Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel

»Lieber Fritz,« so lautete ein Brief, den Fritz wenige Tage vor Semesterschluß erhielt, »leider werden sich unsre Wünsche für die Ferien nicht ganz so erfüllen, wie wir es uns ausgemalt hatten. Der General ist nämlich bedenklich erkrankt, und selbstverständlich wollen Wittes unter diesen Umständen nicht reisen. Ich habe überlegt, ob es nicht richtiger wäre, wenn auch ich nunmehr hier bliebe, um in Alines Nähe zu sein – das war mein erstes Gefühl. Ich ging schon mit der Absicht um, wieder in Cranz Zimmer für uns zu mieten. Aber schließlich habe ich mir doch gesagt, daß es besser sei, bei unserm ersten Plan zu bleiben, und der Doktor hat mich, klug und schlagfertig wie immer, darin bestärkt. Der General ist in guter Pflege, er wohnt beim Bruder, der ihn selbst behandelt, und Aline hat weiter keine anstrengenden Pflichten. Dein Verweilen in der Nähe würde aber zur Zeit eine gewisse Unruhe ins Haus bringen, und die möchten wir alle vermeiden. Gott gebe, daß der liebe alte Herr noch einmal durchkommt.

Ich werde also am vierten August abends hier abreisen, einen Tag mit Dir in Berlin bleiben, und wir fahren dann am sechsten gemeinsam weiter.

Eben wurde ich durch Besuch unterbrochen: es waren Natja und Hermann. Sie fährt zu seinen Eltern nach 184 Memel und war auf der Durchreise ein paar Stunden hier. Sie hat sich sehr erholt, und ich freue mich des ruhigen Glücks der beiden. Daß Hermanns eigentliche warme Natur nun kräftig durch die mit einer gewissen unreifen Absicht festgehaltene Kälte seines äußeren Wesens bricht, ist gut – für ihn, für Natja und für alle, mit denen er leben muß. Er läßt Dir sagen, daß er in seinem Amt die besten Aussichten hat, er will Dir bald wieder schreiben. Dabei fiel ein Wort, als ob nach seinem Gefühl auch Du nicht in der regelmäßig juristischen Laufbahn bleiben würdest.

Das hat mir zu denken gegeben. Hermann meinte auf meine Frage, Du hättest ihm nie dergleichen geschrieben, aber aus Deinen kurzen Briefen läse er so etwas heraus. Unwillkürlich beschäftigt mich nun diese Perspektive. Ich habe Dich mir immer als künftigen Richter oder Beamten vorgestellt, und es wird mir schwer, Aussichten und Hoffnungen jetzt eine andre Richtung zu geben – wenn denn an Hermanns Worten etwas ist. Ich verhehle mir freilich nicht, daß bei Deiner Art und Deinem Temperament ein langes Sitzen in einem unsrer kleinen Nester Dich wenig befriedigen würde – denke ich doch mit Vergnügen und Dankbarkeit an unsre Versetzung nach Königsberg aus der winzigen Garnison, nach dem Krieg 66. Auf der andern Seite bleibt ein solches Abweichen immer ein gewisser Sprung ins Dunkle. Und schließlich könntest Du ja Rechtsanwalt, vielleicht in Königsberg selbst, werden, was freilich nach früheren Äußerungen Deiner Neigung nicht recht entspräche. 185

Eins allerdings ist auch mir in Deinen Briefen aufgefallen – Du hast Dich überraschend schnell in Berlin eingelebt, und zwar, wie ich mit Freuden sehe (das Wort Freuden war unterstrichen), nicht in Vergnügungen, zu denen anscheinend Deine Arbeit Dir keine Zeit läßt, sondern in die ernsten Seiten des dortigen Lebens – Du verstehst mich. Ich möchte wohl einige Deiner Bekannten, besonders den Doktor Landmann, kennenlernen. So beschäftigt mich nun – ich habe den Brief wieder für einige Stunden unterbrechen müssen – die Empfindung, daß Du vielleicht in irgendeiner Weise erstreben könntest, Dich dort heimisch zu machen.

Nun, Du wirst mir ja das alles bald mündlich beantworten können. Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen – ein Wort, das meine Mutter oft gebrauchte. Nimm's nicht zu schwer, daß ich es wiederhole, es fiel mir unterdem ein, aber ich werde wohl erst ganz ruhig werden, wenn ich mich mit Dir ausgesprochen habe. –«

Fritz ließ den Brief, der nur noch Grüße enthielt, sinken.

Im Grunde war's ihm lieb, daß die Mutter schon ein wenig vorbereitet eintraf. Heute war der erste, noch vier Tage also. Er schrieb nur kurz zurück, daß er sie am fünften früh auf dem Bahnhof Zoologischer Garten erwarten würde. Dann schrieb er an Wittes, und erst jetzt kam die Enttäuschung über ihn, daß er nun Aline nicht sehen und die Tage im Gebirge nicht mit ihr verleben würde. 186

Aber er hatte nicht lange damit zu kämpfen – es war doch auch wieder gut, daß er die Mutter zunächst allein für sich haben würde. Und dann – vielleicht war's das letztemal, daß er Gelegenheit fände, Wochen ungestört mit ihr zu verbringen. Wenn die neuen Pläne in Erfüllung gingen: wer wußte, wie alles schon im nächsten Jahr war.

Das letztemal. Mit tiefer Bewegung sagte Fritz sich das. Von den ersten bewußten Kindertagen an hatte er ja nur die Mutter gehabt, alles nur mit ihr geteilt. Früh hatte sie, um ihn nicht zu verzärteln, Knabengesellschaft für das einzige Kind gesucht und gefunden: immer war sie doch die, zu der jede Freude und jedes Leid getragen wurde – und die scheinbar so kleinen Kinderleiden sind dem Kinde ja echte, große Schmerzen, wie uns das Herbste und Tiefste. Dann hatte die Mutter, um ganz mit ihm weiter zu leben, Latein gelernt, seine Arbeiten durch das ganze Gymnasium begleitet, ihm aber, als er heranwuchs, jede Selbständigkeit gelassen, die gut und recht war. Alle seine religiösen Stimmungen und Zweifel um die Zeit des Konfirmandenunterrichts und später noch hatte er bei ihr, die sich nie versagte, zur Ruh gebracht. Früher als er selbst hatte sie nun um seine Liebe zu Aline gewußt.

Konnte das vorbei sein?

Er seufzte.

Wandeln würde sich manches. Aber hier war mehr als Pflicht, hier war auch wirklicher Zwiespalt. Eins mußte sich ins andre fügen, auch wenn die ausschließliche äußere Gemeinschaft aufhörte. 187

Je klarer sich die Zukunft vor ihm herausarbeitete, um so festern Platz gewann darin der Mutter Bild. –

Am Abend war er mit Landmann am gewohnten Ort allein. Er sprach ihm von seinen Eltern. Der andre hörte aufmerksam zu.

Er hatte Fritz nie darum befragt. Erst muß ich mal sehen, hatte er gelegentlich gesagt, wie einer selber ist: gute Kinderstube merkt man ja – zu allem andern bleibt immer noch Zeit.

Jetzt hörte er aufmerksam zu.

»Sie sind Offizierssohn! Sehen Sie, auch das gehört heute zu den vielen Parteilügen noch aus der Konfliktszeit her, daß man die Selbständigkeit im Offizierskorps unterschätzt. Gehorsam – selbstverständlich. Aber kaum woanders hab' ich soviel selbständige, geradeaus gerichtete Köpfe gefunden, wie da. In den letzten Tagen hab' ich zufällig einen Gedichtband in die Hände bekommen: Adjutantenritte von einem gewissen Liliencron. Glänzend, jeder Strich, jedes Bild selbständig beobachtet, ganz unbekümmert hingeschrieben – und dabei feinste Lyrik. Auch ohne den Titel wüßte man, daß ein Soldat es geschrieben hat. Der Blick fürs Wesentliche!«

Er sah Fritz, wie er's oft tat, scharf und prüfend an.

»Auch von daher also scheinen Sie mir dazu beanlagt, was Sie selbst jetzt wünschen. Sagen, worauf es ankommt, das werden Sie lernen müssen, und das wird Ihnen, scheint mir, nicht schwer werden. Die alten Parteiphrasen herunterbeten, ist schließlich Kinderspiel, hat aber auch keinen Wert mehr, heute, wo große 188 Entscheidungen erst beginnen werden. Wir werden viel Mut brauchen, viel Unabhängigkeit, sehr viel unbeirrtes nationales Bewußtsein. Wenn sich ein paar Phrasen für den Hausgebrauch nicht vermeiden lassen, mögen sie passieren, es kommt doch auf etwas andres an. Erinnern Sie sich noch, wie ich Ihnen am ersten Tage unsrer Bekanntschaft den Gegensatz zwischen Lagarde und Treitschke auseinandersetzte? Daran denke ich auch heute. Wer ins Weite wirken will, und das wollen wir alle, und der Journalist ganz gewiß, kann nicht schreiben wie Lagarde. Wer so nackt logisch, manchmal fast schematisch seine Gedanken entwickelt, darf nur ein kleines, freilich ein sehr gutes Publikum erwarten. Was er gesagt hat, wird dann schon mal irgendwie durchdringen, sickert langsam von oben nach unten. Aber damit ist's nicht getan: das weiß Treitschke. Der verschmäht das Schlagwort keineswegs, muß es haben, wird auch nicht immer jeden Gedanken aussprechen, sondern manchen zurückhalten, um die rechte Stunde abzuwarten, in der er einschlagen kann und soll. Aber die üblichen, breiten Bettelsuppen schenken sich beide, und die wollen wir uns auch schenken.«

»Aber,« er lächelte, »wir waren bei ganz was anderm, erzählen Sie bitte weiter.«

Fritz erzählte. Und dann sagte er Landmann, daß er erst auf seiner Ferienreise mündlich mit der Mutter die Zukunft hatte besprechen wollen, sprach ihm von dem heute empfangenen Brief und von Frau Klaras Wunsch, Landmann kennenzulernen. 189

Sie verabredeten ein Beisammensein für den Abend vor Fritzens Abreise.

Am fünften früh kurz nach sechs stieg Fritz, ein paar nachtüber sorglich im Wasser bewahrte Rosen in der Hand, die Treppen zum Bahnsteig am Zoologischen Garten empor. Er mußte noch eine Weile warten und schritt auf dem fast menschenleeren, breiten Damm hin und her. Dann sah er den Zug in ziemlich langsamer Fahrt von Osten herankommen, halten, und während er noch stand und an den Wagen entlang sah, öffnete schon fast unmittelbar vor ihm die Mutter die Tür. Er sprang zu, half ihr hinabsteigen, und dann schritten sie in stummer Wiedersehensfreude langsam hinunter. Noch war es kühl, wolkenlos lag der Himmel über der durch die Nachtluft erfrischten Stadt. So fuhren sie in einem offnen Wagen dem Potsdamer Bahnhof zu, in dessen Nähe Fritz der Mutter Quartier bestellt hatte. Sie sprachen wenig, aber in jedem Wort war das Glück der Stunde. Fritz wartete im Treppenhaus des Gasthofs, bis die Mutter wieder herabkam, und dann gingen sie dem Tiergarten zu, sorglich führte er sie über den nun schon belebten Potsdamer Platz, und gern stützte sie sich auf den Arm des Sohnes, der ihr noch männlicher geworden schien.

Frau Klara hatte Gutes zu berichten: es ging dem Generalleutnant erheblich besser, der an Wind und Wetter Gewöhnte und der Gewöhnung trotz seinen körperlichen Beschwerden Treugebliebene hatte nur den Wunsch, so bald als möglich hinauszukommen, am liebsten an die See. Der Doktor hoffte, daß 190 sie in ein bis zwei Wochen mit ihm hinausziehen könnten.

Mutter und Sohn kehrten in dem Garten von Charlottenhof ein, wo schon ein paar Leute, Brunnen trinkend, umhergingen, und frühstückten hier.

»Nun wollen wir ins Zeughaus fahren,« sagte Klara.

Sie bestiegen die Pferdebahn, fuhren bis zum Brandenburger Tor und ging dann ins Zeughaus. Niemals versäumte Klara das, so oft sie in Berlin war, es war ihr wie ein eigner Besitz, wenn sie hier die Trophäen der Kriege sah, in deren größtem sie soviel hatte hergeben müssen.

Einen Augenblick sah sie, als sie wieder auf die Straße traten, Fritz von der Seite an; sie erwartete, daß er nun von seinen Plänen sprechen würde. Er tat es nicht. Er wollte es ihr selbst sagen, hatte auch Landmann gebeten, die Rede nicht darauf zu bringen; aber die Mutter sollte erst einen Blick in den Kreis tun, den er hier kennengelernt und der ihn so stark beeinflußt hatte.

Ohne irgendeine Frage schwieg sie. Und die leise Spannung bei beiden nahm der stillen Heiterkeit dieses Tages nichts, sondern gab ihr noch einen Reiz mehr.

Abends trafen sie sich mit Landmann im Krollschen Garten. Sie suchten sich einen Tisch mitten zwischen grünen Sträuchern, zu dem die Musik nur gedämpft fernher herüberklang. Fritz war nicht ganz unbefangen, aber Landmann gab sich ruhig und natürlich wie immer und war bald mit Frau Klara im lebhaftesten Gespräch, das sich fortsetzte, während beide Herren sie nach ihrem Hotel brachten. 191

So fanden sich Mutter und Sohn erst wieder am andern Morgen im Zuge allein, der sie nach dem Harz führte.

»Doktor Landmann hat mir sehr gut gefallen,« begann Klara sogleich die Unterhaltung. »Ich habe einen Menschen wie ihn freilich noch nie kennengelernt. Er bringt so etwas wie frische Luft mit, er sieht die Dinge so unbefangen.«

Fritz bejahte und meinte, daß das zum Teil an seinem langen Aufenthalt in den Kolonien und in Afrika läge.

»Du sagst: zum Teil, und hast recht. Ich kenne Leute, die ein halbes Leben draußen zugebracht haben und gar nichts mitbringen als die Kenntnis verschiedener Speisekarten und ein paar Anekdoten. Es kommt eben darauf an, wie man sich da umsieht. Ich möchte sagen, wenn es auch paradox klingt: Landmann brachte eigentlich schon das meiste von dem mit, was er sich drüben holte.«

Das konnte wieder Fritz bejahen, und er rühmte dann Landmanns allgemeine, besonders aber seine politische Bildung, sprach von den Kollegs während des abgelaufenen Semesters und dann von den einzelnen Personen des Landmannschen Kreises. Indem er sie der Mutter schilderte, lebten sie selbst erst recht vor ihm auf, er gewann Distanz zu ihnen, und jeder einzelne Charakter erschien ihm nun deutlicher: der ruhige Mettelkamp, der selten ein Wort, dann aber immer ein schwer betontes, ins Gespräch gab, der innerlich vielleicht der Glühendste von allen war. Burdach, 192 rasch von Entschluß, ein Kampftemperament durch und durch, Haffner, skeptischer als die andern, altpreußischer. Und neben ihnen dieser oder jener, der nicht regelmäßig einkehrte.

Frau Klara fand, daß Fritz gut erzählte und an Darstellungsgabe gewonnen hätte, sagte es ihm aber nicht. Die Fahrt verging ihnen rasch, und als sie früh nachmittags durch die lebhafte Herzog-Wilhelm-Straße Harzburgs gingen, sich Zimmer zu suchen, schien es nicht einmal Frau Klara, geschweige denn Fritz, daß sie eine Reise hinter sich hätten.

Der nächste Tag war sonnig, aber nicht schwül, und so beschlossen sie, sogleich nach dem Brocken aufzubrechen, den Klara einmal in ihrer Mädchenzeit bestiegen hatte. Langsam stiegen sie zum Molkenhaus, wenig sprechend, wie gute Wandrer das tun und wie es hier der den Flachländern immerhin ungewohnte, verhältnismäßig steile Weg ohnehin verlangte. Die Sonne stand schon ziemlich hoch, als sie die Wiesen des Scharfensteins vor sich sahen.

Aufatmend standen sie still. Rechts lagen, sanft abfallend, die Wiesen, dahinter sah man schon das Forsthaus, nach links aber bot sich ein weiter Blick über Höhen und Wälder, hinter denen undeutlich ein wenig von der Ebene aufschimmerte. Sie waren allein, aus der Tiefe hörte man hier und da den Hall einer menschlichen Stimme, ganz fern rief ein Kuckuck, sonst war man ganz abgeschieden für sich, nach der Menschenfülle im Badeort doppelt erquicklich. Mit vollen Zügen tranken sie die reine Bergluft und den sommerlichen 193 Hauch der Wiesen und schritten nun, nachdem sie stehend gerastet hatten, langsam auf dem Wege hin und wieder.

Jetzt begann Fritz zu erzählen. Langsam erst, stockend, dann immer flüssiger kamen ihm die Worte; alles, was er mit sich allein, mit Landmann und wieder einsam, was er vor dem Bilde der Mutter und in dem Gedanken an Aline besonnen hatte, ordnete sich nun erst ganz zu festen Bildern und Aussichten. Er sprach nicht, die Mutter zu überreden, sondern zwang sich zu ruhiger Darlegung, bemüht, sie zu überzeugen. Zum Schluß kam er auf ihren Brief, klopfte auf die Tasche, in der er ihn trug: sie habe ja schon etwas geahnt, nun warte er darauf, was sie zu sagen hätte.

Frau Klara hatte Fritz unter seiner Rede das Plaid von der Schulter genommen und sich auf einen ungefügen Stein niedergelassen, der nahe dem Wege lag. Fast unablässig hatte sie Fritz unter dem Hutrand her angeblickt, nun, da ein paar Wolken vor der Sonne lagerten, nahm sie den Hut von dem vollen grauen Haar, legte ihn auf den Schoß und wandte die Augen geradeaus, an Fritz vorbei in die Ferne. Er machte erregt ein paar Schritte hin und her, dann stand er neben ihr still.

Und nun begann sie mit leiser Stimme zu sprechen: »Ich habe dir ja schon manches geschrieben, was ich nicht zu wiederholen brauche. Was dich nun in Berlin halten würde, wußte ich allerdings noch nicht. Ich gestehe dir offen, gerade dieser Gedanke ist mir vollkommen neu. Du sagst selbst, daß es ein Wagnis ist, 194 aber ich will dir und kann dir nicht weniger zutrauen, als deine Berliner Freunde tun. Ich habe mich, während du sprachst, gefragt, was ich mich immer bei Entscheidungen gefragt habe: wie würde dein Vater darüber denken?

»Ihm lag dein neuer Beruf an sich ganz fern, auch hätte ihn vielleicht das, ich will nicht sagen Ungebundene, aber weniger Feste daran bedenklich gemacht, denn er war natürlich als Offizier begrenzte dienstliche Verhältnisse gewohnt. Nun freilich – du wirst ja nicht ganz freier Schriftsteller. Du wirst kämpfen wie der Vater, auf einem andern Felde, aber mit Leuten zusammen, die du für ehrenwert und tüchtig hältst, deren Gedanken du teilst. Ich bin älter und sehe manches anders, aber ich verstehe, was ihr alle wollt, und will nicht kleiner sein als sie. Manchem, der draußen steht, mag es überflüssig erscheinen, über einen solchen Schritt so lang und so ernst zu beraten. Aber ich meine, jede rechte Mutter und jeder rechte Vater wird mich verstehen, und du (sie griff nach seiner Hand) verstehst mich ganz gewiß.«

Sie machte eine Pause. Fritz bückte sich und küßte ihr die Hand. Sie hielt die seine fest und sah ihn von unten auf liebevoll an.

»Also,« sagte sie dann: »Leicht wird es mir nicht, aber ich sage: tu es, wenn du selbst mit ganzem Herzen dabei bist.«

Sie sah ihn fragend an, er nickte nur mit lebhaften Blicken.

»Dann würdest du ja doch bei nichts anderm mit 195 ganzer Seele sein. Und das hab' ich dir immer gewünscht, nichts zu treiben, nichts tun zu müssen, was dich nicht voll erfüllte, soweit das überhaupt menschenmöglich ist.

»Freilich, das blüht nicht jedem, ja, vielleicht nur den wenigsten. Aber wenn's hier einmal möglich ist, so würde ich mir schlecht vorkommen, wenn ich dich hinderte. Übrigens sind Eltern dazu nicht da.«

Und da er eine Bewegung machte, fuhr sie rascher fort, indem sie wieder seine Hand ergriff, die sie losgelassen hatte.

»Ich stehe ganz zu dir. Du weißt, wenn ich einmal etwas ergriffen habe, halte ich's fest. Also: Mit Gott.«

Fritz war so bewegt, daß er keinen Ausdruck fand. Er suchte auch nach keinem. Die beiden Menschen empfanden sich so ganz miteinander, daß es dessen nicht bedurfte.

So erlebten sie Tage einer nie getrübten, ganz befriedeten Harmonie in den Bergen und Tälern des Harzes.

Fritz schrieb von dort aus an Landmann und Burdach und kehrte gegen Ende des Monats ohne weiteren Aufenthalt mit der Mutter nach Königsberg zurück. 196

 


 << zurück weiter >>