Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

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XI.

Port Arthur, den 13. Mai 1904.

Ich bin noch immer hier. Alle meine Bestechungsversuche, welche ich unternahm, um entweichen zu können, scheiterten an der Redlichkeit der Beamten, da ich kein Geld hatte, sondern sie nur durch Zureden veranlassen wollte, mir einen Passierschein zu verschaffen. Aber es frägt sich noch, ob ich selbst mit einem Passierschein durch die feindlichen Linien hindurchkäme, ohne erschossen zu werden. Der Krieg wird mit großer Erbitterung geführt. Die Russen schreiben ihre empfindlichen Niederlagen natürlich dem Verrat zu. Das ist in gewissen Armeen nun einmal so. Wenn der Zivilist in eine Schlägerei gerät und sich mit einer blutenden Nase, oder einer schmerzhaften Beule in die Sanitätswache begeben muß, um sich den ersten Verband anlegen zu lassen, so fällt es ihm nicht ein, dem Arzt zu sagen, er sei verraten, sondern er sagt einfach, er sei verhauen. Im Kriege ist das vollständig anders. Keine Armee unterliegt, flieht, streckt die Waffen, wird geschlagen oder zieht sich zurück, sondern ist verraten. Im Französischen sagt man nicht Sedan, sondern Trahison, und seit nun die Russen mit den Franzosen derart treu verbündet sind, daß sie ihnen alles Geld in Anleihen abnehmen, riechen auch sie nach jeder Niederlage Spione und Verräter.

73 Eine bürgerliche Nase wie meine weiß nicht einmal, wie ein Spion riecht. Wir wissen vom Verräter nichts weiter, als daß er nicht schläft und höchstens noch, daß der Verrat gerochen wird, aber der Geruch des Spions oder Verräters liegt unserer Nase fern. Aber auch die militärische Nase der Russen (Gorki) ist nicht unfehlbar, sondern menschlich und kann irren. So riecht sie denn nach jeder Niederlage ganz harmlosen Menschen einen Spion an, und kann solch ein Unglücklicher nicht auf der Stelle nachweisen, daß er wirklich geruchlos ist, so wird er auf derselben erschossen. Man kann sich denken, in wieviel Gras seit einigen Wochen von Unschuldigen gebissen worden ist, wenn man bedenkt, daß die Russen tagtäglich geschlagen wurden, so daß man die russische Armee eine adlige nennen kann, weil sie von den Japanern durchgebläut worden ist.

Man wird sich in Europa nur schwer mit dem Gedanken vertraut machen können, daß ein Koloß wie Rußland von einem Zwerg wie Japan geworfen wird. Man hat das Recht, von Goliath und David zu sprechen und hinzuzufügen, daß dies eine biblische Ente sei, nur allerdings fragt es sich noch, ob David ein simpler Hirtenknabe war, der wohl die Harfe, aber nicht einen Riesen schlagen konnte, oder ein Lyriker, der so wenig wie Heinrich Heine fähig war, einen Koch oder Eberle zu werfen. Mit einem Wort: ein Pudel wirft keinen Elefanten. Die ganze Historie vom Duell David-Goliath könnte eine Parabel sein, wie so manche Erzählung der Bibel: eine große solide Firma Goliath wurde von der kleinen, die David hieß, durch Schleudern ruiniert. Keinenfalls hatte man jemals daran gedacht, daß Rußland von Japan in eine Enge getrieben 74 würde, die beispiellos ist. Aber es ist doch geschehen – das kleine Japan hat das große Rußland in diese beispiellose Enge getrieben, in eine Falle, aus welcher herauszukommen Rußland ebenso schwer zu sein scheint, wie dem großen Los aus der Waisentrommel, wenn man darauf wartet.

Wie alles seine Zeit hat, so hat alles seinen Grund. Genau wie die Franzosen im Jahre 1870 statt wie der Kriegsminister Le – verzeihen Sie das harte Wort! – boeuf sagte: Archiprêts waren, waren es auch die Russen jetzt, nämlich statt Archiprêts Archiprotzen. Ja, auf dem Papier erzbereit. Als aber dann die russischen Soldaten, Pferde und Kanonen vom Papier ins Feld rücken sollten, da waren die meisten nicht vorhanden, sondern unterschlagen. Sie steckten in den Kassen der Beamten. Und nun reite einmal einer ein unterschlagenes Pferd, oder schieße aus einer unterschlagenen Kanone eine unterschlagene Bombe. Auch Munition und Proviant waren nicht geliefert, sondern nur bezahlt, ebenso war das Kanonenfutter kompagnieweise ein Fressen für die Armeelieferanten gewesen. So kam es, daß der kleine David seinen noch kleineren Daumen dem großen Goliath auf das Hühnerauge drückte, daß der Riese ebenso wild wie seine Flucht wurde.

Diesen Tatsachen gibt ein Lied Ausdruck, das in Tokio erschienen und von mir aus dem Japanischen übersetzt ist. Es lautet.

War einst ein Riese Goliath,
Ein gar gefährlich Mann,
Der zum Duell gefordert hat 75
David, und der trat an,
Und sagte: Na, nun leg' mal los
Und mach' nicht große Worte bloß!

Da zog der Goliath sein Schwert,
Das war sein ganzer Stolz.
Doch wie er's schwingt, da, unerhört!
Merkt er, es war von Holz,
Gefälscht hat es sein Lieferant,
Von dem er teuer es erstand.

Darauf griff er zu dem Gewehr,
allein er ward gewahr,
Es war veraltet und zu schwer
Und d'rum ganz unbrauchbar,
Und hat es hoch bezahlt dem Herrn
Lief'ranten doch als ganz modern.

Nun schrie nach seinem Pferd der Held,
Da sah er, daß das Tier,
Für das berappte er viel Geld,
Nur stand auf dem Papier.
Hui! gab der David eines ihm
Auf's Maul. Da lag das Ungetüm!

Dies Lied darf hier natürlich nicht gesungen werden, denn die Russen verstehen weder japanisch, noch deutsch. Wer es aber trotzdem sänge, würde sicher zu mehrmonatlicher Knute verurteilt werden. Man kann sich in Deutschland nicht denken, mit wie vielen Argusaugen hier die Haltung der Bevölkerung beobachtet wird. Die Niederlage am Jalu darf hier nur als Sieg besprochen werden. Kuropatkin hat dem Zaren geschworen, daß Port Arthur von der Landseite uneinnehmbar sei, und so hat der Kommandant dieser Festung, Generalleutnant Stoessel, 76 befohlen, an allen Ecken bekannt zu machen, Port Arthur sei uneinnehmbar. Gestern meinte jemand. er glaube das nicht, denn Lebertran habe er als Kind für uneinnehmbar erklärt, und er habe ihn dennoch eingenommen. Das bekam ihm ebenso schlecht. Er wurde verhaftet, wegen seiner unüberlegten Rede übergelegt und eine Stunde lang gehauen, ferner mußte er für jeden Schlag einen halben Rubel erlegen, woran man sieht, wie jetzt die Preise für die gewöhnlichsten Lebensmittel gestiegen sind. Auf der Straße wird man von Spitzeln aller Art, die wie alte Bekannte aussehen, begrüßt und gefragt, ob man Port Arthur für ein- oder uneinnehmbar halte. Natürlich antwortet man, für uneinnehmbar. Leider versteht der Spitzel das Gegenteil, und man sieht sich gezwungen, ihn zu bestechen, damit man nicht denunziert und auf den bloßen Verdacht hin gehauen werde, wirklich einnehmbar gesagt zu haben. Gestern habe ich auf diese Weise etwa fünf Rubel verzehrt. Da ich für ein so üppiges Leben nicht reich genug bin, so habe ich mich entschlossen, nicht mehr auszugehen, bis die Festung eingenommen sein wird. Ich zweifle gar nicht, daß Kuropatkin nicht leichtsinnig geschworen hat, aber wenn die russischen Heerführer nichts anderes als Schwüre leisten, so wird natürlich die Festung Port Arthur das Schicksal aller belagerten Festungen teilen. Auch Paris und Metz galten für uneinnehmbar und sind doch gefallen wie Schnee und Regen, Kurse und Fliegen, Vorhänge und Preise, Barometer und Mädchen.

Die Japaner sind bei Port Adams und Pitzewo gelandet und bedrohen nun Port Arthur. Der Statthalter Alexejew und Großfürst Boris haben daher die Festung 77 verlassen. Das beweist doch, daß sie von dem Schwur Kuropatkins nicht viel halten. Sie fürchten doch, Kuropatkins könne einen Meinschwur geleistet haben und, wenn Port Arthur fiele, achselzuckend sagen: »Schön, ich habe mich also geirrt!« Was dann? Dann fielen die beiden hohen Männer in die Hände der Japaner und würden vielleicht nach Tokio gebracht, wo sie dann von der Gnade des Mikado abhingen. Der Mikado soll aber zuweilen nicht so gut wie die Schminke seiner Favoritinnen aufgelegt sein, und dann ist sein Namen nicht sicher, unter das Todesurteil seiner Gegner gesetzt zu werden. Man ist in Ostasien nicht so sentimental, wie etwa in Europa. Man macht in Ostasien einen Feind einen Kopf kürzer, während man einen solchen in Europa womöglich gerne einen Kopf länger machte, wenigstens behandelt man ihn wie einen Freund, erweist ihm Ehren aller Art, gibt ihm ein Schloß und richtet ihn ein statt hin, wie wir dies ja mit Napoleon dem Dritten erlebt haben.

Nicht lange mehr, und Port Arthur ist auf dem Lande und auf dem Meer belagert. Wir werden nicht nur beschossen, sondern auch ausgehungert und ausgedurstet werden. Gelingt es mir nicht zu fliehen, so werde ich vielleicht dem Schicksal aller Belagerten verfallen, meine Nahrung in Hundehütten, Katzenwinkeln und Rattenfallen zu suchen. Es ist nur sehr merkwürdig, daß sich in keinem unserer Kochbücher Rezepte finden, nach denen ein Diner aus den genannten Haustieren zu bereiten wäre. Dies ist höchst merkwürdig. Fortwährend finden in der Welt Belagerungen statt, aber es fehlt noch ein Kochbuch für die Belagerten, die doch essen wollen. Und ein solches 78 Kochbuch ist doch wichtiger, als irgend ein anderes. Selbst in Festungen findet man solches Werk nicht, wenn man es sucht. In einer Buchhandlung erkundigte ich mich, ob ich nicht ein Buch über Rattenkochkunst haben könne. Man antwortete mir, ich sei betrunken, wonach ich gar nicht gefragt hatte. Auch in meinem Hotel hat man keine Ahnung von einem Katzenfilet, einem Hundeweißsauer, einer gefüllten Ratte, einer Pudelsuppe, einer Katerlette, um nicht Katerkotelette zu sagen, usw. Das Pferdefleisch nimmt doch schließlich ein Ende, und fortwährend das Pferd auf den Speisekarten zu finden, ist doch ein Toujours perdrix, wie es nicht perdrider gedacht werden kann. Es ist sehr merkwürdig, daß man diese vitale Frage immer erst ernst nimmt, wenn es zu spät, wenn die Notwendigkeit da ist, zur Ratte als zu einem Strohhalm zu greifen, oder wie der Teufel in der Not mit Fliegen, mit einem Köter den Hunger zu stillen, für den man vielleicht erst gestern die Hundesteuer für ein Quartal vorausbezahlt hat. So sprach ich vor einigen Tagen in einem Restaurant, in welchem man auch Karten spielt, mit mehreren Spielern über diesen Gegenstand. Und was antwortet mir einer dieser Gesellschaft ärgerlich: »Aber stören Sie uns doch nicht in unserm Skat. Wenn erst die Belagerung so weit ist, daß uns nur noch die Ratte übrig bleibt, dann schlachten wir die Kibitze, die uns schon lange im Wege sind. Wer gibt?«

Um nicht den Kürzeren ziehen zu müssen, ging ich. Aber die Frage ist und bleibt eine brennende.

*

Diesem Bericht unseres verehrten Korrespondenten lag 79 eine Privatnotiz bei, die wir der Vollständigkeit wegen mitteilen. Sie lautet:

Sollte Port Arthur fallen, so wird der Festungskommandant natürlich die betreffende Depesche an Sie nicht expedieren lassen. Ich werde also in diesem Fall drahten: »Ich bitte um einen Vorschuß von zwanzig Rubeln. Wippchen.« Sie schicken mir dann sofort diese Summe und verkündigen die Übergabe Port Arthurs in einem Extrablatt. 80


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