Julius Stettenheim
Wippchens Russisch-Japanischer Krieg
Julius Stettenheim

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XII.

Herrn Wippchen in Bernau.

Wir danken Ihnen für die Sammlung von angeblich russisch-japanischen Kriegsanekdoten, welche nur den Fehler haben, daß wir sie nicht veröffentlichen können, was wir aufrichtig bedauern. Man merkt diesen Anekdoten auf den ersten Blick an, daß Sie die längst historisch gewordenen oder als solche geltenden geflügelten Phrasen bearbeitet haben, und zwar, wie wir leider hinzufügen müssen, nicht immer sehr glücklich, wodurch die allgemein bekannten Geschichten oft ganz widersinnig erscheinen. So legen Sie einem japanischen General, welchem gemeldet wird, daß ihn die Russen gegen Abend angreifen werden, die Worte des Dianekes in den Mund: »Desto besser, so werden wir im Schatten kämpfen.« Sie sehen wohl ein, daß Sie ihnen mit dieser Bearbeitung die Pointe abknöpfen. Ebenso wird das Wort des Leonidas ballhornisiert, wenn Sie einen russischen Major seine Soldaten vor der Schlacht anbrüllen lassen: »Frühstückt tüchtig, im Hades gibt es nichts zu fressen!« Soll Ihnen wirklich jemand glauben, daß ein russischer Offizier mit seinen Kosaken vom Hades reden wird? Wir legen also mit Ihrer Erlaubnis die Anekdoten zurück und raten Ihnen, sie einer gründlichen Bearbeitung zu unterziehen.

81 Wir ersuchen Sie, mit Ihren geschätzten Berichten fortzufahren, und grüßen Sie

ergebenst

Die Redaktion.

*

Bernau, den 28. Mai 1904.

Wenn Sie mir geschrieben hätten, daß es Ihnen endlich gelungen sei, in großen Mengen viereckige Quadrate aus rohen Zirkeln herzustellen, oder Filz- in Zuckerhüte zu verwandeln, oder eine andere Erfindung zu machen, mit welcher Sie so viel Geld verdienen würden, daß Sie die ganze Welt mit Heu versorgen könnten, so wäre ich nicht so erstaunt gewesen, wie über Ihren Haß gegen die historischen Anekdoten. Gerade in ernster Zeit, wenn, wie in diesem Augenblick, zwei große Völker wie die Russen und Japaner so hart wie Pflastersteine aneinander geraten, daß man dem Zar, wenn er etwas mehr als Frau v. Suttner für den Frieden täte, den Nobelpreis versprechen möchte, gerade in solch ernster Zeit sollten die historischen Anekdoten wie Augäpfel oder andere kostbare Früchte gehütet werden. Das Publikum will erheitert sein. Wenn der deutsche Leserkreis auch nicht von den Ereignissen in Ostasien persönlich berührt wird, so wird er doch durch sie in eine trübe Laune – verzeihen Sie das harte Wort! – versetzt, und er ist dann ebenso schwer einzulösen wie eine versetzte Uhr. Die vor Port Arthur wie Ikarus in die Luft fliegenden und dann ins Meer stürzenden Russen, die ich deshalb Ikarussen nennen möchte, und anderen unschuldigen Opfer dieses unglückseligen, überflüssigen, bei 82 den Haaren, in denen sich die beiden Reiche liegen, herbeigezogenen Krieges erfüllen die Herzen der Leser mit Kummer, und wie in Rußland und Japan Tränen, so fallen in Europa die Kurse der Wertpapiere, Handel und Wandel stehen still wie der Verstand und eine nicht aufgezogene Uhr, und Sicherheit und Vertrauen schwinden wie die Stunden in angenehmer Gesellschaft. Daran denkend. wollte ich unseren Lesern etliche historische Anekdoten auftischen, aber da fiel Ihr Papierkorb, der immer über meinem Damokleshaupt hängt, auf mich nieder, und mir bleibt nichts übrig, als hilflos zu sagen: Tableau!

Um meinen Brief nicht noch einmal öffnen zu müssen, schließe ich ihn nicht, ohne Sie um einen Vorschuß von 50 Mk. zu bitten, und ich sage nicht: von 25 Mk., um Ihnen doppelt dankbar sein zu können. Denn die Landschaft steht in voller Blütenpracht, ich gehe in früher Morgenstunde lustwandeln, und diese erinnert mich immer an ihr sprichwörtliches Mundgold. Nun werde ich ihr doch antworten können: »Ja doch, ich bekomme es heute!« Nicht?

*

Mukden, den 27. Mai 1904.

W. Ich kann wohl sagen: Wem Gott nicht will rechte Gunst erweisen, den schickt er von Port Arthur nach Mukden. Das war ein Gefahre voll Gefahren, von denen sich die Schulweisheit keines Horatios, der dies liest, nichts träumen läßt. Ich weiß heute noch nicht, ob ich dem blauen Auge trauen soll, mit welchem ich wie durch ein Wunder davonkam. Manchmal hörte ich bedenklich nahe 83 das Gras wachsen, in das ich hätte beißen müssen, wenn ich nicht das Glück gehabt haben würde, jedesmal wieder den Kopf aus der Schlinge ziehen zu können. Es gehen da zwei barbarische Armeen aufeinander los. Russen und Japaner schlagen mit Passion Menschen tot. Das macht ihnen Freude, wie uns europäischen Völkern das Geburtstagsfeiern. Was ist jenen ein Menschenleben? Sie blasen das Lebenslicht wie einen Hobel aus. Keiner dieser Barbaren hat Wallensteins Lager gelesen. Wenn man sie nach diesem Meisterwerke fragte, so würden sie sagen: Ein solches Warenhaus gibt es bei uns nicht. Aber die Worte des zweiten Jägers: »Der Krieg hat kein Erbarmen« unterschreiben sie alle, obschon dies die wenigsten können. Statt Lesen, Schreiben und Rechnen haben sie Morden, Sengen und Brennen gelernt. Endlich kam ich leidlich erhalten in Mukden an. Mit größter Mühe fand ich in einem Ausspann »Zum goldenen Torpedo« ein Zimmerchen, welches doch so groß war, daß etliche tausend Wanzen bequem darin wohnen konnten. »Heiliger Zacherl«, rief ich schaudernd aus, »warum tötet ihr denn diese Bestien nicht?« worauf mir der Wirt antwortete: »Es sind ja keine Menschen.« Eines der zehntesten Gebote »Du sollst nicht morden« wenden diese Menschen nicht auf Menschen an. Den Wanzen krümmen sie kein Haar, im Gegenteil schonen sie sie, damit sie ungestört die Menschen peinigen können.

Hier, im Herzen der Mandschurei, erkläre ich: Für die Russen hat die Kultur, die alle Welt beleckt, keine Zunge, die bei uns jede Wage und jede Schnalle hat. Das geht soweit, daß die Ansichtskarte nicht bis hier vorgedrungen 84 ist. Als ich eine solche mit einem Gruß aus Mukden kaufen wollte, fragte mich der Papierhändler, ob ich verrückt sei. »Njet!« antwortete ich russisch und verletzt, worauf er sagte, daß ich mir solche Späße nicht wieder erlauben sollte, ohne ihn zu bestechen.

Charakteristisch für die Bestechlichkeit der Russen ist, daß die Lazarette durchaus nicht überfüllt sind, daß aber Verwundete, welche von den Billethändlern keinen Platz für ein Bett kaufen, überhaupt nicht aufgenommen werden.

Fortwährend landen japanische Truppen, die nach Port Arthur marschieren. Vor einigen Tagen wieder 50 000 Mann. Auf ihrem Marsch werden sie von den Kosaken, die ja als Spaßverderber berüchtigt sind, fortwährend aufgehalten. So in der Nacht auf den 21. Da passierte es, daß weder die Japaner, noch die Russen die Hand vor Augen sehen konnten. Die Folge war, daß beide sich selbst beschossen, und als es hell wurde, stellte es sich heraus, daß sie sich über die eigenen Haufen geschossen hatten. Es war eine Schlacht unter Brüdern. Die Russen zogen ihren Toten japanische und die Japaner den ihrigen russische Uniformen an, und so endete diese unglückliche Nacht zu aller Zufriedenheit, so daß am 22. mittags hier und in Tokio Viktoria geschossen werden konnte. Viel Lärm um nichts und des Hasses Müh umsonst! Fast shakespearisch! Dieses ewige Viktoriaschießen ist nachgerade im höchsten Grade diskreditiert. Ich weiß aus bester Quelle, – ich habe das Stubenmädchen durch Bestechung bewogen, mir ihr Herz zu schenken und keine Geheimnisse vor mir zu haben, – daß man in St. Petersburg beim Viktoriaschießen ganz verzweifelt fragend ausruft: »Donnerwetter, haben wir 85 schon wieder Haue bekommen?« Es ist ja erklärlich, daß man dies nicht bejahend kanonieren will und die Niederlage deshalb mit dem Siegel des Viktoriaschießens bedeckt. Und dies wird sich auch nicht ändern, bis das Viktisschießen eingeführt sein wird. Also niemals. Keine Calendas sind so γραεχασ, daß wir dies erleben werden.

Die Nachricht, daß Rußland zwei Millionen Mann mobil machen wird, um den Krieg zu beenden, hat nicht die Wirkung hervorgebracht, die sich Rußland von ihr versprochen. Sie kommt den Japanern japanisch vor. Zwei Millionen sind zwei Xerxesheere und kein Deus, der aus der Exmaschine springt, sondern höchstens mit einer Festina, deren Lente nicht abzusehen ist. Bis von diesen zwei Millionen auch nur die bessere Hälfte, nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Gattin, ins Feld rücken kann, hat sich der Japaner längst in den Pelz Port Arthurs gesetzt und ist nicht wieder aus ihm heraus zu insektenpulvern. Diese Mobilmachung käme also, wie ich es nennen möchte, post Festung. Der Lateiner wird über diese Bemerkung aus der Haut fahren, aber er wird sehr bald einsehen, daß sie den nichtphilologischen Nagel auf den Kopf trifft, und wieder in seine Haut zurückkehren, die ihm eben noch schauderte. Abgesehen von allem, wie will Rußland zwei Millionen Mann in dem Lande eines Feindes ernähren, der nach russischer eigener Überzeugung ihm nicht das Wasser reicht! Von den Enten, welche die russischen Behörden jetzt über den Gang der Ereignisse in die Welt setzen, kann eine Armee nicht leben, und wenn alle diese mobilgemachten Russen Eisenfresser wären, so viel Eisen gäbe es in der ganzen Welt nicht, um diese Soldaten auch 86 nur eine Woche lang zu sättigen. Auch die Katzenköpfe, welche die Russen von den Japanern bis jetzt bekommen haben, würden ihnen keinen Braten liefern, ebenso ungenießbar wie das Schwein, welches die Russen bis jetzt nicht gehabt haben. Rußland mag ja sehr reich sein, sein goldenes Kalb unerschöpflich, sein Kredit ohne Grenzen, und seine Rubel mögen wie seine Armeen ununterbrochen geschlagen werden, die Masse, die erst mobil gemacht werden soll, bringt es nicht, und sei sie auch noch so zahlreich.

Vorläufig liegt für die Russen nicht nur auf dem Lande, sondern auch auf dem Wasser wenig Zukunft. In den Gewässern von Wladiwostok ist der Kreuzer Bogatyr auf einen ohne Zweifel im Wege stehenden Felsen gerannt und untergegangen. So erzählte mir heute Morgen ein Russe, der hinzufügte: Wissen Sie, was wir haben? Smola.

Ich gab das zu, um ihn nicht zu erzürnen. später fragte ich meinen Wirt. was Smola, das die Russen haben, bedeute. Er sagte: Pech, Sie Wol.

Da ich auch dieses nicht verstand, fragte ich den Hausknecht, der mir sagte, Wol heiße Ochs.

Ich dankte verbindlichst, ohne mich beleidigt zu fühlen. Abgesehen davon, daß ich wünsche, immer Wol zu sein, sagte ich mir, daß die Russen durch ihr Smola nervös geworden seien und man Nachsicht mit ihnen haben müsse. 87


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