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III.

Der Vater ist in der Werkstatt, und ich sehe ihn durch die jetzt im Sommer stets offene Thür ein Brett hobeln. Er ist allein; mein ältester Bruder Otto, den er sich zum Gehilfen und Gesellen heranzieht, wird eine Kommission in der Stadt haben. Das Brett, an welchem der Vater hobelt, ist die Rück- oder Vorderwand eines Sarges. Der Vater arbeitet fast nur Särge; er hat in der Stadt dafür das Monopol, welches er der Nachbarschaft des Fuhrherrn Hopp verdankt. Denn weil man den Leichenwagen von Herrn Hopp nehmen muß, da es kein anderes Geschäft derart in der Stadt gibt, bestellt man gleich den Sarg nebenan bei Tischler Lorenz: es ist dann nur ein Weg. Auch fragt es sich, ob Nachbar Hopp die Leiche fahren würde außer in einem Sarge von Nachbar Lorenz. Die Särge aber sind unweigerlich gelb, während sie, bevor mein Vater in die Stadt kam, ausnahmslos schwarz waren. Er hat die Mode eingeführt. Er meint, der Tod sei ohnedies, wenn auch nicht für den Toten, so doch für die Zurückbleibenden traurig genug und das Grab dunkel genug; so möge der Tote über und unter der Erde ein freundliches Haus haben. Deshalb ist auch jeder Sarg, der aus seiner Werkstatt kommt, ein kleines Kunstwerk mit zierlichen Hohlkehlen, Knäufen und sonstigen schmuckhaften Zuthaten, die man nicht bestellt hat und auch nicht bezahlt, und die er deshalb mit Vorliebe gerade an den Särgen der armen Leute anbringt.

Ich gehe nicht unmittelbar in die Werkstatt, sondern sehe erst nach meinen Kaninchen, denen ich an der Ecke des Hofes (da wo die Werkstatt an das hölzerne Gartengitter stößt) eine Wohnung bereitet habe, in welcher meine Augen den Triumph der Erfindsamkeit erblicken. Der Hauptteil besteht aus einer großen umgestülpten Kiste, deren Vorderwand sich in der oberen Hälfte aufklappen läßt, so daß man einen vollen Einblick in den Familiensaal hat, ohne daß doch die Bewohner ohne weiteres heraus können. In der Hinterwand aber ist unten auf jeder Seite je eine viereckige Thür, durch welche man, d. h. die Kaninchenfamilie, in die eigentlichen Wohnräume gelangt, die sich in einer zweiten, aber flacheren Kiste befinden. Das Ganze ist mit Erde und Rasen bedeckt, so daß es als ein grüner Berg erscheint, auf welchem auch ein paar Blumen wachsen; dazu sind die Pflastersteine unten entfernt, und so der minierenden Thätigkeit der Bewohner keine Schranken gesetzt, was sie sich denn auch zu Nutz und geheimnisvolle Hinter- und Ausfallspforten in das Wallgärtchen gemacht haben, durch die sie aber nur des Abends und mit großer Diskretion schlüpfen zu meiner größten Verwunderung und zum Ergötzen des Vaters, der mit mir um die Wette seine Freude an den Tierchen hat, wenn sie im Halbdunkel zwischen den Büschen herumhuschen. Daß er sie während meiner Krankheit gemeinschaftlich mit meinem Freunde Emil Israel treulich gepflegt und abgewartet, versteht sich für mich von selbst.

Ich habe ihnen jetzt das vom Wall mitgebrachte frische Futter gegeben und gehe zum Vater in die Werkstatt. Er nickt mir freundlich zu und fährt in seiner Arbeit fort; ich setze mich, ermüdet, still hin und blicke unverwandt in sein liebes Gesicht, als ob ich es noch nie gesehen hätte, und ich glaube, ich habe es an diesem Morgen im eigentlichen Sinne wirklich zum erstenmale gesehen. Denn, wenn ich jetzt des guten Mannes denke, erscheint mir sein Bild sicherlich stets, wie ich es zu jener Stunde sah, während ein schräger Sonnenstreifen, in welchem Millionen Staubatome tanzen, über dem Dach von Nachbar Hopps Wagenremise durch die beiden oberen in allen Farben schillernden Scheiben des verstäubten Fensters in der Werkstatt fällt und seinen Kopf streift, so oft er sich gelegentlich von seiner Arbeit aufrichtet, um die Kante des Brettes, an welchem er hobelt, zu prüfen. Der Kopf erglänzt dann aber in dem Sonnenlicht, denn er ist ganz kahl bis auf einen schmalen Kranz grauen krausen Haares, von dem ich jetzt, wo er mir das Gesicht zuwendet, nichts sehe, als je einen Tupfen über den Ohren. Das schmale, blasse, in der unteren Hälfte von einem grauen krausen Bart bedeckte Gesicht hat stets einen ernsten, aber keineswegs wehmütigen oder kummervollen, vielmehr eigentlich heiteren Ausdruck, besonders, wenn er, was sehr oft, aber immer nur für Momente geschieht, lächelt, wobei sich dann um die Ecken der hellblauen Augen, die fast keine Brauen haben, kleine freundliche Fältchen ziehen, welche mit dem Lächeln gleich wieder verschwinden. Die Augen sind groß, aber für gewöhnlich halb von den Lidern bedeckt, was mit daher kommen mag, daß sie so viele Stunden auf die Arbeit gesenkt bleiben. Wenn er sie ausschlägt, haben sie einen zugleich träumerischen und verwundert fragenden Ausdruck, wie ich ihn später nur noch in Kinderaugen beobachtet habe.

Und diese guten Augen mit dem träumerisch verwundert fragenden Blick richtet er nun auf mich: Wo bist Du gewesen, Kind?

Er nennt mich immer »Kind«, im Gegensatz zu meinen Geschwistern, die so viel älter sind als ich, und die er stets bei ihren Vornamen nennt.

Ich fange an, meine kleinen Erlebnisse zu erzählen und unterbreche mich, weil ich bemerke, daß der Sarg, welcher nach Aussage der Großmutter für mich bestimmt gewesen ist, sich nicht mehr in der Werkstatt befindet.

Ich sagte es Dir ja, er würde nicht lange leer bleiben, erwidert der Vater auf meine Frage; es ist ein recht trauriger Fall, aus dem Du auch lernen kannst, Kind; Dir hätte dasselbe ebensowohl passieren können.

Ich höre mit gespanntester Teilnahme, was nun der Vater berichtet. Ernst von Vogtriz, der Sohn des Majors, um ein paar Jahr älter als ich, war in dem Stall von einem der Reitpferde seines Vaters geschlagen worden und, gegen die Schläfe getroffen, auf der Stelle tot gewesen. Ernst hatte bereits in Oberquinta gesessen, während ich noch Unterquintaner war; aber ich kannte ihn wohl: er hatte große blaue Augen und braune Locken gehabt, die ihm weich und lang auf den breiten Hemdkragen fielen, und ein rosiges, immer freundliches, wunderhübsches Gesicht. Ich hatte nie ein Wort mit ihm gesprochen, ihn dafür aber immer aus der Ferne mit scheuer Bewunderung angestaunt als eine Art von überirdischem Wesen, das sich natürlich um den armen Tischlerjungen und Unterquintaner nicht bekümmert hatte und nicht zu bekümmern brauchte. Und nun war er tot, und wer fütterte nun seine Kaninchen?

Hat er denn welche gehabt? fragt der Vater.

Darauf bleibe ich die Antwort schuldig: ich weiß es nicht. Möglicherweise hat er keine gehabt: es haben ja viele Knaben keine; aber es scheint mir, daß es viel hübscher sei, welche zu haben und sie füttern zu können, als keine zu haben und noch dazu tot zu sein. Darüber fällt mir ein, daß Karl Brinkmann drüben auf dem Hoppschen Hofe den Leichenwagen gewiß für Ernst von Vogtriz aus dem Schuppen gezogen hat und zurechtmacht. Ich teile diese Entdeckung, auf die ich sehr stolz bin, dem Vater mit, der sie mit einem Kopfnicken bestätigt, um, während er jetzt eifrig weiter arbeitet, eine dringende Warnung daran zu knüpfen vor Pferden im allgemeinen und den Hoppschen Pferden im besonderen; und daß er sich immer geängstigt habe, wenn ich mit Gustav drüben im Pferdestall und auf dem Heuboden gespielt; und daß er hoffe, ich werde nun, da Gustav tot sei, und die übrigen Hoppschen Kinder älter oder jünger als ich, diese gefährlichen Spiele nicht wieder anfangen.

Ich habe mich bereits gewöhnt, nach dem Vorgang des wilden Bruders August auf die Aengstlichkeit des guten Vaters, die uns überall von Gefahren umgeben sieht, kein großes Gewicht zu legen; aber in diesem Falle finde ich seine Sorge doch ganz gerechtfertigt. Daß ich gesund geworden bin, während zwei beinahe gleichaltrige Knaben, von denen der eine noch dazu mein intimer Freund gewesen ist, kurz hintereinander dem Tode erlegen sind, hat mir einen bedeutenden Respekt vor mir selbst eingeflößt und vor der Kostbarkeit meines so ersichtlich geschützten Lebens. Ich verspreche also, nicht ohne innerliche Bewegung, dem Vater, in Zukunft besonders vorsichtig zu sein und berühre dabei mit dem Finger unwillkürlich die Narbe auf meiner Stirn, von der erst seit einigen Tagen die Binde entfernt ist, als wolle ich dieses Erinnerungsmal meines neulichen Unfalles zum Zeugen der Aufrichtigkeit meines Versprechens anrufen. Ja, ich glaube, ein übriges thun zu müssen, um dem guten Vater einen Beweis zu geben meiner Wohlgeneigtheit und des Wunsches, ihm gefällig zu sein; und erkläre, daß ich fest entschlossen sei, nicht mehr, wie früher, Kutscher werden zu wollen. Es sei der Gedanke dazu auch eigentlich mehr von Gustav Hopp ausgegangen, als von mir; und wenn Gustav gesehen hätte, wie Karl Brinkmann den Wagen, auf dem er ihn nach dem Schwedenkirchhof gefahren, in Hemdsärmeln gewaschen und dazu gepfiffen, würde er Karl Brinkmann auch nicht so lieb gehabt haben.

Was möchtest Du denn nun werden? fragt der Vater.

Ich sinne nach mit halbgeschlossenen Augen, vor denen die schöne Welt in ihrer Herrlichkeit auftaucht, an der ich eben erst da oben auf dem Wall meine morgenfrische Seele berauscht habe. Und es ist wohl aus diesem Rausche heraus, daß ich mit zitternden Lippen antwortete:

Ich möchte etwas Großes werden, etwas ganz Großes und Schönes; ich möchte König oder Kaiser werden!

Der Vater, der den Hobel hat ruhen lassen, sieht mich so eigen mit seinen träumerischen Augen an. Ich breche deshalb ab und füge schüchtern hinzu: das heißt, wenn Du es erlaubst.

Ich denke, der Vater wird nun etwas sagen und mir die Erlaubnis geben, König oder Kaiser zu werden, – erlaubt er mir doch sonst alles! Aber er antwortet nicht, sondern blickt mich nur immer so weiter nachdenklich an, während die Linke langsam durch den Bart streicht. Ich kenne die liebe runzlige braune Hand mit den arbeitstumpfen Nägeln so genau, und daß sie vierfingrig sei, ist bis heute für mich so selbstverständlich gewesen, wie, daß der eine der beiden Türme der Nikolaikirche keine Kuppel hat; aber ich sagte schon: es war dies ein besonders merkwürdiger Tag in meinem Leben, an dem die kleine Menschenpflanze auf einmal einen großen Schuß that, der dann wieder für lange Zeit reichen mochte und auch wohl gereicht hat.

So sind denn meine Königsträume plötzlich zerflattert bei dem Interesse, das mir des Vaters Hand einflößt, und ich frage so plötzlich, daß ich mich selbst darüber verwundere:

Warum hast Du nur vier Finger an Deiner Hand?

Der Vater legt den Hobel weg, setzt sich auf den dreibeinigen Schemel und drückt das abgetragene rote Fez, welches, während er arbeitet, stets neben ihm auf der Hobelbank liegt, auf den kahlen Scheitel. Ein Lächeln spielt um die Augen und um die nachdenklich herabgezogenen Winkel des Mundes, indem er erst die obere und dann die untere Fläche der Hand betrachtet, als ob er selbst heute zum erstenmale den Schaden bemerkte.

Sie haben ihn mir abgeschossen; sagt er.

Wer?

Der Vater bleibt die Antwort schuldig. Ein fremder, langsamer und leiser Schritt kommt über den Hof, und in der offenen Thür steht der Major von Vogtriz. Er faßt an die Mütze und fragt: Tischler Lorenz? Der Vater sagt: ja, indem er sich schnell von dem Schemel wieder erhebt, das Fez abnimmt und sich, im Ausstehen, den Hobelstaub von der blaugrünen Schürze streift. Der Major tritt durch die Thür, wobei er sich ein wenig bücken muß, und nimmt, die Höflichkeit meines Vaters erwidernd, ebenfalls die Mütze ab. Er läßt einen flüchtigen Blick durch die Werkstatt schweifen, der auch wohl mich streift, sich alsbald aber auf den Vater heftet, mit dem er an zu sprechen fängt – ich höre nicht worüber und was – so ganz bin ich in dem Anblick des Mannes versunken, als hätte meine heute gefeite Seele die Ahnung durchzuckt, daß einst an dieses Mannes Geschick mein eigenes sich knüpfen sollte. Doch das ist ein nachträglicher Gedanke. Was in jenen Minuten mein Auge an ihn fesselte, war schwerlich etwas anderes als seine Erscheinung, die mir unsäglich imponierte, der ich nichts Vornehmeres und Schöneres gesehen zu haben glaubte, vielmehr gesehen hatte, und – darf ich jetzt hinzufügen – später im Leben gesehen habe: eine so ritterlich hohe und zugleich so schlank anmutige Gestalt, von der jede Bewegung das Auge wohlthuend berührte, wie das Ohr ein reiner leiser Ton; so edel klare, von herzlichstem Wohlwollen belebte Züge; so wundervolle dunkle mandelförmige Augen, die für gewöhnlich eine sanfte Schwermut erfüllte, während sie in Momenten der Begeisterung von einem fast überirdischen Feuer erglänzten; dazu eine Stimme, weich wie eine Frauenstimme, nur tiefer, und die doch, wenn er erregt war, einen ehernen Klang hatte, vor welchem und vor dem Blitz, der dann aus seinen Augen zuckte, ich Gegner, die mit dem liebenswürdigsten der Menschen leicht fertig zu werden meinten, habe erbleichen sehen.

Das klingt wie die Schilderung eines Romanhelden – ich weiß es wohl; und ist doch nichts, als die lauterste Wahrhaftigkeit, die nach einem Ausdruck ringt, von dem sie fühlt, daß er hinter der Wirklichkeit zurückbleibt. Und wenn Ihr Romanheld jemand nennt, der für das Leben zu gut und zu edel ist, und dessengleichen man deshalb im Leben schwerlich findet – nun, du Bester, Edelster, sie haben dir so oft gesagt, daß du in das Leben nicht taugtest! Und hast diese Untauglichkeit so schwer büßen müssen! Den Spott erdulden müssen, welchem der nicht entgeht, der den Schaden hat! Und erdulden muß von solchen, die nicht wert sind, seine Schuhriemen zu lösen! So laß dich immer einen Romanhelden nennen: er ist in meinen Augen dein höchster Ehrentitel.

Da sind meine Gedanken wieder bei dem Jetzt und sollten doch bei dem Damals sein. Ich weiß nicht, wie die Romanschreiber es machen, bei denen sich alles so glatt eines aus dem anderen entwickelt, und man auf der einen Seite immer weiß, was auf der nächsten stehen wird. Ich sehe, welch eine schwere Kunst das sein muß; und doch werde ich ein wenig in die schwere Kunst zu pfuschen lernen müssen, oder ich werde mein Vorhaben nicht ausführen: aus der Betrachtung meines Lebens zu entnehmen, wie sich aus dem Früher das Später, aus dem Damals das Jetzt entwickelt hat; wie ich werden mußte, was ich geworden bin.

So, du kleiner Kerl, da sitzest du wieder ein paar Schritte abseits und starrst mit großen Augen auf den Mann, der deiner staunenden Kinderseele ist, was dem Gläubigen eine himmlische Vision. Die beiden haben ihre Unterredung beendet, die, wie ich mich dunkel erinnere, von dem Sarge gehandelt hat, der vorhin von Bruder Otto dem Major ins Haus gebracht ist, und an welchem dieser noch, ich weiß nicht was, verändert oder angebracht zu sehen wünscht. Indem er sich zum Gehen wendet, streift sein Auge mich zum zweitenmale. Er bleibt in halber Wendung stehen, während mein Blick, wie magnetisch angezogen, an dem seinen haftet, der auf mir mit einem unbeschreiblichen Ausdruck ruht. Und haften bleibt, als er jetzt an mich herantritt und mir die Hand auf den Kopf legt, während aus den schönen feuchten Augen, in die ich emporstarre, zwei große Thränen sich lösen und langsam die braunen Wangen hinabrollen in den glänzend schwarzen Bart, der, kurzgeschoren, Mund und Wangen des Mannes umrahmt.

Wie alt bist Du? fragt er.

Ich sage es.

Mein Ernst war nur ein Jahr älter, murmelt er.

Er hatte so große blaue Augen und so schöne dunkle Locken; sage ich.

Du hast ihn gekannt? fragt er, indem er mich mit beiden Händen an den Schultern ergreift und vor sich hinstellt. Und jetzt rollen die Thränen unaufhaltsam über seine Wangen.

Ja, sage ich; er war aber in Oberquinta, ich bin erst in Unterquinta.

Der Major mag sich gewundert haben, wie das Tischlerkind auf das Gymnasium kommt und hat dann wohl meinem Vater einen fragenden Blick über die Schulter zugeworfen, denn mein Vater antwortet: es ist mein Stiefsohn. Er hat nur gemurmelt und ich bin überzeugt: ich habe es nicht hören sollen. Aber ich habe es gehört, das Wort – wohl zum erstenmale in meinem Leben und ohne seine Bedeutung zu kennen, oder darüber nachzudenken für den Augenblick, welcher ganz dem schönen Wundermann gehört. Der spricht jetzt wieder mit dem Vater und läßt sich, glaube ich, von diesem berichten, wie ich zu der Narbe auf der Stirn gekommen bin, und daß ich schon seit Wochen nicht in die Schule gehe. Jetzt wendet er sich wieder zu mir.

Was willst Du denn werden, mein Sohn?

Soldat!.

Ein wehmütiges Lächeln zuckt über das schöne Gesicht.

Auch mein Ernst wollte Soldat werden; murmelt er.

Er sinnt nach, indem er mich noch aufmerksamer als zuvor betrachtet. Ich weiß jetzt, was er damals in seiner Seele erwogen hat. Aber er war nicht der Mann, eine Lücke, die das Unglück in sein Leben gerissen, auf Kosten eines anderen Menschen zu füllen, und ein Blick in das bleiche stille Gesicht meines Vaters, dessen gute Augen während dieser kleinen Scene zärtlich auf mich gerichtet gewesen sind, hat ihm gesagt, wer der sei, wer die Kosten würde zu tragen haben.

Und Du liebst Deinen Vater sehr? fragt er mich.

Ja, sage ich treuherzig.

Fahre fort ihn zu lieben, und Gott segne Dich!

Er hat mich zu sich emporgehoben, mich geküßt, und will zur Thür hinaus. Der Vater hat einen jener Momente, wie sie ihm häufig kommen, wo er, alles um sich her vergessend, in sich hinein träumt und mechanisch mit der Linken durch den grauen Bart streicht. Der Major sagt freundlich: Adieu, Meister!

Der Träumer erwacht und blickt dabei unbewußt auf seine Hand, von der vielleicht seine Träume ausgegangen sind. Der Major bemerkt die Verstümmelung und sagt in demselben freundlichen Ton:

Das muß die Arbeit sehr erschweren, Meister.

Der Vater wird rot und macht eine verlegene Bewegung, als wolle er die Hand verbergen.

Ich habe mich daran gewöhnt, murmelt er.

Ist es eine Schußwunde? fragt der Major; es sieht so aus.

Ja, sagt der Vater zögernd.

Soldat gewesen? fragt der Major.

Nein.

Jäger?

Der Vater schüttelt den Kopf. Und als er den Blick des Majors noch immer fragend auf sich gerichtet sieht, murmelt er ein paar Worte, die ich nicht verstehe.

Ah! sagt der Major.

Ueber sein schönes Gesicht zieht es wie eine Wolke, aber nur für einen Moment. Dann lächelt er wieder wehmütig freundlich und sagt: Aber nicht wahr? heute keinen Groll mehr! und dabei streckt er dem Vater die Hand entgegen.

Nicht gegen Sie, Herr Major, antwortet der Vater, indem er seine Hand in die des Majors legt.

Wie oft, wie oft habe ich später dieses Augenblickes denken müssen, als der hohe Soldat in seiner schönen Uniform dastand und meinem armen Vater in seinem Werkeltagsanzug die Hand reichte, und der Sonnenstreifen über beide fiel!

Aber jetzt denke ich nicht daran, und das Gespräch der beiden hat keine Bedeutung für mich gehabt. Ein Funke ist in meine Seele gefallen, und hat sie in Flammen gesetzt. Als der Vater, der den Major über den Hof und durch das Haus auf die Straße begleitet hat, in die Werkstatt zurückkehrt, findet er mich dort nicht mehr. Ich bin hinaus und hinauf auf den Wall geeilt, und spiele Soldat auf eigne Hand mit imaginären Feinden, die ich mit Hurrah aus den Haselbüschen vertreibe und über den Wall hinab in die See werfe, um die eilig Davonrudernden mit höhnenden Reden zu verfolgen.


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