Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

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Drei Sensationen.

Die Einigung der Tschechen

steht in der österreichischen Geschichte der jüngsten Wochen obenan.

Längst sind die Tschechen von dem Gedanken beseelt, das erste Volk Europas zu werden. Dies hohe Ziel zu erreichen, schonten sie keinen von einem Deutschen getragenen Hut, den sie denn auch unbarmherzig angetrieben haben. Nur den einen Hut, unter welchen alle Tschechen gebracht werden sollten, vermochten sie nicht zu finden. Die böhmischen Hutmacher waren allerdings mit diesen Einheitsbestrebungen einverstanden, denn der Boden ihres Handwerks wurde dadurch ein dauernd goldener, indem die Deutschen sich neue Hüte anzuschaffen, oder die alten aufbügeln zu lassen gezwungen wurden, da die Regierung sich nicht in der Lage befand, sie sicher zu behüten. Damit aber konnte sich der Kampf um die Nationalität nicht zufrieden erklären. Auch wenn sich die Deutschen, ohne sich zu wehren, von ihnen – verzeihen Sie das harte Wort! – windelweich prügeln ließen, war aus Böhmen nicht der erste europäische Staat zu machen, selbst wenn die Tschechen so viel Schwein gehabt hätten, als einzelne Prager Schinken nach außerhalb verschickt wurden. Der Grund wurde endlich entdeckt:

127 Die Tschechen waren gespalten wie die Klauen gewisser Tiere, wie die Petitzeilen der Inserate, wie das Feuerungsholz. Das böhmische Volk zerfiel in viele Parteien, von denen hauptsächlich folgende zu nennen sind: Die Alttschechen, die Jungtschechen, die Wildtschechen, die Zahmtschechen, die Knüppeltschechen, die Schreitschechen, die Stummtschechen, die Großtschechen, die Kleintschechen, die Nordtschechen, die Südtschechen, die Zentrumstschechen, die Talmitschechen, die Wald- und Wiesentschechen, die Kneipentschechen, die Übertschechen, die Schontschechen, die Nochtschechen, die kaisertreuen Republiktschechen, die Geheimtschechen, die Frankotschechen und die Radautschechen. Wie konnten so viele Parteien etwas erreichen! Wenn die eine Partei rechts wollte, so wollte die andere links. Die eine hatte keinen Kopf, mit dem sie durch die Wand rennen konnte, die andere nur den Kopf, aber keine Wand, die dritte weder Kopf, noch Wand. Die eine Partei wollte sich immer auf die Hinterbeine der anderen stellen und diese wieder den Mund jener Partei vollnehmen. So beschlossen sie denn endlich, sich zu vereinigen, und zur Erreichung des gemeinsamen Zieles anstreben:

Änderung des ersten Verses der Bibel in: Im Anfang schuf Gott Himmel und Böhmen.

Endliche Feststellung der Tatsache, daß Adam ein Tscheche und Kain ein Wiener gewesen ist.

Eröffnung einer zweiten tschechischen Universität in Mähren, um mehr deutsche Studenten, die von den tschechischen Kommilitonen mißhandelt werden können, anzulocken.

128 Errichtung einer Fabrik von Löffeln, mit denen die Tschechen die Weisheit fressen.

Schließung der Kegelbahnen, auf welchen nicht mit Globussen von Böhmen geschoben wird.

Verbot des Aufenthalts nichttschechischer Störche auf böhmischem Boden.

Verbot der Übersetzung der Werke Homers, Goethes, Schillers, Shakespeares, Kants und Molières aus dem tschechischen Original in fremde Sprachen.

Versuch, den Namen Böhmen in Hußland umzuändern.

Agitation, das Deutsche Reich zu zwingen, das Elsaß an unsere Freunde, die Franzosen, zurückzugeben.

Erhebung der tschechischen Sprache zur Weltsprache.

Einführung der halbjährigen Dienstzeit.

Umwandlung des Deutschen Theaters in Prag in ein Asyl für Obdachlose.

Abschaffung der Aeolsharfen, bis es ihnen gelingt, tschechisch zu tönen.

Erhebung Wiens zu einem Vorort der Residenz- und Weltstadt Prag.

Absetzung des »Don Juan« von Mozart von den Repertoiren der böhmischen Theater, bis es gelungen sein wird, nachzuweisen, daß »Don Juan« und Mozart tschechischer Abkunft sind.

Proklamierung eines Staatspreises für die Erfindung, das Himmelsblau in die böhmischen Landesfarben zu verwandeln.

Die große Partei verspricht sich von der Erfüllung 129 ihres bescheidenen Programms eine endliche Lösung der tschechischen Frage und wird dann weitere Forderungen stellen.

*

Das untergeschobene Kind.

Wenn mein ästhetisches Gefühl Hände und Füße hätte, so würde es sich mit Beiden gegen das Wort unterschieben sträuben. Es wird ihm schier unmöglich, Kind und Unterschiebung zu reimen. Kind ist etwas Niedliches, Reizendes, und wenn es auch gleichzeitig etwas Unsauberes bedeuten kann, so vergessen wir das gern wie Schiller, als er den Vers schrieb: »Dies Kind, kein Engel ist so rein.« Man nennt das Kind Himmelssegen, eine Frau beschenkt damit ihren Gatten, und der Gatte ist davon so entzückt, daß er anzeigt, er sei überrascht worden, was ja nicht die einzige Unwahrheit ist, welche wir in den Zeitungen lesen, aber jedenfalls eine der entenhaftesten und aus den Fingern gesogensten Unwahrheiten, die man aus der Luft greifen kann. Doch dies nur nebenbei. Unterschieben ist eben ein schreckliches Wort für ein triviale Tätigkeit. Man schiebt unlautere Motive unter, man schiebt einen Schemel unter die Füße, man schiebt eine Kugel unter die Kegel. Aber ein Kind unterschieben heißt den Storch zwingen, seinen Beruf zu verfehlen.

Freilich, von Zeit zu Zeit wird denn doch ein Kind untergeschoben. Wir haben im Moabiter Gerichtssaal eine Gräfin gesehen, welche angeklagt war, von dem Sohn einer Weichenstellersfrau genesen zu sein, ihn in einem Gummikissen unter dem Herzen getragen zu haben.

Ist dies möglich? ruft alle Welt. Kann eine Frau 130 derartig in uninteressanten Umständen sein, daß sie sich gezwungen oder veranlaßt sieht, von ihnen auf dem Wege des Vergehens entbunden zu werden?

Ja, es ist möglich. In Moabit sahen wir eine Mutter, welche verdächtig ist, es nicht zu sein, wir sahen eine Sohn, von dem der Staatsanwalt behauptet, er habe ausnahmsweise zwei Mütter, deren eine ihn von der anderen bekommen hat. Er will dies der Gräfin Kwilecka beweisen. Er meint, sie habe einen Sohn gebraucht, und da sie dem längstgefühlten Bedürfnis endlich abhelfen wollte, habe sie ihn gewissermaßen außer dem Hause gebären lassen, und dies sei strafbar.

Es wird jedem leid tun, wenn es der Gräfin nicht gelingen sollte, nachzuweisen, daß der kleine Meyer ihr eigener Sohn sei, denn der kleine Meyer war nun schon jahrelang blaublütig, und es wäre doch traurig, wenn er plötzlich wieder rotes Blut durch seine Adern rollen fühlen müßte. Er müßte dann seufzen: Heute blau, morgen rot, und dies in der Bude eines – verzeihen Sie das harte Wort! – Weichenstellers, die ihm nicht an der Wiege vorgesungen worden ist. Schon aus diesem Grunde, nur wegen des unschuldigen Kindes, sollten die Mütter jedes andersmütterige Kind erst zehnmal in der Hand herumdrehen, bevor sie es unterschieben!

*

Aus einer kleinen Residenz.

So lautete der Titel eines Dramas, welches im Buchhandel erschienen ist und ein arges Aufsehen machte. In diesem Stück wurde das Leben und Treiben in den besten 131 Kreisen der kleinen Residenz geschildert und zwar so, daß jeder Leser imstande war, die Personen, welche die Hauptrolle des Dramas spielten, zu erkennen und namhaft zu machen. Ihre Namen waren natürlich bis zur Unkenntlichkeit geändert. Den Inhalt des Dramas will ich kurz und gut zu erzählen suchen.

Der Held der Erzählung ist ein Major v. Greul, der von den Soldaten natürlich verlangte, daß sie prompt ihren Dienst versehen und nicht abends, wie Schiller singt, das Schönste auf den Fluren suchen und dadurch viel Unglück über die armen Köchinnen bringen. Er selbst freilich war einer der denkbar schwersten Nöter des Bataillons. So hatte er mit der Tochter eines Musiklehrers Lehmann angebandelt, in dessen Haus er kam, um Flöte zu lernen. Daß er dem armen Mädchen, das Karoline hieß, mehr ins Ohr flötete als dem Vater, ist wohl selbstverständlich, und jeder, dem es auffällt, daß er nicht bei dem Kapellmeister der Regimentsmusik Unterricht nahm, um nie auch nur das ABC der Flöte zu lernen, wird es begreifen, wenn er erfährt, daß der Kapellmeister nur einen Sohn hatte. Bei solchen Leuten nimmt ja kein Offizier Unterricht! Unser Major dachte natürlich nicht daran, die Kleine zu heiraten, dazu war sie denn doch zu ahnenlos, und da er bald ihrer über- und überdrüssig war, so war auch leicht ein Vorwand gefunden, die Trennung herbeizuführen. Er erklärte ihr, alles zu wissen, sie habe die Treue – verzeihen Sie das harte Wort! – gebrochen, und sie starb auch einige Zeit später. Jetzt verbreitete sich das Gerücht, sie sei vergiftet. Dies war dem Schändlichen wohl zuzutrauen, denn man kennt seinen Vater, der 132 Regierungspräsident und Mörder war und seinen Sohn hatte zwingen wollen, die Maitresse des Fürsten, eine geborene Sade, zu heiraten. Auch einige andere in diesem Drama erscheinende Personen sind Gemütsmenschen. Ich nenne nur einen Hofmarschall v. Fohlen, einen Dummkopf erster Klasse, und einen Sekretär des Regierungspräsidenten, der unter den Namen Band auftritt und als Mitschuldiger seines Herrn bezeichnet ist.

Das Schlimmste aber geschah nun. Kaum waren die ersten Exemplare des Dramas verkauft, so wurde der Autor verhaftet und die Untersuchung wegen Beleidigung, Verleumdung und Verbreitung falscher Tatsachen gegen ihn eröffnet. Ein Skandalprozeß kritischster Ordnung steht bevor. Die in dem Drama auftretenden Personen werden als Zeugen vorgefordert, um Beweise dafür zu bringen, daß nur sie gemeint sein können. Es sind dies die Herren Präsident von Walter, Hofmarschall von Kalb und Sekretär Wurm.

Wenn ihnen nicht jeder gönnte, daß sie endlich den Lohn ihrer Missetaten empfangen, so würde man sie wegen des bösen Dienstes bedauern, den ihnen der Staatsanwalt mit der Erhebung der Anklage erwiesen. 133


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