Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

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III.

Tokio, den 5. Februar 1904.

Es ist mir mit dem besten Willen unmöglich, das Ende des Zankapfels zu melden, welcher nicht weit vom Stamm der Japaner gefallen ist und Mandschurei heißt. Rußland und Japan fürchten sich, die Rolle des anfangenden Karnickels zu spielen, ebenso aber will weder Rußland noch Japan den ersten Schritt tun, um die Hand zur Friedenspalme zu bieten. Und es wäre doch so leicht. Die Tür des Janustempels darf nicht mit der Tür eines Hauses verglichen werden, an der man liest: Schließt von selbst. Es muß Einer sich finden, der sie ins Schloß wirft. Aber vorläufig hat Japan eine dringende Note ins Schloß des Zaren geworfen und wartet nun auf Antwort, welche Rußland nicht gibt. Japan ersucht Rußland dringend, die Mandschurei zu räumen, aber Rußland wankt nicht nur nicht, sondern – verzeihen Sie das harte Wort! – weicht auch nicht. Es gibt, wie gesagt, einfach keine Antwort. Soll das Japan nicht nervös machen? Jawohl! »Jawohl« ist eine Antwort. Wenn der Leser gefragt hätte, ohne von mir eine Antwort zu erhalten, so hätte er das Recht gehabt, mich ungezogen zu nennen. Als ich gestern auf der Straße einen Herrn fragte, was die Uhr sei, weil ich meine hatte – ich bin oft so zerstreut – im Leihamt 16 liegen lassen, da gab mir der Herr keine Antwort. Er sah mich an und ging vorüber, wie Minna an Schiller. Das fand ich ungezogen. Es war ein Russe. Das ist eine Erklärung, aber keine Entschuldigung gewesen. Dieser Russe wollte nur seiner Regierung nachahmen und die Antwort schuldig bleiben. Ich war außer mir, und wenn ich nicht halb schweigend, halb mitleidig die Achsel gezuckt hätte, gewiß, dieser Halbbarbar würde zugehauen haben. Aber nervös hat mich dieses Schweigen gemacht. Wenn mich der Russe ärgern wollte, so konnte er ja sagen: »Dreiviertel«, oder »zehn Minuten nach«, es wäre dumm gewesen, aber doch eine Antwort. Nicht einmal eine dumme Antwort gibt Rußland!

Schlimmer als mit diesem Schweigehund ging es mir heute vormittag mit einem russischen Staatsmann, den ich aufgesucht hatte, um von ihm etwas Näheres über die Lage der Kluft zu vernehmen, die sich zwischen Japan und Rußland aufgetan.

»Guten Morgen«, sagte ich im saubersten Russisch, als ich eingetreten war.

Ich erhielt keine Antwort. Das fiel mir auf. Doppelt sogar. Einmal überhaupt und dann auf die Nerven.

»Exzellenz können sich wohl denken,« begann ich, »weshalb ich komme. Europa ist beunruhigt. Die Haltung Rußlands ist ihm rätselhaft, denn sie stellt den Frieden in Frage. Weshalb läßt die russische Regierung die japanische auf Antwort warten.

Der Staatsmann schwieg.

»Das mag ja richtig sein,« erklärte ich, um ihn nicht merken zu lassen, daß ich eigentlich Grund gehabt hätte, 17 ungehalten zu sein. »Aber der Mikado versteht das nicht und fühlt sich in seinem Stolz verletzt. Wird das nicht die schlimmsten Folgen haben können?«

Der Staatsmann gab mir keine Antworte

»Nun also!« rief ich, als habe er meine Frage bejaht. »Wenn eine Antwort alles wieder in einen Status bringen kann, wie er Quo ante gewesen, weshalb erfolgt sie nicht?

Der Staatsmann hielt schweigend den Mund.

»Das ist bedauerlich«, meinte ich, den Aerger unter drückend. »Der Krieg kann für beide Teile schlimme Folgen haben. Glauben Sie überhaupt an den Krieg?«

Der Staatsmann verhielt sich ebenso einsilbig, wie es die Worte Ja und Nein bekanntlich sind.

»Ich weiß genug!« warf ich ein, statt in einen erregten Ton zu fallen, welcher den eintretenden Sekretär hätte zur Folge haben können, und entfernte mich. Als ich draußen war, hörte ich den Staatsmann »Schafskopf!« rufen, womit er ohne Zweifel den Diener meinte, der an derlei gewöhnt zu sein scheint, denn ich hörte ihn lachen. Das Los eines russischen Untergebenen muß kein beneidenswertes sein.

Ich kann mir das echt russische Schweigen allerdings erklären. Rußland hat zwar Zähne, ist aber noch nicht bis an sie bewaffnet. Es zieht seine Truppen zusammen, aber das Fazit dieser Addition gefällt ihm noch nicht. In Rußland ziehen sich Truppen nicht so leicht zusammen, wie sich etwa Gewitter zusammenziehen. In Port Arthur liegen oder stehen etwa 20 000 Mann, aber für die japanischen Kanonen, welche einen glühenden Heißhunger haben, 18 reichen sie als Futter nicht aus. Rußland spielt also gewissermaßen in einer Art Lotterie, um Zeit zu gewinnen, welche die Armee braucht, um die ungeheueren Entfernungen zurückzulegen. Aber auch Japan braucht Zeit, wie das liebe Brot, um sich vollständig zu rüsten, es bildet mit Rußland ein Rüstpaar, ein richtiges para bellum. Es fragt sich nur, wer von Beiden zuerst fertig wird. Das Beste wäre schon, Beide würden dies nicht, denn ich fürchte, daß es ein Kampf wird zwischen Goliath und David, nur daß der Goliath schließlich über den kleinen David triumphieren wird. Denn Rußland bleibt doch immer ein Riese, dem Japan nicht gewachsen ist, oder höchstens bis zur Taille. David schlug die Harfe und Goliath, aber ich fürchte, es ist dies nur ein Märchen. Wenigstens heute, wo sich die Harfe wohl diesen Sadismus gefallen läßt, aber der Stärkere und Größere doch immer über den Schwächeren und Kleineren den Sieg im Schnupftuch davonträgt.

Die Hauptstadt ist noch immer in großer Aufregung. Die Bewohner wollen den Krieg. Es fällt ihnen nicht ein, daß auch die Pariser eines Tages den Krieg wollten, ihn auch bekamen und nicht lange nachher froh waren, wenn sie am Sonntag anstatt des Huhnes eine Ratte im Topf hatten. Der Chauvinismus hat es in sich. Viele wünschen blind- und taublings den Krieg herbei, – ich nenne sie Tokidioten, ohne zu bedenken, daß der Mars auch wie ein Betrunkener schief gehen und auf die Nase fallen kann. Dann ist es natürlich zu spät. Man spricht nicht ohne Grund von einem Kriegsspiel. Einer gewinnt, der andere verliert. Natürlich können die Gegner über die 19 Russen siegen, wie sie über die Chinesen gesiegt haben, es kann aber auch sein, daß die Russen die Oberfaust gewinnen und Tokio belagern. Der Zar ist ein Gemütsmensch. Der Pardon, den er nicht gibt, ist wohl allgemein bekannt. Er nimmt keine Rücksicht, aber sonst Alles, was er kriegen kann. Wer könnte ihn als Sieger verhindern, den Mikado vom Thron zu stoßen und ihn nach einem russischen Wilhelmshöhe zu verbannen? Seit Akiba ist ja alles schon einmal dagewesen.

Vorgestern wurde Marquis Ito zum Mikado berufen. Man weiß, was Ito ist. Ein Marquis. Dann wurden sämtliche Minister hinzugezogen. Die Sitzung dauerte sieben Stunden. Von gut unterrichteter Seite wird mir mitgeteilt, daß die Politik den Gegenstand der Beratung bildete. Der Mikado ließ sich über die Verzögerung der Antwort Rußlands zu Worten hinreißen, die der Zar zum Glück nicht gehört hat. Er rief einmal: »Der erhabene Selbstherrscher aller Reußen, Unser geliebter Bruder, sind etwas saumselig.« Man kann sich denken, wie der genannte Marquis und die übrigen anwesenden Diplomaten aus ihrem Häuschen waren, als sie den Herrscher von einem Ebenbürtigen in so respektlosen und kecken Worten sprechen hörten. Als aber der Mikado merkte, welchen Eindruck der Ausruf, zu dem er sich hatte hinreißen lassen, hervorgebracht hatte, lenkte er ein, indem er alles zurücknahm, den Zaren für einen Ehrenselbstherrscher erklärte und anordnete, daß seine Worte nicht in dem Regierungsblatt bekannt gegeben werden sollten. Dieser Vorfall mag auch als Beweis dafür gelten, mit welcher Höflichkeit zwei Monarchen miteinander verkehren, welche mit einem Fuß 20 im Kriege stehen, der Tausenden von Landessöhnen das Leben kosten kann.

In dieser Sitzung sprach man auch davon, Japan Alliierte zu verschaffen. Amerika und England wurden vorgeschlagen. Marquis Ito aber warf sich zu den Füßen des Mikado, genau wie sein Titelvetter in Schillers »Don Carlos« zu den Philippschen Füßen, und bat um Gedankenfreiheit. Der Mikado gab sie ihm und erhob ihn dann zu seinem sonderbaren Leibschwärmer. Hierauf ergriff der beglückte Marquis das Wort über die Freundschaft Amerikas und Englands und schilderte, wie die Freundschaft Amerikas den Japanern, wie die Freundschaft Englands den Buren bekommen sei. Die Hörer saßen da auf das Tiefste wie vom Schlage gerührt, und selbst dem Mikado sträubten sich die allerhöchsten Haare. Die Mitglieder der Konferenz sahen ein, daß Japan Kopf und Kragen an solche Alliierte verlieren könnte, worauf der Mikado ihnen befahl, den Antrag einstimmig abzulehnen, was denn auch geschah. Die Abstimmung wurde durch Hammelsprung vollzogen. Sämtliche Staatsmänner traten durch die Neintüre ein, während an der Jatüre ein Henker aufgestellt war, welcher den Auftrag erhalten hatte, jedem Eintretenden den Kopf vor die Füße zu legen: eine der unblutigsten Wahlhandlungen der letzten zehn Jahre!

Es darf nicht verschwiegen werden, daß Rußlands offizielle Presse fortwährend die Friedensliebe des Zaren betont. »Der Kosack«, den ich eben gelesen habe, druckt aus dem Regierungsblatte »Die Knute am Montag« folgendes Exposé ab: »Es ist richtig, wir rüsten. Wir haben eine kolossale Armee auf die tönernen Füße gebracht, 21 und täglich wächst uns ein neues Regiment in der flachen Hand. Aber das geschieht nur, um Handel und Industrie zu unterstützen. Es ist wahr, daß in Liaojang tausend Wagen zum Transport von Munition und Vorräten requiriert worden sind, wir können aber diese Sachen doch nicht tragen lassen. Ungeheure Kohlenmassen sind nach Port-Arthur geschafft worden, aber irgendwo müssen die Kohlen doch liegen. Damit ist noch nicht gesagt, daß wir uns mit Kriegsgedanken beschäftigen. Wäre dies der Fall, so würden wir wenigstens einen Schuß fallen hören. Es ist aber überall still, als wenn Pilze aus der Erde schießen. Das kann man doch nicht Pelotonfeuer und Flintenknattern nennen. Japan darf ruhig sein. Es in einen Krieg zu verwickeln, das fällt uns nicht in Morpheus' Armen ein.«

Man mag nun über Rußland denken, wie es nicht wolle, diese Sprache ist nicht die einer Regierung, welche alle fünf oder gar alle zehn Finger nach den eisernen Würfeln leckt. Immerhin wird Japan die Augen offen und die Kanonen trocken halten müssen. Ich traue der russischen Regierungspresse nicht, so lange in ihren Artikeln zwischen einer Zeile und der anderen etwas Raum zum Lesen ist. Wer russisch lesen kann, lasse es sich ins Deutsche übersetzen, und er wird findend daß die Fortdauer des Friedens durchaus noch nicht feststeht. Man muß dabei immer an die Campanile denken, die doch auch eines Tages feststand.

In allen fünf Weltteilen ist der Frieden immer nur ein Campanilefrieden. 22


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