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Dreizehntes Kapitel

Fritz war mit Landmann und Haffner in Potsdam gewesen, hatte die Wohnung Friedrichs des Großen und das schlichte Arbeitszimmer Wilhelms I. gesehen und kehrte spät abends heim. Da er morgens sehr früh aufgebrochen war, fand er jetzt erst einen am Vormittag gekommenen Brief. Er war von Witte.

»Lieber Fritz,« schrieb der Doktor, »zunächst möchte ich Dir herzlich danken, und zwar für Deinen Aufsatz im Preußischen Tageblatt, der mir durch Deine Frau Mutter übergeben wurde. Ich brauche Dir nicht erst zu sagen, daß ich mich überall aufs wärmste berührt gefühlt und an manches gedacht habe, was wir zusammen besprochen haben. Andre Leute denken freilich über Dein Auftreten in jener Studentenversammlung (Dein Artikel ist nicht bis hierher gedrungen) wesentlich anders. Du wirst wissen, wen ich meine, natürlich unsre Sugambrer. Die leise Verstimmung gegen Dich war durch Deine Abwesenheit naturgemäß gewichen oder, besser gesagt, vergessen. Man hatte Dich, als Du ganz wider den Brauch jetzt noch ins Reich gingst, sehr gerne ziehen lassen, denn man mochte sich nicht mit Dir anlegen und hoffte, daß Du in Deinem letzten Semester ohnehin stark beschäftigt sein und in der Verbindung wenig hervortreten würdest. 164

Jetzt haben sich einige der jungen Herren und besonders auch ein paar alte, vor allem Danilewski, erheblich über jene Rede aufgeregt – der Bericht stand ja sogar in einer unsrer hiesigen Zeitungen. Außerdem waren zwei Inaktive von den Sueven dort, die Dich flüchtig kennen. Einmal weißt Du ja, daß Deine Ansichten hier nicht geteilt werden, das Wort Achtundvierzig ist für einzelne beinahe ein rotes Tuch, und die Beschäftigung mit der Politik ex officio, die Du mit Recht predigst, behagt den jungen Leuten keineswegs.

Nun sind sie aber in einer gewissen Klemme. Nämlich, wie Du Dir denken kannst, von wegen meiner. Sie wissen, wie wir miteinander stehen, und wenn ich auch vielen, leider auch manchem alten Semester, suspekt bin (eben wegen ††† Achtundvierzig), so bin ich doch einer der Ältesten, und man mag es mit mir nicht ganz verschütten, vielleicht auch – Du darfst ruhig lächeln –, weil mein Bruder Exzellenz ist. Am liebsten würde man Dich meistbietend an eine Burschenschaft oder an den V. D. St. versteigern, wobei mir übrigens zweifelhaft ist, ob Dir damit gedient wäre.

Nun lese ich in Deinen Augen die Frage, warum ich denn nicht selbst austrete. Ich habe mir diese auch bereits vorgelegt, aber doch immer wieder und auch jetzt mit nein beantwortet. Ich gehöre jetzt fünfundneunzig Semester zur Sugambria, und meine schönsten Jugenderinnerungen gehören der Verbindung, die damals freilich nicht nur, wie heute, auf Geselligkeit und dergleichen aufgebaut war. Und darum bleibe ich jetzt, wie ich bei früheren Konflikten geblieben bin. 165 Ich denke da wie ein alter jüdischer Freund von mir, der von einem andern aufgefordert wurde, seiner Couleur das Band zurückzuschicken, weil sie keine Juden mehr aufnähme. Er tat es aber nicht, sondern sagte: ›Mein Vater und ich haben dieser Verbindung angehört; ich werde mich selbstverständlich einstweilen am Verbindungsleben nicht beteiligen, aber, da man mir aus der Verbindung heraus keinerlei Abneigung zeigt, das Band behalten. Die Zeiten ändern sich wieder, und meinen Sohn wird man wahrscheinlich wieder sehr gern aufnehmen. Junge Leute muß man nicht so tragisch nehmen.‹ – Er hat recht behalten, und heute ist sein Sohn in derselben Verbindung. Und darum bleibe auch ich. Dir aber möchte ich, so leid es mir tut, raten, freiwillig auszutreten. Man hat keine großen Handhaben gegen Dich und möchte Dich auch wieder nicht treten (immer mit aus Rücksicht auf mich); aber frage Dich einmal selbst, was sollst Du eigentlich noch in dem Kreise? Du bist spät eingetreten, eigentlich schon zu spät, daß Du den vollen Reiz holder Jugendeselei noch hättest empfinden können, den auch das bloße Couleurleben ohne tiefern Hintergrund auf jedes oder doch auf fast jedes jugendliche studentische Gemüt ausübt. Du hast verschiedentlich Differenzen gehabt, hast auf der andern Seite ein paar nette Leute kennengelernt, quorum unus ego; im letzten Semester – da haben die Leutchen ganz recht – wirst Du nicht mehr viel mitmachen, und ob Du später als alter Herr noch sehr viel Zusammenhalt mit der Couleur haben wirst, ist mir um so zweifelhafter, als ich aus verschiedenen Anzeichen 166 vermute, daß Deines Bleibens in Königsberg später nicht allzulange sein wird.«

Erstaunt, betroffen legte Fritz hier das Blatt nieder. Wie kam der Alte darauf? Er war sich bewußt, nicht ein Wort der Art nach Hause geschrieben zu haben. Sinnend sah er vor sich hin. Verriet sich der Mutter, denn nur mit ihr stand er in regelmäßigem Briefwechsel, zwischen den Zeilen mehr, als er selbst schon mit Absicht hineinlegen konnte und wollte? – Er las weiter: »Ich mache nicht gern die Augen zu, um etwas nicht zu sehen, was ich doch sehen muß, und so spreche ich auch diese mir sehr schmerzliche Vermutung ganz ruhig aus, will auch Deine Absichten, die ich ja des näheren gar nicht kenne, nicht stören. Aber, wieder auf die Sugambria zurückzukommen, ich rate Dir, wie gesagt, schreibe einen artigen Brief, daß Du austreten möchtest, man wird Dir nichts in den Weg legen, und Du wirst in allen Ehren entlassen werden. Es hat sich, wie ich Dir ruhig verraten darf, ein kleiner Streit abgespielt: die Partei Rose wollte gegen Dich vorgehen, Kossekel mit seiner vernünftigen Ruhe hat das verhindert und hat zu meiner Freude dabei insbesondre bei einigen jüngeren Semestern Unterstützung gefunden, die, wie mir scheint, den andern noch manche Nuß zu knacken geben werden, und die ja, was mich noch mehr freut, in einigen Semestern die Führung haben müssen. Du wirst sogar, wie ich Dir gleichfalls, ohne ein Geheimnis preiszugeben, sagen darf, die Aussicht haben, später zwar nicht das Band, aber die Schleife zu erhalten. 167

Dixi. Aline läßt Dich herzlich grüßen, mein Bruder, der gestern bei uns war, bat mich gleichfalls, Dir gelegentlich einen Gruß zu bestellen.

Dein alter treuer Witte.«

Fritz fühlte sich durch den Brief überrascht. Er hatte in den letzten Wochen an die Verbindung kaum mehr gedacht und fand nun in Wittes klarer Darlegung viel besser, als er sich's selbst je gesagt hatte, seine eigentliche Stellung zu den Königsbergern Kommilitonen wiedergegeben.

Als er andern Tags aus der Universität kam, nahm er einen Bogen und schrieb ein paar artige Zeilen an die Verbindung, in denen er kurz bat, seinen Austritt zu genehmigen, da er bei seinem späten Eintritt doch den regen Anteil am Leben der Couleur nicht hätte nehmen können, den diese erwarten dürfe, und auch nach seiner Rückkehr kaum Zeit dazu finden würde. Auch seien – das mochte er sich doch nicht versagen, um nicht feige zu scheinen – seine Anschauungen, wie er gefunden habe, in manchem denen der meisten Verbindungsbrüder entgegengesetzt, so daß ein ganz harmonisches Verhältnis sich möglicherweise auf die Dauer doch nicht werde herstellen lassen.

Nach vierzehn Tagen erhielt er die ebenso höfliche Antwort, das Ehrengericht, das über jeden Austritt zu befinden hatte, habe nichts dawider einzuwenden gehabt, und so sei er mit den besten Wünschen entlassen. Man bäte ihn, der Couleur ein gutes Andenken zu bewahren, er könne des gleichen bei ihr sicher sein. 168

An Witte hatte Fritz seinen Entschluß nur kurz gemeldet. Er glaubte, jener Briefstelle, wo Witte von dem Schmerz einer künftigen Trennung sprach, wohl zu entnehmen, daß der Alte um Aline und ihn wußte, aber da Fritz erst nach bestandenem Examen eine Aussprache herbeiführen wollte, so ward es ihm schwer, den rechten Ton zu finden, der nicht zu viel und doch auch wieder nicht zu wenig durchblicken ließ.

Witte schien aber diese Zurückhaltung nicht nur verstanden, sondern erwartet zu haben, denn in seiner bald darauf folgenden Antwort war ganz derselbe herzliche Ton wie in dem ersten langen Brief. Gleichzeitig mit diesem Schreiben traf eins von Frau Klara ein, und beide enthielten die Nachricht, daß die Mutter mit dem Doktor und Aline zusammen bei Ferienbeginn in Berlin eintreffen und Fritz zu einem kurzen Aufenthalt in den Harz abholen würden. Gleichzeitig schrieb Hermann Sander, daß er eine Stellung bei einer Berufsgenossenschaft gefunden habe, daß Aussicht bestehe, bald einen leitenden Posten zu erhalten, so daß er hoffe, Natja, deren häusliche Verhältnisse noch immer nicht die besten seien, vielleicht schon im Laufe eines Jahres heimzuführen. –

Wie ein lähmendes Unbehagen lag es in diesen heißen Sommertagen über dem jetzt durch die üblichen Reisen stark zusammengeschmolzenen Kreise in der Weinstube der Potsdamer Straße. Von den regelmäßigen Besuchern waren nur Landmann und Burdach zur Zeit in Berlin, jenen, der jahrelang in Afrika gelebt hatte, störte die Hitze nicht, und dieser hatte 169 zur Zeit keine Vertretung bei seinem Blatt. Man war seiner Sache freilich nicht sicher, aber diese Unsicherheit über die nächste Zukunft drückte mehr noch als eine schwere Gewißheit. Burdach wußte von Verstimmungen zwischen Kaiser und Kanzler zu erzählen. Aber auch ohne solche Gerüchte, ohne daß man bestimmte Einzelheiten zu wissen oder zu ahnen glaubte, lag Schicksalsstimmung über allen.

Eines Abends fanden sich Landmann und Burdach allein am Tisch; da kamen sie auf Fritz zu sprechen. Beide vermißten ihn, und Landmann gab dem Ausdruck, indem er sagte: »Schade, daß der junge Friedrich heute nicht da ist; man schleift sich ordentlich an der Jugend einmal ab, wir brauchen solche Leute, und sie brauchen uns.«

»Ganz meine Meinung.«

Burdach hatte das so ernst und mit einem so besondern Ton gesagt, daß Landmann den scharfumrissenen Kopf von der Zeitung hob, in die er zerstreut geblickt hatte, und sagte: »Nanu, Burdach, mir scheint, Sie haben Absichten auf den Jungen.«

Burdach zog seine Bartenden auseinander.

»Und wenn das so wäre?«

Landmann sah ihn fest an und dann eine Weile geradeaus, wie es seine Gewohnheit war. Dann zuckte er die Achseln.

»Ich weiß nicht recht. Hat er schon viel für Ihr Blatt geschrieben?«

»Nichts als den einen Artikel nach jener Studentenrede.« 170

»Und?«

»Na, wie fanden Sie den?«

Landmann schwieg eine Weile, dann sagte er: »Jung, tüchtig, gut. Aber ob es für mehr reicht?«

»Das glaube ich nun unbedingt. Ich habe Blick dafür. Journalist lernt man nicht, zum Journalisten wird man geboren.«

Landmann meinte nicht ohne Lächeln: »Sehr richtig. Aber warum fordern Sie ihn denn nicht auf, mehr zu schreiben, damit Sie ihn besser kennenlernen und er in Übung kommt?«

»Hab' ich getan, er wollte aber nicht. Er sagte, er hätte jenen Artikel sehr gern und ohne jede Mühe geschrieben. Aber jetzt müsse er erst an seine Examina denken. Aufrichtig gesagt, hat mir das gefallen.«

»Mir gefällt's auch,« sagte Landmann lebhaft. »Heute, wo bald jeder Oberprimaner, besonders in Ästhetizis, seine Feder an den Röcken andrer Leute ausspritzt, ist diese Zurückhaltung gesund und gut und im Grunde nicht mal unjugendlich. Schließlich soll man mit einundzwanzig Jahren doch nicht mehr auf alles loslaufen, was einem geboten wird.«

»Um so mehr glaube ich,« sagte wieder Burdach, »daß ich ihn später sehr gut werde brauchen können. Wir haben keine große Auswahl, und es werden Jahre kommen, wo tüchtige und mutige Zeitungsschreiber nötig sein werden.«

»Auch das gebe ich vollkommen zu. Ob Friedrich überhaupt in die übliche Tretmühle paßt, wie sie heute noch ist? Natürlich brauchen wir gute Juristen. Aber 171 die sind sicher viel häufiger als gute Redakteure. Und eines schickt sich nicht für alle. Im übrigen denk' ich mir's für ihn vielleicht als Durchgangsposten zu ganz was anderm – so was kommt ja vor. Freilich, wer kann wissen, wie sich ein Mensch entwickelt.«

»Da wären wir also im wesentlichen einig,« sagte Burdach. »Wollen Sie mal mit ihm drüber sprechen? Sie kennen ihn ja besser als ich.«

Landmann versprach es. 172

 


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