ich fragte ihn: Was wird kommen? Er antwortete: Das Schlimmste. Mars regiert die Stunde. Aber Rußland hat Schuld. Zar Nickel hat angefangen.

Ich: Das wußte ich. Rußland hat die Friedenskonferenz

11 im Haag gegründet, und seit diese existiert, reißt der Krieg nicht ab.

Der Staatsmann verstand mich nicht und lachte.

Ich: Worüber lachen Ew. Exzellenz?

Der Staatsmann (noch immer lachend): O, ich lache niemals. Zum Lachen habe ich keine Zeit. Wir Staatsmänner würden auch viel eher lachen, wenn wir Zahnschmerzen haben, als wenn ein Krieg im Anzuge ist, d. h. in den Falten der Toga. Ich wiederhole: Rußland hat Schuld, und wenn es nicht so klein beigibt, daß wir es mit bloßem Auge nicht sehen können, dann ist der Krieg da. Es handelt sich für Japan nicht um eine Ak-, sondern um eine Auktion, um das Losschlagen.

Ich: Wenn sie erlauben, halte ich mir den Bauch vor Lachen.

Der Staatsmann: Bitte. Ihr Bauch hat mich verstanden. Es ist unbegreiflich, daß ein sonst so vernünftiges Reich wie Rußland annehmen konnte, Japan werde sich die Mandschurei ruhig vom Brod nehmen lassen. Eher ließe Japan mitten im Sommer fünf Grade unter Null sein, und wenn Rußland noch lange zögert, so wird es sich bald vergeblich nach dem Wirt umsehen, ohne den es die Rechnung zu machen so unvorsichtig gewesen war.

Ich wußte genug. Aber ich hatte eigentlich schon längst genug gewußt. Dazu kommt, daß Japan nicht fürchtet, Rußland werde von irgend einer Großmacht unterstützt werden. Welche Macht hat Geld? Keine. Und womit also sollen sie Rußland die Kastanien aus dem Feuer holen? Mit der leeren Hand? Und wozu? Das Geld hat manche Tugend. Daß es nicht stinkt. wie Vespasians 12 Nase behauptet, das will ich dem Gelde nicht als Tugend anrechnen, denn man kann absolut geruchlos und dennoch ruchlos sein, aber das Geld besitzt die große Tugend, daß ein Staat, welcher es nicht hat, Frieden halten muß. Wo nichts ist, hat der unruhigste Hahn sein Recht verloren und bleibt in Ruh. So wird denn Rußland allein dastehen, wie der Junggeselle, der Eifelturm, der Mann im Mond und der Papst.

Die Aufregung in Tokio ist unbeschreiblich groß. Immerfort ziehen Massen von Japanern durch die Straßen, und wie die Pariser im Jahre 1870: à Berlin! so schreien sie à Petersbourg! während es ihnen gar nicht einfällt, daß das Unternehmen auch noch etwas schiefer gehen könnte, als z. B. der Turm von Pisa schief steht. Kampflust ist aber etwas wie ein Rausch, und im Rausch bemerkt man nicht, wie schief die Haltung gewickelt ist, in die man gerät, ohne es zu wissen. In den Wirtshäusern finden wilde Szenen statt, welche immer blutig werden, wenn irgend ein Gast darauf aufmerksam macht, daß Rußland doch den Sieg mit steifem Arm forttragen könnte. Da wird er sofort gelyncht, fliegt braun und blau auf die Straße und kann froh sein, daß er nicht am nächsten Laternenpfahl einen Geist hat, den er daselbst aufgeben muß, er mag wollen, oder nicht. Die Theater sind überfüllt, aber kaum wird um halb acht Uhr das Zeichen zum Beginn der Vorstellung gegeben, so fängt das Publikum an, die japanischen Nationallieder zu singen. Dann hebt sich der Vorhang, und die Mitglieder der Bühne hören zu, rufen Dacapo und applaudieren. Man begreift nicht, zu welchem Zweck denn eigentlich das Publikum ins Theater geht, denn es kann 13 ja viel billiger auf der Straße, oder im Schoß der Familie singen. Die Mitglieder des Theaters aber sind sehr froh, daß sie für ihre enorme Gage jetzt nichts weiter zu tun haben, als zuzuhören. Solche Zustände schafft der Chauvinismus, eine Krankheit, gegen die keine Medizin gewachsen ist. Was man auch gegen ihn vorbringen möge, man predigt tauben Nüssen.

Alles eilt zu den Waffen. Die sämtlichen Waffenläden zeigen in den Schaufenstern Plakate mit dem Wort: Ausverkauft! und es sind dort nur Briefmarken, Gummibälle, Damengürtel, Zigaretten und andere harmlose Artikel zu finden, welche das Firmenschild am Eingang zu verhöhnen scheinen. Ich muß selbstredend Sechszehn (doppelt acht) geben, daß mir kein deutsches Wort entschlüpft, denn die Japaner würden es für Russisch halten und zehn Minuten später läge ich im Schauhause, wo es keinem Hahn einfallen würden nach mir zu krähen. Dieser Gefahr auszuweichen, bemühe ich mich von früh bis spät, bis jetzt mit Erfolg.

Zum Glück ist der Mikado nicht blind gegen die Möglichkeit, daß Rußland siegen und Japan dann zugrunde gehen könnte. Er sagt sich: »Der Aleabecher (lies phimus) ist leicht geschüttelt und umgestülpt, aber weiß denn der Würfler, was er wirft. Das ist doch kein Werfen wie das Werfen von Jungen, von Schatten, von Speeren und von Schneebällen. Das Jacta von Würfeln ist etwas sehr Unsicheres, man kann, wenn man Glück hat, achtzehn, aber, wenn man Pech hat, nur drei werfen, und dann sitzt man da und macht ein dummes Gesicht, wenn man nicht schon eins hat. Heute bin ich Mikado, aber morgen 14 kann ich Demikado sein, wenn meine Würfel auf die Butterseite fallen. Und dann dauerte es nicht lange, und ich wäre weder Demi, noch Mi, sondern ein Χαδεαυ (gefundenes Fressen) für den ländergierigen Nachbar!«

Dieses logische Denken ist mir eine Gewähr des Friedens, kein Gewehr des Krieges, und ich bin überzeugt: Wenn Rußland auch nur zwei Schritte tut, um Japan drei vom Leibe zu bleiben, so bricht zwischen diesen beiden Reichen wieder, vielleicht ein dreißigjähriger Frieden aus. Will aber Rußland nicht in der angedeuteten Weise die Füße dem Frieden reichen, sondern sattelt es statt dessen die Schlachtrosse im Marsstall, dann können zehn Baroninnen Suttner und zwanzig Haage protestieren und lamentieren, und es wird nichts nützen. Dann werden sich die Schatten, welche die großen Ereignisse schon vorauswerfen, nicht in Sonnenstrahlen verwandeln.

Mögen uns die Tafeln Klios davor bewahren! 15


 << zurück weiter >>