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XI.

Nein! nicht versprechen durfte! Darf man versprechen, wovon man weiß, daß man es nicht halten kann? Dies konnte ich nicht halten. Und er hätte es von mir nicht fordern dürfen. Gab er zu, daß ich ein Poet war, so mußte er auch wissen, daß man dem Seidenwurm das Spinnen nicht verbieten kann. Ich aufgeben, an meinem Münzer weiter zu arbeiten; das Eisen, das schon erglühte, Funken sprühte, immer reichere, immer hellere unter jedem neuen Schlag, erkalten lassen zur toten Masse, in die kein Gott wieder Leben zurückbringen könnte – nun und nimmermehr! Ich wollte meine Schülerpflicht thun und mehr als das; ich wollte den Jungens amo und typto beibringen, daß es nur so eine Freude war; ich wollte, am untersten Ende sitzend, der Frau Professorin ihre Tafelrunde beherrschen helfen – ich wollte ein Sklave sein vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Aber wenn die Nacht kam und die Spukezeit der Geister, dann wollte ich mich mischen dürfen in den Chor, mitschwingen dürfen in dem zarten Reigen, mitrasen dürfen in dem wilden Tanz! das war des Tagessklaven nächtliches Herrenrecht – ein Schuft, der sein Recht aufgibt!

Und ein Schuft, der sein Wort bricht!

Was aber hatte ich denn versprochen? Ich hatte doch jedes seiner Worte behalten und dieses nicht? doch! doch! das war's gewesen: ich hatte versprochen, »ich wolle von der Poesie lassen, solange ich in seinem Hause sei«. Wenn ich nun nicht in sein Haus ging, das mir unter dieser Bedingung nimmermehr zum Heim werden konnte, ein fürchterliches Gefängnis werden mußte – wo blieb das Versprechen? So hatte ich nichts versprochen! Oder war in dem einen Versprechen das andere mit begriffen? Hatte er es gar nicht anders verstehen können? Und wenn das der Fall, hatte ich, ich selbst, als ich meine Hand in seine legte, es so verstanden? War ich nicht gefangen worden, sondern hatte mich selbst gefangen gegeben? War ehrlos, wenn ich der Gefangenschaft entfloh, wie jene französischen Offiziere, von denen ich in den Zeitungen gelesen? Würde der Major von Vogtriz sein gegebenes Wort brechen?

Ich war aufgesprungen und irrte ratlos in dem dunklen Zimmer, dessen Wände sich über mir zusammenschließen und mich ersticken zu wollen schienen. War denn kein Helfer in der Not? Aber was hatten sie mir geholfen, sie, zu denen ich als zu meinen Rettern aufgeblickt? der Major, der mir die Heiligkeit des Herrschertums von Gottes Gnaden gepredigt, und dem ich mich im Herzen zum Vasallen geweiht hatte, bereit, unter seinen herrlichen Augen, an seiner ritterlichen Seite mein Blut zu vergießen mit Gott für König und Vaterland? Sie war mir übel bekommen, die loyale Schwärmerei! So übel, wie mir's bekommen würde, wollte ich dem Professor folgen, der doch im Herzen ein Republikaner war und mich zum Manne schmieden wollte: zu einem Soldaten in Reih und Glied für seine politischen Schlachten, mochte die Poesie darüber zum Teufel gehen! Sie waren vorzügliche Männer, jeder in seiner Art, und die mir zweifellos herzlich wohlwollten; aber ihre Weise war nicht meine Weise; ihre Wege waren nicht meine Wege. Ich mußte meinen eigenen Weg gehen: den Weg des Poeten, des freien Künstlers. Wer mir auf den Weg half, der wäre mir der wahre Helfer und Erretter gewesen, und ihm wollte ich folgen. Aber woher sollte mir der Erretter kommen?

Ich hatte mich längst wieder auf das Sofa geworfen und lag da in dumpfem Brüten, wie ich mich lösen könnte von den grimmen Schattengeistern der Sorge und der Not, die da auf meiner Schwelle kauerten. Und zu denen sich nun auch noch sie gesellen wollte, vor deren Berührung ich immer scheu zurückgebebt: der Schwestern grauenhafteste, die Schuld!

Die Schuld zu den Schulden! so war's recht, wenn der Teufel sein Spiel ganz haben sollte!

Und ich lachte – ein rauhes, häßliches Lachen, das mir klang, als ob's ein anderer lache da aus einer der dunklen Ecken heraus; und in welchem ich erschrocken abbrach, als jetzt an meine Thür gepocht wurde.

Oder hatten mich meine überreizten Sinne geäfft?

Mit stockendem Atem, gespannten Ohres in die Dunkelheit hineinhorchend, saß ich, vornübergebeugt, in der Sofaecke. Da pochte es zum anderenmal, und diesmal konnte es keine Täuschung sein. Es war nicht Herrn Strebens Pochen; aber wer sonst sollte zu dieser Stunde noch kommen? Nun, ich war in der Stimmung, mit dem sauberen Patron abzurechnen. Zur vollständigen Abrechnung fehlte allerdings der freie Gebrauch meines rechten Armes – indessen: Herein!

Die Thür wurde langsam geöffnet, und auf dem etwas helleren Grunde des spärlichen Lichtes, welches noch in den Flur fiel, stand eine lange dunkle Gestalt, länger als die des Herrn Streben.

Herr von Ruver? fragte ich, in meiner Aufregung kaum verwundert, den Kaplan, den ich in Rom wußte, plötzlich in meinem Zimmer zu sehen.

Habe nicht die Ehre, der genannte Herr zu sein; sagte die Gestalt.

Herr Weißfisch?

Aufzuwarten. Aber bitte: Weißfisch schlechtweg! Ich höre das lieber – von Ihnen. Und wenn ich noch eine zweite Bitte wagen darf: etwas mehr Licht!

Ich war bereits aufgesprungen und entzündete nun die Lampe mit zitternden Händen. Zitternd jetzt vor Freude oder wie ich die Empfindung, die mich durchbebte, nennen soll. Ich hatte nach einem Helfer gerufen. Nun helfen konnte er mir nicht, aber er kam mir gerade recht, der wunderliche Gesell.

Ich hatte die Lampe von der Kommode auf den Tisch getragen, während dessen Weißfisch sich eines Ueberziehers, der ihm fast bis auf die Fersen reichte, entledigte, den Hut wegstellte und nun mit ausgestreckter Hand auf mich zukam.

Wenn Sie einen armen Kerl dessen würdigen wollen!

Ich hatte ihm die Hand geschüttelt mit meiner Linken, wie ich mich jetzt gewöhnt hatte.

Bin ich der ritterlichen Rechten nicht wert? sagte er, im Tone irgend eines Bruders Martin.

Es geht zur Not auch schon mit der andern, erwiderte ich, indessen –

Ich weiß alles; unterbrach er mich, von Ihrem Hausgenossen, den ich unten getroffen habe, und der mich hinaufwies. Ein schwatzhafter Gesell; – aber wir werden das schon wieder völlig in Ordnung bringen.

Ich fürchte, nein.

Wir werden. Verlassen Sie sich auf mich! Ich verstehe das besser, als irgend ein Chirurg.

Wollen Sie mich in die Kur nehmen?

Es kommt ganz auf den gnädigen Herrn an. Weißfisch ist hier wie überall sein ergebener Diener.

Er machte mir eine tiefe Verbeugung. Ich lachte, lachte von Herzen. Großer Gott, wie lange hatte ich das nicht gekonnt! Ich hatte schon recht, mich zu freuen, als der närrische Kerl ins Zimmer trat!

Wir hatten uns auf das Sofa gesetzt; ich dem Lichte der Lampe zugewandt. Er betrachtete mich aufmerksam, und ich ihn wieder. Er schien mir verändert, ohne daß ich recht wußte, wie und wodurch, bis ich bemerkte: er trug einen Schnurrbart in dem sonst spiegelglatt rasierten Gesicht.

Ein Ferienbart, sagte er zur Erklärung, trotzdem ich nicht gefragt hatte. Wir anderen Künstler pflegen das so zu halten.

So sind Sie Künstler? wollte sagen: wieder Künstler?

Wenigstens Sekretär des hiesigen wohllöblichen Theaters.

Gratuliere! Und das hat Herr von Trechow zugegeben? Er konnte sich von seinem alter ego trennen?

Oder der alter ego von ihm – das kommt auf dasselbe hinaus; nicht wahr?

Freilich. Und wie geht es ihm?

Er ist mehr als je Kammerherr, das heißt: er kommt nicht mehr viel aus seiner Kammer heraus.

Das thut mir leid.

Mir nicht. Er hat sein Leben genossen – sapristi! Es muß doch eine Gerechtigkeit auf Erden geben. Einer kann doch nicht alles haben.

Das war der alte Cyniker und Neidhart, dessen Gesellschaft ich mich damals, so ergötzlich sie mir auch war, im Grunde herzlich geschämt hatte. Heute war das anders, und es war nur eine Phrase, wenn ich in ablehnendem Ton sagte: Er thut mir dennoch leid, er hat es immer gut mit mir gewollt.

Das wollen andre Leute auch, wenn Sie nur wollten!

Wenn ich was wollte?

Schauspieler werden.

Sie sind nicht recht gescheit: ein Krüppel!

Ein Pappenstiel! Wie hoch können Sie Ihren rechten Arm heben?

So!

Und unter meiner Leitung in sechs Wochen sechs Zoll höher und in noch sechs bis über den Kopf. Darauf will ich meinen Kopf fressen. Und selbst, wenn's so bliebe: Damit können Sie heute schon den Romeo spielen. In der Balkonscene langen Sie mit dem linken Arm hinauf – das ist sogar eine feine Nuance. Wir hatten einen Schauspieler, sechs Fuß zwei Zoll – einen bildschönen Kerl mit einer Heldenstimme wie Dawison, den wir deshalb engagierten, trotzdem er einen künstlichen rechten Arm hatte. Er spielte Karl Moor, Otto von Wittelsbach, Dunois – immer nur mit dem linken; es dauerte ein halbes Jahr, bis das Publikum auch nur dahinter kam. Sie glauben ja gar nicht, wie dumm das Publikum ist! Also das ist gar kein Grund. Sie wollen eben nicht – das ist der wahre. Und könnten doch ein Schauspieler sein, wie nur wenige auf den Brettern gestanden haben, mit Ihrer Figur, Ihrem Gesicht, Ihren Augen, Ihrer Stimme – denn Sie haben eine prächtige Stimme: weich und biegsam und doch voll und kräftig und ausgiebig bis zum tz.

Hören Sie auf! rief ich, von dem Sofa emporschnellend, Sie wissen nicht, wie der Unsinn, – denn es ist ja Unsinn, was Sie da sagen – gerade jetzt in meinem Kopfe rumort. Ich will nichts mehr davon hören.

Und denken Sie, fuhr Weißfisch fort, als ob ich ihn nicht in dieser heftigen Weise unterbrochen hätte; über Sie bin ich mit dem Kammerherrn in den Streit geraten, der eigentlich zum Bruche führte. Sie erinnern sich, daß er vom ersten Augenblick sagte: Sie seien zum Schauspieler geboren. Und nun behauptet er: ich, ich sei es gewesen, der Sie, als er Sie schon halb gewonnen, wieder abspenstig gemacht hätte! Lächerlich!

Gar nicht! rief ich, vor ihm stehen bleibend. Haben Sie mir nicht gesagt: ich sei schon zu alt zum Schauspieler? ich hätte schon zu viel gelernt? zu viel gedacht? Ein Schauspieler dürfe nicht denken, und was dergleichen mehr war?

Das habe ich gesagt, und habe es widerrufen, entgegnete er ruhig. Besinnen Sie sich doch: noch an dem letzten Morgen, als ich Ihnen die Sachen packte! Das wissen Sie recht gut. Und übrigens weiß der Kammerherr ebensogut, welche hohe Meinung ich von Ihren schauspielerischen Talenten habe, und daß ich Sie heute lieber als morgen auf den Brettern sähe. Die Sache ist: er kann es mir nicht vergeben, daß ich damals in der Affaire mit der schönen Sängerin nicht auf seiner, sondern auf des Herzogs Seite stand. Das stößt ihm jedesmal auf, wenn es ihm besonders schlecht geht, und dann muß irgend ein Sack für den Esel herhalten. Diesmal waren Sie der Sack. Ich wollte nur, ich könnte mich an dem alten Nichtsnutz rächen und ihm unter der Nase fort seinen Schüler, wie er Sie beständig nennt, zu meinem Schüler machen. Wissen Sie, was ich dann thäte? Dann gäbe ich meine hiesige Sekretärstelle auf, noch bevor ich sie angetreten; ginge mit Ihnen an einen hübschen stillen Ort, wo wir in aller Muße studieren könnten; wo auch vielleicht eine kleine Bühne wäre zum Probieren, wissen Sie, der einstudierten Rollen – das arrangiert sich leicht bei den Herren Direktoren. So ein Vierteljährchen etwa und dann –

Nun und dann?

Dann ein hübsches Engagement an einer hübschen Hofbühne als erster Held und Liebhaber, und für den armen Weißfisch eine gute Provision, damit er außer der Freude über die Triumphe seines Schülers auch noch ein bißchen Reelles hat.

Und das – das alles ist Ihr Ernst?

Ich war vor ihm stehen geblieben und blickte ihm prüfend in die Augen. Wie hatte ich diese Augen, deren kalter klarer Blick jetzt dem meinen so ruhig standhielt, nur je vergleichen können mit den Gallertaugen des Herrn Ernst Streben!

Mein blanker barer Ernst, erwiderte er.

Und wenn ich Sie beim Wort nähme?

Ich bitte darum.

Nein, nein! rief ich, wieder durchs Zimmer rasend. Das ist ja alles Unsinn – ein toller Scherz, mit dem Sie mich amüsieren wollen, ohne zu ahnen, wie Sie mich damit martern. Oder es ist die lächerlichste Verblendung, die ich einem so klugen Mann, wie Sie, nicht zugetraut hätte. Sie dürften lange auf das Engagement warten, durch das Sie wieder auf Ihre Kosten kämen.

Und weiter haben Sie kein Bedenken?

Ich dächte, das wäre gerade genug.

Dann sehen Sie hier!

Er langte in die Brusttasche nach einem umfangreichen Portefeuille, aus welchem er ein Blatt nahm, das er auseinanderfaltete und mir gab. Bitte, lesen Sie!

Es war ein Briefbogen in kleinem Format, oben in der Ecke mit einem Wappen, das eine Krone trug. Die Handschrift war sehr flüchtig und schlecht leserlich, trotzdem nicht, was man eine ausgeschriebene Hand nennt: mit weiten, aber unregelmäßigen Zwischenräumen zwischen den von links nach rechts abwärtslaufenden Zeilen. Ich las mit einiger Mühe:

Mein lieber – und irgend ein unentzifferbarer Name.

»Schreibe dies in aller Eile, da ins Hauptquartier zur Tafel muß. W. ist sehr dringend, und ich denke, lasse ihn gewähren. Müssen für Stock einen Ersatz haben, der wirklich langweilig à crever, und den womöglich los sein will, wenn im Frühjahr zurückkomme. W. behauptet, bis dahin den jungen Menschen so weit gebracht zu haben, daß wenigstens ein paar erste Rollen spielen kann. Der Kerl hat einen scharfen Blick, wie denn das bißchen Gute von Trechows Theaterleitung auf ihn zurückzuführen. Geben Sie ihm also plein pouvoir und sparen Sie nicht; möchte nicht, daß uns die Acquisition entgeht. Erste Liebhaber bald so selten, wie erste Tenore. Beste wird sein, schicken W. eine Anweisung, auf die er à discretion ziehen kann, da mir schreibt, daß der junge Mann seines Wissens in Verhältnissen, aus denen ihn zu lösen immerhin einige nur durch Geld zu überwindende Schwierigkeiten machen wird. Also ausnahmsweise diesmal nicht geknickert! Sobald von W. bestimmte Nachricht, Bericht an mich.«

Ein unlesbarer Ortsname und das Datum.

Die Unterschrift wieder ein unentzifferbarer doppelsilbiger Name.

Von wem ist dies? und an wen? fragte ich mit einer Unbefangenheit, die mein pochendes Herz Lügen strafte.

Von Serenissimus – von wem sonst? erwiderte Weißfisch, einen Schritt näher tretend. Und an den Herren Geheimen Kabinetsrat Iffelberger, meinen sehr guten Freund, wie Sie schon daraus ersehen können, daß er die sträfliche Indiskretion gehabt hat, das Handschreiben von Serenissimus seinem Brief beizufügen, da er stets in Furcht lebt, Serenissimi wirkliche Intentionen – die meistens zwischen den Zeilen stehen – falsch zu interpretieren; und deshalb, wenn es wie in diesem Falle, angänglich, mit dem Original nachhilft. Der betreffende »Kerl«, der W., mit Respekt zu vermelden, ist meine Wenigkeit. Wünschen Sie vielleicht noch zu wissen, wer »der junge Mensch« ist, von welchem Serenissimus spricht?

Ich fühlte, daß ich unter dem auf mir ruhenden stechenden Blick der wasserhellen Augen abwechselnd blaß und rot wurde, während ich, meine ganze Festigkeit zusammennehmend, erwiderte:

Nun muß ich freilich glauben, daß, was ich für einen wunderlichen Scherz von Ihnen hielt, Ihr wirklicher Ernst ist.

Ja, es ist mein Ernst, rief er, plötzlich in eine Leidenschaft ausbrechend, derer ich den kalten Spötter nie für fähig gehalten hätte. Glauben Sie, daß ein Mann, wie ich, zum Spaß einen Herrn verläßt, den er wie einen Bruder liebt? und der ihn in seinem Testament brüderlich bedacht haben würde? Und hier zu Ihnen kommt auf die Gefahr, von Ihnen mit Schimpf und Schande weggejagt zu werden, wenn er mit der Thür ins Haus fiel? Und, um das letztere nicht zu brauchen und, wenn's sein mußte, hübsch leise auftreten und einmal so hinhorchen und nach Bedarf wiederkommen zu können, alles Ernstes entschlossen war, bei löblichem hiesigen Theater die Sekretariatsstelle zu übernehmen, bis der gnädige junge Herr denn doch endlich ein Einsehen hatte und Ja sagte? Aber er hat ihn untertaxiert, den jungen Herrn. Der junge Herr ist die Klugheit selbst und sieht ein, daß er sein jung frisch Leben nicht hinter den dummen Büchern in diesem Kämmerchen zu vertrauern braucht, wenn ihm die ganze Welt offen steht. Heidi! und was für eine Welt! Sie sollen sie kennen lernen, junger Herr! Und all die Vergnüglichkeit, die darin ist, bei der vollen Flasche mit lustigen witzigen Gesellen! Und die Weiber, ah, die Weiber! immer eine schöner, als die andre; und immer eine liebenswürdiger und verliebter, als die andere! Don Juan, he? »Treibt der Champagner« – Sie wissen noch, in Nonnendorf – der Kammerherr – nun bei dem hat es sich ausgedonjuant. Bei Ihnen soll es erst losgehen. Le roi est mort, vive le roi!

Und er hatte meine Hand ergriffen und wiederholt geküßt, bevor ich es verhindern konnte.

Aber Sie rasen! murmelte ich, ihm meine Hand entreißend.

Ja, rief er wild, ich rase. Dies ist der schönste Tag meines Lebens. Meiner geliebten Kunst einen Jünger erworben, der bald ein Meister der Meister sein wird; mir einen Herrn, der den Weißfisch, wenn er einmal alt und stumpf geworden, nicht auf dem Stroh verrecken läßt – das verlohnt sich der Mühe. Aber nun, mein junger Herr, frische Fische, gute Fische! Weg aus diesem Marterort! Vorläufig zu mir in meinen Gasthof, wo es wirklich ganz behaglich ist, und morgen früh mit Extrapost hinein in die Welt!

Ich stand wie im Traum. Und wie eines wüsten Traumes ist für mich auch die Erinnerung dessen, was jetzt geschah. Ich sehe mich im Zimmer umherirren, gestikulierend, wirre Reden führend von Verrat und Wortbruch; er immer hinter mir her, wie mein Schatten; neben mir, wie mein böser Geist; meine Bedenken niederspottend, meine Gewissensbisse wegdisputierend; durch witzig tolle Reden mein Blut erhitzend, meine Phantasie entflammend; mir die Schwierigkeiten meiner Lage, die mir unüberwindlich schienen, als lächerliche Bagatelle hinstellend, welche eine wie die andere mit ein paar Zehnthalerscheinen aus der Welt zu schaffen seien. Oder sollten es Hundertthalerscheine besser thun? Da waren sie – hier in dem braven Portefeuille! Morgen früh hatte jeder, was ihm nach meinem Ermessen zukam, bei Heller und Pfennig: Apotheker, Arzt – die jüdischen Herrschaften selbstverständlich – alle, alle! Da hatte der Weißfisch denn doch verwickeltere Affairen arrangiert, und bei denen es sich um ganz andere Summen handelte! Ich solle den Weißfisch nur gewähren lassen!

O, daß ich ihn gewähren ließ! Aber zu vieles war auf mich eingestürmt an diesem Tage: der Fall aus der Höhe meiner dichterischen Schaffenslust zu der Tiefe des Entsetzens bei des Professors grausamer Enthüllung; der Sprung aus dem Abgrund der Verzweiflung, mich unrettbar als Schuldner meiner Wohlthäter zu sehen, empor zu dem rettenden Felsen, den der Verführer mir mit Krokos und Hyazinthen überdeckte und zur glänzenden Wolke machte, auf der er mich hinauftrug in den Aether freien Künstlertums, nach dem meine verdurstende Seele schmachtete – es war alles zu jäh, zu plötzlich gewesen, meine Widerstandskraft war gebrochen.

Und ich sehe mich in der Sofaecke sitzen, die glühende Stirn in die kalte Hand gedrückt, während er aus Schrank und Kommode ein paar Sachen wählt – allerwenigste! das hat man ja überall für eine Handvoll Geld – und es in einen kleinen Reisesack aus Kautschuk thut, den er wie ein Taschenspieler plötzlich aus einer Tasche seines langen Ueberziehers produziert; und in die auch mein Manuskript wandert, an dem ich noch meine Freude haben soll, wenn es fertig ist und auf die Bretter kommt mit mir in einer schönen Rolle, – Dichter und Schauspieler in einer Person, wie Shakespeare!

So wirrt und tollt der Fiebertraum weiter, der in Wirklichkeit auch nur ein Fieber gewesen sein kann.

Und in dem ich zusammenschaudre, als jetzt die kalte Nachtluft mich anweht auf der dunklen Gasse, durch die wir schreiten, ich sorgsam eingehüllt in seinen langen Ueberzieher, er immer mir zur Seite, mich sorgsam führend, meinen linken Arm fest unter dem seinen haltend.

Ich erinnere mich, daß ich mir einredete, es sei alles nur ein Fastnachtsscherz, dem ich jederzeit ein Ende machen könne – morgen, wenn ich ausgeschlafen – in dem Gasthof – was ja auch wieder eine scherzhafte Sache war für mich, der ich noch nie in einem Gasthof geschlafen!

Und nun kommt es über mich wie ein Rausch, trotzdem ich doch keinen Tropfen getrunken habe. Die alten Giebelhäuser schneiden dem Ausreißer eine lustige Fratze, wie jetzt der Mondenschein über ihr graues Gemäuer flimmert; und der Turm der Nikolaikirche nickt zu mir herab und spricht: hast recht! hier bei uns ist doch nicht viel zu holen, zumal die schöne Musik tot ist, die man wenigstens sonst machte des Abends, wenn es neun schlug.

Da summt's von oben her und brummt und schlägt – neun Uhr! gerade mir zu Häupten.

Und an meiner andern Seite ist plötzlich eine Gestalt – ein schlottriger alter Mann in dünnem Röckchen, dessen Schöße der Wind nach rückwärts weht, und einer Mütze mit breitem zersprungenem Schirm, unter der die grauen Haarsträhnen über das bleiche, verfallene Gesicht hangen.

Und der alte Mann plappert von der schönen Musik, die tot ist und begraben liegt draußen auf dem Schwedenkirchhof. Es muß ihm einer zu trinken gegeben haben, denn er lacht in einem fort, während er so plappert und dann trompetet auf der hohlen Hand: »Wie schön leucht' uns der Morgenstern«, und verschwindet trompetend um die Ecke der Gasse.

Gott sei Dank, er hat mich nicht erkannt, der malle Heinrich! Oder ist's nur ein Spuk gewesen, mich zu necken und zu schrecken in dem Augenblick, wo ich fort will aus der alten engen Stadt meiner armseligen Jugend hinein in die weite schimmernde Welt?

Mich fröstelt. Mein Führer unterbricht sein Lachen über den tollen Kerl, hüllt mich dichter in den Ueberrock und deklamiert, auf die von dem Licht der Laternen überflimmerten Trittstufen des nahen Gasthofs deutend, im Tone irgend eines Faust:

»Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein.

Dort wollen wir von unsrer Wandrung rasten« –

Und sagt dann lachend, mit seiner eignen Stimme: Aber mit dem Beten und Fasten ist's nun aus. Jetzt ist die Parole: Ein freies Leben führen wir!

Und er trällert die Melodie, während wir die Stufen hinaussteigen, indem er mich zugleich fester unter dem Arm hält.

Ist es nur, um den erst Halbgenesenden zu stützen? fürchtet er, der noch nicht ganz Gewonnene möchte ihm im letzten Augenblicke doch entfliehen?

Wenn ich's gethan hätte! Wie anders würde mein Leben verlaufen sein!

Aber mit einem »Wenn« könnte man den Gang der Weltgeschichte verändern, die eben ist, wie sie ist, weil das Wenn nicht eintrat und – nicht eintreten konnte.


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