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X.

Immer am Bache entlang, der lustig neben mir her plätscherte, dem gutgehaltenen Pfade folgend, war ich in wenigen Minuten zu dem Mühlengehöft gelangt, das einen ziemlich geräumigen Hof umschloß, in welchen der Pfad mündete. Auf dem Hofe war es still, wie denn das ganze Gehöft wie verschlafen schien, außer daß noch ein paar Tauben auf dem Dache eines offenen Schuppens gurrten. In dem Schuppen entdeckte ich einen alten Mann, der Holz gespalten hatte, und jetzt dem Fremden entgegenkam. Es war der Müller selbst – eine hagere Gestalt, die in der Jugend überlang gewesen sein mochte, sich aber jetzt unter der Last der Jahre gebeugt hatte. Ich richtete meinen Gruß aus, ohne selbstverständlich der bösen Geschichte zu erwähnen, in welcher dem alten Manne eine so rühmliche Rolle zugefallen war. Ich sagte nur, daß ich nach dem Schlosse wolle, und ob ich von hier aus über den Bach dorthin gelangen könne? – Allerdings führe hier eine Brücke über den Bach und ein kurzer Wiesenweg bis zu einer Nebenpforte des Parkes, die meistens nicht verschlossen sei. Schlimmsten Falles müßte ich um die Parkmauer herum bis zu dem Schlosse selbst gehen. Der Weg durch den Park sei nicht schwierig. Doch wolle er mich, wenn's mir recht sei, gern begleiten. Ob der Herzog schon im Schlosse sei, wisse er nicht; drüben würden wir es bald erfahren, wo wir das Schloß sähen, und ob die Fahne auf dem Turm wehe, oder nicht.

Ich nahm das Anerbieten des alten freundlichen Mannes, der aber doch etwas Gedrücktes, ja Trauriges hatte, gern an. Wir verließen den Hof, nachdem er seiner Frau ein paar Worte in das stille Haus hineingerufen, und gingen über die Brücke, welche unmittelbar vom Hof über den Bach führte. Das große Wasserrad befand sich in geringster Entfernung von dem Brückenstege – es war mehr ein Steg, als eine eigentliche Brücke – aber die Mühle stand. Aus Wassermangel, erzählte mir der Müller auf mein Befragen. Es habe in den letzten Tagen nicht geregnet, außer heute, und das auch nur reichlich oben auf dem Walde, weniger hier unten. In einer Stunde werde das Wasser wohl kommen und mehr als man brauche. Es sei eben kein Verlaß auf das Wasser, seitdem der Herzog da, wo der Bach sich weiter oben gabele, den Teil, der durch den Schloßpark fließe, habe erweitern, austiefen und mit Schleusen versehen lassen, so daß nun wohl er für seine Teiche immer das richtige Wasser habe, aber keineswegs die Mühlen, die Schloßmühle hier – denn so heiße sie, obgleich sie, Gott sei Dank, nicht zum Schlosse gehöre, ebenso wie die anderen weiter unten, deren es, alles in allem, noch acht gebe. Alle die acht Müller, mit ihm, dem Schloßmüller, als dem neunten, lägen schon seit zwei Jahren mit dem Herzog in einem Prozeß, welcher jetzt, gottlob, in die letzte Instanz gekommen sei, und den sie wohl gewinnen würden. Sonst könnten sie nur freilich alle nach Amerika wandern.

Ich mochte auf diese Sache, die mir der alte Mann weitschweifig auseinandersetzte, nicht eingehen. Wollten denn die Klagen über den Herzog heute kein Ende nehmen? und war mir das Herz für den Abschied von ihm, der mir vielleicht noch heute abend bevorstand, nicht schon schwer genug? Ich wäre den alten Mann, der immer eintönig auf mich einsprach, gern los gewesen. Und warum blickte er mich von Zeit zu Zeit so seltsam prüfend aus seinen tiefliegenden kleinen Augen an?

Verzeihe der Herr, unterbrach er sich selber plötzlich; sind Sie der junge Herr, der bei dem Herzog jetzt in so großer Gunst stehen soll?

Ich weiß nicht, was Sie meinen; erwiderte ich verlegen.

Ich glaube es schon, daß Sie es sind, sagte er, mich wieder mit einem jener seltsamen Blicke betrachtend. Und dann wollte ich den Herrn nur um eines recht schön bitten: wenn Sie die Rede einmal auf den alten Müller Siebenpfeiffer bringen und Hoheit dabei erinnern wollten, daß ihm der Siebenpfeiffer einmal einen großen Dienst erwiesen hat! Hoheit wird das schon verstehen, wenn – der Herr es ihm sagt. Es ist nur, daß der Prozeß am Ende doch für uns verloren gehen könnte. Und sehen der Herr, ich bin ein alter Mann und möchte ungern auf meine alten Tage nach Amerika.

Er war stehen geblieben. Vor uns, die wir längst im Parke waren, lag, durch breite, mit prächtigen Bosketts geschmückte Wiesengründe von uns getrennt, das Schloß. Von dem Turm bauschte sich an ihrer Stange die seidene Fahne lässig in dem Abendhauch, von dem man hier in der Tiefe nichts spürte. Der Herzog war im Schloß.

Vergessen der Herr mich nicht! sagte der Alte, indem er sein Käppchen zog.

Ich war froh, daß er ging. Mir war seine Gegenwart förmlich unheimlich geworden. Ein großer Dienst, den er dem Herzog geleistet, und an den ich den Herzog erinnern sollte? Es war also wahr und wahrhaftig der Mann, der damals das unglückselige Weib und ihr Kind gerettet hatte. Und der Herzog lohnte ihm den Dienst jetzt mit einem Prozeß? Nun, da konnte er auch nicht auf diese Rettung so großen Wert legen, wie es mir doch nach seinen Worten an jenem Abend erschienen war.

Die Bosketts hatten mich einen Teich übersehen lassen, an den ich jetzt, schon ganz nahe dem Schlosse, geriet. Ich mochte wohl, ihn zu umgehen, mich nach der unrichtigen Seite gewandt haben, denn ich kam nun, anstatt um das Schloß herum und auf die Vorderseite desselben, an die Hinterseite in herrliche Gartenanlagen vor den weithin sich streckenden Stufen zu einer niedrigen, mit einer Balustrade eingefaßten Rampe, von welcher man unmittelbar in die Parterrezimmer gelangen mochte. In einer Allee von Orangebäumen in großen Holzkübeln und Götter- und Heroenköpfen auf Hermensäulen langsam hinwandernd, vernahm ich von der Seite her, wo ein Wald von hochstämmigen Rosen mir die Aussicht verdeckte, endlich die ersten Stimmen. Ich hoffte, es würden Gärtner oder Diener sein, die ich nach dem Eingange zum Schlosse fragen könnte. Meine Schritte beschleunigend, um die Redenden, deren Stimmen zeitweise schwiegen, nicht zu verlieren, wandte ich mich links, erst das Rosenwäldchen umkreisend, dann, da es kein Ende nehmen wollte, mich vorsichtig zwischen den Stöcken durchwindend, und erblickte, auf einen breiteren Gartenweg heraustretend, in geringer Entfernung den Herzog und eine Dame – Adele! Ein jäher Schrecken überfiel mich. Ich war auf die Begegnung mit dem Herzog vorbereitet; an ein Wiedersehen Adeles hatte ich nicht gedacht; ich hatte gehofft, es werde mir erspart bleiben. Und ich fühlte sofort, daß ihre Gegenwart gerade jetzt für meinen Entschluß verhängnisvoll werden könne. Das durfte nicht sein. Sie hatten mir den Rücken gewandt; ich vermeinte, unbemerkt zwischen den Rosen zurückschlüpfen zu können.

Es war zu spät. War es Zufall, oder das Knirschen des Kieses – Adele hatte sich umgewandt und mich erblickt. Sie stieß einen leisen Schrei aus und machte ein paar Schritte auf mich zu; blieb aber wieder stehen, wie mir schien, auf ein kurzes Wort des Herzogs, der mir seine mächtige Gestalt nun ebenfalls zugekehrt hatte. Adeles liebliches Gesicht war mit einer lebhaften Röte übergossen; auf dem des Herzogs lag ein finsterer Ausdruck, der sich aber erhellte, als ich, mich aus meiner Bestürzung aufraffend, nun grüßend rasch herantrat.

Das ist wahrlich seltsam, sagte er, wir sprechen eben von Ihnen, und da sind Sie, wie aus der Erde gewachsen! Wie kommen Sie denn hierher?

Er hatte mir die Hand gereicht mit einem herzhaften Druck, der mir sagte, daß ich ihm, trotzdem seine Worte noch immer nicht eigentlich freundlich klangen, willkommen sei.

Ich stammelte etwas von »direkt aus dem Walde«.

So sieht er aus, sagte der Herzog, jetzt wirklich mit einem Lächeln. Nicht wahr, Adele?

Adele hatte offenbar nur auf dies Lächeln gewartet, denn sie lachte sogleich hell auf, indem sie mir die Hand reichte mit einem Blick, dessen strahlende Freudigkeit mich durchschauerte.

Wahrhaftig, so sieht er aus; rief sie: direkt aus dem Walde I

Dabei wandte sie mich, indem sie mich an der Hand festhielt, um mich selbst, lustig meinen Anzug musternd, der in der That während dieser acht Tage nicht besser geworden war. Ich murmelte etwas von dem Unwetter, das mich heute nachmittag im Walde überrascht habe, indem ich sie mit den Augen bat, die Scene abzukürzen, welche mir mit jeder Sekunde peinlicher zu werden begann.

Sie hatte mich sofort begriffen.

Und er ist noch nicht einmal ganz wieder trocken, rief sie. Ich glaube, Hoheit schicken ihn vorerst auf sein Zimmer, damit er sich einigermaßen restaurieren kann. Da sehe ich einen von den Leuten. Darf ich ihn rufen?

Lassen Sie! sagte der Herzog. Seine Sachen sind freilich hier; aber das eilt nicht, und schaden wird's ihm nicht. Ich werde oft fünfmal an einem Tage naß und wieder trocken – das letztere manchmal auch nicht. Sie wollten ja so wie so noch einen Brief schreiben, liebe Adele. Wir sehen uns dann beim Thee wieder.

Adele hatte offenbar keinen Brief zu schreiben; aber wagte selbstverständlich nicht Einspruch zu erheben, wie gern sie es auch, nach ihrer Miene zu schließen, gethan hätte. Ich verstand die Miene nicht ganz. Es lag Enttäuschung, fast Bestürzung darin und zugleich eine Bitte, die ich mir nicht zu deuten wußte.

Und doch auch kaum deuten konnte, als sie mir, indem der Herzog jetzt ein wenig vor uns die Stufen zu der Rampe hinausschritt, in kaum vernehmlichem Ton: sei gut! zuflüsterte. Ich sollte zu spät erfahren, was sie gemeint hatte.

Denn zu einer Erklärung blieb keine Zeit. Wir hatten eben die Rampe erreicht, als der Herzog ihr eine verabschiedende Bewegung mit der Hand machte, die sie mit einer Verbeugung erwiderte, welche halb etikettemäßig und halb vertraulich war; und dann, einen letzten Blick mit demselben rätselhaften Ausdruck auf mich werfend, langsam nach rechts an der Fronte des Palais hinging, bis zu einer nahen Thür, in der sie verschwand.

Der Herzog hatte, stehen bleibend, ihr ebenfalls nachgeblickt und blieb so noch einige Momente, nachdem sie bereits verschwunden war. Dann hob er plötzlich das Haupt und sagte, aber ohne mich dabei anzublicken: kommen Sie! indem er, mir voranschreitend, durch eine offene Fensterthür ein Gemach betrat, in welches ich ihm auf dem Fuße folgte, auf sein Geheiß die Fensterthür schließend.


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